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Ausgabe:

1950

Spalte:

305-306

Autor/Hrsg.:

Frick, Heinrich

Titel/Untertitel:

Religionswissenschaftliche Sektion 1950

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305

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

306

nötigen Wissensstoffes von der Einübung der Praxis selbst.
Den Wissensstoff zu bieten und den Wissensstoff im theologischen
Examen zu verlangen, bleibt die erste Forderung.
Denn gerade der Mann der kirchlichen Praxis muß um seine
Sache Bescheid wissen. Hingegen ist die Einübung der kirchlichen
Praxis durch die Universität erst zweite Forderung;
und hier muß endlich genau unterschieden werden zwischen
dem auch vom Studenten Erreichbaren (dem von jedem Studenten
Erreichbaren) und dem Charisma. Da aus Zeitmangel
die nötige Diskussion ausfiel, müßte man Trillhaas bitten,
seine Skizze im Druck vorzulegen als die Grundlage einer
literarischen Diskussion unter den Fachgenossen.

Soviel wurde klar: die Schleiermachersche „Krone" wird
die Pr. Th. nicht durch die Fortsetzung der philosophischen,
historischen, psychologischen, pastoralcn, morphologischen
Bemühungen um die kirchliche Praxis erreichen und zurückgewinnen
(doch sind alle diese Bemühungen kaum zu entbehren
), sondern allein durch die Gewinnung eines unwider-
sprechlichen Kriteriums der kirchlichen Praxis — und dieses
Kriterium kann nur das NT sehi, und zwar das NT, wie es
durch die jeweils beste Theologie ausgelegt wird, mit anderen
Worten: das Evangelium, wie wir es jeweils am besten erreichen
können. Das AT kommt für die Pr. Th. an der Stelle
in das Kriterium mit hinein, wo etwa Fremdgut, z. B. unver-

christlichter Hellenismus, sich in der kirchlichen Praxis breitmacht
und sich biblizistisch rechtfertigt. Das Corpus der Pr.
Th. umfaßt also die Bestandsaufnahme der gesamten kirchlichen
Praxis und die Handhabung des genannten Kriteriums
an der kirchlichen Praxis, durch welche Handhabung die dem
Evangelium entsprechende kirchliche Praxis gezeichnet und
der Kirche vorgehalten wird — und das ist das Hauptstück
der Pr. Th. Ihr Nebenstück ist die dem Hauptstück entnommene
Neudurchpflügung der Einübung kirchlicher Praxis
bei Studenten (und dieses Nebenstück steht für die „öffentliche
Meinung", auch der Studenten, im Vordergrund — leider,
wenn dadurch das Hauptstück versäumt wird; erträglich,
wenn dadurch der Weg zum Hauptstück eröffnet wird). Wird
die Pr. Th. so gesehen und aufgebaut, dann ist die Frage
nicht mehr bloß „Organisationsfrage": Soll nicht doch, bei
der Wucht der kirchlichen Praxis, die Pr. Th. es sein, die dem
Theologiestudenten den Weg in die theologischen Einzelfächer
eröffnet, wiederum den Studenten, der die Einzelfächer
dann durchschritten hat, mit einem Abschluß „krönt", der
dem Studenten die Rückschau auf die Einzelfächer wie die Vorschau
auf die in der Kirche zu übende Praxis als einheitliche
Schau der Kirche darreicht ? Regulativ: der Schleiermache-
rische „Kirchenfürst"! (Martin Fischer gab diesen Ton au,
der immer wieder erklingen soll.)

RELIGIONSWISSENSCHAFTLICHE SEKTION

Bereits während der Vorbereitung für den Theologentag
war anerkannt worden, daß im Unterschied von den anderen
Sektionen die Religionswissenschaftliche Sektion sich vor
einer besonderen Notlage sähe. Hauptamtliche Lehrstühle für
die beiden Fächer Religionswissenschaft und Missionswissen-
schaft finden sich nur ganz spärlich in den deutschen Evangelisch
-theologischen Fakultäten. Es gibt nur ein einziges
Ordinariat ausschließlich für Religionswissenschaft (Marburg),
nur zwei Ordinariate für Missionswissenschaft (Halle und
Tübingen). Infolgedessen lag es nahe, die Arbeit der Religions-
wissenschaftlichen Sektion dem grundsätzlichen Thema zu
widmen. Wir sind der Konferenzleitung dafür dankbar, daß
sie den Mittwochnachmittag ausschließlich dieser Sektion
zur Verfügung stellte. Fast alle Teilnehmer des Theologentages
und einige geladene Gäste trafen sich auf dem Marburger
Schloß, um die denkwürdigen historischeu Räume (Großer
Rittersaal und Kapelle aus dem 13. Jahrhundert; Arbeitszimmer
des Landgrafen Philipp, zugleich Stätte des Marburger
Religionsgespräches 1529), die Religionskundliche Sammlung
und die Studieneinrichtungen in dem seit 1946 der Philipps-
Universität zugeeigneten Landgrafenschloß zu besichtigeu.
Dem Herrn Direktor des Staatsarchivs zu Marburg sprechen
wir unseren Dank dafür aus, daß er bei dieser Gelegenheit
das Originalprotokoll des Marburger Religionsgesprächs mit
den eigenhändigen Unterschriften der Teilnehmer zur Besichtigung
auslegen ließ.

Die anschließende wissenschaftliche Konferenz galt dem
Thema: „Notlage uud Aufgabe allgemeiner Religionswissenschaft
an den deutschen evangelischen Fakultäten". Nach dem
Referat von Prof. D. Rosenkranz-Tübingen (Wortlaut
s. S. 307) eröffnete Prof. D. Althaus-Erlangen die Aussprache
(s. Thesen Sp. 313). Die lebhaft einsetzende Aussprache
mußte aus Zeitmangel abgebrochen werden und fand am
nächsten Tag ihre Fortsetzung. Schon während der ersten
Aussprache, bei der Benz-Marburg, Schlink-Heidelberg und
Freytag-Hamburg zu Wort kamen, trat eine erfreuliche Einheitlichkeit
der Meinungen zutage. Man bildete sofort einen
Redaktionsausschuß, der eine gemeinsame Erklärung vorzubereiten
hatte. Am Donnerstag 30. 3. stimmte der Ausschuß
(Althaus, Benz, Freytag, Frick, Heiler, Rosenkranz) einhellig
einer Entschließung zu, die tags darauf dem amtlichen Fakultätentag
vorgelegt wurde. Sie hat folgenden Wortlaut:
Religionswissenschaftliche Sektion.

„Die Religionswissenschaftliche Sektion des Theologentages
hat in ihrer Sitzung am 29. März 1950 einstimmig folgenden
Beschluß gefaßt.

Wir lenken die Aufmerksamkeit auf einen Notstand innerhalb
unserer Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen und
bitten um die grundsätzliche Zustimmung zu folgenden Gesichtspunkten
.

1. Religionswissenschaft und Missionswissenschaft werden
zur Zeit bei uns im Regelfall nur zusätzlich von Vertretern
eines der traditionellen theologischen Hauptfächer versehen.
Es ist nur ein seltener Ausnahmefall, daß ein Lehrstuhl
hauptamtlich für Religionswissenschaft oder Missionswissenschaft
oder für beide gemeinsam besteht. Der Uberblick über
die entsprechenden Lehrstühle au Katholisch-theologischen

Bericht von Heinrich Frick, Marburg)

Fakultäten und über die Vielfalt religionswissenschaftlicher
Forschungs- und Lehreinrichtungen an Philosophischen Fakultäten
macht deutlich, daß die deutschen Evangelisch-theologischen
Fakultäten in dieser Hinsicht einem Vergleich nicht
mehr gewachsen sind. Für Theologie wie Kirche ergeben sich
daraus bedenkliche Folgen, die erst recht ins Auge fallen, wenn
man den Vergleich auf die entsprechenden Lehrstühle und
Einrichtungen an außerdeutschen Fakultäten ausdehnt. Wir
sehen in diesem Sachverhalt einen akuten Notstand.

2. Zur Behebung der Not bitten wir den Fakultätentag,
folgendes zu erklären:

a) Der Fakultätentag lenkt die Aufmerksamkeit darauf,
daß auf den Gebieten der Religions- und Missionswissenschaft
die Evangelisch-theologischen Fakultäten und Kirchlichen
Hochschulen in Deutschland hinter den Katholisch-theologischen
Fakultäten sowie den Philosophischen Fakultäten in
Rückstand geraten sind.

b) Zur Behebung des derzeitigen Notstandes empfehlen
wir, daß jede Fakultät und Hochschule verstärkte Aufmerksamkeit
der Erhaltung oder Wiedereinrichtuug oder Neueinrichtung
von Studienmöglichkeiten zugunsten von Religionswissenschaft
und Missionswissenschaft widme. Besonders
dringlich ist es, daß an einer Anzahl von Fakultäten Lehrstühle
für Religionswissenschaft oder für Missionswissenschaft
oder für beide gemeinsam hauptamtlich wieder herzustellen
oder neu einzurichten sind, wobei zum mindesten eine paritätische
Ausstattung der Evangelisch-theologischen im Vergleich
mit den Katholisch-theologischen Fakultäten erzielt
werden sollte.

c) Angesichts der gegenwärtigen Uneinheitlichkcit und
Zerreißung im staatlichen Hochschulwesen empfehlen wir die
Schaffung uud Autorisation eines gesamtdeutschen Ausschusses
des Fakultätcntags für Religions- und Missionswissenschaft
, der bei Anträgen und Verhandlungen auf diesem
Gebiet von den einzelnen Fakultäten und Hochschulen gegebenenfalls
angerufen werden kann."

Am Abend des letzten Konferenztages trat nochmals die
Religionswissenschaftliche Sektion zusammen, um ein Referat
von Prof. D. Dr. Heiler-Marburg zu hören über „Nathan
Söderblom als Religionswissenschaftler" (Wortlaut s. Sp.313).
Hieran schloß sich eine lebhafte Aussprache an, m deren Verlauf
wichtige literarische Anregungen, z. B. Neuauflage des
Religionsgeschichtlichen Lesebuches, gegeben wurden. Preis-
ker-Jeua, Foerster-Münster, Rosenkranz-Tübingen, Eißfeldt-
Halle, Gloege-Jena und andere beteiligten sich an der wiederum
sehr regen Aussprache. Die so erfreuliche Einmütigkeit
setzte sich auf dem Fakultätentag fort, vor dem ich über die
Entschließung unserer Sektion referierte. Die einmütige Zustimmung
gipfelte in dem Beschluß, unsere Sektion einen Ausschuß
wählen zu lassen, der dem Vorsitzenden des Fakultätentages
verantwortlich ist und der in Fragen der Religionswissenschaft
und der Missionswissenschaft denjenigen Fakultäten
zur Verfügung steht, die gegebenenfalls ihn um Unterstützung
anrufen. Angesichts der gegenwärtigen Aufspaltung
der Kultusministerien nach Ländern kann es im gegebenen Fall
für eine Fakultät hilfreich sein, sich an die gesamtdeutsche
Vertretung des Fakultätentages um Unterstützung zu wenden.