Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1949 Nr. 12

Spalte:

731-734

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bartsch, Hans Werner

Titel/Untertitel:

Kerygma und Mythos 1949

Rezensent:

Michel, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

731

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 12

732

folgt er weiter, wie seit der Wende der Perserkriege das Menschliche
sich immer deutlicher in den Zügen der Gottheit ausdrückt
und dann die suprahumane Erhabenheit allmählich
daraus zu entschwinden beginnt, bis in hellenistischer Zeit
schließlich der Götterkopf vor dem Porträt des divinisierten
Herrschers auf den Revers zurückweicht. Lange ist aber mit
gutem Grunde der Meinung, daß der Glaube an diese Wesen
nie ganz ausgestorben ist, und führt als Denkmal alter, wenn
auch nun bis ins einzelne realistisch ausgeprägter Götterwürde
noch eine Poseidonmünze des Antigonos Gonatas auf,
der mit wenigen andern Herrschern besonders frühhellenisti-
scher Zeit das göttliche Recht auf ein Münzbildnis nicht in
Anspruch genommen hat. Es ist ein farbenreiches Gemälde
der Götter und ihres Kultes, das der Verf. entrollt, aber den
Fragen der Religiosität gegenüber bewahrt er eine subtile Zurückhaltung
: das Innerste des Glaubens ist ihm ein Mysterium
, und im Gegensatz zu dem Versuch einer „Götter-
physiognomik" des Lanckoroiiskischen Buches glaubt er nichts
darüber ausmachen zu sollen, wieweit sich das Wesen jeder
einzelnen Gottheit in ihrem Bildnis ausdrücken ließ und was
der hellenische Betrachter beim Anblick der Münzdarstellungen
empfand. Aber von der Schönheit dieser kleinen Kunstwerke
, die freilich wie alles Griechische eine „schöpferisch erregende
Fremdheit" bewahren, weiß er in begeisterten Worten
zu künden, und es bleibt zu wünschen, daß diese Begeisterung
auf möglichst viele Leser überströmen möge.

Bonn Hans Herter

Otto, Rudolf: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen
und sein Verhältnis zum Rationalen. [26.—28. Aufl.] München: Biederstein
Verlag 1947. VIII, 222 S. 8°. Geb. DM7.50.

Das epochemachende Werk Rudolf Ottos, dessen 1. Auflage
1917 veröffentlicht wurde, erschien 1947 in 26.-28. Auflage.
Einer Besprechung bedarf dieses Buch, das in den drei Jahrzehnten
seit seinem ersten Erscheinen in Theologie und Religionswissenschaft
und weit darüber hinaus nachhaltige Wirkungen
zeitigte, nicht mehr. Vielen Jüngeren, zumal den heutigen
Studierenden, ist indessen R. Ottos Name und Werk
leider kaum noch bekannt. Das hängt mit der theologischen
Entwicklung zusammen, die vielfach und für viele zu einer
Einstellung führte, die die Ergebnisse religionswissenschaftlicher
Forschung, sehr zum eigenen Nachteil, glaubt unbeachtet
lassen zu dürfen. Mag nun auch an Ottos Werk manches
überholt sein, insbesondere etwa die enge Verbindung mit der
Kant-Fries'schen Religionsphilosophie, so bleibt die Grund-
erkenntnis des Buches, die Analyse des vom Heiligen bestimmten
Bewußtseins, wichtig und gültig für jeden, der sich
mit dem Phänomen der Religion beschäftigt. So ist es also zu
begrüßen, daß durch die Neuauflage des Buches die weitere
Wirkung auch im vierten Jahrzehnt seiner Existenz ermöglicht
wird.

Bonn Gustav Mensching

NEUES TESTAMENT

Bartsch, Hans Werner, Dr. theol.: Kerygma und Mythos. Ein theologisches
Gespräch hrsg. mit Beiträgen von R. Bultmann, G. Harbsmeier,
Fr. Hochgrebe, E. Lohmeyer, P. Olivier, H. Sauter, J. Schniewind, F. K.
Schumann, J. B. Soucek, H. Thielicke. Hamburg: Reich & Heidrich 1948.
242 S. gr. 8° = Theologische Forschung. Wissenschaftliche Beiträge zur
kirchlich-evangelischen Lehre.

Entmythologisierung. Eine Auseinandersetzung zwischen Julius Schniewind
, Rudolf Bultmann und Karl Barth. Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk
1949. 104 S. 8°= Schriftenreihe der Bekennenden Kirche H. 4.
Kart. DM4.—.

1. Der von H. W. Bartsch herausgegebene Band enthält
zunächst einen Neudruck der Untersuchung R. Bultmanns:
„Neues Testament und Mythologie", anschließend Beiträge
aus verschiedenen theologischen Disziplinen (Exegese, systematische
Theologie, Religionswissenschaft) zu diesem Thema.
Vom Mythos ist bei Bultmann in dem Sinn die Rede, wie ihn
die religionsgeschichtliche Forschung versteht: „Mythologisch
ist die Vorstellungsweise, in der das Unweltliche, Göttliche als
Weltliches, Menschliches, das Jenseitige als Diesseitiges erscheint
, in der z. B. Gottes Jenseitigkeit als räumliche Ferne
gedacht wird; eine Vorstellungsweise, der zufolge der Kultus
als ein Handeln verstanden wird, in dem durch materielle
Mittel nichtmaterielle Kräfte vermittelt werden" (S. 23,
Anm. 2). „Die Mythologie des Neuen Testaments ist nun nicht
auf ihren objektivierenden Vorstellungsgehalt hin zu befragen,
sondern auf das in diesen Vorstellungen sich aussprechende
Existenzverständnis hin" (S. 24). Frühere Versuche der
Entmythologisierung waren nicht sachgemäß; man eliminierte

die Mythologie des NT, statt sie kritisch zu interpretieren
(S. 25). Man suchte zeitlose, ewige Wahrheiten und
übersah das entscheidende Handeln Gottes in Christus (S. 26).
Es gilt nun, die dualistische Mythologie des NT existential zu
interpretieren, eine theologische Aufgabe, die einer ganzen
Generation zum Ziel werden muß (S. 27). Damit entsteht ein
neues Verhältnis von theologischer und philosophischer Aussage
(vgl. die Auseinandersetzung mit W. Kamiah, Christentum
und Selbstbehauptung, 1940). „Das Neue Testament
redet den Menschen darauf hin an, daß er durch und durch
eigenmächtig ist, und daß er deshalb wohl wissen kann, daß
er faktisch kein eigentliches Leben hat, daß er aber auch sein
eigentliches Leben nicht ergreifen kann, sondern in seiner
Eigenmächtigkeit durch und durch verfallen ist" (S. 40). Auch
in der Christologie erhebt sich die Frage, ob nicht die mythologische
Rede einfach den Sinn hat, die Bedeutsamkeit der
historischen Gestalt Jesu und seiner Geschichte zum Ausdruck
zu bringen (S. 44).

Man könnte die Beiträge einteilen in solche, die nun ihrerseits
R. Bultmanns Anliegen mit eigenen Worten verständlich
machen wollen (z. B. Fr. Hochgrebe, G. Harbsmeier), und
solche, die sich kritisch mit ihm auseinandersetzen (z. B.
J. Schniewind, E. Lohmeyer, H. Thielicke, Fr.K. Schumann).
R. Bultmanns Interpretation muß also ihrerseits
wieder interpretiert werden (vgl. dazu das ernste Wort

G. Harbsmeiers S. 77). Daß das Problem überall als solches
anerkannt wird, ist Voraussetzung für alle Beiträge; Stimmen,
die Bultmanns Fragestellung überhaupt ablehnen (z. B.

H. Sasse), kommen in dem vorliegenden Band nicht zu Wort
(vgl. dazu die Entscheidung des Herausgebers S. 7). Inzwischen
hat sich herausgestellt, daß es weiten kirchlichen
Kreisen nicht möglich ist, zu einem ernsthaften sachlichen Gespräch
über den vorliegenden exegetischen Tatbestand zu
kommen und daß man das kirchliche Interesse durch eine
scharfe Polemik besser zu schützen glaubt. Ich halte die sachliche
Abgrenzung bei der Auswahl der Beiträge für diesen
Sammelband für begründet; es wäre eher zu fragen, ob es
nicht gut gewesen wäre, bei der Auswahl der Beiträge noch
mehr auszuscheiden, da diese wissenschaftlich von ungleichem
Wert sind.

Wichtig sind vor allem die Einwände auf R. Bultmann
. Nach E. Lohmeyer ist das Wort „Entmythologi-
sierung" schillernd: „Dem Wortverstande nach wie in weiten
Partien seines Aufsatzes bedeutet es nichts anderes als das
unpassende mythische Gewand mit seiner falschen Objektivität
von kosmischen Vorstellungen abstreifen und damit den
Mythus vernichten. Aber dann bedeutet es wiederum, den
Mythus im existentialen Sinne interpretieren und damit ihn
bewahren, wie jede Interpretation den Text bewahrt, der ihre
Aufgabe, gleichsam der Herr ihrer dienenden Bemühungen
ist" (S. 158). Nach E. Lohmeyer heißt „Entmythologisieren"
die Sprache des Mythus in die der Wissenschaft umzusetzen.
Es ist aber die Frage, ob die Umsetzung des Mythus in die
Sprache des Begriffs gerade zur existentialen Interpretation
führt. Darf man den Gedanken der glaubenden Existenz
im Sinne der Existentialphilosophie interpretieren
? E. Lohmeyer sieht eine Gefahr der Bultmannschen
Konstruktion (J. Schniewind weist ebenfalls wie E. Lohmeyer
auf die „anthroponome" Fragestellung hin), fällt aber
selbst in eine andere Konstruktion, die dem Gegenstand des
NT keineswegs mehr gerecht wird. „Immer ist es dabei das
Ziel der Interpretation, den bleibenden Wahrheitsgehalt und
die Art und Notwendigkeit seiner historischen Äußerung zu erfassen
. Wie an dem Tage, der ihn schuf, gilt es den Mythus
aus seinen sachlichen und geschichtlichen Möglichkeiten neu
zu schaffen und ihn zugleich in seiner Form und seinem Gehalt
neu zu bestimmen, abzuschaffen, was aus bleibenden und
gebliebenen Möglichkeiten wahr und lebendig ist" (a. a. O.
S. 164). Es zeigt sich deutlich, daß E. Lohmeyer auch in dieser
Auseinandersetzung mit R. Bultmann nicht von idealistischen
Voraussetzungen loskommt, die weder das Problem des Mythos
noch die theologische Erfassung des Heilsgeschehens scharf
stellen lassen. H. Thielicke unterscheidet zwischen „Mythologie
" und „Wahrheit"", zwischen Schale und Offenbarungsgehalt
und sucht die Grenzlinie zwischen beiden zu finden.
In der Frage der Mythologisierung spiegelt sich die Frage,
was zeitbedingt und ewig, was menschlich und göttlich ist.
An vielen Punkten muß die Scheidelinie gefunden werden,
doch stößt die Scheidung zwischen Ewigem und Zeitbedingtem
, zwischen Göttlichem und Menschlichem auf eine gottgewollte
Grenze, die man nicht mehr überschreiten kann. Das
Wort Gottes ist eben Fleisch geworden (S. 194).

H. Thielicke schließt sich an einem wichtigen Punkt
dem Gutachten der Hessischen BK an («= HBK): Die My tho-