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Ausgabe:

1949 Nr. 12

Spalte:

744-745

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lutze, Hermann

Titel/Untertitel:

Das Mysterium der Kirche Christi 1949

Rezensent:

Kruska, Harald

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 12

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lieferung der Kirche mit ihren besonderen .Ereignissen und
Mächten, Gestalten und Wahrheiten', mit ihren Dogmen und
Konfessionen, mit ihren Kultformen und Ordnungen" darf
nicht die Fessel des Wortes von Gottes Gnade sein (19). „Weil
sie Gnade ist, darum mag es unter dem strahlenden Humor
Gottes nach wie vor auch .bekenntnisbestimmte Kirchen'
geben, die es noch einige Jahre oder Jahrzehnte Gott befehlen
mögen, was das — nämlich was die 1934 endlich gemeinsam
erkannte und bekannte freie Gnade — für ihre Zukunft bedeuten
möge. Gnade ist geduldig" (20). ,,Die sie (sc. die Botschaft
von der freien Gnade) ausrichten, können sie nicht einbeziehen
in das Svstem irgendeiner Philosophie, Weltanschauung
oder Lebensauffassung" (26). ,,,Das Wort Gottes ist
nicht gebunden': nicht gebunden an irgendein ,Vorverständnis
' unserer Existenz, unserer Situation, unserer kirchengeschichtlichen
, geistesgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen
Lage" (27). Die Kirche „hat sie nur auszurichten wie ein
Briefträger seine Bestellungen" (27). — Aber ist der Begriff
der freien Gnade wirklich tragfähig genug für diese Polemik ?
Beruft sich nicht auf ihn (mit geringen Akzentverschiebungen)
jede der hier bekämpften Positionen (einschließlich der römischen
) ? — Im ganzen eine eindrückliche, wenn auch Widerspruch
herausfordernde Schrift, die uns da als Heft 14 der
Schriftenreihe „Kirche für die Welt" vorgelegt wird.

Dersekow bei Grcifswald E.Schott

Fremgen, Leo, Lic. Dr.: Barmen und der Bau der Evangelischen

Kirche in Deutschland heute. Protokoll der Arbeitsgemeinschaft Barmen
im „Bund für lebendige Kirche". Bielefeld: Bechauf [I946/47J. 40 S. 8°.
DM 1.—.

Die vorliegende Schrift über Barmen ist nicht einheitlich-
Uberwiegend vertritt sie den Standpunkt, daß die Theologische
Erklärung von Barmen gleich den Bekenntnissen der
Reformation selbst ,,Bekenntnis" sei. Jedoch kommt auf
S. 2off. eine dissentierende „lutherische Stimme" zu Worte:
Die Barmer Erklärung sH wohl in ihrer klaren Richtung gegen
die DC bekenntnisgomäß, aber ihre Erhebung zum Bekenntnis
würde eine „Loslösung von der speziellen DC-Oegner-
schaft" (30) bedeuten und die Anmeldung erheblicher theologischer
Bedenken seitens des Luthertums notwendig machen.
Beispiele für solche Bedenken werden auf S. 31 gegeben.

Dieser Streit um den Bekenntnis-Charakter von Bannen
hat seine kirchenpolitische Aktualität in der Stellungnahme
zur VELKD. Ist Barmen ein Bekenntnis und damit ein Schritt
über Marburg hinaus, so ist die VELKD schärfstens zu verurteilen
als „Menschenmachwerk und -eigensinn" (4), als
„pharisäisierende Sektiererei" (16), als „schismatisch-ortho-
doxe Kirchenbildung" (16), als „Schisma zwischen dem deutschen
Luthertum und der Deutschen Evangelischen Kirche"
(i6f.), als „willkürliche und lieblose Aktion" (18), als bloße
„Pose der Reformation" (19). Hat aber die Barmer Erklärung
im wesentlichen nur historische Bedeutung, so ist der Zusammenschluß
der lutherischen Kirchen in Deutschland eine
„selbstverständliche Pflicht, nachdem jetzt erstmalig die
Rechtsgrundlagen für eine Aufspaltung in zahlreiche .Landeskirchen
' hinfällig wurden" (32). übrigens beruft sich die
„lutherische Stimme" auch auf Ziffer 5 a der Barmer Erklärung
zur Rechtslage.

Wir versuchen die beiden Standpunkte gegeneinander
abzuwägen. Bei beiden ist das contra überzeugender als das
pro. Sicherlich ist gegenüber der Gefahr konfessionalistischer
Verengung eine Warnungstafel am Platze. Die heutigen innerprotestantischen
Gegensätze wurzeln nur zum Teil im 16. Jahrhundert
. Seit damals hat sich die Lage grundlegend gewandelt,
so daß wir die einst gefällten Entscheidungen nicht mehr einfach
nachvollziehen können. Die gegenüber früher allenthalben
erweichte Haltung in der Frage der Abendmahlsgemeinschaft
ist symptomatisch.

Wenn man aber nun im Kampf gegen lutherischen Konfessionalismus
die Barmer Theologische Erklärung als neues
Bekenntnis preist, so wird dabei eine theologische Position
entwickelt, die stärksten Bedenken unterliegt. Was soll z. B.
ein Satz wie dieser: „In der christlichen Kirche geht es in
erster Linie um das Christentum" (3) ? Muß es nicht richtiger
heißen: um das Evangelium ? Oder sollen etwa Evangelium
und Christentum identisch sein ? Doch wohl nicht! — Ebenso
problematisch ist folgende Aussage: Die kirchliche „Verkündigung
gründet in der Heiligen Schrift und ist ihrem inneren
Gehalt nach immer die gleiche. Sie verkündet Christus als den
Herrn der Kirche und als ihren Herrn allein" (8). Christus als
der Herr der Kirche soll also der Inbegriff der immer gleichen
kirchlichen Verkündigung sein! Das ist zumindest schief und
zu eng. Das Nene Testament verkündet Chrislus als den Heiland
der Welt. Es scheint überhaupt an der Zeit zu untersuchen
, wo die heute zum Schlagwort gewordene Rede von
Christus als dem Herrn der Kirche ihren Ursprung und in
welchen Grenzen sie ihre Berechtigung hat.

Und dann die Vorstellung, daß die Kirche immer am Bekenntnisbilden
sein müsse! Als wenn die Zeiten, in denen die
Kirche nicht „Bekenntnisse" (im technischen Sinne) schüfe,
tote Strecken in der Kirchengeschichte wären! „Daß die
Kirche seit der Schaffung der sog. altkirchlichen Symbole ein
Jahrtausend lang sich nicht mehr zur Bekenntnisbildung entschließen
konnte, hatte sich durch den Sturm der Reformation
innerkirchlich selbst gerächt" (9). Hier dürfte kaum das reformatorische
Verständnis vom Bekenntnis zugrunde liegen,
eher schon das römische von der Zusammengehörigkeit von
Schrift und Tradition und von der mit der Kirchengeschichte
fortschreitenden Ausbildung des kirchlichen Dogmas. Die
Augustana und späterhin die Symbolischen Bücher verstehen
sich selber nicht als Fortsetzung der mit der alten Kirchen
unglücklicherweise abgebrochenen Bekcnntnisbildung innerhalb
der christlichen Kirche (übrigens hat das Mittelalter in
seinem Sinne sehf intensiv am Dogma gearbeitet!), sondern
als Darlegung des neu entdeckten Evangeliums zu einem ganz
bestimmten politischen und staatsrechtlichen Zwecke. Die geschichtliche
und staatsrechtliche Situation von damals ist vergangen
und damit auch die damalige Nötigung zur Bekenntnisbildung
. Darum ist die Barmer Theologische Erklärung
schon deshalb nicht Svmbol im technischen Sinne wie die Bekenntnisschriften
, weil diese einer unwiederholbaren geschichtlichen
Situation angehören. Der ersehnte Schritt überMarburg
hinaus ist längst getan auf vielen Gebieten, z. B. dem der
Inneren Mission, und auch in gemeinsamen Kundgebungen,
unter denen auch Barmen seinen wichtigen Platz hat; aber
ein Unions-,,Bekenntnis" ist Barmen nicht und wollte es auch
nicht sein, und man wird gut tun, überhaupt von neuen „Bekenntnissen
" nicht die Erneuerung der Kirche zu erwarten.

Der „lutherischen Stimme" wird also Recht zu geben
sein, wenn sie die Barmer Erklärung nicht in eine Linie mit
den Symbolischen Büchern rücken will. Aber was soll der Begriff
: „Bekenntnis von kirchengründender Bedeutung (im
Sinne von CA. 7)" (29) ? Oder: „kirchengründendes Bekenntnis
im Sinne der altkirchlichen oder reformrttorischen Bekenntnisse
" (30) ? Sind das Apostolikum oder die Augustana
„kirchengründend"? Die Kirche gründet sich doch auf beide
nicht; denn sie war früher als beide. Und vom Apostolikum
kann man überdies nicht einmal sagen, daß es epochemachend
gewesen wäre; die Augustana dagegen und mit ihr die Symbolischen
Bücher insgesamt bezeichnen eine kirchengeschicht-
liche Epoche; in ihnen tritt im Gegensatz zu Rom (und zu
den Schwärmern) eine erneuerte, die evangelische Kirche in
die Geschichte ein. Aber darf man die Bekenntnisschriften
darum „kirchengründend" nennen ? Diese Bezeichnung ist zumindest
ungenau. Und überdies empfiehlt es sich nicht, die
altkirchlichen und die reformatorischen Bekenntnisse so in
Vergleich zu setzen, wie es die „lutherische Stimme" tut. Die
altkirchlichen Bekenntnisse haben ihren Platz in den Symbolischen
Büchern und bilden als deren Bestandteil mit die
Bekenntnisgmndlage der evangelischen Kirche, .aber ihre geschichtliche
Bedeutung in der alten Kirche kann doch nur von
ferne mit der geschichtlichen Bedeutung der refonnatorischen
Bekenntnisse parallelisiert werden.

Schließlich kündigt sich die Gefahr des lehrgesetzlichen
Mißverständnisses an in einem Satze wie dem: Die Sätze der
Banner Erklärung „sind nur dann von Gewicht, wenn sie in
Kontinuität mit dem Bekenntnis der lutherischen bzw. der
reformierten Kirche stehen" (30). Aber vielleicht soll mit dem
etwas unscharfen Ausdruck „Kontinuität" auch nur einer un-
geschichtlichen Mißachtung der Bekeuntnisunterschiede gewehrt
werden.

Im ganzen ist die vorliegende Schrift ein lehrreiches Dokument
des heute nun schon etwas der Vergangenheit angehörenden
Streites um den Bekenntnis-Charakter von Bannen.

Dersekow bei Grcifswald E. Schott

Lutze, Hermann: Das Mysterium der Kirche Christi. Gütersloh: Der

Rufer, Ev. Verlag [1948]. 176 S. kl. 8°. Pp. DM4.50.

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehute drängen dazu,
Löhes tiefes Wort zu verstehen, daß die Kirche der große Gedanke
sei, der noch in Erfüllung ist. Es besagt jedenfalls
etwas, daß es zu einem Ringen um die rechte Lehre von dem
Wesen der Kirche und um ihre Gestalt und Ordnung gekommen
ist. Und es erweist sich als dringlich, der Gemeinde
den neuen, reformatorischen Kirchengcdanken bewußt zu
machen. Die Schrift von Hermann Lutze, einem Vertreter der
Bekennenden Kirche Wuppertals, ist von die sem Anliegen her
zu würdigen. Sie enthält eine Reihe von Vorträgen, die aus