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Ausgabe:

1950 Nr. 1

Spalte:

9-16

Autor/Hrsg.:

Jungmann, Josef Andreas

Titel/Untertitel:

Die Enzyklika "Mediator Dei" und die katholische Liturgische Bewegung im deutschen Raum 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 1

in

der Ursprungsbedeutung seines eigenen Glaubens. Daß hierbei
Paulus und Luther eine zentrale Bedeutung zukommt, war
selbst dem wohl nicht ganz zu Recht unter die Atheisten gerechneten
Heidegger nicht unbekannt, denn es gibt aus seinen
frühen Dozentenjahren nicht nur Interpretationen des Aristoteles
, sondern ebenso Vorlesungen über Paulus. Und Dissertationen
über Luther wurden von ihm seinen Schülern als
Thema gegeben.

Bei Sartre scheint man ein solches Bewußtsein dialektischer
Wechselbeziehung zwischen Christentum und Existentialismus
zu vermissen. Allein Liselotte Richter bemüht sich,
in üirem Buch ,,Jean Paul Sartre oder die Philosophie des
Zwiespalts"1, nachzuweisen, daß Sartre sein Bild der menschlichen
Existenz alseinesniemalsabgeschlossenenfreienDaseinsentwurfes
nach dem Bilde Gottes als eines Ens causa sui entwickelt
hat. Sein Atheismus ist deshalb so heftig und polemisch
verkrampft, weil er fühlt, daß er hier aus einer gewissen Zwiespältigkeit
nicht herauskommt. Dieser Begriff des Zwiespaltes
der, .Mauvaise foi" wird als der neuralgische Punkt der Philosophie
Sartres herausgearbeitet. Wir stehen vor der ständigen Anforderung
, Existenz, d.h. freier Daseinsentwurf zu sein und müssen
doch stets mit den festen Wesensordnungen einer gegebenen
Situation fertig werden. Diese Doppelhaltung und das daraus
entspringende Bewußtsein der Zwiespältigkeit wird in der vorgelegten
Arbeit sowohl in den Dichtungen wie in Sartres
Hauptwerk „L'Etre et le Neant" nachgewiesen. Wichtig ist
hierbei die Erkenntnis, daß Sartre selbst aus der Zwiespältigkeit
seiner eigenen Mauvaise foi nicht herauskommt: sein
Atheismus entzündet sich an der Situationsgebundenheit eines

') Richter, Liselotte: Jean Paul Sartre oder die Philosophie des
Zwiespalts. Ein Vortrag mit Exkursen. Berlin: Gustav Spielberg Chronos-
Verlag 1949. 46 S.

christlich geprägten Weltbildes, dessen Nachwirkungen selbst
in einer entchristlichten Zeit auch er sich nicht entziehen
kann. (Vgl. die diesem Vortrag beigegebenen Exkurse.)

Das darf selbstverständlich den verantwortungsbewußten
Christen nicht zu billigen Triumphen Anlaß geben. Er würde
sonst der Ursprungssituation des Christentums in der Ursündc
der Mauvaise foi verlustig gehen. Es ist die Aufgabe protestantischer
Theologie nachzuweisen, wie Kierkegaard in seinem Ansätze
die dialektische Spannung zwischen Philosophie und
Christentum, unter der auch das Verhältnis Existentialismus
und Glaube steht, allen Verweltlichungen zum Trotz durchgehalten
hat. Verf. kommt daher zu dem Schluß, daß die
existentialistische Verzweiflung nur ein vorletzter, aber kein
letzter Entscheidungsschritt ist. Das Verharren in der Verzweiflung
, in der Angst und im Nichts ist nur ein Kennzeichen
des Verharrens im „ästhetischen Stadium". Die Säkularisation,
die die Existenzphilosophie mit Kierkegaards religiösem Ansatz
vornimmt, muß notwendig in der Verzweiflung enden,
denn sie ist eine Übertragung des religiösen Stadiums in das
ethische bzw. ästhetische Stadium. Verzweiflung und Sünde
(Mauvaise foi) sind nicht mehr existentielle Lebensgehalte,
sondern Gegenstand ästhetischen Genusses und philosophischer
Reflexion, eben des ästhetischen Genusses in der philosophischen
Reflexion. In dieser Erkenntnis besteht die kritische
Abgrenzung zwischen genuin christlicher Religiosität
und existentialistischer Verweltlichung. Aber nur wenn die
radikale Illusionslosigkeit existenzphilosophischer Selbstanalyse
dem Menschen sein wahres Wesen in dieser Zeit gegen
alle Flucht in idealistische Sicherungssysteme zum Bewußtsein
gebracht hat, und der Christ dies als Ausgangssituation
des Christentums erkennt, kann das Umschlagen der Angst
vor dem Nichts in die,, namenlose Freude " des Glaubensanf anges
im Ergreifen des transzendenten Seins ermöglicht werden.

Die Enzyklika „Mediator Dei" und die katholische Liturgische Bewegung im deutschen Raum

Von Jos. A. Jungmann, S. J., Innsbruck

Die Enzyklika „Mediator Dei" vom 20. November 1947
darf ein Markstein in der inneren Geschichte der katholischen
Kirche genannt werden. In einer Zeit, die mehr als andere
durch äußere Gefährdungen, durch Abwehr und Organisation
in Anspruch genommen ist, erscheint ein umfangreiches päpstliches
Rundsehreiben, das ausschließlich dem innersten Bereich
des kirchlichen Lebens, Gebet und Gottesdienst, gewidmet
ist, und es entwickelt Gedanken und gibt Weisungen,
die zwar nur die legitime Weiterführung dessen sind, was
schon auf dem Konzil von Trient ausgesprochen wurde, die
aber doch vor einem Menschenalter noch kaum verstanden
worden wären. Das Rundschreiben ist nämlich zugleich der
vorläufige Schlußpunkt einer innerkirchlichen Bewegung, in
der das religiöse Bewußtsein weiter Kreise eine tiefgehende
Veränderung dadurch erfahren hat, daß eine innigere, tätige
Teilnahme an der kirchlichen Liturgie zum Durchbruch gekommen
ist und an Hand der Liturgie Glaubensgedanken
lebendig geworden sind, die bis dahin nur einer geistigen Oberschicht
geläufig gewesen waren. Es ist darum von Nutzen, zuerst
einen Blick auf die Liturgische Bewegung zu werfen und
so den Hintergrund sichtbar werden zu lassen, von dem sich
das Rundschreiben abhebt.

Die Liturgische Bewegung hat vielleicht auf deutschem
Boden die reichste Entfaltung gefunden, aber sie ist nicht auf
deutschem Boden entstanden. Ihre entferntere Vorbereitung
spielt in Frankreich (Solesmes), sie verläuft auch in Deutschland
(Beuron), verläuft überhaupt in den großen gemeinkirchlichen
Entwicklungen, die zum Teil von protestantischer
Seite angeregt, ein Aufleben biblischer, patristischer, archäologischer
Studien und ein neues Interesse für das Leben und
Denken der alten Kirche mit sich brachten. Aber als sichtbarer
Vorgang hat die Bewegung ihren Ursprung in Belgien,
auf jener Tagung der katholischen Vereine Belgiens zu Mecheln
1909, auf der nach einer überschau über die mühsame und cr-
folgarme Arbeit auf verschiedenen Vorfeldern katholischen
Lebens schließlich der Gedanke ausgesprochen wurde und
zündete: Ist nicht die Kirche unser erstes Vereinshaus?
Warum betreiben wir die Erneuerung nicht vom Altar aus ?1
Damals begann man in Belgien, das Missale zu verbreiten, mit
neuem Eifer gregorianischen Choral zu üben, für die sonntägliche
Pfarnnesse und die feierliche Vesper zu werben, die

') 0. Rousseau, Histoire du mouvement liturgique (Lex Orandi 3), Paris
1945, 220 ff.

Komplet als gemeinsames Abendgebet zu gestalten; es entstanden
liturgische Zeitschriften und schon von 1910 an wurden
alljährlich, soweit nicht äußere Hindernisse in den Weg
traten, liturgische Kongresse gehalten, deren Verhandlungen
in gehaltvollen Berichten veröffentlicht wurden1.

Auf deutschem Boden faßt die Liturgische Bewegung seit
dem Ausgang des ersten Weltkrieges zunächst in einzelnen
Zentren und in der studierenden Jugend Fuß. Die katholische
Jugendbewegung (Quickborn, Neudeutschland, Akademiker-
gruppen) wurde ihr vorzüglichster Träger. In mehreren Abteien
fand sie stärkenden Rückhalt. Das in Beuron (übrigens schon
seit 1884) herausgegebene „Meßbuch der heiligen Kirche"
fand nun weiteste Verbreitung. Vor allem aber wurde Maria
Laach unter Abt Ildefons Herwegen (f 1946) zum kraftvollen
Strahlpunkt liturgischen Lebens. Hier erschien die
Sammlung „Ecclesia Orans", die 1918 mit R. Guardinis feinsinniger
Schrift „Vom Geist der Liturgie" eröffnet wurde,
weiter eine lange Reihe „Liturgischer Volksbüchlein". Von
hier aus wurde aber auch der „Verein zur Plfege der Liturgiewissenschaft
" (Sitz Maria Laach) gegründet, der das Erscheinen
der „Liturgiegeschichtlichen}Quellen" und der „Liturgiegeschichtlichen
Forschungen" (seit 1928 zusammengelegt; bei
Aschendorff, Münster), sowie des „Jahrbuchs für Liturgie-
wissenschaft" ermöglichte, Veröffentlichungen, durch die
Deutschland in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen
die führende Rolle in der Liturgiewissenschaft übernahm.

Ein mehr in die Breite gellender Zweig der Bewegung
wurde begründet durch Pius Parsch, Chorherrn von Klosterneuburg
bei Wien, von dem auch der seither viel gebrauchte
Begriff einer „volksliturgischen" Bewegung stammt. Seit 1923
erschien „Das Jahr des Heils", eine Führung durch das Kirchenjahr2
. Daneben gingen u. a. die „Volksliturgischen Andachten
und Texte" (bis 1940 95 Nummern) und vor allem
die Massenauflagen seiner allsoniitäglich erscheinenden Meßtexte3
, die in den Pfarrkirchen zur Sonntagsmesse aufgelegt
wurden. Auf dem Wege über die Jugend wurden ebenfalls die

') Cours et Conferences des Semaines liturgiques, Löwen; bis 1938
14 Bände.

2) Seit der 10. Auflage (Klosterneuburg 1932) in drei Bänden. Verkürzte
Neuauflage in einem Band 1947.

3) Eine Überschau über Sinn und Breite dessen, was hier angestrebt
wurde, ist am leichtesten zu gewinnen durch das Buch von Pius Parsch, Volksliturgie
, Klosterneuburg 1940.