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Ausgabe:

1949 Nr. 11

Spalte:

685-689

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 1949

Rezensent:

Dörries, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 11

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dafür anzuführen —, daß Lage wie Ausbau der Klöster unter diesen Gesichtspunkt
gestellt wurden, so erlaubt das Rückschlüsse auf die Geltung des sozialen
Motivs im Mönchsideal der syrischen Kirche — ein Korrelat zur extremen
Weltflucht gerade dieser Bewegung. Die Klosterxenidochien und -kranken-
häuser übernehmen die Funktion der anstaltlichen Liebesarbeit, als deren Repräsentant
gewiß nicht zufällig einer der Führer des griechischen Mönchtums,
Basilius d. Gr., zu gelten pflegt.

D Der Verf. zieht für seine Skizze auch Einzelzüge heran, die sonst in
anderem Zusammenhang ausgeführt werden, wie die Bezeichnung meskinä, „der
Arme", für den syrischen Mönch, die Arbeitspflicht, das Almosensammeln, die
Fußwaschung, die Fürsorgeorganisation bei öffentlichen Notständen, die Interzession
für Verschuldete und Bedrückte u. dgl.; und man mag fragen, ob überall
die Gefahr des Generalisierens von Einzelnachrichten vermieden ist. Erst
recht steht es dahin, ob es die ursprüngliche Intention des Mönchtums trifft,
wenn zusammenfassend über die syrischen Mönche geurteilt wird, daß sich
„der wertvollere Teil von ihnen in aufopfernder Weise der sozialen Arbeit gewidmet
" habe (S. 2ü). Denn das würde bedeuten, es handle sich bei der karitativen
Arbeit des Mönchtums nicht nur um eine oft übersehene und gewiß
bedeutsame Ergänzung unseres Bildes dieser Bewegung, sondern um deren
bestimmenden Grundgedanken. Aber wenn es richtig sein mag, daß es Menschen
gab, die um des sozialen Dienstes willen das Mönchskleid gleichsam als
„blaue Schürze" anzogen, so will dieses docli sicherlich noch etwas anderes
sein als eine Diakonentracht.

Gleichwohl stellt die kleine, feine Studie, mag sie auch in ihren Folgerungen
das Maß der geschichtlichen Wirklichkeit überschreiten, einen wertvollen
Beitrag zur Erforschung eines sonst weithin unbekannten Gebietes dar,
das näher zu erkunden zweifellos aller Mühe wert ist.

Güttingen H. Dörries

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Wattenbach-Holtzmann: Deutschlands Geschichtsquellen im

Mittelalter. Neu hrsg. v. Prof. Robert Holtzmann f. Bd. I: Deutsche

Kaiserzeit. Tübingen: Matthiesen [1949J. gr. 8°. H. 1, 3. Aufl. XVI, 162 S.

Kart. DM6.—; H.2, 2. Aufl. 200 S. Kart. DM6.50; H. 3, 2. Aufl. 260 S.

Kart. DM 8.—; H. 4, 2. Aufl. 238 S. Kart. DM 7.50.

Es ist ein erfreuliches Zeichen für den Wert der durch
Robert Holtzmann veranstalteten neuen Ausgabe des alten
Wattenbach, wenn fünf Jahre nach Erscheinen des 4. Heftes
ein Neudruck aller vier Hefte erforderlich geworden ist, und
es kennzeichnet doch zugleich die Lage, wenn Walter Holtzmann
, der jetzt die Verantwortung für das Werk übernommen
hat, einen solchen bloßen Neudruck für ausreichend halten
kann: sei doch in diesen Jahren in Deutschland kaum Wesentliches
erschienen und werde noch geraume Zeit vergehen, bis
die ausländische Literatur der Kriegs- und Nachkriegsjahre zugänglich
sei; so stehe das Werk noch immer einigermaßen auf
der Höhe unserer gegenwärtigen Kenntnisse. Der Neudruck
bringt deshalb als Neues nur einen kurzen aber gehaltvollen
Überblick über Robert Holtzmanns Lebenswerk.

Das 3. und 4. Heft, über das hier noch zu berichten ist
(über das 1. und 2. Heft vgl. ThLZ 1941, 11/12, Sp. 336), umfaßt
das Zeitalter des Investiturstreits (1050—1125). Es ist
nicht nur der Raschheit des Erscheinens, sondern auch dem
Wert des Werkes zugute gekommen, wenn überall die besten
Kenner aus ihrem unmittelbaren Arbeitsfeld berichten konnten
— mit überraschend einheitlicher Grundhaltung. (Die Quellen
werden durchweg nicht nur genannt, sondern auch gewürdigt.
Der Bericht über die Forschung nimmt so an ihr teil.) Die Anzeige
muß sich darauf beschränken, aus der Fülle des Inhalts
das kirchengeschichtlich Wichtigere herauszuheben, obwohl um
diese Zeit fast die ganze historische Arbeit noch kirchlichen
Ursprungs ist und nach Stoff und Gesichtspunkten ebensowohl
in die Kirchengeschichte wie in die Staats- und Volksgesehich
te gehört.

Das 1. Kapitel aus der Feder Robert Holtzmanns stellt
den nach Stämmen und Ländern aufgeteilten übrigen Berichten
einen allgemeinen über „die Kaiser und das Reich"
voraus. Die Hauptgestalten, Heinrich IV., die Gregorianer,
Weiter Hirsau und die deutsche Streitschriftenliteratur werden
je für sich dargestellt.

Das Kapitel beginnt mit dem wichtigsten Desiderat: einer
Ausgabe der Urkunden Heinrichs IV. und V. Es weist ferner
hin auf den Anteil der Reichskanzlei schon an der Bildung
Heinrichs IV., dann an der kaiserlichen Propaganda und den
Geschichtswerken. Unter diesen ragen hervor das Carmen de
hello Saxonico, das einem oberdeutschen Geistlichen im Goslarer
Stift St. Simon und Judas zugeschrieben wird, und die bedeutende
Vita Heinrici IV imperatoris, als deren Verfasser Bischof
Erlung von Würzburg oder Propst Gottschalk von Aachen
in Frage kommen. — Der Bericht über die Gregorianer in
Deutschland zimmert gleichsam den Rahmen, den dann die
einzelnen Staninieskapitel ausfüllen. Aus der Streitschriftenliteratur
wird besonders der Liber de unitate ecclesiae con-
servandae (1092/93) hervorgehoben, den Ulrich von Hutten
1519 in Fulda fand und als Kampfmittel gegen Rom verwandte
. Aber so wenig er damit den Sinn der lutherischen
Reformation erreichte, so sollte erst recht unser Urteil über
Geltung und Tragweite der gehaltvollen Schrift sich nicht von
daher bestimmen lassen. Ist es wirklich erlaubt, generell zu
behaupten, daß „die geistige Überlegenheit und der tiefere
Gehalt auf Seiten der Anhänger Heinrichs zu finden waren"
(S. 401) ? Gewiß ist, daß sie „eine große Tradition für sich
hatten" (S. 406). Aber wenn jener Satz zuträfe, so wäre nicht
verständlich, warum gerade den tieferen und gewissenhaften
Geistern die Entscheidung zwischen König und Papst so
schwer wurde; es reicht nicht aus, die überzeugungstreue, der
so manche der Gregorianer die größten Opfer gebracht haben,
als bloßen Fanatismus zu brandmarken oder sie mit dem
Schlagwort des „romanischen Geistes" zu erklären. Hier wird
es noch eindringender Untersuchungen bedürfen, um die generalis
opinio, die das ganze Werk beherrscht, zwar nicht einfach
umzukehren, aber doch zu berichtigen.

Auch Kap. 2, das den „Briefsammlungen" gewidmet ist,
behandelt noch ein allgemeines Thema. Carl Erdmann, der
sich besonders um ihre Kenntnis und ihr Verständnis verdient
gemacht hat, gibt darin ein sachkundiges Repertorium und
führt zugleich in dessen beste Benutzung ein.

Bei der Darstellung über den Anteil der einzelnen Stämme
und Länder an der Geschichtschreibung dieses Zeitalters
steht — wie im Ottonenzeitalter Sachsen, so jetzt billig — Franken
voran, an politischer wie literarischer Bedeutung. Freilich
sind es nicht die rheinischen Bistümer, die in der bewegten
Zeit Muße zu geschichtlicher Besinnung fanden. Nur ein
schottischer Rekluse Marianus hat in Mainz eine Weltchronik
verfaßt, die etwa auch durch chronologische Untersuchungen
von Interesse ist. (Wenn freilich nach ihm Dionysius Exiguus,
auf dessen Ostertafel unsere Ansetzung beruht, die Geburt
Christi um 22 Jahre zu früh festgelegt hat, so werden seine
eigenen Zahlen um 22 Jahre kleiner als die sonst üblichen gewesen
sein, nicht umgekehrt — wie der Verf. S. 447 meint.)
Es ist vielmehr ein Kloster, Hersfeld, das jetzt seine Blütezeit
hatte und zwei bedeutsame Werke hinterließ. Die 1078/79
geschriebenen Annalen Lamberts von Hersfeld sind, obwohl
ihre Glaubwürdigkeit nicht mehr so unangefochten geblieben
ist wie früher, für die beiden ersten Jahrzehnte Heinrichs IV.
von hervorragender Wichtigkeit. Für das Verständnis ist bemerkenswert
, daß er nicht als Gregorianer gegen den König
schreibt, sondern ihn am Maßstab seines Vaters mißt, wie denn
auch sonst nicht selten die antigregorianische Publizistik ihren
Impuls aus der Liebe zu dem „alten blühenden und friedlichen
Zustand in Staat und Kirche unter Heinrich III." (S. 474)
empfing, in rückwärtsgewandter Betrachtung! Aus Hersfeld
stammte auch der nun wirklich kaiserlich gesinnte schon genannte
Liber de unitate ecclesiae conservandae.

Ostfranken hat vielleicht — wie gleichfalls schon erwähnt
ist — durch Erlung von Würzburg die Vita Heinrici beigesteuert
. Das größte zeitgenössische Briefwerk des Codex
Udalrici kommt aus der Bamberger Domschule; von Meinhard
von Bamberg stammt der „Codex I" der Hannoverschen
Briefsammlung, das erste „Weißbuch" der deutschen Geschichte
. Bambergs großer Bischof Otto hat die Umgestaltung
der von Frutolt von Michelsbach verfaßten Mainfränkischen
Chronik durch Ekkehard von Aura veranlaßt; sie
ist das Hauptwerk für die Geschichte Heinrichs IV., die umfassendste
aller Weltchronike'n, von sorgfältiger Quellenbenutzung
und klarer, sachlicher Darstellung: Die Grundlage
der inneren Durchdringung der Vergangenheit, wie sie dann
wenige Jahrzehnte später Otto von Freising unternahm.

Schwaben ist nicht nur jahrelang ein Hauptkampf-
platz des Investiturstreites gewesen, sondern hat auch die
Hauptwortführer der deutschen Gregorianer gestellt. Die
Reichsgeschichte tritt zurück. Streitschriften, Klosterge-
schichten und Darstellungen der neuen Heiligen treten an die
Stelle, wie der neue romanische Bautyp Ausdruck und Kampfmittel
der veränderten Gesinnung. Klöster wie Hirsau und
St. Blasien werden auch zu geistigen Zentren. Wilhelm von
Hirsau, Udalrich, der Gründer von St. Ulrich im Breisgau,
kodifizieren im Anschluß an Cluny die Regeln, nach denen die
weltflüchtigen Streiter Gregors VII. und seiner Nachfolger ihr
Leben führen. Die schwärmerische Chronik, noch in alter Art
begonnen, aber im neuen Geiste fortgeführt, wird zu einem
Dokument der antikaiserlichen Bewegung, wichtig besonders
für die Jahre 1075—1080. Die Verfasserfrage, insbesondere die
nach dem Anteil Bertholds, ist noch ungelöst. Die fast gleichzeitige
Chronik Bernolds, für Kirchenrecht, Mönchtum und
Kirchenreform interessiert, ist wichtig schon durch die Syno-