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Ausgabe:

1949 Nr. 2

Spalte:

107-108

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Fedotov, Georgij P.

Titel/Untertitel:

A treasury of Russian spirituality 1949

Rezensent:

Beth, Karl

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107

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 2

108

Daß uns die völlige Icirchenrechtlfche und pastoraltheologische
Durchwirkung des gesamten kirchlichen Lebensfremd
ist, mag man u. a. an dem Problem der Zählung der Sünden
sehen, etwa an dem Wort des Ballerini: Peccata externa
numerantur sicut boves, interna sicut triticum (141). — Mag
sich das gewiß mit interessanten psychologischen Fragen berühren
, z. B. mit dem bekannten Thema, ob Psychisches
zählbar sei, so bezeugt sich doch die Verschiedenheit des
evangelischen und katholischen Verständnisses der Sünde,
wenn die Zählbarkeit von Sünden zum Problem wird.

Greifswald R. Hermann

Fedotow, G. P.: A. Treasury of Russian Spirituality. New York:
Sheed <S Ward 1948. XIX, 501 S., 9 Photoprints. $ 6.50.

Daß unsere Kenntnis des russischen Kirchenwesens noch
immer zu wünschen läßt, fällt größtenteils der sprachlichen
Ferne zur Last. Manches Räts'el gibt es dem flüchtigen
Betrachter auf. Die unausgeglichene Mischung der Gegensätze
von Verzückung und kahler Nüchternheit, von lichter Verklärungsfreude
über das durch Jesu Auferstehung gebrachte
eigentliche Leben und der unablässige Kampf gegen die undurchdringliche
Weltfinsternis, so nicht minder scharf der
Kontrast zwischen freudig-lichter und angstgebundener Volksfrömmigkeit
bieten in vieler Beziehung die Folie, auf der die
russische Seele sich entfaltet. Gegenwärtig vollzieht sich nun
eine scharfe Wendung zum Studium der russischen Sprache
und Literatur in Westeuropa wie in Amerika, die bereits dem
Büchermarkt manch aufklärendes Buch zugewiesen hat. Ein
recht schätzenswerter Beitrag dieser Art liegt in der von dem
in New York lebenden G. P. Fedotow herausgegebenen Anthologie
über das russische fromme Leben vor. Mit diesem letz»
teren Ausdruck scheint mir das Titelwort Spirituality am
besten wiedergegeben. Gemeint ist das im frommen Sinn geführte
Leben sowohl in der Tagespraxis als auch (theoretisch)
in der Weltanschauung und deren Anwendung auf die ethische
Lebensregelung.

Was F. in diesem Buche vorlegt, ist im Wesentlichen eine
mit gut orientierenden Kinzeleinleitungen ausgestattete Anthologie
, die aus Schriften und Autobiographien sowie von
Biographien über Menschen bestehen, die infolge tief ernsten
religiösen Lebens in der Kirche zu autoritativem Ansehen gelangt
sind und auf den Heiligentitel Anspruch erlangt haben. Die
Auswahl mag manchen manches zu wünschen übrig lassen.
Selbstverständlich vermißt der eine Leser viele Namen, während
der andere zu vielen begegnet. Mit einer Ausnahme sind es kireh-
licherseits anerkannte Vertreter eines edlen folgerechten Christentums
. Die Ausnahme ist der „Narr in Christo" Protopres-
byter Awwakum, die reaktionärste, wohl aber auch die ungebildetste
Erscheinung in der russischen Kirchengeschichte,
jener hartnäckige Widersacher der Nikonschen Reformen, der
durch keine Strafe, keine Verbannung, keine Martern — und
sie waren heftig — von seinem Standpunkt abzubringen war
und seine Familie oft mit ins entsetzlichste Elend hineinziehend
, 1682 auf dem Scheiterhaufen starb.

Fedotow legt Wert darauf, an den von ihm auserwählten
Männern zu veranschaulichen, daß, wiewohl das russische
Mönchtum zuerst an dem syrisch-palästinensischen Typus
eines Sabbas und Euthymius sein Vorbild fand, sich doch von
Anfang an ein eigentümlicher Typ entwickelte, der schon in
den beiden ersten Heiligen der russischen Kirche, Gleb und
Boris, erkennbar ward, also bereits um die Wende vom zehnten
zum elften Jahrhundert, bald nach der Gründung des Kiewer
Höhlenklosters. Man bezeichnet diesen Typ als den keno-
tischen, da er sowohl die bis zum Äußersten getriebene Nachahmung
des armen, erniedrigten und zum Tode leidenden Heilands
wie auch die stets hilfsbereite Menschlichkeit Jesu darstellt
. Im Unterschiede also von dem sich selbst lebenden, um
seiner eigenen Seele willen sich kasteienden Eremiten der Wüste
oder des Felsenklosters widmet er sich dem Dienst am Nächsten
, und im Unterschiede von dem rein himmlisch monarchischen
Pantokrator des byzantinischen Anbetungs- und
Kunststils ist es der durch stete Selbstverleugnung zum Dienst
am Mitmenschen erstarkende und in völliger Erniedrigung emporsteigende
Lichtmensch, dem wir im mönchischen Leben begegnen
. Man dürfte indessen gegenüber einer Gestalt wie der
des Nilus Sorskij mit seiner ausgebildeten Lehre vom rein
geistlichen Gebet die Frage aufwerfen, ob dieser auch allem
Klosterbesitz abholde, dagegen zur altägyptischen Sekte zurückgreifende
Einsiedler wirklich zur kenotischen Art zu rechnen
sei. Igor Smolitsch stellt ja in seinem Buche „Leben und
Lehre der Starzen" (1936) den Nil entwicklungsgeschichtlich
an die Spitze des Starzentums, welches Fedotow erst mit Seraphim
((f 1833, s. unten) beginnen läßt.

Recht lehrreich ist die vom Einsiedler Nestor geschriebene
Biographie des ersten entschiedenen Kenotikers Theodosius
(t 1074), der zusammen mit Anton das Basiiiauerkloster von
Kiew gründete und so das mächtige Kulturzentrum des Reichs
ins Leben setzte. Auf ihn läßt F. den volkstümlichsten aller
russischen Heiligen, den Eremiten und Abt Sergius folgen, der
im 15. Jahrhundert Schutzpatron von Moskau wurde, im
Abendlande aber wenig bekannt ist, obwohl gerade mit ihm,
wie m. E. Fedotow mit Recht hervorhebt, eine neue Ära begann
, sofern an die Stelle der bisherigen Stadtklöster diejenigen
inmitten der Urwälder traten, für die Sergius von der
neiligen Jungfrau ihren ganz besonderen Schutz persönlich zugesprochen
erhielt. Wir lesen hier die wunderüberladene, jedoch
stark abgekürzte Biographie aus der Feder eines Mönchs
Epiphanius, eines Zeitgenossen des Sergius. — Der Abt Nil
Sorskij tritt durch seine abgedruckten Mönchs- und Schülerregeln
(deren letztere mit' geringen Kürzungen deutsch bei
Smolitsch) als ein energischer Reformer vor dem Patriarchen
Nikon hervor, indem er alle äußerlichen Devotionen hinter die
Seelenstille zurückschob. Der nächste Charakter ist Bischof
Tychon, eine der größten russischen Heiligengestalten der
neueren Zeit, die Dostojewskij vorschwebte, als er die Figur
des Bischofs in dem (in späteren Ausgaben getilgten) Kapitel
der „Dämonen" meißelte, nach anderen auch als Vorbild für
seinen Starzen Sossima diente. In Tychon vollzog sich etwas
von der Hinwendung der Ostkirche zum Augustinismus einerseits
, zum Protestantismus anderseits. Es war die Zeit, als es
in Halle eine eigene Druckerei für die russischen Ausgaben
deutscher pietistischer Schriften gab (z. B. Arndts Wahres
Christentum, dessen Titel Tychon für eines seiner Bücher entlehnte
). F. wagt die Behauptung, daß Tychon „in seinem sehr
komplizierten und stürmischen religiösen Leben die katholische
Verehrung des gekreuzigten Herrn, den protestantischen
Evangelismus und russischen Kenotismus miteinander verband
".

Fedotows nächster Charakter ist Seraphim von Sarow,
einer der markantesten Frommen der Ostkirche, der daher von
vielen für Dostojewskijs Starzen gehalten wird. Sein oft erwähntes
Gespräch über die Erlangung des heiligen Geistes mit
dem benachbarten Gutsbesitzer Motowilow legt F. mit einer
Einleitung und in der Ubersetzung von Uobbie-Bateman vor.
Mit zwei modernen Gestalten schließt F. seine Reihe: Johann
von Kronstadt und dem Religionsphilosophen Jeltschaninow.
Vom Erstereu sagt er, er habe nie gelernt, Monarchie und
Kirche zu trennen, weshalb er in der Revolution von 1905 die
Zielscheibe der liberalen Presse wurde. Dies Buch bringt uns
Johannes „Mein Leben in Christus" in der Ubersetzung von
E. E. Goulajeff, von dem in Paris mit Mereschkowskij, Bul-
gakow und Bjerdajew in Gedankenaustausch lebenden Jeltschaninow
dagegen große Partien seines „Tagebuchs" (S. 421
bis 485). Eingestreut ist in diese recht lebensvolle Photosammlung
„Der Weg des Pilgrims", aus dem Russischen übersetzt
von Nina Poumanowa (S. 280—345), ein anonymes Erzeugnis
feinen religiösen Sinnes auf hesychastischem Grundton, anscheinend
geschrieben, um das Studium des durch die langen
Jahrhunderte gern gebrauchten mönchischen Handbuchs, der
patristischen Anthologie „Philokalia" zu empfehlen, deren
erste griechische Ausgabe 1782 zu Venedig erschien und deren
slawonische Übersetzung 1793 gedruckt wurde.

Fedotows Buch ist als Ganzes genommen ein sehr wertvoller
Spiegel der russischen Seele in ihrer religiösen Entwicke-
lung während der elf Jahrhunderte, in denen das Christentum
in ihr gewirkt hat, und es wird in eben unsrer Zeit für Vieh'
ein willkommener Wegweiser sein beim Studiuni russischer
Kultur.

Chicago Karl Beth

Bell, O., Dr., Bischof von Chiciiester: Kirche in (In Welt. Übers, v. Rudolf
Weckerling. Berlin: Wichern-Verlag 1948. 71 S. 8«. Kart. DM4.—.

„Kirche in der Welt" ist der Titel des von Gordon Kupp
zusammengestellten und von Rudolf Weckerling übersetzten
Buches, das Reden und Aufsätze von Dr. George Bell, Bischof
von Chiciiester wie auch Predigten der Jahre 1945—1946 ent"
hält. Das Buch schließt ab mit der Nachschrift der Debatte um
den Vernichtungskrieg aus der Luft im House of Lords 1944,
und einer eingehenden Darstellung über die Hintergründe der
christlichen Widerstandsbewegung in Deutschland und ihre
Beziehungen zu dem Bischof von Chiciiester, der auch hier als
Bruder neben den Brüdern in dem Kampf um die Wahrheit
dem Recht zum Siege verhelfen wollte. —

Wenn wir die uns bekannten Reden und Aufsätze in dieser
Zusammenstellung lesen, so würden wir lieber als Titel des
Buches sehen: Ein Christ als das Gewissen der Welt. Darum
handelt es sich bei allem, was der Bischof von Chiciiester sagte