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Ausgabe:

1950

Spalte:

227-230

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Günther

Titel/Untertitel:

Das Anathema in der urchristlichen Abendmahlsliturgie 1950

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227

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

Das Anathema in der urchristlichen Abendmahlsliturgie

Von Günther Bornkamin, Heidelberg

Paulus beschließt den ersten Korintherbrief mit einer
Reihe gottesdienstlicher Formeln: 1. der Aufforderung zum
heiligen Kuß, 2. dem Anathema über den, der den Herrn nicht
liebt, 3. dem Maranatha, 4. dem Zuspruch der Gnade des
Herrn Jesus, wovon sich die Versicherung der persönlichen
Liebe des Apostels zum Schluß deutlich abliebt (1. Kor. 16,
20—24). Die genannten Formeln entstammen, so wird man
genauer sagen dürfen, der Liturgie des Herrenmahles, das sich
nach der überzeugenden Vermutung R. Seebergs, H. Lietz-
manns u. a. an die Verlesung des Apostelbriefes in der Gemeindeversammlung
angeschlossen haben wird1. Offenbar ist
die Aufforderung zum heiligen Kuß2 die Einleitung zum
heiligen Mahl. Er gehört sicher seit Justin zum eucharistischen
Ritual, wo er im Osten und Westen seinen Platz durch Jahrhunderte
behauptet hat3. Für 1. Kor. 16 ist die Herkunft der
Wendungen aus der urehristlichen Liturgie des Herreumahles
aber auch durch den Kontext sichergestellt: Anathema und
Maranatha, und zwar beides in charakteristischer Verbindung.
Paralleltext zu 1. Kor. 16, 22 ist die Abendmahlsformel Did.
10, 6. Beide Texte sind hinsichtlich ihrer sakralrechtlichen
Stilisierung und ihrem Inhalt nach eng verwandt:

I. Kor. 16, 22 Did. 10, 6

el rig °v <piXei rov xvqiov, ei rig äyiög eanv, eQ~/Jaßu>'

>,ra> ävd&e/xa. /moava&d. ei rig ovx ean, ßeruvoeirw

jAaqavadä ' ä/urjv.

Zusammenhang, Charakter und Stellung des Spruches
Did. 10, 6 in der ältesten Abendmahlsliturgie hat Lietzmann
ohne Zweifel richtig erkannt, wenn er ihn einem Dialog zwischen
Liturg und Gemeinde einordnet und den Liturgen zunächst
die vorangehenden Worte ll&drco 1) ydQig xai Ttagelftho)
6 xoa/iog ovrog sprechen läßt, worauf die Gemeüide respondiert
wadvva r<3 vicö Aaßiö, der Liturg die zitierte Eüiladungsformelbis
zu dem Maranatha spricht und endlich wieder die Gemeinde
mit Amen den gehörten Ruf bestätigt4. Lietzmann gibt zweifellos
mit Recht diesem Stück Liturgie seüien Platz vor der
Kommunion. An dieselbe Stelle gehören auch die Aufforderung
, den Friedenskuß zu tauschen, das Anathema und das
Maranatha samt dem Gnadenspruch von 1. Kor. 16. Das
Anathema hat dabei den Sinn, zu Beginn der Mahlfeier die
Unmündigen vom Genuß des Sakramentes auszuschließen5.
Schon Petersou vermutete, daß Paulus dieses Anathema nicht
selbst geprägt, sondern eine ältere, liturgische Formel zitiert
habe6. Das ist in der Tat anzunehmen, denn der Satz enthält
nichts spezifisch Paulinisehes; cpikeiv röv xvqiov ist bei Paulus
siugulär, und das sonst, auch bei Paulus, begegnende äyanäv,
auf Gott oder Christus bezogen, ist allgemem-ürchristlicher,
zusammenfassender Ausdruck für die Haltung des Glaubens,
der im Bekenntnis sich äußert (Rom. 8, 28; 1. Kor. 2, 9; 8, 3;
Eph. 6, 24; 2. Tim. 4, 8; 1. Clem. 29, 1; 59, 3)'. In der Negation
der pauliiiischen Formel 1. Kor. 16, 22 ist implicite also die
Aufforderung zum Bekenntnis enthalten. Der von Paulus verwendete
und abgekürzte liturgische Spruch mag nach Analogie
von Did. 10, 6 also etwa gelautet haben: ei rig tpdei rov

*) R. Seeberg, Aus Religion und Geschichte I (1906), S. 118ff. (Kuß und
Kanon); H. Lietzmann, Messe und Herrenmahl (1926), S. 229; K. M. Hofmann,
Philema uagion (1938), S.23ff.

2) Rom. 16, 16; 1. Th. 5, 26; 2. Kor. 13, 12; 1. Ptr. 5, 14.

3) Hofmann, a. a. O. S. 94 ff.

4) H. Lietzmann, Messe und Herrenmahl, S. 236ff. Etwas anders M. Di-
belius, Die Mahlgebete der Didache, ZNW 37 (1938), S. 40.

s) Eine genaue Parallele zu der aus 1. Kor. 16, 22 und Did. 10, 6 zu erkennenden
Einladungs- und Ausschlußformel bietet die von Lucian Alex. 38
erwähnte Ausschlußformel (rtgÖQQrjOlg) und -handlung (e^eXaaig) vor der
Mysterienfeier, die, wie Lucian ausdrücklich bemerkt, aus Athen (d. h.Eleusis)
stammt (Hinweis von J. Leipoldt). Die Formel lautet: ei ng äfteog Tj Xqi7-
navög ij EmxovQeiog jjxei xurdaxonog röjv ögytcov, ipevyero), oi de
Ttiarevovreg ro~> #er« reXtiaftwoav rvxil *ß äyatti}. Bei der Austreibung
läßt Lucian den heidnischen Liturgen rufen: flcaXoiGTiavovg und die Menge
mit efco 'ETtixovQetovg respondieren. ■—■ Näheres siehe in meinem Artikel
(ivorr'jQiov in ThW IV, S. 811, Anm. 17; F. J. Dölger, Antike und Christentum
(1932), S. 132f.; J. Leipoldt, RAC I 260f. s.v. Alexander von Abonuteichos.

«) E. Peterson, EIH ©EOS (1926), S. 130f.

') Die Liebe zum Vater und zum Sohn ist vor allem in den johanneischen
Schriften Hauptthema (Joh. 8, 42; 14, 15. 21 ff. u. 6.). 1. Joh. 4, 20 formuliert
das Bekenntnis ausdrücklich: eäv Tig ei7t>„ öri ayanä) tov &eov. Der Zusammenhang
von Liebe zu Gott (bzw. zu Christus) und Bekenntnis erhellt auch
aus 1. Kor. 8, 3 und 8, 6. Weil die Liebe zu Gott im Bekenntnis sich äußert,
gibt es die Möglichkeit, ihn mit dem Munde zu lieben (1. Clem. 15,4: r/ydni/aav
[LXXfjjtdrt^oavlavrdv reu oröfiari tt&t&V). Auf die alttestamentlich-jüdi-
sche Herkunft des Begriffes braucht hier nicht eingegangen zu werden.

xvqiov, egxeo&w ei rig ov tpikei röv xvqiov, >,ra> uvdde/ia. /mgavadd.
E. Peterson wollte das Maranatha von Did. io, 6 und i. Kor.
16, 22 selbst als Anathem und das Amen als exorzistische Verstärkung
verstehen1. Darin wird er zu weit gegangen sein —
seine hischriftlicheu Belege für apotropäische Verwendung des
Maranatha tragen seine These nicht —, aber als Bekräftigung
des Anathema über den, der dem xvQiog die Liebe verweigert,
darf das Maranatha sicher angesprochen werden, ob mau es als
Herbeirufung des kommenden Herrn oder als Proklamation des
in der Gemeinde Gegenwärtigen versteht2. Auf jeden Fall
appelliert das Maranatha an den himmlichen Richter und ver-
leilit dem Anathema drohenden Nachdruck. Die Formel gehört
damit in die Sphäre des heiligen Rechtes. Sie enthält
keine disziplinarische Anweisung für irgendeine menschliche
Instanz (die Gemeüide oder ein Richterkollegium), das
Sehlüsselamt gegen den oder jenen Unwürdigen zu praktizieren,
den oder jenen zu bannen, sondern sie spricht für den gesetzten
Fall die von Gott her fallende Entscheidung aus und überläiit
den Frevler dem Strafgericht Gottes, wobei die Verantwortung
ganz dem Angeredeten zufällt und das Anathema die Aul-
forderung zur Selbstprüfung bedeutet.

Sowohl i.Kor. 16, 22 wie Did. 10, 6 ziehen die Grenze
nicht zwischen Getauften und Ungetauften. Nach Did. 9, 5
(vgl. auch Justin, Apol. I, 66, 1) stellt das Recht zur Teilnähme
am Herrenmahl zwar nur den Getauften zu3, und es begreift
sich, daß in der Folgezeit diese Grenze zur festen Ordnung
wurde. Die ausdrückliche Anweisung jedoch setzt deutlich
voraus, daß diese Regelung nicht selbstverständlich war4, auch
Did. 10, 6 sagt nichts von ilir, und die paulhiischen Briefe geben
in kehier Weise das Recht, die Taufe von Anfang an als conditio
sine qua nou für die Beteiligung an der Feier des Herrenmahles
anzusehen. Natürlich werden im allgemeinen die Mitfeiernden
Getaufte gewesen sein. Das heißt aber nicht, daß den
iöiwrai oder äjtiaroi (i.Kor. 14, 16 u. 24L), die am Gottesdienst
der Gemeinde teilgenommen und, unter der Gewalt der Verkündigung
im Innern getroffen, Gott angebetet und bekannt
haben: Gott ist wirklieh in euch (1. Kor. 14, 25), die Teilnahme
am Herrenmahl verweigert wurde. Offenbar beschreibt das
Verhalten dieser vom Wort Getroffenen 1. Kor. 14, 24f. genau
das, was Did. 10, 6 mit Bekehrung und Heiligwerdeu bezeichnet
. Auch wenn der Vollzug des /leravoelv sich bald mit
einem kirchlich geordneten Katechumeuat, das für die Taufe,
mittelbar damit für die Teilnahme am Herrenmaw vorbereitete
, verbinden konnte und mußte, so ist doch nicht zweifelhaft
, daß der liturgische Doppelsprueh von Did. 10, 6 ältere
Verhältnisse voraussetzt, als die Zulassungsbestinimung von
Did. 9, 5 und in der Zeit des Apostels das Anathema über den
Ungläubigen an der Stelle stand, wo später die Gemeinde die
Grenze zwischen Getauften und Ungetauften zog.

Dieselbe Verbindung von Einladung und Abweisung in
der ältesten Abendmahlsliturgie läßt sich auch im Schluß-
kapitel der Offenbarung erkennen. Lohmeyer hat mit Recht
behauptet, daß hinter 22, 17—19 u. 20 die Anschauung eüies
gottesdieustlichen Geschehens stehe6, man wird jedoch über
diese allgemeüie Charakteristik hinaus behaupten dürfen, daß
der Schluß der AjDokalypse durchzogen ist von Anklängen au
die eucharistische Liturgie. Aus der Abendmahlsliturgie
stammt das üqxov xvqie ' haov (v. 20) (Ubersetzung von Maranatha
). An die Abendmahlsliturgie erinnert der Einladuugs-
spruch 6 öiyiCüveQxea&co, 6 ite/.wv Xaßcrw vöcoq Co)rjgöü)Qedi> (v. 17),
aber auch das letzte Auftreten des Hochzeitsmotives (v. 17),
das nach 19, 9 die Vorstellung des messianischen Mahles einschließt
. Vielleicht auch die Selbstprädikatiou v. 16: eyd> üfU r'iQt£a
xai t6 yevog Aaviö . . . Man wird sie neben die Wendung üi dem
Abendmahlsgebet Did. 9, 2 stellen dürfen: evxaQtaroijfiev 001,
TtdreQ f]/iä>v, vneQ rijg äyiag ä/iTteKov Aaßiö roü Ttaiöög aov, deren
Herkunft aus den Gebeten der hellenistischen Synagoge und
ursprüngliche Beziehung auf Israel als Heilsvolk M. Dibelius
nachgewiesen hat6. Es wird nicht Zufall sein, daß auchApk.

') a. a. O. S. 130f.

2) Zur Übersetzung von Maranatiia und zur Kritik der These Petersons
vgl. H. G. Kuhn s. v. MaQava&d in ThW IV, S. 470ff., besonders S. 474f.

3) Did. 9, 5: nydeig Öe (payerm fttjdi nierv) äno rijg evx<iQiariag
vfiiöv, iXX oi ßixTCriaDevreg elg ovofia xvqiov (unter Hinweis auf Mtth.
7, 6).

4) „Zur Mahlfeier hat man also gelegentlich auch Ungetaufte zugelassen,
was hier verboten wird", R. Knopf, Hdb. z. NT, Erg.-Bd. I (1920), S. 27.

5) E. Lohmeyer, Die Offenbarung des Johannes, Hdb. z. NT 16 (1920),
S. 179.

°) M. Dibelius, Die Mahlgebcte der Didache, ZNW 37 (1938), S. 32 ff.