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Ausgabe:

1949

Spalte:

101-102

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ritter, Gerhard

Titel/Untertitel:

Luther 1949

Rezensent:

Kohlmeyer, Ernst

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 194^ Nr. 2

102

reizt, ist aucli ihr Vorzug. Kr hat wenigstens den Regimentsbegriff
Luthers und seine Duplizität einmal umsichtig und
folgerichtig durchdacht und dadurch wenigstens einen klaren
Durchblick durch das verwickelte Problem geöffnet.

Erlangen Werner Eiert

Ritter, Gerhard: Luther, Gestalt und Tat. 4. Aufl. München: Münchner
Verlag [1947). 284 S., 1 Taf. 8«. DM 6.50.

Gerhard Ritters „Luther" hat sich unter den zusammenfassenden
Darstellungen Luthers längst einen hervorragenden
Platz errungen durch die farbensatte Fülle des gegebenen geschichtlichen
Gemäldes wie durch die ungewöhnliche Plastik
und Lebendigkeit der schriftstellerischen Gestaltung, die den
Leser in ihren Bann zieht, noch gehoben durch reichhaltige,
packend gewählte Lutherzitatc (bei denen für weiterstrebende
Leser künftig die Stellenangaben erwünscht wären).

Die 4. Auflage bedeutet nach der tiefgreifenden Umarbeitung
und Bereicherung, welche die 3. Auflage 1943
brachte, keine wesentlichen Änderungen mehr. Nur ist durch
die erfolgte Weltkatastrophe hinter Luthers ,,universalem
Prophetentuni, seiner Verkündung und Deutung der christlichen
Botschaft auch für uns Deutsche seine Bedeutung als
zentrale Gestalt deutschen Geisteslebens, als nationaler Heros,
stark zurückgetreten" (S. 283): die weltgeschichtliche Bedeutung
wird von der religiösen überwogen. Davon zeugen zahlreiche
Einzeländerungen, die seit der 3. Auflage den Text
durchziehen, und die in der Einführung aufgestellte Frage
unserer Zeit schlechthin, die an Luther gerichtet werden soll:
die Frage nach der Wirklichkeit Gottes. Diese Fragestellung
gibt dem Werk Ritters nun doch an wichtigsten Punkten ein
Gepräge, das über das historische Interesse zu den religiösen
Anliegen der Gegenwart hinüberführt.

Nachdem der heimgegangeue Walther Köhler der 3. Auflage
eine Besprechung bereits gewidmet hat (ThLZ 1944,
S. 168), könnte ein Hinweis darauf genügen. Indes seien noch
einige Bemerkungen über Ritters Werk in der jetzigen Gestalt
gestattet.

In Luthers „Werden" ist der Ausgangspunkt für den Verf.
(mit Recht) das ..Kreaturgefühl", das von Luther sofort
ethisch durchdrungen, dann aber vollendet und gelöst ist durch
die Paradoxie der Theologia crucis: Gottes Majestät und Erbarmen
. Wir treten auf biblischen Boden. Eben darum bleibt
in Luthers Ethik jene Komponente, die etwas stärker hervorgehoben
sein könnte: der Bußernst der 1. These, die morti-
ficatio der „Freiheit des Christenmenschen". Für die inhaltliche
Bestimmtheit der neuen Ethik aber ist — und darin ist
dem Verf. weithin Recht zu geben — in hohem Maß das vielumstrittene
„natürliche Sittengesetz" die Instanz, freilich
erst, wenn und so weit es aus der erbsündlichen Verschüttung
durch die evangelische Offenbarung hervorgeholt ist und zugleich
durch den erweckten (Hauben an den Gott der Liebe
vom heteronouicn Gebot zum freien Wollen erlöst ist.

■ Die Fragen in Luthers Kirchenbegriff sind etwas umRangen
, so der schwierige Übergang von der unsichtbaren
Kirche zur sichtbaren Gemeinde (S. 113), der im Ergebnis
»addier richtig gefaßt ist, als Gemeinde der Getauften(S. 199).
E« ist auch die Aufgabe der christlichen Obrigkeit in der Gemeinde
richtig verstanden: sie umfaßt auch das Seelenheil,
soweit es möglich ist. Es ist mir unsicher, ob im „christlichen
A<lel" auch die turbulente Ritterschaft mitgemeint ist.

Aus der richtigen Fassung jenes „natürlichen Sittengesetzes
" ergibt sich sodann für den Staat, d. h. für die „Obrigkeit
" Luthers, daß sie selbstverständlich gebunden bleibt in
ihrem Machtgebrauch au den,,Dienst des strengsten Rechts"
(S. 268 u. 117), die christliche Obrigkeit dazu in steter Verantwortung
vor Gott. Nichts andres als ein grobes Mißverständnis
kann es heißen, wenn in diesem Staatsgedanken
Irgendeine Lösung des Staates von der Moral oder die Beförderung
des fürstlichen Absolutismus und stumpfen Untertanengehorsams
gefunden wurde. (Man vgl. G. Ritters schlagende
Abfertigung von Vorwürfen, die gegen Luther in einem
auch durch die heutigen politischen Tendenzen kaum entschuldbaren
Mißverstehen erhoben sind: Zeitwende 1947,
"eft 10/11, S. 592.)

So ist die Einheit des geistlich-weltlichen Wesens durch
Luther nicht überwunden, sondern erst zur äußersten Konsequenz
geführt (S. 117). Mit einem Wort: Luthers Ziel ist nicht
der verweltlichte Staat, sondern der unmittelbar Gott verantwortliche
Staat. Dem weltlichen Leben gegenüber ergibt sich
8m yerzic''t auf kasuistische Einzelregelung von christlicher
Ethik aus, jedoch die Pflicht gewissensmäßiger Entscheidung
Ulld vollen Kräftceinsatzes in aller weltlichen Daseins-
Sestaltung. Soweit eine „Theologie der Krise" sich von diesem
Aulgabcnkreis abwendet, ist sie mit der refonnatorischen

Haltung unvereinbar (S. 259). Im Gegenteil, wenn im modernen
Volksstaat an die Stelle des christlichen Fürsten die
„namenlose Masse" tritt, entstehen neue, vom Luthertum vernachlässigte
Aufgaben christlicher Volkserziehung durch die
organisierte Laienschaft (S. 274), auch wenn ein christliches
Kultursystem im katholischen Sinn für Luther nicht denkbar
ist, sondern nur eine Durchdringung der „Welt" mit christlicher
Gesinnung.

Berchtesgaden-Schönau E. Kohlmeyer

Kist, Johannes, Dr.: Das Bamberger Domkapitel von 1399—1556. Ein

Beitr. z. Gesch. s. Verfassg., s. Wirkens ti. s. Mitglieder. Weimar: Böhlau
1943. XVI, 395 S., 6 Taf. gr. 8» = Hist.-dipl. Forsch. Bd. 7. DM 19.80.
Auch in Bamberg ist die Geschichte des Domkapitels aufs
engste mit der ganzen Bistumsgeschichte verknüpft. Auch hier
hatten es die Domkanoniker verstanden, in den Wahlkapitulationen
sich weitgehenden Einfluß auf die Regierung des
ganzen Bistums zu sichern, Die Zielsetzung der vorliegenden,
überaus fleißigen Arbeit wendet sich daher von vornherein
ganz bestimmten Fragenkomplexen zu. Das verfassungsrechtliche
und das biographische Moment stehen im Mittelpunkt
derselben. Sonst hätte es sich ja nur um eine Geschichte des
Bistums Bamberg handeln können. Den Ausgangspunkt bildet
die 1399 erfolgte päpstliche Konfirmation des Kapitelbcv
Schlusses 1390, wonach nur mindest ritterbürtigen Familien
für ihre Angehörigen die Zukissung zum Kapitel offenstand.
Damit war ja ein entscheidender Schritt für den ganzen Bestand
des Domkapitels geschehen. Der Tod des Bischofs
Weigand von Redwitz, dessen Statthaftigkeit vor allem die
Erhaltung des Bistums in schwerer Zeit zu danken ist, im
Jahre 1556, dürfte den Abschluß der Arbeit bestimmt haben.

Zuerst erörtert der Verf. die äußere Zusammensetzung
des Kapitels. Seit 1390 umfaßte es 20 Kapitulare und
14 Domizellare. Die letzteren zerfielen in sechs emanzipierte
und acht nichtemanzipierte Domherren. Die obersten unter
den Kapitularen waren Propst und Dekan; dazu traten noch
vier Personate: Scholaster Kautor, Küster, Kellerer. Pflichten
und Rechte werden eingehend dargelegt. Die Aufnahme in das
Kapitel stand allein diesem zu; nur 19% aller Domherren
gelangten durch päpstliche Provision in den Besitz eines
Kauonikates, noch weniger, nur 2%, auf Grund der primariae
preces von Fürsten oder Bischöfen. 23 Domherren erhielten
in dieser Zeit ihre Pfründen durch Tausch. Die verwandtschaftlichen
Beziehungen spielten keine geringe Rolle bei der
Aufnahme ins Kapitel. Die Aufnahme als Domizellar war
an kein bestimmtes Alter gebunden; emanzipiert konnte man
erst mit 18 Jahren werden. Wer Kapitularkauouiker sein
wollte, mußte 25 Jahre alt sein. Die meisten Kanoniker waren
wohl tonsuriert; die Kanoniker mußten Subdiakone sein. Der
Dekan mußte immer Priester sein. Im Unterschied von andern
Domkapiteln war Bamberg eine Domäne des Ministerialenadels
; nur zwei bürgerliche Kapitularen lassen sich ni diesem
Zeitraum nachweisen. Die Pflichten der Domherren .waren:
Residenz, Chorgebet, Teilnahme an den Kapitelssitzungen.
Die Plural ität der Benefizien bedingte allerdings vielfachen
Urlaub. Die Bamberger Domherren bekleideten noch 427
andere Domherrnstellen in 25 andern Diözesen, ferner 130 Stellen
in 33 andern Kanonikatstiften; auch waren sie Inhaber
von ca. 300 Pfarreien. Mancher vereinigte zehn oder noch mehr
Pfründen. Das Kapitel, das dem Anteil des Domkapitels au
der Regierung des Bistums gewidmet ist, gibt verständlicherweise
nur Grundlinien. Wertvoll sind die Verzeichnisse der
Inhaber der drei Archidiakonate des Bistums. Interessant ist,
daß 37 Bamberger Kanoniker deutsche Bischofsstühle einnahmen
, 22 bestiegen den Bamberger Bischofsstuhl selbst.
Von den 236 Domherren dieser Periode studierten 197 an
Universitäten. 9,5°/,, aller Kanoniker waren graduiert. Auch
über die literarischen Bestrebungen der Domherren — der
Humanismus zog auch in Bamberg ein — ihr Verhältnis zur
bildenden Kunst, das religiös-sittliche Leben derselben gibt
der Verf. mannigfachen Aufschluß; eine Reihe von caritativeri
und geistlichen Stiftungen kann er notieren. Der zweite Teil
sucht dann das Leben und die Wirksamkeit der 296 in diesem
Zeitraum in Betracht kommenden Domherren durch genaue
Angaben über die ihnen verliehenen Pfründen klar zu stellen.
Ein Anhang zählt genau die Inhaber der 48 Obleieu und
60 Fragmente auf, d. h. der geistlichen Stiftungen, die den
einzelnen Domherren zur Subsistenz verliehen waren. Ein genaues
Register schließt den Band.

Der Verf. hatte das Glück, die Quellen zu seiner Arbeit
zumeist an einem Orte, im bayr. Staatsarehiv Bamberg,
vor allem ausschöpfen zu können, er hat dies auch in einer
solch gründlichen Weise getan, daß sie kaum übertroffen
werden kann. Aber er hat sich nicht damit begnügt, er hat