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Ausgabe:

1950

Spalte:

253-260

Autor/Hrsg.:

Althaus, Paul

Titel/Untertitel:

Retraktationen zur Eschatologie 1950

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253

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

254

Reiraktalionen zur Eschalologie

Von Paul Althaus, Erlangen

I.

Die von uns im letzten Menschenalter vertretenen
Gedanken

Es handelt sich um die theologische Lehre vom Tode und
vom Leben aus dem Tode. Für die Kritik an ihrer überlieferten
Gestalt und ihre Neufassung gewannen besondere Bedeutung
einerseits Carl Stange, andererseits Adolf Schlatt er. Die
Grundgedanken: Absage an den anthropologischen Dualismus
, die platonische Lehre von der Seele; demgemäß auch au
das dualistische Verständnis des Todes als Trennung der Seele
vom Leibe, wobei die Seele das Sterben überlebt. Nach
C Stange geht der Mensch im Tode „nach Leib und Seele zugrunde
". Nur der Glaubende, dem Gott schon jetzt sein Leben
schenkt, ist des ewigen Lebens aus dem Tode gewiß, die Gottlosen
vergehen im Tode (Stange). Auch wer von uns sich
diesem letzten Gedanken nicht anschloß, vertritt die Einheit
geistleiblichen Seins, die Ganzheit des Todes — nur wenn das
Sterben uns ganz trifft, läßt es sich mit der Schrift als Strafe,
als Gericht verstehen —, demgemäß die Ganzheit der Auf-
erweckung. Also: nicht Unsterblichkeit der Seele, sondern
Auferweckung des ganzen Menschen! Die Auferwcckung geschieht
am „jüngsten Tage" : diesen Ausblick haben wir gegenüber
der gängigen Sterbefrömmigkeit, der Himmels-Eschato-
logie (z. B. auch der meisten Sterbe- und Ewigkeitslieder)
neu betont: die Hoffnung des Christen geht auch für sein persönliches
Schicksal auf den Tag Jesu. Er darf nicht durch den
überlieferten Gedanken einer Seligkeit der Seele bei Christus
gleich nach dem Tode entleert und vergleichgültigt werden.

Dabei haben wir uns berufen auf die Hauptlinie des neu-
testamentlichen Denkens, also auf das „biblische" gegenüber
dem griechischen und philosophischen Denken; ferner
auf die Theologie Luthers; auch (z. B. C. Stange) auf das Zusammenstimmen
mit der modernen Erkenntnis des Menschen
in seiner Einheit.

Neuestens sind diese Gedanken besonders scharf vertreten
durch H. Thielicke, Tod und Leben, 1946: der Gedanke
der „Unsterblichkeit" ist ein Ausdruck der Flucht vor
dem Ernste des Sterbens; die Weltanschauungen entmächtigen
den Tod durch Teilung des Ich: das wesentliche Ich
wird vom Tode ausgenommen.

II.
Fragen

Vieles an diesen Gedanken ist bleibende Wahrheit, die
wir nicht preisgeben dürfen. Um was es sich hier handelt, wird
im Folgenden von selbst klar werden. Zugleich aber haben
sich gegenüber der dargestellten Position Fragen erhoben (vgl.
schon meine Besprechung von Thielickes Buch in der „Uni-
versitas", Jahrg. 1948, Heft 4: Der Mensch und sein Tod). Ist
das Neue Testament nicht einseitig ausgewertet? Ferner:
stimmt es mit der Berufung auf Luther ganz? Dogmatisch:
wird hier nicht einerseits ein falscher Gegensatz christlichen
und philosophischen Denkens behauptet, andererseits eine
eigene philosophische Theorie als das einzig reine christliche
Denken ausgegeben ? Haben wir nicht in diesen Dingen zum
Teil einen Kampf geführt und Positionen geltend gemacht, die
nicht als theologisch-notwendig zu halten sind? Endlich
(s. z.B. E.Hirsch): gehen wir nicht überhaupt inder Lehre vom
Tode und vom Leben aus dem Tode, ebenso wie die, gegen die
w ir streiten, weit über das hinaus, was angesichts des Geheimnisses
der letzten Dinge hier überhaupt gesagt werden kann ?

a) Zum NeuenTestamente. Das NT bekämpft nirgends
den Gedanken eines Fort lebens der Person und nimmt nirgends
in dieser Sache gegen das griechische Denken Stellung. Im
Gegenteil: wie schon das Spätjudentum unter hellenistischem
Einfluß, setzt es die Fortdauer der Person über den Tod hinaus
selbstverständlich voraus; siehe Jesu Wort Mt. 10, 28 (die Seele
kann nicht von Menschen getötet werden) und andere. DieMen-
schen werden offenbar erhalten für das Gericht1. Auch hier also
findet sich die von Thielicke geächtete „Teilung des Menschen".

Bei Paulus unterscheiden wir seine eschatologischen
''■rund- Sätze und deren nähere vorstellungsmäßige
Ausführung. Der Glaubende ist mit Christus sich selbst und
dieser Welt gestorben und mit ihm zu seinem ewigen Leben

') Auf diese Stelle haben sich denn auch die orthodoxen Theologen berufen
für die Unsterblichkeit der Seele, z. B. Johann Gerhard. Sie sind also
nicht einfach von der griechischen Philosophie bestimmt. Und hier liegt, trotz
allem tiefen Unterschiede, eine Affinität der Philosophie und der biblischen
Gewißheit von der Unsterblichkeit vor.

auferweckt (zu Letztcrem s. Kol. 2, 12). Das ist geschehen, das
geschieht im Christenleben fortgehend, das vollendet sich im
leiblichen Tode und in der endlichen Erweekung aus dem Tode.
Christus ist so des Menschen Tod und Leben; er ist dieses, weil
er jenes ist. Als die immerdar in seinen Tod hinein Sterbenden
leben die Glaubenden schon hier sein Leben — und dieses mit
Christus in Gott verborgene Leben wird sich einst, durch den
leiblichen Tod oder durch die Verwandlung ganz offenbaren
in Doxa (Kol. 3, 3).

Diese Grundgedanken finden bei Paulus nun eine doppelte
vorstellungsmäßige Ausgestaltung. Einmal folgt der
Apostel der überlieferten jüdischen Vorstellung von der Auferweckung
der Toten : sie geschieht bei der als nahe erwarteten
Parusie Christi. Der Tod trifft offenbar den ganzen Menschen;
er ist als ganzer xfxoiurj/ut'voe und wird als ganzer zu neuer, der
bisherigen gegenüber andersartiger „geistlicher" Leibhaftigkeit
auferweckt. Uber den Zustand der Toten sagt Paulus
nichts. Aus dem Begriffe xoifiäaO-ai ist wohl nichts zu erschließen
: das Wort ist schon im profanen Griechisch terminus
technicus für das Sterben. — Paulus blickt also über den Tod
hinaus auf denTag Jesu, der die Erweckung bringt. Dereinzelne
Christ kommt zum Leben nur in und mit der ganzen Gemeinde.
Aber auch die anderen werden auf erweckt .nämlich zumGerichte.

Aber nicht überall hat Paulus über den Tod und das Leben
aus dem Tode so gedacht. 2. Kor. 5, iff. und Phil. 1, 2iff.
findet sich eine andere Gedankenreihe. Phil. 1 erwartet der
Apostel, daß das Sterben ihm unmittelbar, wie es scheint, das
„bei Christus sein" bringe. Ebenso 2. Kor. 5, 6ff.: das ht8tjfuh>
ix tov oüi/iatos bedeutet ohne weiteres ein ivSijueiv Trohe rbv xvpwv.
Hinter diesen Aussagen steht als Grundgewißheit: der Tod
kann nicht von Christus trennen. Im Gegenteil: er bringt heim
zum Herrn. Das irdische Leben im Leibe ist Christus-Feme,
das Sterben hebt durch sich selbst dieses Fernseiu vom Herrn
auf. Das Jenseits des Todes ist für. den Glaubenden nichts
anderes als Christus, hier aber offenbar ohne die Vorstellung
des jüngsten Tages und der Gesamterweckung durch Christus.

Auf diese Gedankenreihe haben, wie schon im Spätjudentum
, ohne Frage griechisch-philosophische Anschauungen eingewirkt
. Demgemäß übernimmt Paulus hier auch die Sprache
des anthropologischen Dualismus, ganz deutlich 2. Kor. 5,
iff. Es ist also offenbar auch dem Apostel nicht immer gelungen
, „rein theologisch" zu reden, ja er hat gar — horribile
dictu! — „natürliche Theologie" des Hellenismus in den Dienst
seiner Verkündigung und seines theologischen Denkens gestellt
. Wenn der Mensch stirbt, so verläßt er das „Zelt" des
Leibes, legt den Leib als „Gewand" ab, das dem Ich (Paulus
spricht nicht von der „Seele") nicht gemäß ist; er sehnt sich
auf Erden nach dem himmlischen Gewände. Legt er den
irdischen Leib ab, so ist er „nackt" — ein auch bei den Griechen
nachweisbarer Gedanke, während allerdings die Furcht vor
der Nacktheit ganz ungriechisch ist. Hier herrscht also der
Dualismus von Ich und oßpa.

Man kann nicht sagen, daß diese zweite Gedankenreihe
bei Paulus die erste ablöse: er vertritt in dem einen und selben
Philipperbriefe die eine wie die andere, 1, 21 ff. einerseits, 3, 21
andererseits. Es geht auch nicht an, das „bei Christus'sein"
unmittelbar nach dem Tode nur als eine persönliche Erwartung
des Apostels für sich selbst, etwa als Märtyrer, zu
nehmen; 2. Kor. 5, wo Paulus den gleichen Gedanken vertritt,
spricht er mit einem „wir", das die Gemeinde grundsätzlich
einschließt. Beide Linien laufen also nebeneinander her. Sie
werden nicht ausgeglichen, nicht zusammengeschaut zu einem
geschlossenen gegenständlichen eschatologischen Bilde; auch
nicht durch den Gedanken eines schon erfüllten ,,Zwischen -
zustandes", der als solcher nur vorläufig wäre (wie später in
der Theologie der Kirche), auch nicht durch die Vorstellung
eines „Zwischenleibes", den der Mensch gleich nach dem Tode
erhielte (so A. Schlatter zu 2. Kor. 5, 1). Paulus hat offenbar
kein theologisches Interesse an einem eindeutigen gedanklichen
Bilde der letzten Dinge.

b) Zu Luther. Er teilt einerseits die überlieferte dualistische
Anthropologie (so leidenschaftlich er ihre Gleichsetzung
mit dem biblischen Gegensatz von „Fleisch" und „Geist" ablehnt
), also auch die alte Definition des Todes als Trennung
der Seele vom Leibe, die Vorstellung einer leibloseu Existenz
bis zum jüngsten Tage. Auch er lehrt „Unsterblichkeit" — das
glaube ich gegen C. Stange erwiesen zu haben1 —, freilich
nicht mit outologischer, sondern mit theologischer Begründung

') Unsterblichkeit und ewiges Sterben bei Luther, Zur Auseinandersetzung
mit Carl Stange, 1930.