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Ausgabe:

1949 Nr. 3

Spalte:

139-140

Autor/Hrsg.:

Leipoldt, Johannes

Titel/Untertitel:

Zur Kindertaufe 1949

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139

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 3

1 Kl

In dieser sorgfältigen Untersuchung werden nicht nur die
Zeugnisse für die erste Berührung des Christentums mit dem
römischen Staat neu interpretiert1, sondern es wird der m. E.
gelungene Nachweis geführt, daß der „ironische Parallelismus
", in dem Jesus in der Zinsgroschenperikope den Kaiser
neben Gott stellt, von der ältesten Christenheit nicht wirklich
beachtet wurde, weil die Äußerungen des Paulus und des
1. Petrusbriefes weitgehend aus der jüdischen Tradition stammen2
, weswegen es auch bei Beginn des grundsätzlichen Zusammenstoßes
zwischen Kirche und Staat unter Domitian
nicht zu einer grundsätzlichen Staatsfeindschaft der Christen
kommt. Dieser Nachweis der Entwicklung und Traditions-
gebundenheit des urchristlichen Staatsverhältnisses ist aber
äußerst wichtig für die Tatsache, daß es nicht möglich ist, die
neutestamentlichen Äußerungen über das Verhalten des Christen
zum Staat als direkte Gebote in der Gegenwart anzuwenden
, sondern daß gerade hier die Kenntnis der religionsgeschichtlichen
und theologiegeschichtlichen Voraussetzungen
der neutestamentlichen Texte notwendig ist, um das in den
neutestamentlichen konkreten Forderungen enthaltene göttliche
Motiv zu erkennen und von da aus in der Gegenwart die
sittlichen Entscheidungen neu zu treffen.

D. hat von diesem Bewußtsein aus verantwortlich im
öffentlichen Leben und bei den Aufgaben von Universität und
Akademie der Wissenschaften mitgearbeitet; er war nicht nur
ein überzeugter, aktiver Demokrat, sondern auch ein geschickter
und eifriger Förderer der ökumenischen theologischen Zusammenarbeit
, der mehrfach zu Vorlesungen an verschiedenen
ausländischen Universitäten weilen durfte. In zahlreichen, von
der wissenschaftlichen Bibliographie nur teilweise verzeichneten
Schriften und Artikeln hat er sich zu Tagesfragen politischer
und kirchlicher Art sowie auch bis zuletzt zu literarischen
und kulturellen Problemen geäußert. Auf alle diese dem
regen Geiste von D. sehr am Herzen liegenden Arbeiten kann
hier nicht eingegangen werden3. Nur auf eine Schrift aus den

') S. dazu meine Bemerkungen in derTh. Rdsch. 17, 1948, 37 ff. 140 ff.

!) Die Bestreitung dieser Behauptung durch O. Kittel, ThLZ 1943,
68 ff. ist nicht haltbar.

') Erwähnt sei immerhin die wertvolle Untersuchung „Von Stellung und
Dienst der Frau im Neuen Testament", in „Die Theologin" 1942, 33 ff., wo
die viel umstrittene Frage nach dem Schweigegebot des Paulus endlich einmal
auf dem Hintergrund der großen Bedeutung der Mitwirkung der Frauen
beim urchristlichen Gemeindeaufbau erörtert und daran anschließend die
Forderung begründet wird, die Berechtigung des Amtes der Vikarin ausschließlich
von der Frage nach dem Nutzen für den inneren Aufbau der Gemeinde
Jesu Christi her zu entscheiden.

letzten Jahren sei hier noch kurz hingewiesen, weil in ihr das
Anliegen des Theologen D- besonders deutlich erkennbar
wird l. Er war aufgefordert worden, angesichts der steigenden
Bekämpfung der Theologie durch den nationalsozialistischen
Staat die Arbeit der Theologischen Fakultäten an den deutschen
Universitäten zu begründen und zu verteidigen. El
machte sich, wie er mir»damals schrieb, keinerlei Illusionen
über den Erfolg: „Es kam mir nur darauf an — und ohne Aufforderung
des Verlegers hätte ich auch das nicht getan — sozusagen
unmittelbar vorToresschluß noch einmal festzustellen,
was ist oder war und was sein könnte". So sind denn in dieser
Schrift auch nicht die Ausführungen von bleibendem Interesse,
die die Theologie gegen den Vorwurf verteidigen, im „neuen"
Deutschland ein Fremdkörper und national unzuverlässig zu
sein; wohl aber bleiben die Gedanken von höchster Aktualität,
in denen D. die Notwendigkeit theologischer Arbeit für die
Kirche und die „gefährliche", aber unausweichlich notwendige
Stellung einer lebensfähigen Theologie im Rahmen der Ge-
samtuniversität beschreibt. Hier wird nicht nur an dem Beispiel
der Geschichte des Reich-Gottes-Verständnisses seit der
Jahrhundertwende die eminent theologische und damit kireli
liehe Wirkung streng historischer Bibelarbeit aufgezeigt, hier
werden besonders zwei Gefahren für die Theologie betont,
deren Beachtung auch heute von größter Aktualität ist: „Die
größte Gefahr der Theologie liegt in dem beziehungslosen Auseinandertreten
ihrer historischen und systematisch-gedanklichen
Arbeit. Beide gehören zusammen; nur wenn sie aufeinander
bezogen werden, ist die theologische Forschung ernsthaft
" und: „Im Grunde darf die Spannung zwischen Forschung
und Glauben nicht verschwinden um der Sache willen"
(S. 17. 60). Diese Notwendigkeit streng wissenschaftlicher Arbeit
gerade für die Verkündigung der Kirche seinen Schülern
einzuprägen hat Martin Dibelius als seine vornehmste Pflicht
als akademischer Lehrer angesehen, und er hat nie vergessen,
daß die Arbeit des Theologen „sich am Rande der menschlichen
Existenz vollzieht und daß er etwas zu tun hat, was
vielen als unmöglich, andern als frevelhaft erscheinen muß. Er
kann es nur tun, wenn er sich des Auftrags bewußt ist, der in
seiner Sache liegt" (S. 16). Wir werden sein Erbe am besten
wahren, wenn wir in diesem Bewußtsein die von ihm begonnene
Arbeit fortführen.

') Wozu Theologie? Von Arbeit und Aufgabe theologischer Wissenschaft
. Leipzig, 1941. Vgl. den ausführlichen Bericht von L. Fendt, ThLZ
1942, 193 ff.

DAS GESPRACH:
Zur Kindertaufe

Bemerkungen zum Aufsatz von Thio Preiß (ThLZ 1948, Nr. 11, Sp. 651)
Von Johannes Leipoldt, Großpösna bei Leipzig

von Rom in seiner Kirchenordnung die Kindertaufe und gibt
genauere Weisungen (s. schon Hans Achelis TU VI 4, 1891,
S. 94; Riedel S. 211; jetzt Duensing S. 55). Die Zeugnisse des
Eirenaios, Horigenes und Cyprian sind bekannt. Zu Hori-
genes ist zu vergleichen, was A. v. Harnack beibrachte: TU
42, 3, 1918, S. 78 Anin. 1; ebd. 42, 4, 1919, S. 123 f. Wenn
wir von der Kindertaufe in der frühen Kirche reden, sollten
wir endlich einmal vorgefaßte Meinungen verlassen und den
Quellen folgen.

Rom. 6, 1 ff. eng mit 5, 12 ff. zu verbinden, trage ich Bedenken. Rom. 5
gibt Paulus Eigenstes (auf persisch-jüdischer Grundlage). Die Gedanken von
Rom. 6 setzt Paulus in der Römergemeinde, die er nicht gründete, als bekannt
voraus (6, 3): es handelt sich also wohl um griechenchristliches Gemeingut
. Die nächste Parallele bietet ein Mysterienbrauch: der Eingeweihte wiederholt
, was der Gottheit nach der Kultgcschichte geschah; vgl. z. B. für Eleusis
schon den 5. homerischen Hymnus und noch Ovids fast! IV, 494, 504, 535 f-
Wenn ich Paulus' Sakramentsvorstellung behandle, so gehe ich lieber von
den Zusammenhängen aus, in denen er Taufe und Abendmahl verbindet
(1. Kor. 10, 1 ff.; 12, 13).

1

Es ist im Judentume üblich, die Proselytentaufe auch an
Mädchen zu vollziehen, die noch nicht drei Jahre und einen
Tag alt sind. Das ergibt sich bereits aus der Mischna Kethub-
both (1,2 und 4; 3, i). Es handelt sich also um alte (tannaiti-
sche) Uberlieferung.

Ich möchte nicht schreiben, „daß die Kindertaufe erst zu
Konstantins Zeit allgemein durchgeführt worden ist" (Preiß
Sp. 652). Ich komme in Versuchung, umgekehrt zu behaupten
: erst im 4. Jahrhundert seien Hemmungen gegenüber
der Kindertaufe lebhafter empfunden worden; es gibt
berühmte Beispiele. Aber das wäre übertrieben. Jedenfalls
scheint mir schon Justin die Kindertaufe vorauszusetzen
(sog. 1. Apol. 15, 6): „Viele Männer und Frauen, die von
Jugend auf (ex naiSmv) Schüler Christi gewesen sind, bleiben
mit 60 oder 70 Jahren keusch" usw. Tertullian de bapt. 18
benutzte ich vor Jahren zu einem psychologischen Versuche:
ich legte den Text Studenten vor, die vollkommen unbefangen
waren. Sie waren einstimmig der Meinung, daß Tertullian die
Sitte der Kindertaufe voraussetze. In der Tat kennt Hippolyt