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Ausgabe:

1949 Nr. 3

Spalte:

145-148

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Heinrich

Titel/Untertitel:

Normen rechter Kirchenordnung 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 3

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Sicherheit einer problemlosen Verfügungsgewalt über alle
materiellen Mittel genommen ist, nicht auch besondere Verheißungen
gerade für die hier gestellten Aufgaben gewinnen
kann? Gewiß ist hier zuletzt alles Gelingen in der Voraussetzung
des Glaubens beschlossen: „Alle Dinge sind möglich
dem, der da glaubt" (Mk. 9, 23). Aber wenn sich im Glauben
die Hilfe gegen die Dämonen erschließt, und in ihm der Bann,

die Erstarrung und die Angst lösen, die aus der Diesseitsgläubigkeit
kommen, sollte dann in ihm nicht auch Hilfe aus
aller Bedrängnis der Armut beschlossen sein ? Und daß die
Kirche der Zukunft nicht von der materiellen Fülle, sondern
aus dem Glauben wiedergeboren werden, für ihn Zeugnis
und Organ sein und ihm Gestalt geben muß, das ist das Gewisseste
, was von ihr zu sagen ist.

Normen rechter Kirchenordnung

(Ein Beitrag zu der Aussprache über Theologie und Kirche)
Von Heinrich Rendtorff, Kiel

Welche Folgerungen ergeben sich aus dem Wesen der
Kirche für die Ordnung ihrer Gestalt ?

1. Kirche ist das Aufgebot Gottes durch Jesus Christus
in der Welt.

2. Daß in der Kirche das Aufgebot Gottes durch Christus
tatsächlich geschieht, unterliegt nicht der Verfügung der
Kirche, sondern bleibt Gottes freie Tat. Wie die ganze Welt
nicht nur usprünglich von Gott geschaffen ist, sondern auch
ihre Erhaltung nur seinem Odem verdankt, so muß auch die
Kirche in Demut wissen, daß ihr Kirche-Sein jeden Augenblick
von Gott abhängig ist. Ihr Gebet muß bleiben „Komm,
Schöpfer Geist".

3. Daß in der Kirche das Aufgebot Gottes durch Christus
tatsächlich geschieht, ist ihr trotz ihrer Vorläufigkeit, trotz
ihres Wartens auf das Kommen des Reiches Gottes im Glauben
gewiß, weil und soweit in ihr das Evangelium verkündet wird
und die Sakramente nach der Einsetzung des Herrn verwaltet
werden. Ihr Trost ist die Zusage, daß der Herr Christus in
seinem Wort und Sakrament gegenwärtig wirksam ist.

4. Die Kirche darf die Bedeutung ihrer sichtbaren Gestalt
in der Welt nicht überschätzen. Die gestaltete Kirche ist
ein Stück Welt, ihr Leib ist Fleisch und hat damit Anteil an der
Vergänglichkeit, Gebundenheit und Sündigkeit allen Fleisches.
Die Erneuerung des Lebens der Kirche kann nicht von der
Erneuerung ihrer Gestalt ausgehen. Ja immer wieder erweist
sich ihre Ordnung in Recht und Verwaltung als eine Versuchung
und Gefährdung.

V Die Kirche hat die UnVollkommenheit ihrer Gestalt
als eine Folge ihres Lebens in der Welt und in der Zeit mit
Geduld zu tragen. Sie hat die Unvollkommenheit ihrer Gestalt
als eine Folge ihrer Sünde, ihres Unglaubens und Ungehorsams
in Buße zu erkennen und zu bekennen. Sie hat
gegen die Gefahren, die sich aus der Unvollkommenheit ihrer
Gestalt in der von dämonischen Kräften durchwalteten Welt
ergeben, im wachsamen Gebet und zähem Kampf sich zu
Wehren. Sie hat um die Erneuerung ihres Lebens im Glauben
und Gehorsam ständig zu ringen.

6. Die Kirche darf die Bedeutung ihrer sichtbaren Gestalt
in der Welt nicht unterschätzen. Daß sie einen irdischen
Leib hat, ist weder ein Sündenfall, noch eine Nebensächlichkeit
, sondern ist der Wille des Herrn, der die Kirche in die
Well sendet, und darum notwendig.

7. Die gestaltete Kirche ist in ihrem sichtbaren Bestände
nicht einfach dem Leibe des Herrn Christus gleichzusetzen
. Aber die Kirche als der Leib Christi ist nicht wirklich
ohne ihre sichtbare Gestalt in der Geschichte. Die geglaubte
und die gestaltete Kirche bilden ein organisches
Ganzes.

8. Aus der Heiligen Schrift und den sie deutenden Bekenntnissen
der Väter läßt sich keine ein für allemal verbindliche
Ordnung der Kirche ableiten. Wohl aber sind in ihr
Normen gegeben.

9. Die Kirche hat au ihrer Gestaltung ständig zu arbeiten
»0 der doppelten Wendung des empfangenden Glaubens zu dem
Wort ihres Herrn und der gehorsamen Liebe zu der Welt, in
die sie gesandt ist.

10. Die Kirche hat ihre Odnung nicht nach einem Ideal
zu konstruieren. Ihr Verfahren muß konservativ sein, indem
sie die Geschichte ernst nimmt und die gewordenen Formen
'licht überspringt. Es muß zugleich radikal sein, indem sie
das Ganze und alle Einzelheiten bedingungslos dem Worte
Gottes unterordnet.

11. Die Ordnung der Kirche kann nur so erfolgen, daß
sie das ganze Leben der Kirche umfaßt. Darum darf es für
8«e nicht eine Verfassung geben, die nur ihre Gliederung,
Leitung und Verwaltung rechtlich regelt, sondern sie braucht
eine Ordnung, die vom Worte Gottes her das ganze Leben der
Kirche einschließlich ihrer Verkündigung, ihres Gottesdienstes
, ihrer Zucht gestaltet. Die Arbeit an der Kirchenordnung
ist deshalb nicht nur eine fachliche Angelegenheit
des Rechtes und der Verwaltung, sondern muß unter Wort
und Gebet aus der Gemeinde heraus geschehen.

12. Die Ordnung der Kirche findet ihre Begrenzung
darin, daß nichts in ihr Geltung haben kann, was ihrem Wesen
als Gottes Aufgebot widerspricht, was ihren Auftrag der Verkündigung
hindert. Alle Bestimmungen und Maßnahmen sind
daraufhin beständig zu überprüfen. In jedem Konfliktsfalle
geht der Auftrag der Kirche unbedingt vor, auch wenn ihm
formales Recht oder Brauch entgegensteht.

13. Die Ordnung der Kirche soll das Leben ihrer Glieder
miteinander regeln. Sie gehören als Brüder und Schwestern
zueinander, weil sie Glieder am Leibe des Herrn Christus sind.
Aber weil sie Sünder sind, bedarf es der Regelung ihres Zusammenlebens
, damit alles ehrbar und ordentlich zugeht.

14. Die Ordnung der Kirche soll der Auferbauung der
Gemeinde dienen, darum soll sie mit allen Mitteln die Verkündigung
des Wortes Gottes, die Verwaltung der Sakramente
, die Seelsorge und die Sammlung der Gemeinde um das
Wort fordernis
. Die Ordnung der Kirche soll der Abgrenzung der Gemeinde
gegen die Welt dienen. Nur wenn die Kirche gegenüber
dem Volk, dem Staat, der Politik, der Kultur, der Wirtschaft
und den anderen Mächten der Welt ihre Eigenständigkeit
wahrt, kann sie ihre Sendung erfüllen.

16. Die Ordnung der Kirche soll dem Dienst der Gemeinde
an der Welt dienen. Darum darf ihre Abgrenzung
gegen die Welt nie zur Selbstgenügsamkeit, ihre Eigenständigkeit
nie zur Abgeschlossenheit werden. Die Ordnung der
Kirche soll ihrer Offenheit zur Welt dienen, soll ihr helfen,
im Wort der Verkündigung und im Werk der Liebe Werkzeug
ihres Herrn zu sein, der sich der Welt annehmen will.

17. Die Grundform der Kirche ist die konkret zum Hören
um das Wort versammelte Gemeinde. Rechte Kirchenord-
nung hat bei dieser Grundform einzusetzen, in der das Leben
der Kirche sich entscheidet.

18. Die sichtbarste konkrete Form der Kirche ist die im
Gottesdienst versammelte einzelne Gemeinde, in der durch
Wort und Sakrament das Aufgebot Gottes in Christus wirksam
wird. Der Gottesdienst muß deshalb die Mitte der Kirchenordnung
sein. Alles Leben der Kirche geschieht vom Gottesdienst
her zum Gottesdienst hin.

19- Auf jeder Stufe des kirchlichen Lebens ist diese
Grundform maßgebend, auch die Versammlung eines Kirchenvorstandes
, einer Synode, einer Kirchenleitung muß Versammlung
der hörenden Gemeinde um Wort und Sakrament
sein.

20. Daß die Kirche Aufgebot Gottes in Christus ist,
fordert den unbedingten Vorrang des Wortes vor und über
und in allem Leben der Kirche. Der sichtbare Ausdruck dafür
ist das Amt. Es dient der Verkündigung des Wortes Gottes
und der Verwaltung der Sakramente und damit der Herrschaft
des allemigen Herrn der Kirche.

21. Das Amt hat teil an der Art des Aufgebotes Gottes
in der Welt. Seine Vollmacht hat es nicht aus menschlicher
Beauftragung, nicht aus sich selbst, sondern allein aus dem
Worte Gottes, zu dessen Ausrichtung es gesandt ist, und an
das es deshalb unbedingt gebunden ist. Darum steht das Amt
der Gemeinde unabhängig gegenüber.

22. Das Amt ist in der Welt. Darum geht es ein in
menschliche Gestalt und Ordnung. Der einzelne Träger des
Amtes empfängt seine Beauftragung nach geordnetem Verfahren
durch die Gemeinde.

23. Im Amt kommt zum Ausdruck, daß die ganze Kirche
gesandt ist an die Welt. Daraus ergibt sich die engste Zu-
sammeuordnung des Amtes mit der Gemeinde. Jedes wirkliche
Glied der Gemeinde hat Anteil an der Sendung, dem
Auftrag, der Verantwortung der Kirche, hat deshalb auch