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Ausgabe:

1949 Nr. 12

Spalte:

748-750

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Geulincx, Arnold

Titel/Untertitel:

Ethik oder über die Kardinaltugenden 1949

Rezensent:

Köhler, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 12

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Spannung von Reich Gottes und Welt bedrängt sie nicht, die
eschatologische Bezogenheit des urchristlichen Ethos ist noch
nicht wieder errungen, groß ist der Abstand zum neutesta-
mentlichen Ethos überhaupt. Wie ganz anders gesättigt von
urchristlichem Geist erscheint daneben das 1948 in der
Schweiz erschienene, dem Verf. unbekannte Werk von Heinz
Zwicker „Reich Gottes, Nachfolge und Neuschöpfung". Mit
diesem großen Wurf ist eine neue so notwendige Bewegung in
das ethische Denken gekommen, die sich hoffentlich auch im
Bereich der deutschen theologischen Ethik fruchtbar auswirken
wird. Dann wird auch die Frage unseres Verhältnisses
zum allgemeinen Leben oder zum abendländischen Ethos insgesamt
, die Fremgen als die vordringendste Aufgabe ansieht,
vielleicht einer Beantwortung entgegeugeführt werden, die sowohl
Anerkennung als Angriff einschließt, die nicht Kompromiß
ist, sondern Entscheidung aus einer notwendigen
Dialektik.

Vom Stil wäre auch zu reden. Offenkundig fehlt die letzte
Feile, manche Sätze entbehren der faßlichen Deutlichkeit.
Unsere wissenschaftlichen Bücher sind weithin zu schnell geschrieben
, — die Sprache ist auch danach. Das Bemühen, ein
Kunstwerk hinzustellen, wie man das in anderen Sprachgebieten
findet, ziert uns nicht.

Möge es dem Verf. gelingen, in Teil II die Vertiefung
der Probleme, die ich hier noch vermißt habe, nachzuholen
und zur Geltung zu bringen.

Tübingen Georg Welirung

Weber, Otto: Die christliche Freiheit und der autonome Mensch.

München: Chr. Kaiser 1949. 24 S. 8°= Theologische Existenz heute. N.F.
Nr. 16. DM 1.20.

Das Leben des abendländischen Menschen ist, so hören
wir, vor der Aufklärung durch Mächte bestimmt, die ihm gesetzt
sind, irrationale, metaphysische Mächte. In der Aufklärung
, deren Vorgeschichte in das Mittelalter zurückreicht,
wird dieses Gefüge gelockert, schließlich in Vernunft aufgelöst,
rational durchsichtig. Das frühere Verhältnis kehrt sicii um.
Verfügten die irrationalen Mächte über den Menschen, so verfügt
jetzt der rationale Mensch über die Mächte. Er glaubt
an seine Autonomie, glaubt es nur noch mit Tatsachen zu tun
zu haben und schafft sich selbst seinen Staat, seine Wirtschaft,
seine Wissenschaft. Aber das 19. Jahrhundert deckt seinen
Irrtum auf. In der Welt der nackten Tatsächlichkeit ist der
Mensch zum bloßen Objekt geworden, Objekt staatlicher Beherrschung
, der Wirtschaft, der Maschine. Die vermeintliche
Autonomie war das Vorspiel der Vermassung. — Diese Geschichtsanalyse
wird an vielen Beispielen gut veranschaulicht.
Uber Einzelheiten könnte man streiten, z. B. daß der „Nationalismus
in der seitherigen Form" erst „auf dem Boden der
Aufklärung möglich" wurde. Das ist sehr zeitgemäß gesagt,
aber man könnte diesen Prügelknaben von heute wahrscheinlich
ebenso gut als Posthumus des sonst so total überwundenen
Irrationalismus ansprechen. Natürlich bekommt auch „die
Reformation wenigstens auf deutschem Boden" ihr Teil, weil
sie ein Pathos des Gehorsams erzeugte, statt wie im Westen
ein Pathos der Freiheit. Nach allem, was sonst gesagt wird,
müßte das ein Lob sein. Es ist aber als Tadel gemeint. Aber
es ist besser, man fängt hier nicht erst an zu bohren, sonst
fällt auch noch der Humanismus aus der Rolle heraus, die ihm
hier zugedacht ist, denn seine Vertreter haben sich weder gegen
Luther noch im Bauernkrieg so verhalten, wie sie sich als vermeintliche
Schrittmacher der Aufklärung eigentlich verhalten
haben müßten.

Aber trotz allem, im ganzen ist der Geschichtsaspckt
Webers möglich und wir stimmen ihm, worauf er besonders
Gewicht legt, darin bei, daß nicht in einer Restauration das
Heil liegt und daß wir mithin auch nicht hinter die Aufklärung
zurück können. Theologisch zeitgemäß ist dann
auch die Entgegensetzung der christlichen Freiheit, so wie sie
Weber verstellt: „Wir sind allein dadurch frei, daß wir nun
wirklich einen Herrn bekommen (Christus). Die Knechtschaft,
in der wir existieren, hat ja gerade deshalb Bestand, weil wir
keinen wirklichen Herrn haben, sondern uns zu unseren
eigenen Meistern machen und eben dadurch verlieren, was wir
begehren" (S. 15). Fraglich nur, ob sich ein Mensch im Kolchos
wirklich einbildet, sein eigener Meister zu sein und ob
nicht die Zeit, wo diese Gegenüberstellung von Autonomie
und Freiheit = Alleinherrschaft Gottes den Kairos traf, bereits
wieder vorüber ist. Von der anderen Hälfte der Freiheit
eines Christenmenschen, an die Luther glaubte, ist hier leider
ganz und gar nicht die Rede. Es wäre gut, wenn sich Theologie
und Kirche auch einmal wieder des nicht herrschenden.

sondern helfenden Christus der Evangelien erinnerten und der
Welt das Erlöstsein durch die christliche Bruderschaft demonstrierten
.

Erlangen W. Eiert

Geulincx, Arnold: Ethik oder Über die Kardinaltugenden (Fleiß, Gehorsam
, Gerechtigkeit und Demut). Übers, u. eingel. v. Georg Schmitz.
Hamburg: Meiner [1948]. XVI, 72 S. 8°= Neue Philosophische Bibliothek
Bd. 2.

Dr. Georg Schmitz hat im Verlag Richard Meiner in Hamburg
eine Ubersetzung und Neuausgabe des ersten Traktates
der Ethik des Arnold Geulincx veranstaltet. Es ist das Hauptwerk
eines niederländischen Philosophen des 17. Jahrhunderts
(1625—1669). In der Einleitung gibt Schmitz einen Überblick
über die Geschichte dieser Ethik und ihrer Deutungen in der
Geschichte der Philosophie. Er will Geulincx als Mystiker verstehen
und betont anderseits seine Beziehung zu Spinoza und
Kant; mit Spinoza verbinde ihn das Prinzip der Gottesliebe,
mit Kant die gänzliche Ausschaltung des persönliclien Interesses
als Motiv moralischen Handelns.

Es folgt dann die Übersetzung der Ethik selbst. In der Einleitung zeigt
sich Geulincx als rationalistischer Philosoph, dessen Rationalismus noch
frommer Rationalismus ist. Er ist überzeugt, dali alle entscheidenden Erkenntnisse
auf dem vernunftmäßigen Wege gewonnen werden können; das
Wort Gottes kann nur als Mikroskop dienen, das alles, was die Natur an sich
erkenntlich macht, nur deutlicher zeigt und dadurch zu einem wichtigen Hilfsmittel
natürlich-sittlicher Erkenntnis wird (S. 2 ff.). Die grundsätzliche Untersuchung
über das Wesen der Tugend beginnt er mit der Frage nach dem Wesen
der Liebe. Er unterscheidet Affekt- und Tatliebe; innerhalb der Tatliebe ist
wiederum zwischen wohlwollender und begehrender Tatliebe zu unterscheiden.
Auf diese drei Arten der Liebe kann aber eine Tugendlehre nicht begründet
werden, sondern nur auf eine vierte, auf die gehorchende Tatliebe. „Wir können
nämlich die Vernunft, die wir in der Tugend lieben, nicht anders lieben als
durch den festen Vorsatz, einzig das zu tun, was sie selbst gebietet" (S. 10).

Damit wird deutlich, daß Geulincx seine Ethik auf den Gehorsam der
Vernunft gegenüber begründen will. Tugend ist gehorsam gegenüber der Vernunft
„und nicht eigentlich gegenüber Gott" (S. 10). Gott müssen wir notwendig
gehorchen, der Tugend gehorchen wir in Freiheit. Dabei betont er,
daß die Tugend eine erworbene Eigenschaft ist. Die Vernunft ist für Ihn das
Ebenbild der Gottheit im Menschen. In der Vernunft erfassen wir das Wesen
Gottes. Diesen Grund erfaßt aber weder Denken noch Fühlen, sondern allein
die gehorchende Tatliebe. Damit kommt in der Tat ein mystischer Zug In das
Denken dieses Philosophen. Der Tugend gibt sich der Mensch hin ohne Erwartung
eines Lohnes. Deshalb wendet er sich scharf gegen den Eudämonis-
mus und behauptet, dieser lehre eine verdrehte Vernunft. Die wahre Vernunft
könne man nur selbstlos lieben. Aus dieser Liebe ergeben sich für ihn dann die
vier Kardinaltugenden des Fleißes, des Gehorsams, der Gerechtigkeit und der
Demut. „Der Fleiß besteht in einer gründlichen und stetigen Abkehr von den
äußeren Dingen und einer tiefen Hinwendung zu sich selbst, zu seinem innersten
Heiligtum, um dort bei jeder Gelegenheit das Orakel der Vernunft zu befragen
" (S. 14).

Aus diesem Fleiß entspringt dann jene Weisheit, die allein den Menschen
auch das rechte Tun lehrt. Auf die Erkenntnis der Weisheit, die aus
dem Fleiß gewonnen ist, muß die Tugend des Gehorsams folgen. Die Vernunft
und Wahrheit wollen nicht nur erkannt sein, sondern man muß diese
Erkenntnisse auch in die Tat umsetzen. Die Frucht des Gehorsams ist die
Freiheit. Wer aus Liebe zur Vernunft gehorcht, ist damit aller Welt gegenüber
frei; er tut das, was ihm befohlen wird, nur wenn er vernünftig ist; aber
wenn er das tut, dann tut er es nicht, weil es ihm von einem Menschen befohlen
wird, sondern allein, weil es ihm die Vernunft gebietet und ohne Rücksicht
auf menschlichen Lohn oder menschliche Strafe; dadurch also, durch die
reine Liebe zur Vernunft und den liebenden Gehorsam, wird der Mensch wirklich
frei der Welt und dem Menschen gegenüber. „Die Gerechtigkeit wird nach
dem Gehorsam gebroen. Denn die Gerechtigkeit setzt eine Handlung voraus,
von der sie (was ja ihre Aufgabe ist) das Überflüssige wegnimmt und das Fehlende
ergänzt; geschehen aber läßt jene Handlung der Geho-sam" (S. 21).

Diese Gerechtigkeit besteht in Reinheit und Vollkommenheit; die Reinheit
beseitigt das Zuviel, die Vollkommenheit ergänzt das Zuwenig. Die
Frucht der Gerechtigkeit ist das Genug. „Der Gerechte hat also allein die
Fähigkeit genug zu tun; alle übrigen tun entweder zu viel oder zu wenig"
(S. 25).

Alle drei Tugenden aber müssen getragen sein von der Demut, die
Geulincx als die eigentliche Kardinaltugend ansieht. Demut äußert sich in
der Gerechtigkeit, da es zu echter Gerechtigkeit nur auf dem Boden der
Selbstverleugnung kommt; ebenso ist in allem echten Gehorsam jene Demut
lebendig, die nichts anderes kennt, als sich nur um sich selbst zu kümmern.
Schließlich ist auch der echte Fleiß nichts anderes als demütiger Gehorsam
gegenüber der Vernunft. In der Betrachtung der Demut geht Oeulincx nun
aus von einer Selbstbetrachtung des Menschen. Er entwickelt dabei eine
eigenartige anthropologische Auffassung, die man geistcsgeschichtlich Okka-
sionalismus genannt hat. Jedes Wesen kann nur das ausführen, von dem es
weiß, wie es geschieht. Da dies die Materie nicht vermag, kann ihr keine Wirksamkeit
zukommen; ebensowenig kann aber die Seele erkennen, wie sich eine