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Ausgabe:

1949 Nr. 2

Spalte:

91-98

Autor/Hrsg.:

Kahle, Paul

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 2

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werden. Mensch sein heißt zwischen zwei Gewalten gestellt
sein: zwischen Gott und die dämonischen Mächte. Aus deren
Gewalt die Menschen zur Freiheit der Kinder Gottes zu befreien
, ist Jesu Sendung.

Eine dieser dämonischen Gewalten in ihrer unheimlichen
Gefährlichkeit zeigt unsere Parabel: das Geld. Die Erzählung
gibt also das Bild eines Mannes, der sich der Gewalt
des Mammons überläßt und dabei schuldig wird.
Trotz der Erkenntnis seiner Schuld findet er nicht

zur Umkehr (uctovoia) und wird darum aus Gottes
Nähe gestoßen. Damit gerät er erst ganz in die
Umklammerung des dämonischen Machtbereiches,
so daß er nur noch verschlagener den Weg sich
steigernder Raffiniertheit geht — ein düsteres Bild
menschlicher Katastrophe, ein Warnungsruf vor
der menschen verderbenden Gefahr des Reichtums.
So angesehen gliedert sich der Inhalt der Parabel organisch
der Botschaft Jesu ein.

Der gegenwärtige Stand der Krforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

1. Die Auffindung der Rollen und ihr Ankauf. Die textkritische Bedeutung
der Jesaja-Rolle. Der Anlaß für das Verbergen der Rollen.

Von Paul Kahle, Wadhurst, Sussex, England

Sowohl von jüdischer1 als von amerikanischer2 Seite
haben wir einige Auskünfte erhalten über den Aufsehen erregenden
Fund alter hebräischer Handschriften, der kürzlich
in Palästina gemacht worden ist. Im Sommer 1947 fanden
Beduinen vom Stamme der Ta'ämira auf dem Wege vom
Jordantal nach Bethlehem in einer Höhle eines nach Norden
zum Toten Meere sich öffnenden Tales elf Lederrollen, die,
so weit sie bisher geöffnet sind, hebräische Texte in altertümlicher
Schrift enthielten. Die Rollen waren ursprünglich sorgfaltig
in Leinen gehüllt, das in eiuer Mischung von Erdpech
und Wachs getränkt war, und in festverschlossenen Toukrügen
aufbewahrt, und sie haben in dem relativ trockenen warmen
Klima in der Jordansenke nicht weit vom Toten Meere die
vielen Jahrhunderte ihrer Aufbewahrung verhältnismäßig gut
überstanden. Wohl durch Einsturz eines Teiles der Höhle sind
die Krüge zerbrochen und damit ihr Inhalt sichtbar geworden.
Die zur Zeit in Palästina herrschenden Verwicklungen haben
eine genaue Untersuchung des Fundortes unmöglich gemacht.
Es wäre wohl denkbar, daß bei einer genauen Durchsuchung
der Fundstätte und ihrer Umgebung weitere Funde gemacht
werden.

Der muslimische Scheikh in Bethlehem, dem die Beduinen
die Rollen vorlegten, hielt die Schrift für Syrisch, und so kam
es, daß man sie den Syrern anbot. Vier von den Rollen, darunter
die umfangreichste, enthaltend den Text des Buches
Jesaia, sind in den Besitz des Syrisch-Orthodoxen St. Markus-
Klosters in Jerusalem gekommen. Vier andere wurden für das
Museum Jüdischer Altertümer der Hebräischen Universität in
Jerusalem erworben. Die übrigen sind wohl in Privathände
gekommen. Da die Syrer mit den alten hebräischen Texten
nichts anfangen konnten, boten sie im Januar 1948 ihre Rollen
den Juden zum Kaufe an. So kamen sie für einige Zeit in die
Hände von E. L. Sukenik, dem Archäologen der Universität
Jerusalem, der sie prüfte und Proben aus der Jesaia-Rolle abschrieb
, ehe er sie den Besitzern zurückgab. Die Verhandlungen
über den Ankauf der Rollen waren noch nicht weit gediehen
, als die Syrer, am 19. Februar 1948, mit den Amerikanern
in Jerusalem in Verbindung traten. Dr. John C. Tre-
ver, vom International Council 0? Religious Educatiou, der
hi Vertretung des für ein paar Wochen nach dem Irak verreisten
Direktors Dr. Miliar Burrows von der Yale Univer-
sity die Geschäfte der American Schools of Oriental Research
in Jerusalem führte, berichtet im Biblical Archaeologist
(XI 3, Sept. 1948, S. 46—57) sehr anschaulich über seine Verhandlungen
mit den Syrern. Er übersehreibt den Artikel
The Discovery of'the Scrolls — allerdings hatte Sukenik
die Rollen zuvor gesehen und identifiziert —, und Professor
Miliar Burrows fügt einen Artikel bei The Contents and
the Signif icance of the Manuscripts. Es gelang Trever
unter Uberwindung zahlreicher Schwierigkeiten, die durch die
Lage in Palästina bedingt waren, sowohl die Jesaiä-Rolle
(54 Kolumnen) als auch zwei andere Rollen, „The Sectarian
Document" (11 Kolumnen) und ,,The Habakkuk Commen-
tary" (i3Kolumnen), zu photographieren. Die vierte Rolle war
so brüchig, daß sie nicht geöffnet werden konnte. Aus kleinen
Fragmenten, die abgeblättert waren und auf der Photographie
der geschlossenen Rolle zu sehen sind, geht hervor, daß auch
diese Rolle mit alter hebräischer Schrift beschrieben ist. Aber
wir wissen nicht, was sie enthält. Die Syrer haben ihre Rollen

i) . rmrp "ixiaa nKsawj nanp nr:a "pna • mvm mVu»

nt?B nrraN"! rTVpO (,.Verborgene Rollen. Aus einer alten in der Wüste
Juda entdeckten Geniza. Erster Bericht von") E. L. Sukenik. Bialik
Foundation, Jerusalem 1948.

') Die hier in Betracht kommenden Veröffentlichungen werden weiter
unten im Text genannt.

außerhalb des Landes in Sicherheit gebracht und haben den
Amerikanern die Genehmigung zur Publikation der Texte gegeben
.

Professor Sukenik hat für die Behandlung der von dem
Museum Jüdischer Altertümer erworbenen Rollen in Jerusalem
einen Spezialisten gefunden, und man verwendet auf die Öffnung
, das Photographieren und die Lesung und Abschreibung
der Rollen die größte Sorgfalt. Bisher sind zwei Rollen geöffnet
und untersucht worden. Weder die Titel der Texte noch
die Namen der Verfasser sind erhalten. Nach dem aus den
ersten Zeilen sich ergebenden Inhalt gibt Sukenik dem Text
der einen Rolle den Titel Kampf der Kinder des Lichts
mit den Kindern der Finsternis1. Unter den Kindern des
Lichts sind die Söhne Levi's, Juda's und Benjamin'! zu verstellen
, unter den Kindern der Finsternis die Edouiiter,
Moabiter und Ammoniter. Es ist sehr verdienstlich, daß
Sukenik außer einigen Photographien, aus denen das Aussehen
und die Schrift der Rolle zu erkennen sind, Proben des
Textes abdruckt, unter Beifügung eines sehr sorgfältigen
Kommentars. Ähnlich geht er auch bei der Behandlung der
zweiten Rolle vor, die er rnTinn (..Die Danklieder")
nennt und die eine Anzahl von Dankgebeten enthält, die in
vieler Hinsicht unsern Psalmen ähneln, aber doch von ihnen
durchweg verschieden sind. Alle diese Texte sind vollkommen
unbekannt, und man wird über sie erst genauer urteilen
können, wenn sie veröffentlicht sein werden.

Dr. Trever hatte einige Photographien der Jesaia-Rolle
an Professor Albright nach Baltimore gesandt. Der hatte die
Bedeutung des Fundes sogleich erkannt. Schon am 15. März
traf seine Antwort ein: ,,My heartiest congratulations 011 the
greatest manuscript discovery of modern tinies", so schrieb
er. Er hält die Schrift der Jesaia-Rolle für altertümlicher als
die des Papyrus Nash und glaubt, daß sie um 100 v. Chr. oder
noch im zweiten vorchristlichen Jahrhundert geschrieben sei.
Ich glaube, daß man es auch sachlich begründen kann, daß
Albright im wesentlichen recht hat mit seiner Datierung.
Die Pronomina und Suffixa der 2. und 3. Person masc. plur.
werden ziemlich regelmäßig mit auslautendem n geschrieben,
und das läßt darauf schließen, daß die Juden damals atlimma,
himma, etkimma usw. gesprochen haben, eine Aussprache, die
sich bei den Samaritanern bis zum heutigen Tage erhalten hat,
trotzdem sie in ihrem Pentateuch das endende n (h) nicht
schreiben. Sie sprechen altimma, imma, itkimma usw., man
vergleiche das von Heinrich Petermann veröffentlichte
Transkriptionsmaterial in Abb. f. d. Kunde des Morgenlandes,
V, 1 (Leipzig 1868) und Fritz Diening. Das Hebräische bei
den Samaritaneren . . ., Bonner Orieutalistische Studien, 24,
Stuttgart 1939. Auf der andern Seite weisen die andern alten
Rollen, die zweifellos jünger als die Jesaia-Rolle sind, das
endende n (n) nicht mehr auf, und der Transkriptionstext,
den Origenes in seine Hexapla als zweite Kolumne aufgenommen
hat und der zweifellos auf ganz offizielle jüdische
Kreise zurückgeht, beweist, daß die Juden die in der Jesaia-
Rolle bezeugte Aussprache längst aufgegeben hatten. (Siehe
meinen Artikel „Die Aussprache des Hebräischen bei den
Samaritanern", der für die Bertholet-Festschrift im Druck ist.)

Das Bulletin of the American Schools of Oriental
Research (111, Okt. 1948, S. 2—24) bringt nach einer
„Editorial Note on the Jerusalem Scrolls" (S. 2—3) vom
Herausgeber, Prof. Albright, einen Artikel von Dr. trever
,,Observation on the Jerusalem Scrolls" (S. 3—16), der
sich aber auf die Beschreibung des äußeren Befundes der
Rollen beschränkt, und einen von Miliar Burrows „Variant
Readings in the Isaiah Manuscript" (S. 16—24), der fortgesetzt
werden soll. Dazu werden Proben von Photographien der
Handschriften im Besitze der Syrer gegeben, die um so notwendiger
sind, als Abdrucke von Textproben vollkommen
fehlen. Trever bildet von der Jesaia-Rolle Kol. 33 ab mit