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Ausgabe:

1950

Spalte:

233-236

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichtliche Sektion 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

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— so wird zumeist das göttliche Wesen vorgestellt — wirklich
geschehen und vorgefallen, dann muß man (nach Aischylos)
ausspeien und sich den Mund reinigen". Nur ist Plutarch bewußt
, ,,daß es sich nicht um völlig müßige Fabeleien und
leere Gebilde handelt". „Hier ist der pv&og das Bild einer
Wahrheit.'' Die erregten Worte fallen bei dem ruhigen Plutarch
auf. Vielleicht fiel es dem frommen Manne nicht leicht, sich
zu dieser Anschauung durchzuringen; jetzt aber ist sie ihm
sicher geworden, obwohl er mit Menschen zusammenstieß,
die anderer Meinung sind. Daß ihn weltanschauliche Gründe
bewegen, ist klar; er sucht sie freilich nachträglich durch geschichtliche
Beobachtungen zu stützen. Wir stehen hier wieder
an einer Stelle, an der wir einen Zusammenklang griechischen,
jüdischen, christlichen Denkens bemerken. Philon fragt: hat
Gott einen Garten in Eden gepflanzt ? Die Frage zu bejahen,
betrachtet er als (Umdeutung der Gesetze I, § 43—45)-

Und er weiß von Glaubensbrüdern, die sogar die Beschneidung
beseitigen und sich mit einer Allegorie des Sakramentes begnügen
. Philon lehnt diese Folgerung ab; aber er kann sich
deshalb nicht besonders ereifern: er verstellt den Radikalismus
(Abrahams Wanderung §92). Im Christentum begegnet
uns dieselbe Auslegungsart schon bei Paulus: „Kümmert sich
Gott denn um die Ochsen?" Hier fällt allerdings auf, daß
Paulus platonischer ist als Philon: Philon läßt den Wortsinn
in dem Falle bestehen. Der Apostel wird anscheinend nicht
(oder nicht nur) durch weltanschauliche Bedenken bestimmt,
sondern durch den Wunsch, einen Beweis aus dem Alten
Testamente sicherzustellen. Paulus macht übrigens von
der hier gegebenen Möglichkeit nur selten Gebrauch. Der
Hebräerbrief dürfte sie an einer entscheidenden Stelle benutzen
. Er redet von Melchisedek, „dessen Tage keinen Anfang
, dessen Leben kein Ende, der dem Sohne Gottes ähnlich
gemacht ist: er bleibt Priester für immer". Der aufmerksame
Leser von heute muß fragen: wo hält sich Melchisedek jetzt
auf? Den Zeitgenossen ist wohl ohne weiteres klar, daß es
sich um eine Gestalt handelt, die nur Gleichnis ist. Ich könnte
die Reihe weiter verfolgen. Die Beispiele werden immer klarer,
weil der Sprachgebrauch immer schärfer. (Die Antiochener
nehmen dem Paulus geradezu übel, daß er von dUtjyogeiv
redet, wo er den Wortsinn gelten läßt.)

Ich vermute, daß sich hier ein Gewinn für das Verständnis
des vierten Evangeliums ergibt: ich will das im Sommer
durchprobieren, wenn ich über Johannes lese.

Zur Einleitung eine kurze Geschichte aus Porphyrios'
Leben Plotins (15). Porphyrios erzählt: „Als ich unter (uns)
Piatonikern eine Dichtung vorgelesen hatte, nämlich rov
tegdv yd/wv, und ein Zuhörer geurteilt hatte, Porphyrios sei
in Raserei geraten {fiaiveo&airöv IIoq<pvqiov), weil vieles geheimnisvoll
[ßvaxut&e), voll Begeisterung {/iet iv&ovaiaa/wv) und in
verdeckter Weise gesagt war, da sprach Plotin (laut), so daß
es alle hören mußten: Du hast dich zugleich als Dichter,
Philosoph und Hierophant gezeigt". Also: Porphyrios verfaßte
ein Werk Im Stile heiliger Schrift, so, wie man damals
den rechten sich vorstellte; bei seinem Gegenstande
lag das" nahe, da gewiß mancher Ieqos X6yo; in den
Mysterien (wie z. B. im Zauber) sich mit einem legog ydfiog
befaßte. Und er wird zwar nicht von allen Hörern, aber von
seinem Meister verstanden.

Konnte nicht auch das Leben Jesu den Wunsch erwecken
, es mit allen Mitteln geheimnisvoller Feierlichkeit zu
umgeben ? Manchem Gläubigen, besonders unter den Griechen
, mögen die Synoptiker zu schlicht gewesen sein. Johannes
aber hat meines Erachtens das Ziel, ein Werk in der Art eines
Wie /.öyog zu schaffen. Er fordert den Leser öfter geradezu
auf, nach einem tieferen Sinne zu suchen. Kurze Angaben

äußerer Art reizen dazu. Als der Verräter sich von den Elfen
scheidet, lesen wir: „Es war aber Nacht" (13, 30). Doppeldeutige
Ausdrücke werden mit Vorliebe verwandt (Oscar Cull-
liiann stellte sie neulich zusammen); etwa der Begriff der Erhöhung
: „Wenn ich von der Erde erhöht werde, so werde ich
alle zu mir ziehen. Das sagte er aber, um zu bezeichnen, welches
Todes er sterben solle" (12, 32L). Es wird ein Wegweiser
gesetzt, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber die Tafel
bezeichnet nicht alle Richtungen, die von hier weiterführen.
Zuweilen ist sogar ein dreifacher Sinn vorausgesetzt: mit dem
Worte Tempel wird auf das Jerusalemer Heiligtum gedeutet,
auf den Leib Jesu und auf die kommende Gemeinde (2, igff.).
Es leuchtet ein, daß solche Geheimnisse von den Jüngern erst
nach der Auferstehung begriffen werden (2, 22). Auch Niko-
demos muß sich erst zum rechten Verständnisse führen lassen.
Manche Geschichten tragen von vornherein die Maske eines
Gleichnisses. Der Blindgeborene wird zum Teiche Siloah gesandt
; dabei wird der Name Siloah übersetzt (9, 7). Und am
Schlüsse dieser Erzählung finden wir eine Umdeutung des Begriffes
Blindheit (9, 39ff.). In der Lazarus-Erzählung lesen wir
das Wort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben" (11, 25).
Dazu nehme man die Geschichte von der Hochzeit zu Kaua
(2, iff.)! Wie kommt Jesu Mutter dazu, schon in so früher Zeit
Jesus Wunder zuzutrauen ? Und entspricht es Jesu Art, seine
Beziehung zu Gott in den Dienst des Luxus oder gar der
Völlerei zu stellen ? Hier bringt der Evangelist axdröaXa in
seinem Texte, die den Hörer zwingen wollen, nach dem verborgenen
Sinne zu forschen und den Wortsinn beiseite zu
lassen. Man versteht den Text nur, wenn man ähnliche Überlieferungen
über Dionysos vergleicht: es soll gelehrt werden,
daß sich Jesus auch vor Dionysos, dem volkstümlichsten
Gotte, nicht zu verstecken braucht (vgl. 16, 1 ff.). Dazu
kommt wohl der weitere Gedanke: Jesus übertrumpfe die
jüdischen Reinheitssitten (er gibt Wem statt Wasser). Allegorien
sind desto wertvoller, je reichere Möglichkeiten sie eröffnen
! Gewiß ist der Evangelist auch nicht ernstlich der
Meinung, Jesus könne bereits zu Beginn seines öffentlichen
Wirkens von der christlichen Taufe und schon in Kapernaum
von der Bedeutung des Abendmahls reden (3, 5; 6, 53ff.). So
läßt sich noch mancherlei anführen. Jetzt erst wird mir ein
Wort des Clemens von Alexandrien anschaulich: die Synoptiker
hätten nur tu am/tanxd beschrieben; Johannes aber habe
ein TtvevfictTixöv evayyehov geschaffen (Eus. KG VI 14, 7). Das
ist, in der Sprache der Zeit, der Unterschied zwischen einem
Texte im Alltagsstile und einem IsQÖg }.6yoq. Es bleibt nur die
Frage: will Johannes nur eine heilige Form nachahmen oder
der Christengemeinde eine eigene heilige Schrift schenken ?
Das letztere halte ich nicht für unmöglich: zur Zeit des Evangelisten
ist der Glaube an die Nähe des Endes bereits im Verblassen
, und es dürfte kern Zufall sein, daß sein Buch beginnt
wie das Alte Testament.

Ich habe in dieser Ubersicht keine Gelegenheit gehabt,
der Gestalt Jesu zu gedenken. Jesus kennt die Deutungen,
die seine jüdischen Zeitgenossen an das Alte Testament heranbringen
. Er benutzt z. B. das Bild vom Bräutigam (Mk. 2,
19 f.; Matth. 22, 2; 25, iff.). Aber er bedient sich der Allegorie
dort nicht, wo er sie, menschlich gesprochen, am nötigsten
brauchte: bei der Sabbatfrage nur in einem zweifelhaften
Spruche des Oxyrhynchos-Papyros Nr. 1, bei der Frage der
Reiuheitsgebote nur nebenbei einmal (Matth. 23, 25ff. und
besonders Luk. 11, 3off. und 44), nicht beim Streite um das
Händewaschen (Mark. 7, iff.). Ich habe den Eindruck, um
es einmal scharf auszudrücken, daß Jesus von der Ehrliclikeit
des Denkens eine besonders strenge Vorstellung hat. Darum
verschmäht er es, auf einem Umwege sich zu rechtfertigen.

KIRCHEN GESCHICHTLICHE SEKTION

(Bericht von Robert St

Die kirchengeschichtliche Sektion stand in Marburg vor
einer dreifachen Aufgabe. Da in dieser Disziplin nach 1945
wohl der größte Wechsel eingetreten war, kam es darauf an,
die „jüngere" Generation der Kirchenhistoriker zusammenzuführen
. Diese nicht ganz leicht zu bewältigende Aufgabe
verband sich mit der anderen, an Hand der gebotenen Vorträge
in ein sachliches Gespräch zu kommen, um endlich auf
Grund der persönlichen und sachlichen Beziehungen zu einer
engeren Zusammenarbeit zu gelangen. Als dritte Aufgabe der
Sektion ergab sich daher der notwendige Austausch über die
an verschiedenen Stellen bisher geleistete bzw. geplante Arbeit.

Schon bei der Vorbereitung der Sektionsarbeit zeigte sich
die Schwierigkeit, die in Marburg überwunden werden sollte:

pperich, Münster/W.)

Richtungsgegensätze, die als belastendes Erbe der vergangenen
Jahrzehnte auf uns gekommen waren, hatten zwar au Schärfe
schon lange verloren, konnten aber nicht als beseitigt angesehen
werden. Die Spannung, die sich an den Fragen um
die Gesellschaft für Kirchengeschichte bzw. um die Herausgeberschaft
der ZKG zuzuspitzen drohte, begegnete in den
Sektionssitzungen dem einmütigen Wunsch, zu einem neuen
Anfang zu kommen. Da einige der Hauptbeteiligteu nicht zugegen
waren, wurde ein Ausschuß gewählt, der für die endgültige
Klärung Sorge trug.

Die Verhandlungen der kirchengeschichtlichen Sektion,
an denen im Durchschnitt 25—30 Mitglieder teilnahmen,
unter ihnen die beiden Senioren unseres Faches, K. Heussi