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Ausgabe:

1950

Spalte:

287-300

Autor/Hrsg.:

Fischer, Martin

Titel/Untertitel:

Die notwendige Beziehung aller Theologie auf die Kirche in ihrer Bedeutung für die praktische Theologie bei Schleiermacher 1950

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287

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

m

Der Inhalt wird in drei Unterteilen entfaltet:
Gott hat die Kirche wie einen Leib gebildet /
Gott hat den Gliedern der Kirche verschiedene Aufgaben
zugeteilt /

Der erhöhte Herr ist das Haupt der Kirche.

Wiederholungsfragen: a) Was bilden die Christen zusammen
mit Christus ? Wer ist der Lebenshauch dieses Leibes ?
Wer ist das Haupt ? Wann ist der Geburtstag der Kirche ?
b) Nenne verschiedene Aufgaben, die die Glieder der Kirche
haben, c) Erzähle, was Christus in der Kirche wirkt!

Die beiden Merksätze lauten:

Warum ist die Kirche ein göttliches Geheimnis ?
. . . weil sie der Leib Christi ist. Christus ist das Haupt, wir
sind die Glieder.

Wodurch wird man ein Glied der Kirche ?
. . . durch die Taufe.

Der Beitext besteht hier nur aus einem kurzen Aufruf,
Glied am hl. Leibe Christi zu bleiben.

VI.

Zum Schluß ein Wort der Beurteilung. Es darf vermutet
werden, daß dieser neue Katechismus nach einigen Verhandlungen
gegen den Widerstand einer „konservativen"

Gruppe doch in absehbarer Zeit angenommen wird. Ohne
Zweifel bedeutet er ja theologisch und methodisch gegenüber
der Ausgabe von 1925 einen klaren Fortschritt.

Vom evangelischen Stundpunkt aus wäre zu bemerken,
daß in den Vorarbeiten manches Problem auftauchte, mit dem
wir genau so zu ringen haben. Man braucht nur au die innere
Not unserer Jugend oder an die Frage des Verhältnisses von
Biblischer Geschichte und Katechismus zu denken. Freilich
wird einem auch deutlich, daß für die evangelische Kirche
vieles durch Luthers Katechismus ganz anders liegt. Für seine
besonderen Vorzüge sollten wir dankbar sein: Konzentration
auf das christlich Wesentliche / Betonung des persönlichen Bezugs
/ klassische Formulierung in edel-volkstümlicher Sprache.
Auf der anderen Seite ist gerade an dem katholischen Beispiel
zu ersehen, wie unablässig dort um etwas gerungen wird, was
wir viel zu gern vernachlässigen, nämlich um die enge Beziehung
zum Leben und Feiern der Kirche. Für das, was man
ethisch und liturgisch Einübung im Christentum nennen
könnte, wäre jedenfalls bei den Katholiken grundsätzlich und
praktisch viel zu lernen. Daß dies sehr wohl auf der Linie der
recht verstandenen Lutherschen Kinderlehre läge, könnten uns
die gelegentlichen Hinweise im Großen Katechismus zeigen.

DieDiskussionerkanntedieBeziehungauchdiesesVortrags I Wissenschaft ein durch seinen Vortrag: „Die notwendige
zur „Tradition" und erörterte die evangelischen Parallelen. Beziehung aller Theologie auf die Kirche in ihrer

In der zweiten Sitzung führte M. Fischer in die Grund- ' Bedeutung für die praktische Theologie bei Schleierfragen
der Praktischen Theologie als einer theologischen | macher".

Die notwendige Beziehung aller Theologie auf die Kirche in ihrer Bedeutung
für die praktische Theologie bei Schleiermacher

Von Martin Fischer, Berlin

Es war ein ungeheures Ereignis, das zur Rettung der
Kirche am Ende des 18. Jahrhunderts Erhebliches beigetragen
haben dürfte, als Schleiermacher die Theologie eine „positive
Wissenschaft"1 nannte. Die rationale Theologie seiner Zeitgenossen
schied er als spekulative Wissenschaft ganz von der
seinen. Er gab vielmehr der Theologie in der Beziehung auf
die Kirche und die sie jeweils charakterisierende Glaubensweise
ihre Sinnmitte und ihren praktischen Auftrag. In einer
Zeit, in der die Vermischung apriorischer Spekulation mit positiven
, empirischen und geschichtlichen Gehalten wie eine Verunreinigung
und Gefährdung der Gültigkeit der Wissenschaft
als solcher wirken konnte, stellt die Wiederherstellung der
notwendigen Beziehung aller Theologie auf die Kirche eine
weittragende Leistung dar2.

Flückiger ist in seinem gewichtigen Buch: Philosophie
und Theologie bei Schleiermacher (Zürich 1947)3 dem nachgegangen
, wieweit dieser Schritt Schleiermacher gebracht hat;
insbesondere ist zu klären, was die Ethik „als die Wissenschaft
der Prinzipien der Geschichte" (KD §29)4 als jedem Theologiestudium
vorauszusetzendes Studium bedeuten mag. Jedoch
können wir unter Hinweis auf Flückigers gründliche Studie
diese notvolle Frage einstweilen übergehen und es wagen, der
wiedergewonnenen Beziehung aller Theologie auf die Kirche
uns zu freuen, wie eingeschränkt immer ihr Ertrag wird beurteilt
werden müssen, wenn man nämlich nach der Bindung

') Kurze Darstellung, ed. Scholz § 1 (abgekürzt KD). Die Darstellung
des folgenden stützt sich im wesentlichen auf die viel zu wenig beachtete
„Kurze Darstellung des theologischen Studiums" (2. Aufl. 1930), die mit einer
einzigartigen systematischen Kraft Schleiernlachers theologische Erkenntnisse
zusammenfaßt. Sie dürfte darin besonders im Blick auf die vielfachen berücksichtigten
Beziehungspunkte seiner Glaubenslehre überlegen sein. Sie hat
außerdem den Vorzug, daß sie in dieser Gestalt Vorlesungen zugrunde gelegen
hat, die er im Lauf von 30 Jahren zwölfmal als Enzyklopädie gelesen hat, zuletzt
zwei Jahre vor seinem Tode. — Die übrigen Werke werden zitiert Glaubenslehre
: Gl; berücksichtigt ist: „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen
der evangelischen Kirche . . ." Ausgabe von 1830. Im übrigen die
Werke: Berlin 1834—1864, in ihnen besonders die Praktische Theologie, Bd. 8,
aus dem Nachlaß 1850 hrsg. von J. Frerichs.

2) Vgl. dazu Scholz a. a. O. Einleitung S. XXIIff.

3) Flückigers Buch ist mir erst spät zu Gesicht gekommen. Es ließ sich
ohne Not dem eigenen Aufriß einfügen und bestätigt im wesentlichen das Gebotene
. Es bringt eine so weittragende Förderung der Schleiermacherforschung,
daß man viele ältere Werke als überholt beiseitelegen kann. Im Rahmen unserer
Arbeit brauchen sie kaum je zitiert zu werden, soweit sie das Problem von
Theologie und Philosophie behandeln. — Trillhaas'Buch: „Schleiermachers
Predigt. . .", Leipzig 1933, lag bei der Ausarbeitung nicht vor, weil es in Berlin
nicht aufzutreiben war, so daß ich an dem wichtigen Buch die eigene Sicht
nicht noch einmal messen konnte.

') Dazu Flückiger S. 18ff. Vgl. dagegen G. Wehrung, Die philosophischtheologische
Methode Schleiermachers, Göttingen 1911, S. 19ff.

vonTheologie und Kirche an die Selbstoffenbarung Gottes fragt1.

Daß Schleiermacher die Theologie an die vorfind -
liche Kirche band, und seine wissenschaftliche Aufgabe an
das Leben der Kirche wies, stellt ein Bekenntnis dar. Vieles
sprach dafür, das Problem anders zu lösen. Man kann freilich
der Bedeutung der notwendigen Beziehung aller Theologie
auf die Kirche bei Schleiermacher nicht nachdenken, ohne der
Problematik seiner ganzen Theologie ansichtig zu werden.
Man wird ja nicht sagen können, daß Schleiermacher in einer
Theologie der Offenbarung das wirksame Wort von den heilsentscheidenden
großen Taten Gottes in die Mitte gerückt
habe2. Seine Christologie und Trinitätslehre nähern sich dem
Sabellianismus3. Von dem Werk Christi im Sinn einer pauli-
nischen Versöhnungslehre ist nicht die Rede. In Christus erreicht
eigentlich die menschliche Natur als Ganzes ihre höchste
Entwicklungsstufe; „seine Urbildlichkeit, die ihn von allen
anderen Menschen unterscheidet, besagt nur, daß das gemeinsame
Prinzip in ihm vollkommen zur Darstellung kam, während
es in allen Einzelnen immer nur annähernd so rein wie
in ihm zum Ausdruck kommt. Es ist eine allgemein menschliche
Möglichkeit, welche sich in Christus nur erstmals und auf
vollkommene Weise verwirklicht"4.

Christus ist in seiner paradoxen Weise „Anfang" und Vollkommenheit
zugleich; wie alles in echtem Sinne Geschichts-
wirksame ist er ganz „ursprünglich"6. Und in dieser Ursprüng-
lichkeit, deren Tatsache und Gewicht der philosophischen Erkenntnis
das Bekenntnis zur Absolutheit ermöglicht, ist
Schleiermacher den eigenen Voraussetzungen zuwider, dem
Kontingenzproblem nahe genug, so daß Predigt und Kirche
positiv dem Erlöser verbunden bleiben müssen. Christus bleibt
im „System" und stört die Geschlossenheit des Ganzen6.

') In Brunners Kampfschrift finden sich auf diesen Gesichtspunkt hin —
trotz z. B. S. 365 —■ keine zureichenden Ausführungen. Siehe Emil Brunner,
„Die Mystik und das Wort", Tübingen 1928. — Dagegen K. Barth: „Die protestantische
Theologie im neunzehnten Jahrhundert", S. 379—424, wo sich
eine theologisch ergiebige und verständnisbereite Würdigung findet.

2) Vgl. dazu Flückiger a. a. O., S. 144ff.

3) Gl § 172.

4) Flückiger S. 139, vgl. auch S. 141.

5) Gl § 94, 2 verwendet die Kategorien Urbild, Anfang und Ursprung.
Dazu K. Barth in „Die Theologie und die Kirche", München 1928, im Aufsatz
über Schleiermacher, besonders S. 168ff. Richtig dargestellt bei Katten-
busch: „Die deutsche evangelische Theologie bei Schleiermacher", Gießen
1934 , S. 32ff. und in seiner Schleiermacher-Gedenkrede Gotha 1934, S. 25.

8) „Die Christologie ist die große Störung in Schleiermachers Glaubenslehre
, vielleicht keine allzu wirksame Störung, aber eine Störung. Was er sagen
wollte, wäre vielleicht besser, einleuchtender, geschlossener gesagt worden,
wenn er es in Form eines Kreises mit einem Mittelpunkt statt in Form einer
Ellipse mit zwei Brennpunkten hätte sagen können. Aber er konnte diese
Störung nicht vermeiden. Er konnte seine Sache nicht anders, er mußte sie