Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1950

Spalte:

229-234

Autor/Hrsg.:

Leipoldt, Johannes

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte der Auslegung 1950

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

229

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

230

22, 16 in der Selbstprädikation Jesu die entsprechende Christianisierung
jüdischer Anschauungen im Zusammenhang von
Formeln, die auf die urchristliche Mahlfeier weisen, erfolgt.
Eingeleitet ist auch dieser Abschnitt durch eine Seligpreisung
derer, die Anrecht erhalten an dem Holz des Lebens und einziehen
dürfen in die himmlische Stadt (V. 14), und eine Abwehrformel
gegen die Gottlosen (efto oi xvve; usw. v. 15)1.
Der vorangehende Spruch „siehe, ich komme bald und mein
Lohn ist bei mir, zu vergelten einem jeden nach seinem Werk"
(V. 12) dokumentiert mit aller Deutlichkeit, daß die Nähe des
Herrn und damit des letzten Gerichtes Grund und Ursprung
des heiligen Rechtes ist, unter dem Gottesdienst und eucha-
ristische Feier stehen.

Eine weitere Stelle, die in unsem Zusammenhang gehört,
scheint mir 1. Kor. 11, 27L zu sein. Die sakralrechtlich stilisierte
Warnung vor unwürdigem Essen und Trinken2 und die
Aufforderung zur Selbstprüfung (v. 28), haben zunächst allgemeinen
Charakter. Paulus formuliert sie offenbar im Anschluß
an so oder ähnlich geprägte Formeln der Liturgie, die
er ebenso wie die Abendmalils-?raoddoo-t£ (v. 24f.) selbst in
Korinth als bekannt voraussetzen kann und die dem Sinne
nach dem Anathema von 1. Kor. 16, 22, der Abweisung der
Unheiligen und dem Bußruf von Did. 10, 6 und der Abwehr
der Gottlosen Apk. 22, 15 entsprochen haben wird. Erst mit
i. Kor. 11, 29 (d yäo eo&Iuv xai nhmv usw.) gibt der Apostel der
allgemeinen Formel eine aktuelle und konkrete Auslegung.
Das eschatologische Motiv, das an keiner der genannten Stellen
fehlte, ist auch 1.Kor. 11, 26 noch unschwer zu erkennen; üxqi
01* D.&r, ist deutliche Umformung des Maranatha-Rufes. Das
Besondere in 1. Kor. 11 ist dies, daß Paulus die in der Liturgie
an die Ungläubigen adressierte Warnungs- und Ausschluß-
formel paränetisch gegen die Teilnehmer des Herrenmahles
in Korinth wendet, also gegen die, die sich selbstverständlich
zur Teilnahme am Mahl berechtigt glaubten.

Anklänge an das Anathema der Abeiidmahlsliturgie wird
man auch im Hebräerbrief finden dürfen. Das Ivoyoc, eorai rov
ooj/iaroQ xai rov ai/iaroq rov xvqiov von 1. Kor. 11, 27 kehrt abgewandelt
in Hebr. 6, 6 wieder: ävaaravQovvra; iavrolg rov vtov
roij&eoüxai jraoa(5£(y//aTtCo>'Ta;.DerZusamnienliangderWeudung
mit der Abendmahlsfeier wird bestätigt durch den unmittelbar
vorangehenden Hinweis auf Taufe und Abendmahl («Traf
'pcono&eiTas yevoa/ievovg te rni öcoqcüq rijs Ertovoariov 6, 4) . Auch
hinter der Wendung 10, 29 ö tov viov rov &eov xaranaripaQ xai
ro alpa t»7; öia&i)xi)t; xoivöv t'jytjaä/iEvoi; wird man leicht die Droh-
formel aus dem Eingang der eucharistischeu Liturgie erkennen.
Die Verwehrung einer erneuten Zulassung zur Buße hat dann
ihren Grund, daß den Abtrünnigen der ihnen in Wort und
Sakrament begegnete Retter zum Rächer und Richter geworden
ist. Wie i.Kor.n werden also auch Hebr. 6 und 10 ursprünglich
liturgische Formeln, selbstverständlich in freier Anlehnung
, paränetisch verwendet. Endlich stellt die Abwehr-
formel der Abeiidmahlsliturgie auch, wie ich glaube, hinter
Hebr. 13, 10: $x°tuv &vaiaart)Qiov eS ov <payEiv ovx exovoiv i£ov-
ai'av oi n'i axt)vij XarQEvovTEQ. Es ist zwar für den Hebr., wie der
Kontext zeigt, das Hauptanliegen, zu zeigen, daß der „Altar"
der Christen außerhalb aller kultischen Bereiche, außerhalb des
„Lagers", dort, wo Jesus das Versöhnungsopfer am Kreuz
vollbrachte, seinen Platz hat. Aus der reichlichen Verwendung
von Abendmahlsterminologie in 13, 10—15 ist jedoch zu erkennen
, daß der Hebr. dabei zugleich an das Herreumahl denkt3.

') Daßessichumeine liturgische rtQÖQQijaig handelt, zeigt die heidnische
Parallele bei Lucian, Alex. 38 (s. Sp.227 Affin. 5), 01 xvvet; ist geläufige, jüdische
Bezeichnung der kultisch Unreinen, der Heiden (Mtth. 7, 6; 15, 26f.; Phil. 3, 2.
Jüdische Belege bei Billerbeck I, S. 724ff.). Bekanntlich ist Did. 9, 5 das Logion
Mt. 7, 6 „gebt das Heilige nicht den Hunden" auf die Eucharistie gedeutet.

') Vgl. 6g äv . .. Evoxoq Sarai . . . v.27. evoxoq ist Rechtsterminus,
bei Paulus nur hier.

3) Abendmahlstermini in Hebr. 13, 1 Off. sind: rpayEiv, al/ta nenl (lliaQ-
rt'a;, aö>/ia (Hebr. 13, 11 macht den Sinn des Opfers, von dem die zum Herrenmahl
versamnielteGemeinde lebt,am Gegenbild desVersöhnungsopfers deutlich).
Beim Herreumahl erklingt der hymnische Lobpreis (13,15) ats &voi'u aiveOEWg,

Die i.Kor. n und im Hebr. zu beobachtende Verwendung
liturgischer Motive in der urchristlichen Paränese ist
vielleicht am deutlichsten zu erkennen i. Clem. 34, wo die
Mahnung zum Eifer im Vollbringen guter Werke in den überraschend
großen Rahmen der Liturgie hineingestellt ist. Diese
ist der Sitz im Leben der Gemeinde, wo das Kommen des
xvoioq als Weltenrichters proklamiert1 und die Gemeinde in
das Trishagion der dienstbereiten Engel einstimmt, um so „der
großen und herrlichen Verheißungen" Gottes teilhaftig zu
werden2. Läßt man den 1. Clem. 34 gemeinten paränetischen
Scopus außer Acht, so ließe sich im Blick auf den Fortgang
des Kapitels geradezu fragen, ob nicht eine Wendung, wie die
1. Clem. 34, 1 ftETa TtaQQijoiag ).a/ißdvEiv üqtov, die hier auf den
Lohn des treuen Arbeiters gemünzt ist, nicht wörtlich oder
ähnlich in der dem Verf. vorschwebenden Liturgie gestanden
haben mag. Aber an dieser Einzelheit liegt nichts, der Zusammenhang
von Paränese und Liturgie ist durch den Kontext
ohnehin gesichert.

Endlich noch eine letzte Vermutung. Bekanntlich ist im
Lukas-Evangelium die Bezeichnung des Verräters beim
Herreumahl umgestellt. Sie geht der Stiftung des Mahles nicht
voran, sondern folgt ihr (Lk. 22, 21—23)». Hillmann hat diesen
Sachverhalt aus literarischer Abhängigkeit des Evangelisten
von 1. Kor. 11 erklären wollen4. Hinter dem lukauischeii Stif-
tuugsbericht stehe der paulinische Abendmahlstext, hinter
dem bei Lukas folgenden Gespräch über die <piovEixia der
Jünger seien die korinthischen Abendmahlsstreitigkeiten
wiederzuerkennen und die Bezeichnung des Verräters nach
dem Mahl erkläre sich aus der bei Paulus an die 7taQÜöootg angefügten
Warnung, nicht schuldig zu werden an Leib und
Blut des Herrn. Eine solche literarische Abhängigkeit der
Lukasperikopen von 1. Kor. 11 scheint mir nicht einmal für
die Stiftungsworte selbst anzunehmen seüi — der Paulustext
ist stärker als der lukanische Volltext5 liturgisch stilisiert,
beide gehen nur auf dieselbe Tradition zurück, auch trägt
die vage Analogie zwischen 1. Kor. 11 und dem lukanischen
Jüngergespräch die These Hillmauns nicht. So wird auch die
Lukas eigentümliche Stellung der Bezeichnung des Verräters
sich anders erklären, nämlich aus der aus 1. Kor. 11 und Hebr.
zu erkennenden paränetischen Verwendung der ursprünglich
zur Abeiidmahlsliturgie gehörenden Drohformel. Ersetzt man
also die Annahme einer literarischen Abhängigkeit des dritten
Evangelisten von Paulus durch die Annahme einer für beide
geltenden Abhängigkeit von einer primär liturgischen, sekundär
paränetischen Tradition, so gilt allerdings, daß Lukas Judas
als einen solchen kennzeichnen will, der — mit 1. Kor. 11 zu
sprechen — schuldig ist an Leib und Blut des Herrn oder, mit
den Worten des Hebr., den Sohn Gottes für seine Person gekreuzigt
, in Schande gebracht und mit Füßen getreten hat
und so das Anrecht verwirkte, abermals zur Buße zugelassen
zu werden.

vgl. meinen Aufsatz Das Bekenntnis im Hebräerbrief, ThBl 1942, Sp. GOf.
Zu beachten ist noch besonders die terminologische Berührung von Hebr. 13,
lOff. und Apk. 22, 14 (i^ovaia als Anrecht und Anteil am Sakrament; dazu
das Motiv von der zukünftigen jroAfg, in welche die Glaubenden eingehen werden
Hebr. 13, 14; Apk. 22, 14).

') 1. Clem. 34, 3= Apk. 22, 121

J) Über die Herkunft und Verwendung der Einzelmotive von 1. Clem. 34
in der eucharistischen Liturgie vgl. R. Knopf, Hdb. z. NT, Erg-Bd 1 (1920)
S. 102f.

3) Die älteste Fassung der Weissagung des Verrates wird Lk. 22, 21 erhalten
sein. Die ausdrückliche Bezeichnung des Judas als des Verräters bieten
erst Mt. und Joh. Und erst Joh. läßt Judas aus dem Zwölferkreis ausscheiden,
ehe Jesu letzte Offenbarungsreden an die Seinen beginnen. Vgl. Bultmann,
Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1931, S. 284f.

4) Vgl. Hillmann, Aufbau und Deutung der synoptischen Leidensberichte
(1941), S. 235 f.

") Auf die Einzelheiten gehe ich nicht ein. In der Beurteilung des lukanischen
Kurztextes (D) als sekundär folge icli M. Dibelius, Die Formgeschichte
des Evangeliums, 1933, S. 210ff.

Vor einigen Jahren übernahm ich für RAC den Artikel
„Buch im Kult", etwas widerwillig, da das sich nicht in meine
damaligen Arbeiten einfügte. Aber je mehr ich an die Sache
herangmg, desto größer wurde meine Freude und mein Eifer.
Ich widmete der Aufgabe ein halbes Jahr in der hellenistischen
Abteilung meines Seminars. Mein Schüler und Freund Sieg-

Zur Geschichte der Auslegung

Von Johannes Leipoldt, Großpösna

fried Morenz, der Leipziger Ägyptologe, half wacker mit. So
entstand nicht nur der gewünschte Artikel, sondern darüber
hinaus ein umfangreiches Buch; es wird hoffentlich Ende des
Jahres bei Harrassowitz in Leipzig erscheinen, unter unser
beider Namen. Sie werden dort z. B. einen Bericht über die
Vorstellung von der göttlichen Eingebung (towia, inspiratio)