Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1950

Spalte:

263-272

Autor/Hrsg.:

Vogel, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Gerechtigkeit Gottes und die Faktizität des unschuldigen Leidens in der Geschichte 1950

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5

Download Scan:

PDF

263

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

264

der Theologie" zu werden (ebd. S. 39). In der Tat, die Situation
, die nach t. Petr. 3, 15 den Christen zur äkofoyia aufruft,
muß in aller dogmatischen Arbeit gegenwärtig bleiben, sonst
sinkt sie zu einem nur reproduktiven Schulbetrieb ab.

Aber daraus folgt nicht, daß für eine relativ selbständige
Ap. in dem eingangs skizzierten Sinne kein Platz bliebe. Ein
abschließendes Wort für oder wider die planmäßige Erneuerung
einer apologetischen Teildisziplin würde viel gründlichere
Diskussion mit den verschiedenen einschlägigen Ansätzen
innerhalb der systematischen Theologie voraussetzen als in
diesem Vorbericht zu leisten ist.

Es wäre z. B. zu fragen, ob K. Heims durchweg „apologetisch
" orientiertes theologisches Lebenswerk nicht noch un-
ausgeschöpfte, vielleicht unbillig ignorierte Möglichkeiten umschließt
, auch für diejenigen, die Heims methodische Position
nicht ohne Einschränkung annehmen können. — Nicht zu vergessen
wäre auch die neue Gestalt, die H. Stephans „Glau-
Benslehre" (3. Aufl. 1944) dem apologetischen Thema in ihrem
dritten Hauptteil „Das Weltverständnis des evangelischen
Glaubens" gegeben hat. Die bedingte Selbständigkeit dieses
Schlußteils gegenüber den dogmatischen Kernthemen der
beiden ersten Teile entspricht fast genau unserem Interesse
an einer plastisch-gegenständlichen Erfassung jenes „Gegenüber
des Wortes"; doch liegt die Aufgabe eines christlichen
„Weltverständnisses", trotz aller Beweglichkeit seiner Horizonte
, wesentlich näher bei der dogmatischen Lehre von der
Schöpfung und vom Menschen als die unbegrenzt offene Fülle
der theologischen Beziehungsfragen, die wir in der alten Formel
„Offenbarung und Vernunft" befaßt sehen wollten.

Ein neues Feld der Gespräche würden wir mit der Prüfung
der Beiträge betreten, die die praktische Theologie
(H. Schreiner, Geist und Gestalt 1926, C. Schweitzer, Antwort
des Glaubens 1928, vgl. dazu die erwähnte gehaltreiche Abhandlung
von Fr. K. Schumann, Neue Wege der Apologetik ?
Theol. Rundschau N. F. 1929, S. 28gff.) beigesteuert hat, zeitlich
wie sachlich in naher Nachbarschaft zu Brunners Programm
von 1929. — Um es aufs kürzeste zu sagen: unmöglich
ist jede prinzipielle Aufspaltung des Gegenstandes in eine
„systematische" und eine „praktische" Ap., wie sie zeitweise
empfohlen wurde. Desto handgreiflicher zeigt sich hier (vgl.
dazu Schumann a. a. O. S. 298, 312) die Unzulänglichkeit der
überlieferten theologischen Disziplinenteilung. Solauge wir,
jedenfalls in der akademischen Lehre, systematische und praktische
Theologie getrennt halten, wird die Besinnung auf das
Gegenüber des Wortes Gottes in der systematischen Theologie
beheimatet bleiben. Was die praktische Theologie in ihrer Ver-
kündiguugs- und Seelsorgelehre zu dem hier und jetzt erAussprache
:

Schlink (Heidelberg): Daß das Referat auf einen wunden
Punkt der heutigen Theologie hingewiesen hat, wird besonders
deutlich an der Selbstverständlichkeit, mit der die heutigen
Studenten und Pfarrer weithin der Auseinandersetzung mit
den Problemen der Welt aus dem Wege gehen. Freilich, die
Apologetik alten Stiles können wir nicht wieder aufnehmen.
Wir haben nicht in Unterwerfung unter vortheologische All-
gemeiubegriffe die Dogmatik philosophisch zu begründen, sondern
müssen heute vielmehr von der Dogmatik aus vorstoßend
umgekehrt eine theologische Begründung der anderen Wissenschaften
(Philosophie, Recht usw.) geben. Die lebendigen
Christen in anderen Fakultäten fordern das auch. Dieselbe
Forderung ergibt sich auch aus den Begegnungen zwischen der
Kirche und den verschiedenen Berufszweigen in den evangelischen
Akademien. Statt Apologetik also ist der Versuch einer
theologischen Enzyklopädie der Wissenschaften und einer
theologischen Begründung der Arbeit in den verschiedenen
Berufszweigen der heutigen Welt die Aufgabe.

Jacobs (Münster) bejaht den von Schlink vorgeschlagenen
Weg. Die legitimen Probleme der Apologetik müssen in
der Tat so in die Hand genommen werden. Bedeutet das aber
nicht, daß die gesamte Dogmatik apologetisch zu akzentuieren
ist ? Die Aufgabe ist nicht eine der Dogmatik angehängte
Sonder-Apologetik, sondern jedes Gebiet der Dogmatik
muß auch in dem von Schlink angedeuteten Sinn apologetisch
behandelt werden.

gellenden Auftrag der Apologie zu sagen hat, das steht zur
systematischen Apologetik etwa in demselben Folgeverhältnis
wie die Verkündigungslehre zur Dogmatik.

Läßt man Ap. in der angedeuten Weise als echte Obliegenheit
christlicher Theologie gelten, so ist ihr Verhältnis
zur Dogmatik also weitgehend vorbestimmt durch das Verhältnis
von Verkündigung und Apologie. Dabei wäre zu bedenken
, daß in dem dynamischen Spanuungsfelde zwischen
Verkündigung und Apologie das Werk der Theologie überhaupt
seinen Ursprung hat; es ist kein Zufall, daß die ersten
eigentlichen Theologen der Kirche im 2. Jahrhundert „Apologeten
" waren. Alles uns Heutigen aufgelegte Wissen um die
akute Versuchlichkeit des damals zuerst beschrittenen Weges
läßt die Nötigung, aus der dieser apologetische Weg christlich-
theologischer Selbstbesinnung immer neu sich aufdrängt,
merkwürdig unberührt.

Wieso von diesen Prämissen aus nun aber Apologetik für
unsere Stunde sinnvoll wiederherzustellen ist, dazu werden in
erster Linie die eingangs berührten Mängel und Erfordernisse
der theologischen Elementarlehre den Weg zeigen helfen. Von
ihnen, insbesondere von den Mängeln, mag ein andermal deutlicher
— und sorgenvoller zu reden sein als in diesem Kurzbericht
, der vor allem auf die unbewältigte Grundfrage aufmerksam
machen sollte. Es würde sich dann zeigen, daß die
vielberufenen Nöte des sog. Säkularismus und Nihilismus tiefer
in die Wirklichkeit auch unserer akademischen Lehre hineinwirken
als das Antlitz unserer heute im Schwange gehenden
Theologie fürs erste sehen läßt: Ist die scheinbare Geschlossenheit
dieser Theologie etwa um den Preis einer fiktiven Ausklammerung
jenes „Gegenüber" gewonnen ? — ist diese Theologie
, auch ohne Abbürdung ihrer Gegenwartspflichten auf
eine spezielle Apologetik, tatsächlich bereits das „Selbstgespräch
unter Theologen" geworden, vor dem Eiert uns
warnte ? Sind solche Sorgen nicht beiseitezuschieben, so verbirgt
sich hinter dem (immer problematisch bleibenden) Begriff
der Ap. nicht nur eine Frage der Methode und der akademischen
Lehrpläne, sondern die ungleich ernstere Frage nach
der Zeit- und Weltvollmacht unserer Theologie. Daß diese
Vollmacht keine andere sein kann als die eigene, Überschwang-
lieh zureichende Vollmacht des Wortes Gottes, also keine
methodologisch „verfügbare" oder beschaffbare Vollmacht,
das sollte außer Frage stehen. Zur Frage steht jedoch, wieso
jene Vollmacht unsererseits durch eine prinzipiell gewordene
Ausklammerung des „Gegenüber" etwa verkürzt oder gehindert
wird. Auf diesem weitesten Hintergrunde möchte das
vermeintlich abgelöste Problem der Apologetik neu betrachtet
— und hoffentlich neu angefaßt werden.

Heinzelmann (Halle): Apologetik ist nichts anderes als
wissenschaftliche Theologie überhaupt, wir können schlechterdings
nicht anders Theologie treiben als Rechenschaft ablegend
.

Thielicke (Tübingen): Apologetik als Prinzipienfragc
sollte in der dogmatischen Prinzipielllehre behandelt werden,
die apologetischen Einzelfragen bei der Behandlung der jeweiligen
dogmatischen Themen. Wenn die Apologetik alten
Stiles abzulehnen ist, so ist das begründet 1. in der von ihr festgehaltenen
Voraussetzung eines mit dem gegnerischen Standpunkt
gemeinsamen Koordhiationsschemas und in ihrem Versuch, in
dieses Schema auch die theologischen Aussagen einzuordnen
und sie so als möglich und gerechtfertigt zu erweisen, 2. in
der wahllosen Weise, wie sie nun oft alles, Kerygma und zeit-
gebunden-weltbildlichen Rahmen, auf einer Ebene verteidigte.

Schlußwort Doerne: Referent erklärt sich einverstanden
damit, daß die Gesamttheologie die apologetische
Aufgabe mit wahrnehmen muß, unbeschadet der Frage, ob
nicht daneben doch auch eine zusammengefaßte Sonderbe-
haudlung notwendig ist. Zu Schlinks Gedanken einer theologischen
Enzyklopädie der Wissenschaften: Gehörte dazu
nicht eine viel größere Sachkenntnis auf den Gebieten der einzelnen
Wissenschaften als sie dem Theologen im allgemeinen
möglich ist ? Referent unterstreicht noch einmal seine Warnung
vor einem zu schnellen Bereithalten des theologischen
Urteils ohne wirkliches Eingehen auf die Gegenseite.

Die Gerechligkeil Goltes und die Faktizitäl des unschuldigen Leidens in der Geschichle

Von Heinrich Vogel, Berlin

.....nur eines noch, nur ein einziges Bild! Es ist gar zu

charakteristisch, und ich habe es erst vor ganz kurzer Zeit gelesen
. . .I"1. Und dann erzählt Iwan Karamasoff Aljoscha jene

') Dostojewski, Die Brüder Karamasoff in der Ausgabe von Dimitri
Mereschkowski 1. Bd. S. 483ff.

grauenhafte Geschichte, bei der mau sich die Ohren zuhalten
und das Herz verriegeln möchte, die einen aber einfach durch
ihre Tatsächlichkeit zwingt, sie bis zum Ende anzuhören: die
Geschichte des Knaben, der vor den Augen seiner Mutter von

Jagdhunden zu Tode gehetzt wird!---Ehe wir die Frage

nach der Gerechtigkeit Gottes und der Geschichte aus dem