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Ausgabe:

1950

Spalte:

225-226

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Karl Georg

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Sektion 1950

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225

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

226

Recht (Usip72, Wille) hervortreten läßt wie das Licht: nicht

Opfer, sondern Liebe und Gotteserkenntnis. Das zweite sei
hier besonders unterstrichen; Gotteserkenntnis bei Hosea ist
das gehorsame Sich-küinmern um das, was Jahwe eigentlich
will. Jahwe läßt sich eben nicht „abspeisen", sondern will in
dem, was seinem Wesen entspricht, ganz ernst genommen sein.

Deutlicher ist das noch in Micha 6 gesagt. Auch diese
Stelle fügt sich dem Gesamtrahmen durchaus ein. V. 5 verweist
auf die rrirp rriDTS während des Wüstenzuges. Die Ant-

t : I : •

wort des Volkes, das diese Heilsbetätigung Jahwes sieht,
könnte, wie V. 6. 7. sagen, darin bestehen, daß Opfer bester
Qualität — Ganzopfer, jährige Kälber, 1000 Widder, Bäche
Ols, ja der erstgeborene Sohn — dargebracht werden. Schon
hierbei wird zu beachten sein, daß von Jahwe als dem Gott
der Höhe gesprochen wird. Der hohe Gott, das weiß das Volk,
kann also etwas verlangen. Aber der prophetische Bescheid,
was Jahwe fordert und für gut erklärt, lautet auf „Recht tun
und Güte üben und demütig wandeln vor deinem Gott". Wie
man an dem Letztgenannten sieht, handelt es sich auch hier
nicht einfach um ethische Leistung an Stelle kultischer Leistung
, sondern um etwas, was aus der theologisch einzig in Frage
kommenden Haltung vor dem „Gott der Höhe" sich ergibt1.

Es ist das radikale und einseitige Anliegen der Propheten
und der Silin ihres Apostolats, die Ausschießlichkeit Gottes,
die sie an ihrem eigenen Dasein erfahren haben, in die Sphären
des Einzellebens, des Volkes und der Welt hinein zur Geltung
zu bringen. Es sollte sich von selbst verstehen, daß auch die
prophetische Kritik am Kult in diesen Zusammenhang hineingebort
. Es wird hier in der Tat nicht eine neue „prophetische
" Leistung an Stelle einer üblichen, volkstümlichen oder
priesterlichen, verlangt und propagiert. Das Ethos der Propheten
ergibt sich aus dem theologischen Tatbestand; wer es
weiß, wer dieser Gott ist, wird ihm nur so dienen können, daß
es gilt: Er allein.

Ob freilich die prophetische Kritik am Kult dem Wesen
und Anliegen des Kultes völlig gerecht wird, ist eine andere
Frage, da sie den Kult unter dem Bilde sehen, wie es sich in
der aktuellen Praxis ihrer Zeit darstellt. Aber diese Frage gehört
nicht mehr zum Gegenstand dieses Referats.

') Ähnlich Weiser, Das Buch der zwölf kleinen Propheten I, S. 252f.

NEUTESTAMENTLICHE SEKTION

Die Referate sind in der Reihenfolge angeführt, wie sie
in den beiden Sitzungen gehalten wurden. Bei denjenigen
Referaten, die gleichzeitig im Wortlaut in der ThLZ erscheinen
, sind lediglich die Titel angegeben, von den übrigen
ist eine kurze Inhaltsangabe beigefügt.

Rengstorf-Münster: Die Weiterführuug der rabbini-
schen Texte und der Gießener Mischna.

Kuhn-Göttingen: Bemerkungen zur Bedeutung der palästinischen
Handschriftenfunde für das Neue Testament.

In diesen neuen Texten lernen wir eine spätjüdischc Sekte
des ersten (und wohl auch schon des zweiten) vorchristlichen
Jahrhunderts kennen, deren Seins- und Weltverständnis geprägt
ist durch einen scharfen kosmischen Dualismus. Die
Welt ist „Herrschaft Belials", des Satans. Die Situation
dieser Sekte in der Welt ist dadurch gekennzeichnet, daß sie
a» die „Gemeinde Gottes", die „Heerschar der Heiligen", die
• •Söhne des Lichts" im Kampf stehen gegen die „Streitmacht
Belials", die „Gemeinde der Bosheit", die „Söhne der Finsternis
". In einer Reihe charakteristischer Züge wird in diesen
Texten eine Denkstruktur sichtbar, die eine Vor- oder Früh-
iorm gnostischen Denkens darstellt, hier aber eingewurzelt
einerseits in jüdische Gesetzesethik, andererseits in spät-
Jüdische Apokalyptik. Diese Gemeinde weiß sich als in der
Endzeit stehend.

So zeigen die neuen Texte eine überraschende Parallele zur
Penkstruktur vor allem des Johannesevangeliums. Auch hier
ist der grundlegende Dualismus (pä>g — r/xoroj, ix öeov — ix roü
titaßoXov und das Sein der Gläubigen in der Welt als eschato-
logische Existenz verbunden mit einer der jüdischen Tradition
entstammenden Rthik

So dürfte in diesen Texten der Mutterboden des Johannesevangeliums
erkennbar werden in einer palästinisch-jüdischen
Genieindefrömmigkeit giiostischer Prägung.

G. Bornkamm: Das Anathema in der urchristlichen
Abendmahlsliturgie.

Michel-Tübingen: Der Abschluß des Matthäusevauge-
hums (Matth. 28, 16—20).

Die Analyse von Mt. 28 zeigt, daß das Evangelium auf
den Abschluß V. 16—20 entscheidendes Gewicht legt. Trotz
der doppelten Ankündigung in V. 7 und 10, daß die Jünger
Jesus 111 Galiläa sehen werden, steht eigentlich in Mt. 28, 16—20
nicht das Gesicht, sondern die Verkündigung im Mittelpunkt.
Die Gewißheit der Auferstehung wird vom Evangelisten auf
das Kerygmagegründet, das den Bericht über die Gesichte
aulnimmt. Wir haben dieselbe Entwicklung vor uns wie in
Job. 20, 29, wo ebenfalls die Augenzeugenschaft in das Kerygma
aufgenommen und vom Kerygma bewahrt wird. Die Komposition
Mt. 28, 18—20 besteht aus drei zusammengewachsenen
Logien, die in dieser Zusammenstellung auf eine bestimmte
Christologie schließen lassen. Verwandt ist die Komposition
Mt; 16, 15—18, die allerdings stärker charismatisch ausgerichtet
ist. Beide Texte stellen die Bedeutung des Sv0fta für die
urchristliche Mission heraus. Das Verheißungswort Mt. 28, 20
entspricht übrigens spätjüdischen Abschlußformeln.

St au ff er-Erlangen: Münzprägung und Juden politik des
Pilatus.

An Hand eines Überblicks über die von den römischen
Prokuratoren in Judäa geprägten Münzen im Vergleich mit

(Bericht von K. G. Kuhn, Göttingen)

der römischen Reichsprägung dieser Zeit zeigte der Referent,
daß die Pilatusmünzen aus der sonstigen, auf die jüdischnationalen
Gefühle Rücksicht nehmenden Münzprägung der
Prokuratoren in der Art der verwendeten Embleme herausfallen
und ausgesprochene Symbole der kaiserlichen römischen
Macht aufweisen. Sie bildeten eine Provokation der Juden
durch Pilatus. In dieser judengegnerischen Haltung wurde er
gestützt durch den Einfluß des Judenfeindes Sejanus am Hofe
des Tiberius. Nach dessen Sturz (Oktober 31) hört auch diese
provokatorische Münzprägung des Pilatus auf. Daraus folgerte
der Referent, daß die Kreuzigung Jesu durch Pilatus erst nach
diesem Datum denkbar ist, weil er sich dabei ja den Juden
gegenüber nachgiebig zeigt.

Für die Chronologie von Luk. 3, 1 ergibt die Münzdatie-
rung der Pilatusmünzen einen Beleg dafür, daß als erstes
Regierungsjahr des Tiberius das Jahr 14 gezählt wurde, daß
also sein 15. Regieruugsjahr das Jahr 28 ist.
Käsemann-Mainz: Römer 3, 24—26.
Die von R. Bultmann vertretene Ansicht, daß Paulus m
Rom. 3, 24—25 einen Satz judenchristlicher Tradition zitiert,
wird mit neuen Argumenten gesichert und begründet. Im Unterschied
zu V. 26, wo öixaioavvi) paulinisch das eschatologische
Heilshandeln Gottes bezeichnet, ist öixaioavrti in V. 25 die
Eigenschaft Gottes und zwar die Eigenschaft seiner Bundestreue
. Die Aussagen von V. 24—25 kreisen faktisch um das
Motiv des erneuerten Bundes. Der Bund Gottes mit seinem
Volk ist durch die Übertretungen vergangener Geschlechter
entweiht und zerbrochen worden. Gott aber hat durch das Blut
Jesu als Sühneinittel den zerbrochenen Bund entsühnt und
wiederhergestellt. So der von Paulus zitierte Satz der Tradition
. Paulus selbst aber spricht von dem neuen Bund nicht
mehr als Restitution des alten, sondern als der Antithese zu
ihm. Weil er universalistisch denkt, denkt er nicht mehr von
der Gegebenheit des Bundesvolkes aus, sondern zugleich in
der Kategorie des Einzelnen (V. 26 Ende). So sind die Aussagen
V. 25b rlg evöeil-iv xtX und V. 26a tcqü^; rijv evdei$iv xrk.
echte Parallelen, aber von verschiedenen Standorten aus.
V. 26 a ist der korrigierende Zusatz des Paulus zu der von
ihm zitierten Formel judenchristlicher Tradition V. 25 b.

Härder-Berlin: Paulus und das hebräische „Fleisch".
In Phil. 3, 3. 4 („auf das Fleisch vertrauen"), 2. Kor.
11, 18 („sich nach dem Fleisch rühmen"), Gal. 6, 13 („sich
des Fleisches rühmen") ist das hebräische Fleisch gemeint,
also nicht einfach das natürliche Dasein, sondern das
Dasein des Menschen unter dem Gesetz. Ähnliches gilt von
Rom. 1, 3; 9, 3—5; 4, 1; 11, 14- Das Hebräisch- bzw. Beschnitten
- und Erwähltsein des Fleisches bedeutet eine geschichtliche
Tatsache, die aus der Begegnung mit Gott resultiert
. Stellen aus Henoch, Talmud und Targum zeigen, daß
das Judentum sich selbst als hebräisches Fleisch und damit
als Fleisch der Gerechtigkeit verstand, so wie man den Bund
als Bund des Fleisches bezeichnete. Kan aÜQxa und xaxä
nvevua elvai sind zwei Formen des Selbstvcrständnisses, deren
erstere für die Erkenntnis des Christen Paulus ihre eigentliche
Ausprägung in der hebräischen Seins weise findet. Von hier
aus fällt Licht auf die Auslegung von Stellen wie Rom. 7, 5;
8, 3. 9. 12. 13; 2. Kor. 5, 16 und Gal. 3, 3; 6, 12.

Leipoldt-Leipzig: Zur Geschichte der Auslegung.