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Ausgabe:

1950

Spalte:

281-286

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Die 80. Frage des Heidelberger Katechismus 1950

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Theologische Literaturzeltung 1950 Nr. 4/5

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rial an theoretischer Begründung, namentlich die umfangreichen
und in ihrer Art bewunderungswürdigen Untersuchungen
zu der zuletzt genannten Kirchenagende, an denen ein
führender Systematiker so entscheidend beteiligt ist. Die Praktische
Theologie der Gegenwart würde ihre Pflicht versäumen,
wenn sie, hier zur Arbeit gerufen, nicht nur durch eine völlig unvoreingenommene
historische Forschung ihrerseits klarzustellen
versuchte, ob es wirklich richtig ist, daß die lutherischen
Kirchen der Reformation sich dafür entschieden haben, die
Traditionen der vorreforinatorischen abendländischen Kirche
nach einer kritischen Reinigung und Unigestaltung weiterzugeben
. Dabei wird es von besonderer Wichtigkeit sein, die
noch keineswegs genügend beachteten Zeugnisse aus dem
Schrifttum des alten Luther, unter anderem auch die Schrift
..Von den Conciliis und Kirchen" 1539, und aus seinem auf
diesem Gebiet besonders ertragreichen Briefwechsel des letzten
Lebensjahrzehnts gebührend mit heranzuziehen. Die Erkenntnis
, daß der alternde Reformator, der schon wieder mit einer
neuen Tradition in der eigenen Kirche zu rechnen hatte, in jugendlichem
Freimut den liturgischen Traditionen überhaupt
gegenüberstand und es mehr als einmal beklagte, wieviel kostbare
Zeit von jeher und nun wieder in der Kirche auf die Erörterung
dieser Fragen vertan werde, — die von Rechts wegen den
Artikeln des Glaubens zugute kommen müßte, würde in
unserer Gegenwart überraschend wirken. Ich zweifle nicht, daß
eine objektive Geschichtsforschung einen Luther, der sich im
Sinne des vierten Gebotes an eine abendländische Tradition
gebunden hätte, nirgends entdecken wird. Freilich wäre damit
dem neuesten theologischen Schlagwort der eine „ökumenische
Katholizität" proklamierenden Liturgik nur von Seiten
der Historie her der Boden entzogen. Luther könnte ja sachlich
Unrecht gehabt haben. So erwächst unserer Disziplin
auch die systematisch-theologische Aufgabe, das Problem der
Tradition für den Bereich des christlichen Gottesdienstes neu
zu durchdenken, wobei uns immerhin die zu erwartenden Ergebnisse
der historischen Arbeit nicht ganz gleichgültig werden
sein können. Dabei wird auch eine für die theologische Auswertung
der Kirchengeschichte entscheidend wichtige Frage
endlich einmal ernsthaft diskutiert werden müssen: Gibt es

ein Kriterium dafür, ob, um mit Brunuer zu reden, bestimmte
Ordnungen und Formen innerhalb der vergangenen Geschichte
„nach Gottes Wohlgefallen" gewesen, ob sie „nicnt

ohne bestimmte Wirkungen des heiligen Geistes entstanden
sind" ? Weshalb ist dieser Glaube an das Wirken des heiligen
Geistes in der Vergangenheit der Kirche berechtigt, weshalb
erscheint er so verdächtig, sobald es um ein gegenwärtiges
Handeln und Ordnen in der Kirche geht ? Diese letzte Frage
führt wie von selbst auf das für unsere theologische Disziplin
so gewichtige Moment der christlichen Gemeinde. Wie weit
geht die Pflicht und das Recht der Theologie und der Theologen
von heute, die hörende und glaubende Gemeinde der
Gegenwart neu an abgerissene Traditionen zu binden ? Wo
hört hier der Dienst am Evangelium auf, wo fängt Liebhaberei
und Spielerei an ? Es ist nicht damit getan, wie es heute so
beliebt ist, den Titel des historisch einzigartigen und unerschöpflichen
Buches von Paul Graff zu zitieren, als sei systematisch
mit diesem Titel bewiesen, daß der dort geschilderten
Auflösung der Tradition in der Gemeinde von heute
eine Erneuerung derTradition um des Evangeliums willen
folgen müsse.

Aber nicht nur von der Sicht der Gemehide her hat der
Gedanke, die evangelische Kirche müsse die abendländische
Tradition hüten, etwas Bedrohliches. Schon nämlich unterscheidet
man bewußt zwischen dem Flügel des evangelischen
Christentums, der vom reformatorischen Ansatz her diese Tradition
bejaht habe, und dem anderen, der es ebenso bewußt
nicht tat; d. h. aber: Der Gegensatz zwischen Luthertum und
Reformiertentum wird um eine neue Grundsätzlichkeit erweitert
. Die Tradition gefährdet auch hier die Liebe. Ist es
die Aufgabe unserer Disziplin, unsere Studenten zu einem für
ihren künftigen Kirchenberuf heilsamen grundsätzlichen Denken
über alle Lebensäußerungen der evangelischen Kirche zu
erziehen, dann wird also auch diese Seite der uns mit dem
Problem der Tradition neu gestellten Aufgabe nicht übersehen
werden dürfen. — Darüber hinaus aber sind wir, wie es im
Wesen unserer Disziplin begründet ist, aufs stärkste an allem
interessiert, was unsere theologischen Schwesterdisziplinen
angesichts jenes alten Urgesteinsblockes neu erarbeiteten.
Unsere besondere Ehre wird es ja immer sein, nicht nur treu
das Unsere zu tun, sondern auch die anderen erkennen zu
lassen, wie sehr wir allenthalben auf ihren Dienst angewiesen
sind. Diese ja noch nicht sehr alte abendländische Tradition
in der evangelischen Theologie werden wir auf jeden Fall treu
zu wahren haben.

Die Diskussion kreiste um den Begriff „Tradition",
..abendländische Tradition", und um die Frage, welches Kriterium
anzuwenden sei.

Die 80. Frage des Heidelberger Katechismus

Von Leonhard Fendt, Bad Liebenzell

• »e,rauf le8te L. Fendt eine Probe aufs Exempel vor u
einer Abhandlung über das Thema: „Zur 80 Frage des
Heidelberger Katechismus".

,_ Ein Katechismus, also auch der Heidelberger, ist zu einem
teile „ausgeübte Praxis" (nämlich Verkündigung bzw. Didas-
kabe), zum andern Teile aber „Praktische Theologie" von ehemals
(nämlich Auswahl aus der Kirchenlehre nach einer bestimmten
Theorie). Die heutige Pr.Th. hat über beides vom
, T her zu urteilen, weil die Christlichkeit des Inhaltes und
die Gründe der Auswahl immer neu geprüft werden müssen.
Die 80. Frage des H.K. ist überdies ein Stück Liturgiewissen-
schaft; es wird ja in der 80. Frage vom NT her über die Messe
Reurteilt, sie sei „eine Verleugnung des einigen Opfers und
Leidens Jesu Christi und eine vermaledeite Abgötterei" 2 — auch
über dieses Urteil hat die Pr.Th. von heute neu das NT zu setzen.

Darin werden wir sofort dem H.K. beitreten: Im NT
vtr • 11 wir weder die Zelebration eines Meßopfers noch eine
Weisung hierzu (aber die Katholiken finden dort beides). Erst
recht sind wir mit dem H.K. willens, das „einige Opfer Jesu
Christi, so er selbst einmal am Kreuze vollbracht hat" als
einzig zu setzen. „Wir" das heißt hier: Lutheraner, Reformierte
, Unierte, Anglikaner, Pietisten, Baptisten, Methodisten
usw. Aber nun begibt sich die erstaunliche Tatsache, daß für
jtas „einige Opfer Jesu Christi am Kreuze" auch die Kathoden
a's Mitkämpfer in unsere Reihe treten! Qui in ara crucis
semel se ipsum cruente obtulit, sagt das Trid. Sess. XXII
P' ?>.auch cap. 1). Und dieses Konzil verwahrte sich im
ean. XXXIII der VI. Sessio feierlich dagegen, an der gloria
Dei vel meritis Jesu Christi Domini etwas abstreichen zu
wollen. Gerade weil das „einige Opfer Jesu Christi am Kreuze"

') Text und Geschichte des Textes bei A. Lang, Der Heidelberger Katechismus
und vier verwandte Katechismen, 1907.

') Vgl. Calvin, Christ. Rel. Inst 1536 ed. P.Barth (Opera selecta I
cap. 4 De Sacramentis), S. 152ff.: pestilentissimus error; pestis; insigni con-
tumelia Christum afficere; crucem eius sepelire et opprimere; mortem eius
jn oblivionem dare; missam . . . omni genere impietatis, blasphemiae, idolo-
'atriae, sacrilegii scatere. — Trid. Sess. XXII can.4.

Grund und Quelle alles Heiles ist, will die katholische Kirche
dieses Opfer am Kreuze den Christen täglich, ja stündlich vor
Augen führen —, und zwar durch eine „liturgische Begehung"
des einigen Opfers Christi am Kreuze, und diese „liturgische
Begehung" ist die Messe. Eine „liturgische Begehung" von noch
näher zu bestimmender Art entspricht nun tatsächlich nach
dem NT dem Willen Jesu selbst; denn bei seinem letzten
Mahle hat Jesus nach der bei Paulus feststellbaren Tradition
aus vorpauliuischer Zeit eine wiederholte Begehung des letzten
Mahles in Aussicht genommen, und diese wiederholte Begehung
treffen wir im Christenabendmahl bis auf den heutigen Tag.

Die Frage ist nun die: Was wird im Christenabendmahl
liturgisch begangen ? Die Antwort wird auf ein Doppeltes
hinweisen müssen: i. Im Christeiiabeudinahl wird etwas
dargestellt, nämlich das letzte Mahl Jesu. — 2. Es wird
durch diese Darstellung an etwas erinnert, nämlich an das
einige Opfer Jesu Christi am Kreuze. So wird nach
Zwingli dargestellt „der vergriff und handlung Christi, wie
er diese widergedächtnuß yngesetzt hat" — und die Darstellung
ist „zue gedächtnuß sines tods" (widergedächtnuß
")1. Calvin hat als Darstellung die promissio Christi (beim
letzten Mahle), und zur Erfüllung dieser Verheißung werden
die Christen „zum Kreuze Christi geschickt"; vom Sakrament
wird gesagt, daß es uns in memoriam revocat, daß Christus
das Lebensbrot sei, nämlich, daß alles, was Christus tat oder
litt, getan und gelitten sei zu unserer Lebendigmachung'-.
Nicht bloß einmal im Jahre und so oben hin soll die Einsetzung
Christi begangen werden, sondern ein frequens usus wird verlangt
, ut frequenti memoria passionem Christi repeterent3.
Luther hält auf die Darstellung gerade des letzten Mahles

') Sämtl. Werke IV. Bd. ed. Egli usw., Aktion oder Brauch des Nachtmahls
, S. 16, 17, 21.

*) Calvini Institutio 1536 ed. P. Barth, Opera selecta I, S. 138.
3) Ebenda S. 149.