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Ausgabe:

1949

Spalte:

734-736

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pfennigsdorf, Emil

Titel/Untertitel:

Der Menschensohn 1949

Rezensent:

Oepke, Albrecht

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Theologische Literaturzeitung 19,49 Nr. 12

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logie ist eine Form unseres Denkens, deren wir uns
niemals entledigen können, die darum aber auch in gültiger
Form und dem wissenschaftlichen Erkennen vollkommen
ebenbürtig ihren Gegenstand beschreibt (S. 195). Das mythologische
Denken kann also nicht durch wissenschaftliches
Denken oder durch ein wissenschaftliches Weltbild abgelöst
werden (S. 196). Das mythologische Denken ist auch nur eine
Denkform, aber doch diejenige, in der Ubersinnliches allein
ausgesprochen und die Innenseite der Dinge allein zum Ausdruck
gebracht werden kann. So hat das mythologische Denken
eine Tiefendimension, die das wissenschaftliche Denken
nie erreichen kann, weil es nach dem Sinngehalt der Dinge
und Ereignisse fragt (= IIBK, zitiert von H. Thielicke S. 196).
In der Auseinandersetzung mit R. Bultmann stellt H. Thielicke
fest: 1. Ein geschichtliches Offenbarungsereignis in der Zeit
kann von Bultmann nicht in dem Sinn anerkannt werden, daß
es ein in die Wirklichkeit eingreifendes, sie veränderndes factum
(Wunder!) sei, sondern nur so kann von R. Bultmann das
Offenbarungsereignis anerkannt werden, daß es das Selbstver-
ständnis zustande bringt und entbindet. Es ereignet sich bei
R. Bultmann keine außermenschliche Wirklichkeit,
sondern es ereignet sich Bewußtsein (S. 185). 2. Uberall
da, wo ein bibelfremdes Prinzip, das der jeweiligen Zeitströmung
entnommen ist, zur Interpretation der Bibel verwendet
wird, rächt sich dieser Verstoß gegen ihre facultas se
ipsum interpretandi durch die Selbständigkeitstendenz jenes
Prinzips: Man braucht nur an den Kantianismus oder den
Idealismus in der Theologie zu denken (S. 187). 3. Bei R. Bultmann
ist nicht der Wille zur Unterscheidung zwischen zeitgebundener
Form und dem faktisch geschichtlichen Gehalt zu
beanstanden, sondern das methodische Prinzip seiner Verwirklichung
: das Prinzip nämlich, dem Selbstverständnis
der biblischen Menschen die Funktion eines Kriteriums
einzuräumen, mit dessen Hilfe zwischen Mythos
und Wirklichkeit unterschieden werden könnte (S. 195)4 Der
Beitrag von II. Thielicke ist insofern wertvoll, als hier der
Ubergang vom Selbstverständnis des Menschen zur Schriftauslegung
, von der Bedeutung eines Ereignisses auf das Ereignis
selbst versucht wird (S. 184—186). Es fragt sich aber,
ob dieser Ubergang der Aussage des NT entspricht, ob er der
reformatorischen Deutung des Christusgeschehens ganz gerecht
wird. Es stellt sich immer mehr heraus, daß die Aufgabe
der „Entmythologisierung" nicht von einem Prinzip oder
von einer bestimmten Methode gelöst werden kann, sondern
von der Sache allein, von der Exegese selbst angefaßt werden
muß.

Daher ist J. Schniewinds ,.Antwort an R. Bultmann"
(Thesen zum Problem der Entmythologisierung) eine gute
Hilfe bei der Durchprüfung der theologischen Begriffe und der
Abwehr spekulativer Konstruktionen. Der Vorwurf, bei Bultmann
ereigne sich nur Bewußtsein, muß nach einer Entscheidung
J. Schniewinds fallen. Bultmann kennt für das christliche
Selbstverständnis kein Bewußtsein, das nicht auf das geschichtliche
Ereignis des Heilsgeschehens bezogen wäre. Auch
darin behält Bultmann recht: es gibt keine Möglichkeit, ein
historisches Ereignis als Heilsereignis wahrzunehmen außer
in» ,,pro me" (S. 113). Zwischen J. Schniewind und R. Bultmann
entspinnt sich eine Kontroverse über den Begriff des
Eschatologischen, über die Beziehung des Geschichtlichen auf
das Historische, über den Unterschied des „Präsenten" von
dem „Eschatologischen" und über die Möglichkeit, die Zuverlässigkeit
der Tradition in den urchristlichen Glauben hineinzuziehen
(S. 115, 147). Hier liegen offene Fragen vor, an die
auch der sehr ausgewogene und klare Aufsatz von Fr. K.
Schumann anschließt (S. 215).

2. Der kleine Band „Entmythologisierung", zu dem
E. Wolf ein sehr lebendiges Vorwort schreibt, enthält außer
einem Neudruck des Gespräches J. Schniewind-R. Bultmann
einen kurzen Abdruck aus K. Barths Dogmatik III, 2 (S. 531
Wü 537), der deshalb besonders wichtig ist, weil die Behandlung
der Auferstehung Christi auch den Dogmatiker zur Auseinandersetzung
mit R. Bultmann zwingt. Barth nennt die
entscheidenden Motive, auf Grund deren er die Auferstehung
Jesu und seine Erscheinung als Auferstandener unter seinen
Jüngern als eine wirkliche, zu ihrer besonderen Zeit geschehene
Geschichte ansieht (S. 103). Man wird die methodische
Verschiedenheit, die durch das Nebeneinander von
K. Barth und R. Bultmann auffällig wird, ernst nehmen
müssen, weil sie sich bis auf die Grundfragen erstreckt und
weil sie sich auf die gesamte kirchliche Situation auswirkt.
Anderseits darf man diese methodische Verschiedenheit auch
nicht überschätzen, solange bei R. Bultmann das Streben so
stark heraustritt, der neutestamentliclien Botschaft und dem
reformatorischen Anliegen in eüiem stärkeren Maß gerecht zu

werden als es sonst weithin in der neutestamentliclien Exegese
geschieht. Es scheint allerdings, daß bei K. Barth die philosophischen
Bindungen seiner theologischen Botschaft im
Laufe der Jahre weithin zurückgetreten sind, daß sie aber bei
R. Bultmann um so stärker sich auswirken. Das bedeutet aber
nicht, daß die Exegese von R. Bultmann weniger ernst zu
nehmen ist: sie hat in ihrer methodischen Strenge und in der
Schärfe des historischen Blickes auch in der Gegenwart eine
außerordentliche Bedeutung, so daß es sachlich unberechtigt
ist, sich durch eine bloß polemische Haltung ihren Fragen zu
entziehen. Die inzwischen erschienenen Untersuchungen von
O. Cullmann (Christus und die Zeit, 1946), W. G. Kümmel
(Mythische Rede und Heilsgeschehen, Conjectanea Neotesta-
mentica XI, 1947) und E. Stauffer (Deutsches Pfarrerblatt
Nr. 18, 1949) zeigen, daß die neutestamentliche Exegese in
sehr verschiedener Form das Gespräch weiterführt. Der Vorzug
des Aufsatzes von J. Schniewind tritt gerade heute heraus.
Es geht um die Prüfung von Kategorien und Be-
griffeit.um die Deutung der Schriftaussage und der
reformatorischen Botschaft, nicht aber um die Einführung
einer anderen (biblizistischen, fundamentalistischen
, heilsgeschichtlichen) Konstruktion. Ob die Auseinandersetzung
E. Stauffers mit R. Bultmann (Deutsches
Pfarrerblatt Nr. 18, 1949) unter einem guten Vorzeichen steht,
läßt sich bezweifeln. Es scheint mir, als fehle hier ein wirkliches
Eingehen auf das Anliegen des theologischen Gegners
und eine Verkennung der Ungesichertheit auch der eigenen
wissenschaftlichen Position. Wir Theologen sollten bescheidener
und vor allem sachlicher sein, mag man ein Schüler oder
Gegner der Marburger Theologie sein.

3. An einem kleinen, nicht unwichtigen Punkt möchte
ich H. Thielicke auf eine Schwierigkeit aufmerksam machen.
Thielicke schreibt: „Es jst keine Umbildung der weltbildlich
gebundenen Mythologie in einen heutigen Mythos möglich.
Oder anders: es ist kein mythologischer Rahmenwechsel möglich
" (Bartsch S. 102). Diese These ist mißverständlich. Es
scheint mir, daß innerhalb des Neuen Testaments Tradition
und Interpretation sich gegenseitig bedingen, daß auch
ein „mythologischer Rahmenwechsel" im Urchristentum
keineswegs unmöglich war. Der Ubergang in den Hellenismus
vollzog sich unter ständigem Rahmenwechsel. Allerdings bleibt
dann diese Interpretation doch an die Tradition gebunden,
wird also der alte Rahmen keineswegs ersetzt (er ist ja nicht
nur Rahmen!), sondern er wird weitergegeben. Ahnliches vollzieht
sich auch in der Missionsgeschichte bis auf den heutigen
Tag. Em „mythologischer Rahmenwechsel" ist also keineswegs
unmöglich, wohl aber hat er eine andere Bedeutung als
etwa die des Ersatzes.

Ein weiteres kleines Bedenken gegen die Ausführungen
von K. Barth: In der Auseinandersetzung mit R. Bultmann
lehnt K. Barth die Bindung an ein „unwiderruflich durch die
Wissenschaft geformtes modernes Denken", an ein modernes
Weltbild mit Recht ab (Entmythologisierung S. 102). In
diesem Zusammenhang kann er sagen, daß sowohl das mythische
als auch das moderne Weltbild ein eigenes Verhältnis zur
christlichen Verkündigung haben, daß also das moderne Weltbild
keineswegs ohne weiteres akzeptiert werden kann. Und
doch fragt man sich, ob nicht eine ständige Ubersetzung und
Interpretation notwendig ist, um den Inhalt der heiligen
Schrift in die Ausdrucksweise und Denkform der Gegenwart
zu übertragen. Eine einfache Weitergabe der mythischen Ausdrucksweise
und Denkform kann kein wirkliches Verstehen
schaffen. Anderseits muß auch eine Umsetzung des mythischen
Denkens theologisch kritisch gesichert werden: eine willkürliche
und unsachgemäße Umsetzung des mythischen Denkens
ist keineswegs für die kirchliche Verkündigung ertragbar.

Zuletzt eine offene Frage: Sollte man nicht zwischen
„mythisch" und „mythologisch" unterscheiden?

Tübingen Otto Michel

Pfennigsdorf, Ludwig Emil Friedrich, Prof. D: Der Menschensohn.

Wesen — Geheimnis — Wirken. München: I. & S. Federmann [1948'.
184 S. gr. 8° = Ernst Reinhardt Bücherreihe. DM 6.50, geb. DM 8.—.

In der Uberzeugung, daß unter allen Stürmen historischer
Kritik die einzigartige Persönlichkeit Jesu als positiver
Ertrag übrigbleiben wird, verfolgt der greise Bonner
Theologe mit seinem Bekenntnisbuch einen dreifachen Zweck.
Er möchte philologisch und biblisch-theologisch die Fragen
klären, welche die zentrale Selbstbezeichnung Jesu aufgibt,
von da aus das Geheimnis jener Persönlichkeit entfalten und
den reizvollen, aber freilich verwickelten Stoff dem allgemeinen
Verständnis näherbringen.

Der erste Teil zeigt zunächst, für mich überzeugend, daß
allen sprachlichen und sachlichen Bedenken zum Trotz Jesus