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Ausgabe:

1949 Nr. 11

Spalte:

689-690

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Otto, Ernst

Titel/Untertitel:

Pestalozzi 1949

Rezensent:

Schlemmer, Hans

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Seite 1

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689

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 11

690

Hastingae proelio, während Bischof Odo von Bayeux durch
seinen berühmten Bildteppich auch Geschichte schrieb. Von
allgemeiner Bedeutung wurden die über eine Kloster- zur Normannen
- und endlich Kirchengeschichte sich ausdehnenden
Historiae ccclesiasticae libri XIII des Ordericus Vitalis, die
mit Nachrichten über Heinrich V. und die Königswahl Lothars
1125 auch die deutsche Geschichte berühren. — In Angers
schrieb der erste Laie, Graf Fulko IV. Rechin, eine Geschichte
seines Hauses. Gedichte, Briefe und Traktate steuern
Marbod von Reimes, Balderich von Bourgucil, Hildebert von
Lavardin bei. In Burgund pflegte St. Benigne zu Dijon eine
erhebliche Annalistik, während für Cluny die Viten des greisen
Abtes Hugo mit diesem selbst universalen Rang erreichen.

Das letzte Kapitel durcheilt die Länder des Ostens.
Für Böhmen eröffnet die älteste Wenzelslegende die einheimische
Überlieferung, in altkirchenslawischer Sprache und
glagolitischer Schrift. Cosmas von Prag schrieb sein großes
Werk, die Chronik der Böhmen, zwischen 1119 und 1122,
„auch schriftstellerisch ein Werk von erheblichem Rang"
(S. 809). — Polen begann seine Annalen um die Mitte des
11. Jahrhunderts in Krakau und erhielt gleichzeitig mit
Böhmen seine erste Landesgeschichte durch einen Fremden,
wohl einen Südfranzosen. — Denselben Jahren gehört die
Kiewer Nestorchrouik an, deren Verfasser als Mönch im berühmten
Höhlenkloster lebte. — Ungarns geschichtliche Erinnerungen
setzen mit Stephan und den anderen Heiligen
seiner Zeit ein, nach den Heiligsprechungen Gregors VII. im
Jahre 1083. Und auch die erste Landesgeschichte, die nur in
Ableitungen bekannten Gcsta Hungarorum, gehört noch dem
ausgehenden 11. Jahrhundert an.

Mit Recht macht schließlich das Vorwort des neuen Herausgebers
auf die „Nachträge und Berichtigungen" aufmerksam
, die sorgfältig die seither erschienene Literatur zu Heft 1
bis 3 verzeichnet.

Möchte die Versicherung des neuen Herausgebers verwirklicht
werden können, bald das 5. Heft herauszubringen,
das wesentlich den italienischen Quellen der Salierzeit und
den englischen bis 1125 bestimmt ist und damit den ersten
Band abschließen soll; und möchte es weiterhin gelingen, den
zweiten bis 1250 reichenden Band mit derselben Energie voranzutreiben
, wie sie Robert Holtzmann bewiesen hat!

Güttingen H. Dörries

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Otto, Ernst: Pestalozzi. Werk und Wollen. Berlin: de Oruyter 1948. XI,
314 S., 1 Tat. 8°. Kart. DM 12.—.

Der Verf., durch umfangreiche Arbeiten zur Erziehungswissenschaft
bereits bekannt, macht sich zur Aufgabe, „Pestalozzi
(P.) nicht in ein bekanntes Schema zu pressen, einer bestimmten
Zeit und ihrer Betrachtungsweise zu überantworten
", sondern „statt geistvollen Redens über P., seine
Reifung und die Formulierung einzelner Gedankengänge im
Zusammenhang des Ganzen aus P. selbst zu verstehen, ihn
dabei möglichst selbst sprechen zu lassen, um nicht einer späteren
Klärung die Wege zu sperren". Zu diesem Zwecke teilt
Verf. sein Werk in drei Hauptteile: „P., der Methodiker",
„P., der Volkserzieher" und „P., der Wahrheitssucher", ordnet
jedem Teil eine Gruppe der Schriften P.s zu, analysiert sie
jeweils in einer „Einführung" und sucht dann in der „Ausführung
" den Gedanken- und Motivgehalt zu erheben und darzustellen
. Eine „Rückbesinnung" (264—271) soll endlich „die
Einheit seines (P.s) Lebenswerkes wieder herstellen". Allerhand
Proben und — sehr sorgfältig gearbeitete — Verzeichnisse
machen den Schluß.

Daß auf diese Weise eine große Anzahl von Begriffen P.s
und von Einzelausführungen erfreulich geklärt werden, ist
nicht zu leugnen. Aber ein irgendwie eindrucksvolles oder
auch nur einleuchtendes Gesamtbild P.s entsteht nicht.
Gewiß hat der Verf. recht, wenn er es ablehnt, P. zum „Vertreter
" Rousseauschcr, Leibnizscher, Schellingscher usw. Ideen
zu machen; aber auf jede Verknüpfung der Pestalozzia-
nischen Gedankenwelt mit der seiner Vorwelt und Mitwelt zu
verzichten — das geht doch nun auch nicht. Zugegeben: P.
War nicht absoluter Kantianer, wie ihn Natorp, und wohl auch
nicht so sehr Leibnizianer, wie ihn Delekat dargestellt hat;
aber sein „immer er selbst" heißt doch nicht, daß er sozusagen
frei im Raum geschwebt habe. Und wenn Otto in der „Rückbesinnung
" nun seinerseits P. zum „Ontologen" stempelt, dem
die Natur ein „katcgoriales Aufbaugefüge von Schienten" ist,
so tut er doch gerade das, was er nicht will, nämlich er „preßt"

P. „in ein Schema" von Begriffen, die nicht auf ihn und für
ihn passen. Das zeigt sich auch in Einzelheiten. So bringt der
Verf. in einem Abschnitt P. mit Kerschensteiner und Nicolai
Hartmann zusammen (S. 236t.) und übersieht dabei zweierlei
, nämlich daß die Frage „Wie ist Bildung möglich ?" bei P.
transzendental und bei Kerschensteiner pragmatisch zu verstehen
ist, und daß der Subjektivismus des Kerschensteiner-
schen „Grundaxioms des Bildungsprozesses" mit Hartmanns
kritischer Outologie nun wirklich nichts zu tun hat. So kann
eine lebendige Fühlung des Lesers mit P. nicht erreicht
werden.

Dem Hauptinteresse des Leserkreises unserer Zeitschrift
entsprechend sei noch ein Wort über P.s „Religion" in Ottoscher
Darstellung gesagt. Daß hier psychologisch und systematisch
bei P. große Spannungen und Verschiebungen vorliegen
, sieht der Verf. und arbeitet es an mannigfachen Stellen
deutlich heraus. Aber daß er dabei irgendwie in die Tiefe
dringe, kann man wirklich nicht sagen. Uber das schon
längst von Delekat, Nigg und Würzburger Geschaute und
Ausgesprochene kommt er nicht nur nicht hinaus, sondern er
bleibt erheblich dahinter zurück. Otto erwähnt die beiden
Letztgenannten zwar (S. 177 Anm.), aber nur registrierend
und ohne sich auf die hier aufgeworfene Problematik einzulassen
.

Otto schließt sein Buch (S. 271) mit dem P.-Zitat: „Es
ist für den sittlich, geistig und bürgerlich gesunkenen Weltteil
keine Rettung möglich als durch Erziehung, als durch Bildung
zur Menschlichkeit, als durch die Menscheubildung". M. E.
hätte man ein für die Gegenwart bestimmtes Buch gerade mit
diesem Worte nicht krönen sollen. Wir wissen doch heute,
daß es eine autonome „Bildung" nicht geben kann, und daß
es eine Schranke P.s war, zuweilen — durchaus nicht immer,
aber eben doch auch in dem in Rede stehenden Zitate! — der
Ansicht zuzuneigen, als könne eine falsch konstruierte Gesellschaft
allein durch Bildung grundlegend gebessert werden.
Wie gesagt: eine solche Utopie war im allgemeinen nicht
P.s Sache. Um so bedauerlicher ist es, daß durch dieses
Schlußzitat der Eindruck erweckt wird, daß es seine Sache
gewesen sei.

Potsdam Hans Schlemmer

Kirchliches Jahrbuch tür die Ev. Kirche In Deutschland 1933—1944.

Begründet von Johannes Schneider, hrsg. von Joachim Beckmann.
60.—71. Jahrgang. 1948 Gütersloh: C. Bertelsmann. 533 S. („Ev. Kirche im
3. Reich") DM 15.—.

Es ist sehr zu begrüßen, daß die seit 1933 unterbrochene
Arbeit endlich wieder aufgenommen worden ist und der die
Jahre 1933—1944 umfassende Band nunmehr vorgelegt werden
kann. Ein Band für die Jahre 1945—1948 so" folgen; dann
soll das Buch wieder jährlich, also als richtiges „Jahrbuch",
nach der Anlage seines Begründers, erscheinen.

Wir danken es dem neuen Herausgeber, daß er sich der
mühevollen und nicht eben leichten Aufgabe unterzogen hat,
ein Bild dieser schweren Kampf jahre durch Herausgabe einer
Sammlung wichtigen, zum Teil bisher noch nicht gedruckten
Materials zu zeichnen. In den fünf Kapiteln „Die Machtergreifung
der Deutschen Christen 1933—1934". „Der Aufbruch
der Bekennenden Kirche 1934—1935". ..Die Ära der Kirchenausschüsse
" (Herbst 1935 bis Frühjahr 1937), „Der Kampf des
Staates um die Herrschaft über die Evangelische Kirche" (1937
bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges), „Die Evangelische
Kirche im zweiten Weltkriege" breitet B. das Material vor
uns aus. Es wird längere Zeit dauern, bis dieses Material
richtig durchgearbeitet ist und ausgewertet werden kann.
Das heißt, es handelt sich hier um ein Buch, das man nicht aus
der Hand legen kann in dem beruhigenden Gefühl, daß man
es durchgelesen und nun „geschafft" hat, sondern nur mit der
Absicht und dem Willen, es immer aufs neue zur Hand zu
nehmen, um darin zu studieren und daraus zu lernen.

Das Buch bedeutet eine gute Ergänzung zu Wilhelm Niemöllers
„Kampf undZeugnis der Bekennenden Kirche". Dabei
wird aber ganz deutlich, daß es noch viel Material aus der
Zeit des Kirchenkampfes gibt, das noch nicht veröffentlicht
und ausgewertet worden ist. Hier liegt eine wichtige Aufgabe
für die einzelnen Landes- und Provinzialkirchen vor, auf
die bei dieser Gelegenheit ausdrücklich hingewiesen sei. Das
soll uns aber nicht daran hindern, dankbar anzuerkennen,
daß nun ein Anfang gemacht ist, und die genaue Beschäftigung
mit dem vorliegenden Buch dringend zu empfehlen.
Es sollte in keiner theologischen, wie in keiner historischen
oder anderen wissenschaftlichen Bibliothek fehlen!

Frankfurt/Main W. Fresenius