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Ausgabe:

1949 Nr. 12

Spalte:

745-747

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fremgen, Leo

Titel/Untertitel:

Ethik 1949

Rezensent:

Wehrung, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 12

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der evangelisch-kirchlichen Männerarbeit erwachsen sind, zumeist
aus der Zeit des Kriegsendes stammen und an ihrem
Teil mithelfen wollen an einem rechten .Neubau der evangelischen
Kirche. Die Themen sind: „Das Mysterium der Kirciie
Christi. Die Bibel, das Buch der Kirche. Die Kirche und ihr
Bekenntnis. Was ist es um die Sakramente ? Die Kirche und
ihr Amt. Dienende Kirche. Die Kirche in der gegenwärtigen
Stunde. Kann man auch außerhalb der Kirche Christ sein?"
So wird also von den verschiedensten Seiten her, unter steter
Bezugnahme auf Schrift und Bekenntnis (gerade auch auf die
Barmer Theologische Erklärung) und unter reicher Benutzung
älterer wie neuerer theologischer Arbeiten das Geheimnis der
Kirche deutlich zu machen und „Ehrfurcht, Dankbarkeit und
Liebe zu der Kirche zu erwecken" gesucht. Die einzelnen Vorträge
sind von unterschiedlichem Wert. Man wird bei mancher
lehrmäßigen Darstellung oder auch praktischen Forderung
seine Fragen haben. Doch im Ganzen handelt es sich um eine
gute laiendogmatische Einführung in das „Mysterium der
Kirche Christi".

Berlin Harald Kruska

ETHIK

Fremgen, Leo, Lic. Dr.: Ethik. Teil I. Erlangen: Verlag von der Brüggen
HI4U. 136 S. 8U= Evangelisches Theologie-Studium, hrsg. v. H.Paulus.
Bd. 6. Kart. DM5.60.

Diese Ethik ist ein Glied einer von H. Paulus herausgegebenen
Schriftenreihe Evangelisches Theologicstudmm, die
sich, von jungen Gelehrten geschrieben, vorab an Studierende
und sonst eine kurze Autwort suchende, im Beruf stehende
Tueologen wendet. Vorgelegt ist zunächst Teil I, der die grundsätzliche
Erörterung der ethischen Probleme in der Auseinandersetzung
mit Ueii charakteristischsten allgemeinmensch-
üchen und religionsgeschichtUchen Lösungsveisuchen bringt,
während Teil Ii das Leben des Christen in Ehe, Beruf, übergeordneten
Gemeinschaften verfolgen will. Ethik stellt sich
dabei als Einheit von Phänomenologie und Lehre von den
wahren Normen dar; sie tritt selbstänuig neben die Dogmatik,
um eine Verkürzung des Menschenbildes zu verhüten; sie übt
eine apologetische Funktion, indem sie das christliche Verständnis
vom persönlichen und öffentlichen Leben als die gültige
Anschauung vom Leben überhaupt erweist. Einer Erhellung
der hier besprochenen Fragen dient das Kapitel „Geschichte
der ethischen Disziplin", das von der Antike
bis zu unserer Zeit führt, gelegentlieh nur Namen, wenn auch
meist mit kurzen Etiketten nennt, beim Ethos der Bergpredigt
oder bei der retormatorischeii Ethik laugst nicht genug
in die Tiefe dringt (hier brechen für uns die Probleme auf!),
auch die Philosophie herbeizieht, Kant freilich zu einseitig der
Aufklärung verhaftet sieht, im übrigen Studierenden einiges
Brauchbare bietet. Verf. meint, mit diesem Längsschnitt den
üblichen Aufbau unserer Ethik zu bereichern; er weiß nicht,
datier an der Ethik von E.W. Mayer (1922) einen Vorläufer hat,
der sich um seinen Gegenstand doch erheblich genauer bemüht
. Es folgt eine Gegenüberstellung der theologischen
und philosophischen Ethik; diese gründe sich auf
einen „Naturnomos", wie ihr nur das Buch der Natur aufgeschlagen
sei, jene habe das in der Heiligen Schritt niedergelegte
Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe je für ihre
Zeit zu aktualisieren, — eine etwas populäre Inhaltsbestimmung
des christlichen Ethos, über die hinaus es nur noch der
apologetischen Darlegung zu bedürfen scheint; ein tieferes
Eindringen in das neutestamentliche Ethos insgesamt und die
vor ihm sich erhebenden Fragen unserer Stellung zur Welt ist
zu vermissen. So stehen sich theozentrische Heteronomie und
humanistische Autonomie unversönlich gegenüber, — gibt es
nicht verschiedene Formen eines theistischeu Ethos, ist jedesmal
in gleicher Weise von Heteronomie zu reden, könnte nicht
die Heteronomie eine Gestalt annehmen, in der sie zugleich
über sich selbst hinauswächst? Dann wird die katholische
Ethik gegenüber der protestantischen beleuchtet (Hierarchis-
mus, Dogmatismus, Platonismus, Humanismus; Vereinigung
der Gegensätze, nicht bloß Weltflucht, sondern auch die actio
catholica). Ziemlich eingehend äußert sich Verf. auch über die
Sonderart von lutherischer und reformierter Ethik
(für letztere bezeichnend: Leben als Dienst an Gottes Herrschaft
, kein Zusammenhang von Natur und Offenbarung, forcierte
Reichs-Gottes-Ethik, Sclieinentfaltung der Individualität
, Heiligungserweis; für erstere: Ethos des Gehorsams und
des Hinnehmens, womit ah sich keine Vergötzung des Staates
gegeben sei; weltoffene Durchdringung des neutralen Lebens
Lebens mit christlichem Ethos und Gestaltungswillen, doch
weniger Weltgestaltung als Menschengestaltung).

Der nächste große Abschnitt „Anthropologie und
Psychologie zur Ethik" wiii die humanen Voraussetzungen
ethischen Seins und Handelns überhaupt aufdecken. Der
Glaube an die Offenbarung Gottes hindert nicht an der vorurteilsfreien
Betrachtung des menschlich sittlichen Lebens.
Also der Absicht nach eine großzugige, auf die Grundlagen
zurückgehende Apologetik, die auch von der Begrenztheit des
bibliscneu Schöpiungsmythus weiß, ja von der Notwendigkeit
einer Entmythologisierung der bihiischen Berichte offen redet.
Das Ethische ist als Instinkt und Anlage im Menschen anzuerkennen
, ganz gleich, wann es zum erstenmal in das Bewußtsein
trat, um ihn von da ab nicht mehr zu verlassen und ihn
weiter als Frage zu beunruhigen. Asketische Neigungen hat es
auch vor dem christlichen VollkoinmenheitsstreDen schon gegeben
, woraus folgt, daß sich das Ethos nicht als Lebenshhfe
im Sinne des Eudämouismus entwickelt hat. „Der Naturalismus
kann dem Phänomen des Ethischen nicht gerecht werden
." Sodann legt die ethische Psychologie die Geschichte des
Ethos positiv dar, erörtert seinen sozialen Charakter, arbeitet
die Funktion des Gewissens heraus, geht besonders auf die
Beziehung von Gewissen und Norm oder Nomos ein, — allzu
beiläufig hören wir, daß beim Christen der Nomos, den er aus
Liebe befolgt, obwohl er ihn nicht selbst aufgestellt hat, doch
sein eigener Nomos wird, so daß die Liebe als Gesetzeserfüllung
die Aufhebung des Nomos als heteronomer Größe
ist, wie, nach einer bald folgenden Bemerkung, Jesus die Liebe
selbst, also die von ihm geforderte Haltung in Person ist und
so das Ende des Nomos bedeutet. Die Tragweite dieser Feststellung
für das Verständnis des christlichen Ethos wird freilich
nicht mehr erwogen, die Verwicklungen im Nomosbegriff
selbst bleiben verborgen. Fernerhin ist, das Verhältnis von
Ethos und Religion als selbständiger, doch zusammengehörender
Größen besonnen behandelt. Angefügt ist eine Typologie
ethischer Haltungen (stellen das Ethos des aktiven
Egoismus oder das Ethos des passiven Egoismus oder das
Ethos der Nüchternheit wirklich eigene ethische Typen dar ?).
Unter dem Titel der ethischen Hauptprobleme erörtert Verf.
endlich die allgemeinmenschlichen Phänomene der Schuld, die
nicht aus Naturverhänguis zu erklären ist, des Gegensatzes
von Gut und Böse, schließlich der Willensfreiheit als der Voraussetzung
jedes Ethos, wodurch ein absoluter Dualismus,
doch nicht uer anthropologische Dualismus im Sinne des pau-
liniachen GegenaatzWs von Geist und Fleisch ausgeschlossen
ist. So ansprechend im großen ganzen dieser Abschnitt ist, er
erreicht doch nicht die glänzende dialektische Aussprache
E. W. Mayers über die Entstehung und Begründung der sittlichen
Normen. Was soll aber in üer Literaturangabe die Fülle
der physikwissenschaftlichen Schriften ? Gehlens Buch über
den Menschen jedoch hätte nicht fehlen dürfen.

Der dritte und letzte Abschnitt „Christ und Ethos"
charakterisiert zunächst die ethischen Entscheidungen der
Weltreligionen, denen allen der Fatalismus anhängt, um dann
die Bedeutung der Erlösung für das Ethos aufzuzeigen. Jetzt
wächst der Imperativ aus einem Indikativ heraus, womit freilich
, ohne weiter beunruhigend zu wirken, ganz neue Züge im
Bilde des Sittlichen sichtbar werden. Freiheit als christliche
ethische Existenz verwirklicht sich deshalb erst auf Grund der
Wiedergeburt, der religiösen Befreiung vom Ich selbst, aus der
Kraft des Heiligen Geistes, wie der Mensch außer Christus
nichts für sein Heil tun kann. Wie verträgt sich, ist zu fragen,
eine solche Auskunft mit dem voraufgehenden Satz von der
allem sittlichen Leben zuzusprechenden Willensfreiheit ? Hat
Luther wirklich diese Willensfreiheit gelehrt, hat er nicht vielmehr
die Knechtschaft des menschlichen Willenslebens bei
aller Würdigung seiner Eigenart vertreten ? Melanchthon
und das Luthertum, soweit es von ihm beeinflußt war,
sind allerdings von ihm abgewichen, sie berühren sich hierin
mit A. Ritsehl, dein auch die Streitschrift gegen Erasmus unheimlich
vorkam. Wie notwendig ist es, von der sog. Willensfreiheit
weniger einlinig und eindeutig, vielmehr dialektisch zu
reden! Ein letztes Stück führt die Ethoshilfen an, die uns
hauptsächlich aus der kirchlichen Gemeinschaft zuteil werden.
So findet zugleich die Frage des persönlichen Lebens Berücksichtigung
. —

Überblicken wir das Ganze, so fällt zwar angenehm auf,
daß die übliche Dublette zur Dogmatik, die Entfaltung einer
Sündeulehre, vermieden ist. Ebenso übernimmt Verf. nicht
den individualistischen Einsatz der alten Erlanger Ethik bei
der Wiedergeburt. Die Frage nach dem Objektiven stellt voran
. In der Hauptsache dürfte diese Ethik den durchschnittlichen
ethischen Standpunkt unserer Theologie wiedergeben.
Es haftet ihr etwas merkwürdig Zeitloses an, sie könnte nämlich
vor den zwei Weltkriegen geschrieben sein, wie das von
den meisteh umlaufenden theologischen Ethiken gilt. Die