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Ausgabe:

1949

Spalte:

1

Autor/Hrsg.:

Nygren, Anders

Titel/Untertitel:

- 8 Luthers Lehre von den zwei Reichen Leipzig, 1949

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j|ßonatsfd)rift für Das gefamte ©ebtet Der Cijeoloöte und tteltöionsünffenfdjaft

Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack
Unter Mitwirkung von Professor D. Ernst Sommerlath, Leipzig
HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR LIC. KURT ALAND, HALLE-BERLIN

NUMMER 1

Spalte

Luthers Lehre von den zwei Reichen.

Von Anders Nygren .................. 1

Antinomieen. Von Hermann Mulert---- 7

Die innere Einheit derErweckungsfröm-
migkeit im Ubergangsstadium zum
lutherischen Konfessionalismus. Von

Martin Schmidt ..................... 17

Betrachtungen zu drei Fresken der Synagoge
von Dura-Europos. Von Rudolf
Meyer............................... 29

Buri: Albert Schweitzer und unsere Zeit
(Hupfeld)............................ 47

Cu 11 mann: Les Premieres Confesslons de fol
Chretiennes (Bultmann)................ 40

74. JAHRGANG

Spalte

Dilschneider: Kunstheft der Ausstellung

Gestaltetes Evangelium (Söhngen)...... 44

Duncan: Jesus, Son of Man (J. Jeremias).. 39
Hasse: Die Haupt-und Oberpfarrkirche zu
„Unser Lieben Frauen" auf dem Markt

in Halle a. d.S. (Kähler)............... 44

Hauterre: Albert Schweitzer (Mulert) ... 45
Kunze: Evangelischer Kirchenbau vor neuen

Aufgaben (Jursch).................... 43

Lind: Albert Schweitzer (Mulert)........ 45

Oepke: Geschichtliche und übergeschichtliche
Schriftauslegung. 2. Aufl. (Michel) .. 37
Ortiz de Urbina: El Simbolo Niceno

(Altaner) ............................ 42

Rees: Albert Schweitzer (Mulert)......... 45

Vogel: Vom Geheimnis des Lernens (Delekat) 45

JANUAR 1949

Spalte

Von Personen:

Zur Wahl von Bischof D. Dr. Dlbelius zum
Vorsitzenden des Rates der EKiD (Krummacher
) .............................. 47

Zum 60. Oeburtstag Ernst Sommerlaths

(Oepke).............................. 49

Hermann Mulert zum 70. Geburtstage

(Heussl) ............................. 50

Otto Bauernfeind zum 60. Geburtstage

(Michel).............................. 52

Zum 70. Geburtstag von Leopold Klotz.. 52
Professor Dr. Wilhelm Boudriot In memo-
riam (Völker)......................... 54

Theologische Dissertationen in Maschinenschrift
........................... 53

Zum vorliegenden Heft ............... 63

Luthers Lehre von den zwei Reichen

Von Anders Nygren, Lund

i. Ein ökumenisches Problem
Die Frage, die hier behandelt werden soll, gehört zu den
aktuellsten Problemen in der gegenwärtigen evangelischen
Theologie. Aber wir können auch hinzufügen, daß kein anderer
Punkt in Luthers Anschauung Gegenstand so kräftiger Angriffe
gewesen ist wie seine Lehre von den beiden Reichen.
Wenn Luther eine bestimmte Grenze zwischen dem geistlichen
und dem weltlichen Regiment zieht und wenn er nachdrücklich
betont, daß diese beiden unter keinen Umständen
miteinander vermischt werden dürfen, ist dies oft so gedeutet
worden, als ob er damit Anlaß zur Säkularisierung des weltlichen
Lebens und dem Staat auf seinem Gebiet völlig freie
Hand gegeben habe. Ja, man ist so weit gegangen, daß man
in dieser Lehre die äußerste Wurzel der nationalsozialistischen
Anschauung hat sehen wollen. Selbst ein Theologe wie Karl
Barth hat von ähnlichen Gesichtspunkten aus eine scharfe
Kritik gegen Luther gerichtet.

Diese von verschiedenen Seiten gegen Luthers Lehre von
den beiden Reichen gerichtete Kritik hat in weiten Kreisen
Gehör gebunden. Als repräsentativ für eine ziemlich allgemeine
Auffassung können folgende Worte angeführt werden,
die vor einiger Zeit in einer norwegischen kirchlichen Zeitung
zu lesen waren: „Man sollte schweigen von der lutherischen
Regimentstheorie, die man jetzt dauernd im Munde führt,
von diesen beiden verschiedenen Gebieten: einem weltlichen
und einem geistlichen, die parallel nebeneinander liegen, aber
in der menschlichen Gesellschaft nicht vermischt werden
dürfen. Diese Theorie stammt aus der Niedergangszeit der
Reformation und Luthers, wo die Gewissensfreiheit, für die
Luther in Worms so männlich gekämpft hatte, abgeschafft
wurde, wo das Schwert als höchste Entscheidung in Glaubens-
sachen eingeführt wurde, wo Tausende, die für die Taufe eintraten
, wie der Ausschuß der Menschheit niedergemacht wurden
und wo die christlichen Gemeinden der Macht der Landesfürsten
ausgeliefert und nach der katholischen Regel behandelt
wurden: wer die Macht hat, bestimmt die Religion."

Für jeden, der die geringste Einsicht in diese Frage hat,
liegt es klar auf der Hand, daß diese Auffassung — wenigstens
in der hier angegebenen populären Form — eine totale Verdrehung
von Luthers Anschauung bedeutet. Seine Regiments-
lehre hat ja im Gegenteil gerade die Aufgabe, die weltliche
Macht daran zu hindern, Übergriffe auf dem Gebiet des Gewissens
zu machen. Hören wir, was Luther selbst in seiner
Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" sagt: „So sprichst du abermal
: Ja, weltliche Gewalt zwingt nicht zu glauben, sondern

wehrt nur äußerlich, daß man die Leute mit falscher Lehre
nicht verführe; wie könnte man sonst den Ketzern wehren ?
Antwort: Das sollen die Bischöfe tun, denen ist solches Amt
befohlen, und nicht den Fürsten. Denn Ketzerei kann man
nimmermehr mit Gewalt wehren, es gehört ein anderer Griff
dazu, und ist hier ein anderer Streit und Handel, denn mit dem
Schwert."

Wenn wir es nur mit dieser von außen kommenden, zum
großen Teil von der politischen Lage bestimmten Kritik zu
tun hätten, wäre kein Anlaß, sich eingehender mit dieser Frage
zu beschäftigen. Aber es kommt noch ein anderer Umstand
hinzu. In der ökumenischen Debatte hat die Frage von der
Lehre Luthers über die beiden Reiche eine ziemlich umstrittene
Stellung eingenommen. In vielen Kreisen ist Luthers
Lehre vom weltlichen und geistlichen Regiment zum Stein des
Anstoßes geworden. Die Ursache hierzu ist leicht zu verstehen
. Eine wesentliche Seite der ökumenischen Arbeit muß
ja darin bestehen, der Stimme der Kirche in der verwirrten
Weltlage Gehör zu verschaffen. Muß da nicht Luthers scharfe
Grenzziehung zwischen dein geistlichen und dem weltlichen
Regiment und sein Drängen darauf, die beiden Gebiete streng
voneinander getrennt zu halten — muß dies nicht die Kirche
daran hindern, überhaupt ein Wort über das weltliche Leben
zu sagen ? Ist es nicht eine Folge dieser Grenzziehung, daß
das weltliche Leben seine eigenen Wege gehen darf ? Hier
kommt also die Frage von der Säkularisierung des weltlichen
Lebens mit erneuter Wucht zurück. Haben vielleicht die recht,
die sagen, daß das Luthertum sich an diesem Punkt von
einem unglücklichen Erbe Luthers, das in der Vergangenheit
seine Aktivität gelähmt hat, befreien und also Luthers Lehre
von den beiden Reichen aufgeben muß ?

Hierauf antworten wir von lutherischer Seite mit einem
entschiedenen Nein, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat
die Lehre von dem geistlichen und dem weltlichen Regiment
mit Säkularisierung und Eigengesetzlichkeit des weltlichen
Lebens so wenig zu tun, daß sie umgekehrt das einzige effektive
Mittel, eine solche Säkularisierung zu überwinden, darbietet
. Nur wenn man den Unterschied zwischen geistlichem
und weltlichem Regiment aufrecht erhält, kann man von Seiten
der Kirche ein rechtes Wort über das weltliche Leben sagen.
Und zweitens ist die Lehre von den zwei Reichen keine
lutherische Sonderlehre, die evtl. aufgegeben werden könnte,
sondern sie hat ihren Grund im Neuen Testament und gibt
einer zentral christlichen Anschauung in diesen Fragen Ausdruck
. Diese Lehre ist eine so unmittelbare Konsequenz des

2

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