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Ausgabe:

1949 Nr. 3

Spalte:

156-157

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schiel, Hubert

Titel/Untertitel:

Die sieben Siegel 1949

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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155

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 3

1S6

ner spricht als praktischer Theologe und verbindet in den Abschnitten
dieses Buches in einer seinem begrenzten Umfang
entsprechenden Weise grundsätzliche und praktische Erkenntnisse
der vergangenen Zeit mit den Forderungen für die Gegenwart
und Zukunft der Kirche.

Man kann Sätze registrieren, die unmittelbar aus den
bitteren Erfahrungen der eben vergangenen Zeit herausgewachsen
sind: ,,. . . wenn die Kirche weiter nichts ist als Verwaltungskirche
, dann stirbt sie. Durch Mission ist die Kirche
gewachsen" oder ,,Die Kirche ist ihrem Wesen nach kein Verein
, der aus dem Willen der sich darin zusammenschließenden
Menschen entsteht. Sie ist mehr als eine Gruppe von Menschen
mit gleicher religiöser Uberzeugung".

Man darf nicht wenige solche Erkenntnisse in diesem Buch
lesen, die auf eine rechte Verknüpfung von Wesen und Ordnung
der Kirche hinzielen. Auch dort, wo man Fragezeichen
macht, ist der Wille zu dieser Verknüpfung jedenfalls deutlich.
Einige Fragen seien herausgegriffen:

Durch das Buch zieht sich immer wieder die Frage nach
dem rechten Verhältnis von Amt und Gemeinde. Schreiner
hilft sich (S. 57) mit dem nun bereits landläufigen Ausdruck
von der „polaren Spannung" zwischen Amt und Gemeinde.
Man wird den Verdacht nicht los, daß hier wie anderswo eine
Unklarheit mit der anderen umschrieben wird. In diesem Zusammenhang
ist die Frage anzumerken, ob es wirklich richtig
ist, in durchaus berechtigter Ablehnung der parlamentarischdemokratischen
Überfremdung der kirchlichen Willensbildung
von der „Führungsfunktion des kirchlichen Amtes in den
oberen kirchlichen Instanzen" (S. 49) zu sprechen und in ihrer
Beschränkung auf ein Minimum den Grund für das Fehlen der
rechten Zuordnung von Amt und Gemeinde zu sehen. Mir will
scheinen, als ob über diese „Führungsfunktion" insbesondere
des lutherischen Bischofsamtes von Theologen und Juristen
noch wesentlich gründlicher gearbeitet werden müßte. Das eine
hat sich jedenfalls gezeigt, daß mit einer Angleichung an den
monarchischen Episkopat noch gar nichts gewonnen ist (vgl.
dazu S. 113).

Erhebliche Fragen sind auch zum Thema der Legalisierung
des Kirchenrechts durch den Staat zu stellen. Es ist bei
dem Verf. nicht verwunderlich, daß er das Scheitern der Bemühungen
der Bruderräte um ein neues Recht und eine neue
Ordnung darauf zurückführt, daß ihnen die Bestätigung durch
den Staat versagt blieb. Der Satz „Deshalb konnten sie nicht
zum Instrument für den kirchlichen Dienst werden" (S. 96)
muß als sehr bedenklich bezeichnet werden. Man wird zu
fragen haben, ob etwa — um nur das am wenigsten bedenkliche
Beispiel zu nehmen — die Tätigkeit der intakten Kirchen und
ihre Bemühungen deswegen ein besseres Instrument wurden,
weil sie weitgehend noch die staatliche Anerkennung hatten.
Es scheint, als ob die Erkenntnis von der Eigenständigkeit
kirchlichen Rechts noch wesentlich weiter fortschreiten muß,
als es bei Schreiner geschehen ist. Die Durchsetzung kirchlicher
Handlungen mit Hilfe oder unter Anerkennung des Staates besagt
für ihre kirchliche Legitimität in der Regel gar nichts. In
dem gleichen Zusammenhang muß es auch überraschen, daß
der Verfasser die „Korporation des öffentlichen Rechts" als
„sachentsprechende Rechtsform für das Leben der Kirche"
anspricht. Ebensowenig wie die staatliche Anerkennung konstitutive
Bedeutung für das kirchliche Recht hat, können die
vom Staat entwickelten Rechtsformen ohne weiteres als die
gegebene Form für das kirchliche Rechtsleben angesehen werden
. Die Kirchen werden in viel stärkerem Maße als bisher die
Anerkennung als eigenständige Körperschaften zu fordern
haben.

Und ein letztes zur Organisation der kirchlichen Verwaltung
. So erfreulich die Ablehnung des Verfassers gegenüber
den Versuchen ist, die staatliche Dreiteilung der Gewalten zur
Grundlage der kirchlichen Ordnung zu machen (S. 111), so
sehr wird man zu fragen haben, ob die Vorstellung, daß die
Umgestaltung der Verwaltung die Abkehr von einem Kollegialsystem
fordere (S. 119) richtig ist. Auch hier bricht die
Auffassung des Verfassers vom Amt durch, wenn er fordert,
daß „die Arbeit der obersten kirchlichen Behörde vom „Präsidium
" her und nicht vom „Kollegium" bestimmt werden
muß". Un dieses Präsidium ist nach Schreiners Amtsverständnis
der Bischof. Es ist zu fragen, ob nicht infolge der Ablehnung
staatlicher Parallelen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet
wird, wenn der Amtsträger kraft seines geistlichen
Amtes als auch für die Ordnung und Verwaltung der Kirche
allein geeignet und verantwortlich angesehen wird. Manche
Kirchen, etwa Kurhessen, sind diesen Weg schon ziemlich
weit gegangen. Andere fragen mit Recht, ob das lutherische
Amtsverständnis und die Bejahung der auch vom Verfasser
anerkannten beiden Ordnungselemeute, des anstaltlicheu und

des genossenschaftlichen, nicht eine andere Auffassung zwingend
erfordern, ganz abgesehen von den Gefahren, die sich in
der Ferne bei einer solchen Entwicklung abzeichnen.

Aber auch wenn diese Fragen aufgeworfen werden, ist das
Buch erfreulich, insbesondere auch, weil es mit Nacndruck
immer wieder darauf aufmerksam macht, daß das Recht der
Kirche, auch wenn es nicht konstitutiv ist, darum doch nicht
gleichgültig ist (S. 80), und weil es aus dieser Erkenntnis sowohl
gegenüber dem radikalen Individualismus wie gegenüber
dem Partikularismus einer Einzelkirche (S. 82) die Vergleieh-
gültigung der Rechtsordnung bewußt und eindrucksvoll ablehnt
.

Oldenburg i. O. Hermann Ehlers

Schiel, Hubert: Die Sieben Siegel. Laienbriefe über die Wege zur Bibel.
Köln: Balduin Pick 1948. 329 S. 8"= „Am Lebensstrom" ed. Dr. Hubert
Schiel, Bd.3.

Zwei Umstände sind es, die diese einzigartige Anleitung
zum Gebrauch der Bibel auch für die evangelische Theologie
interessant machen. 1. Das Buch ist geschrieben von einem
sog. „Laien" für sog. „Laien"; so erhält man Einblick in die
katholische Bibelbenützung, nicht wie sie auf dem Katheder,
nicht wie sie auf der Kanzel, sondern wie sie „im Kämmerlein
" ihren Platz findet. Und zwar ermöglicht uns diesen Einblick
ein Schriftsteller, der überdurchschnittliche Kenntnisse
in der Bibelwissenschaft (wie überhaupt in der Theologie) besitzt
; wir haben also nicht eine wohlgemeinte „Laienpredigt
über die Bibel" vor uns, sondern ernste wissenschaftliche Ausführungen
— für die „ökumenische Theologie" ein reiches
Feld; wie denn Schiel selbst weithin im Sinne solcher „ökumenischen
Theologie" schreibt. 2. Schieis „Pädagogik auf die.
Bibel zu" ist so neu und so kraftvoll, dal.! sie auch bei uns
Schule machen muß. Hier redet einer von der Bibel männlich,
nüchtern, deutsch, wie Männer von ihren Sorgen und deren
Bewältigung reden — zu einer Frau, die die Weltliteratur
liebt, aber an der Bibel bisher vorüberging.

In dieser Zeitschrift fragen wir vor allem nach dein bibel-
theologischen Weg, den der Verf. einhält. Es ist deutlich der
auch bei uns heute vielgeliebte und hoehgelobte Neuwe«, auf
welchem man die Bibel mit den heutigen Menschen und ihrer
Lage konfrontiert und auf die Wirkung sieht, die von dieser
Konfrontierung auf den Menschen und seine Lage ausgeht.
Die neue Predigt, die neue Bibelstunde, die neue Bibelliteratur
wird davon gespeist. Das ist dann in Ordnung, w enn
man es als die „Anwendung" dessen nimmt und gibt, was
zuvor die „Fxegese" als den tatsächlichen Inhalt der Bibel
erarbeitet hat. Auf unserer Seite neigen aber gerade die
Feurigsten dazu, jene „Anwendung" schon für „Exegese" zu
halten (wie man wohl früher die „Exegese" schon für „Anwendung
" hielt). Und das im Namen der Notwendigkeit,
Gott und seinen Heiland in diese Zeitabgründe einzuführen,
und nicht Literaturgeplänkel. „Herr stehe auf" (4. Mos.
IO> 35) — und nicht einen Kommentar über 4. Mos. 10, 35 f.!
Das, gerade das will Schiel auch, aber gerade deshalb bricht
er eine scharfe Lanze für die literarische Exegese, denn es geht
um das Wort Gottes, um Gott in seinem Worte.

S. 75: Es gilt zu fragen, was das Gelesene besagen will und was es dein
nachsinnenden Verweilen zu geben hat. S. 241: Die Bibelauslegung, auch die
katholische, dankt es dem nüchternen Einfluß der Bibelkritik, daß sie sich
nachhaltig auf die Auffindung des Wortsinnes besonnen hat, und sie ist gerade
darin besonders weit vorangekommen, die Worte der Bibel, vor allem des NT,
aus ihrer Umwelt und der Zeitlage zu verstehen und so ihrem ursprünglichen
Sinn möglichst nahe zu kommen. Es ist also der Wortsinn der Schrift, auf den
es für Dich ankommt und den Du auf Dich wirken lassen mußt. Ja S. 241 1
kann sich Schiel hierfür auf eine päpstliche Enzyklika Pius XII. berufen,
welche verlangt: Bei der Auffindung und Erklärung des wahren Sinnes der
heiligen Bücher sollen sich die Schrifterklärer gegenwärtig halten, daß es ihre
erste und angelegenste Sorge sein muß, klar zu erkennen und zu bestimmen,
welches der Literalsinn der biblischen Worte ist. Diesen Literalsinn sollen
sie mit aller Sorgfalt ermitteln, unter Zuhilfenahme aller Hilfsmittel, dl«
man alle auch bei der Erklärung profaner Schriften heranzieht, damit der
Gedanke des Schriftstellers klar zum Ausdruck kommt. (Also: geisteswissenschaftlich
-literarische Exegese! Hoffentlich kommt nicht der Einwurf: das
sei „papistischer Sauerteig"!) Daher tritt Schiel auch für die Benützung der
Kommentare bei der Bibellesung ein. S. 252: Es kommt nicht so sehr daran'
an, möglichst viel in das Schriftwort hineinzudeuten, als das herauszuholen'
was es wirklich enthält; (S. 262:) den ganzen Reichtum der Bibel wirst D"
aus eigener Kraft nicht ausschöpfen können, Du wirst es aber mit wachsenden1
Gewinn anhand von guten Kommentaren tun können. Und es heißt S. 262 '•
ausdrücklich: „Es gibt Leute — wir beide gehören nicht dazu — die habe"
vor dem Worte Kritik einen Heidenrespekt, auf andere wirkt es wie ein rote»
Tuch auf den Stier, und gar das Wort Bibclkritik, das heißt soviel wie den
Teufel an die Wand malen". So wird denn S. 196 formuliert: Wenn bei JosU"