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Ausgabe:

1950

Spalte:

259-264

Autor/Hrsg.:

Doerne, Martin

Titel/Untertitel:

Das unbewältigte Problem der Apologetik 1950

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259

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

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dies nicht zur Eutsubstantialisierung des Wirklichen ? In der
Schöpfung ist doch eine Gott auch gegenüberstehende Wirklichkeit
gesetzt.

Schlink (Heidelberg): In welchem Sinne können wir dem
substanzhaften Verständnis des Menschen das Verständnis
seiner Existenz als von Gott gehalten sein gegenüberstellen ?
Ks besteht bei solchen Gegenüberstellungen die Gefahr, daß
die Substanzmetaphysik durch einen nicht minder an theologischen
Aktualismus ersetzt wird. Wir dürfen das Ontisehe
nicht einfach in Aktualismus auflösen. Schon die Scholastik
unterschied zwischen dem Substanzbegriff in der Gotteslehre

und einem anderen Substanzbegriff in der Anthropologie, der
der creatio continuata bzw. der göttlichen Erhaltung nicht
gegenübersteht, sondern in ihr begründet ist.

Schlußwort Alt haus: Die Gegenüberstellung Substanz
— Existenz in mente Dei ist in der Tat fragwürdig. Zu
Sommerlath: Es ging weniger um die Aufstellung allzu
schneller Aussagen, als vielmehr um eine Abwehr vorschneller
alter Thesen. Zu dem Einwand, daß wir dem heutigen
Menschen eine bestimmte Antwort auf seine Fragen schuldig
seien: Es kann gerade auch dies seelsorgerliche Aufgabe sein,
daß wir ihn von bestimmten Fragen zurückrufen.

Das unbewältigte Problem der Apologelik

Von Martin Doerne, Rostock

Christliche Apologie gegenüber den Geistern des Säkulum
ist in den letzten Jahrzehnten schlecht und recht, im ganzen
vielleicht ein wenig redlicher als zuvor, in unserer Kirche geübt
worden, seitens der zünftigen Theologen ebenso wie seitens der
anderen Diener am Wort. Ob aber dieser die Verkündigung
begleitende Dienst der Apologie durch eine systematisch-theologische
Apologetik zu Untergründen sei, darüber ist seit
E. Brunners, Fr. K. Schumanns und K. Adams einschlägigen
Äußerungen um das Jahr 1030 kaum noch verhandelt worden.
Die meisten Systematiker sind darin einig, daß die einst unter
dem Namen „Apologetik" befaßten Funktionen unmittelbar
in die dogmatische Arbeit zurückzunehmen seien, — aus vielen
Gründen, nicht zuletzt deshalb, weil eine methodisch verselbständigte
Ap. von der Gefahr der reinen „Verteidigung" fast
unrettbar bedroht scheint. E. Brunners Entwurf einer „Eri-
stik" (Die andere Aufgabe der Theologie, Zwischen den Zeiten
1929, S. 255ff.) versuchte den apologetischen und den polemisch
-kritischen Auftrag der christlichen Lehre noch einmal
zu einer eigenen systematischen Arbeitslinie zusammenzufassen
, und er wiederholte dieses Bemühen neuerdings in seiner
Dogmatik (Bd. 1, 1946, Exkurse über „Apologetik oder Eri-
stik", S. loyff. und „Missionarische Theologie", S. iogff.).
Aber er ist damit bisher allein geblieben. K. Alands neueste
„Apologie der Apologetik" (vgl. die Anzeige in ThLZ 1949,
Sp. 691 f.) will unter Ap. nur die „praktische Nutzanwendung"
aller theologischen Arbeitsbereiche für die „Bedürfnisse der
Gegenwart" verstehen, trägt also zu einer Durchklärung des
systematischen Grundproblems der Ap. nur mittelbar bei.

Angesichts dieses Befundes könnte man das Problem der
Ap. zu den heute abgelösten Fragestellungen der systematischen
Theologie zu rechnen geneigt sein. Aber es muß noch
einmal ernstlich geprüft werden, ob durch diese vermeintliche
Ablösung nicht eine Lücke im Ganzen der systematischen
Theologie entsteht bzw. offenkundig wird. — Unsere Dogmatik
, die (wie wir hören) die Aufgaben der alten Ap. in sich
aufnehmen soll, ist heute, entschlossener als seit Jahrhunderten
, auf ihre innersten Kernthemen konzentriert. In ihren
„Prolegomcna" spiegelt sich diese Konzentration als Selbst-
beschränkung auf die Lehre vom Worte Gottes (Barth) bzw.
von der Offenbarung (Althaus). In der akademischen Elementarlehre
haben demgemäß die Grundbegriffe der Reformationstheologie
ein überwiegendes Gewicht. Dies alles kommt aus
Nötigungen, die wir nachdrücklich bejahen und an deren Aneignung
die Sachechtheit unserer systematischen Arbeit gebunden
ist und bleibt. Abes es muß bedacht werden, daß diese
Lage für die stoffliche und perspektivische Ausweitung der
Dogmatik, die aus einer ernstlichen Übernahme der „apologetischen
" Fragestellungen folgen würde, keineswegs günstig
ist. Gerade die Erfordernisse der akademischen Lehre, in erster
Linie also unserer systematischen Haupt Vorlesungen, drängen
hier auf Ergänzungen hin, für die innerhalb des Normaltypus
heutiger Dogmatik schwerlich ausreichend Raum ist.

Lassen wir den belasteten Namen „Apologetik" fürs erste
beiseite und setzen wir an seine Stelle den Entwurf einer Lehre
vom „Gegenüber des Wortes Gottes", die das sog. apologetische
und das sog. polemische Interesse ungeschieden in
eines zu fassen hätte. Das „Gegenüber" wäre sowohl kerygma-
tisch wie kritisch-polemisch zu verstehen; sein Begriff umspannt
virtuell die beiden Rollen des Hörers und des Widersachers
der Verkündigung. Ist es wahr, daß die Dogmatik dem
Kerygma als seine kritische Selbstbesinnung folgt (gleichgültig
, ob dies schon die zureichende Definition der dogmatischen
Aufgabe ist), so gehört in den Gesamtraum dieser
Selbstbesinnung auch die kritische Durchleuchtung des
„Gegenüber", dem das Wort Gottes als wirkliches Wort je
heute und hier zugekehrt ist.

Die vermeinte Lehre vom „Gegenüber des Wortes Gottes"
fällt nicht, wie man leicht denken könnte, mit dem anthropologischen
Kapitel der Dogmatik (homo crentura — homo
vnago Dei — homo fiercator) zusammen. Sondern innerhalb
dieser dogmatischen Grenzsetzungen geht es jetzt um die geschichtlichen
(die geistigen wie die gesellschaftlichen) „Mächte",
durch die das, dem theologischen Denken unerreichbare, wirkliche
Gegenüber jeweils vor- und mitgeformt ist, kurz: um die
geschichtliche „Welt" des Menschen in ihren vielfachen
wandelbaren Gestalten, unter denen geistesgeschichtliche Erscheinungen
wie etwa der sog. Idealismus der Theologie des
letzten Menschenalters als polemisches Gegenüber besonders
greifbar wurden, streckenweise mit Überschätzung ihres Gewichts
gegenüber den sozial- und staatsgeschichtlichen Faktoren
, nicht selten auch unter unzulänglicher Erfassung ihrer
wirklichen Konturen. Gerade der Mißbrauch, den die theologische
Polemik seit 1920 mit Schatten- und Zerrbildern des
sog. Idealismus getrieben hat, könnte die Sachdienliehkeit
einer eigenen Lehre vom „Gegenüber des Wortes Gottes"
scharf beleuchten helfen.

Wir sagten: das „Gegenüber" wäre zu weit gefaßt, wenn
es einfach mit dem Menschen coram Deo gleichgesetzt würde.
In der bisherigen Ap. wurde es umgekehrt meist zu eng gefaßt
, nämlich in direkter Anpassung an die Interessen der
praktischen Apologie. Eine solche liegt vor, wo man das
Gegenüber von vornherein als den „Menschen außerhalb der
Kirche", den „Entfremdeten" oder noch summarischer als den
Nicht-Christen verstellt. — Spezieller, aber nicht minder irreführend
ist die Ausrichtung der Gegenüber-Lehre an der ideal-
typischen Figur des „fragenden Menschen". Die psychologi-
sierte Schablone dieses „fragenden Menschen" ist, wie H. Thie-
licke (Fragen des Christentums an die moderne Welt 1945)
heilsam bekräftigt hat, ein vollkommenes Vorbeigreifen an
dem wirklichen Menschen unseres Jahrhunderts, auch wo es
etwa gelingt, die Versuchungen der „natürlichen Theologie"
aus dem Schema von Frage und Antwort herauszuhalten.
Keine von den genannten Modalitäten des „Draußenstehens"
ist für das gemeinte Gegenüber konstitutiv. In der Gegenüber-
Situation, genauer: in ihrer Zweigestalt von virtueller Hörerschaft
und Widersacherschaft, kann sich ebenso der Mensch
innerhalb der Kirche, im besonderen der angefochtene Christ,
befinden1. — Wesentlich näher an unsere Absicht kommen die
Theologen heran, die das Gegenüber des Wortes Gottes im
Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen aufsuchen
. Häufig begegnet hier die Rede vom „neuzeitlichen
Wahrheitsbewußtsein"; sie ist unglücklich, weil sie einem
komplexen Gefüge von empirischen Urteilen und Vorurteilen
den Nimbus eines (auch von der Theologie anzunehmenden ?)
Normbegriffes beizulegen scheint. Bestimmter und umfassender
zugleich fordert Thielicke (a. a. O. S. 18) eine „theologische
Interpretation des säkularen Menschentums überhaupt" :
— er weiß selbst, daß dieses „säkulare Menschentum" nicht
nur außerhalb der Christenheit anzutreffen ist.

Was steht hinter den letztgenannten Formulierungen
aber als das beharrende, wenngleich historisch hundertfältig
variierende Grundthema unserer „Theologie des Gegenüber" ?
Wir wissen dafür auch heute keinen besseren Namen als den,
dessen sich Luther hier bediente und der genau dem Charakter
des Wortes Gottes als „Wort der Wahrheit" entspricht: die
Vernunft. Dabei ist zu bedenken, daß im reformatorischen
Sprachgebrauch diese „Vernunft" die Bereiche des Sittlichen
und des Religiösen ebenso ursprünglich in sich befaßt wie den
sog. rationalen oder theoretischen Bereich. Weiter aber: wir
dürfen und müssen von so verschiedenen Geistern wie Hegel
und Marx uns erinnern lassen, daß diese Vernunft selbst ge-

') Was dies für die Begründung einer (recht verstandenen) Ap. bedeutet,
hat P. Wernle, Einführung in das theologische Studium, 1. Aufl. 1911, S. 267,
treffend ausgesprochen: „Solang wir neben dem Christen den natürlichen
Menschen in uns selber tragen, ist ohne Apologetik gar nicht auszukommen".