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Ausgabe:

1949 Nr. 11

Spalte:

673-680

Autor/Hrsg.:

Oepke, Albrecht

Titel/Untertitel:

Wissenschaftliche und religiöse Weltbetrachtung 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 11

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die aus sich selbst lebt, für sich selbst dasein möchte und nur
ihren eigenen Gesetzen gehorchen will ( = ,,Natur"). Dem
eigen - mächtigen Menschen entspricht die eigen - gesetzliche
Welt: die mikrokosmische Projektion ins Makrokostnische.

Allein der Glaubende vermag zwischen ,,Schöpfung"
als Wirklichkeit und „Natur" als Wirklichkeits-Bild zu unterscheiden
.

14. Der begrenzte Dienst der Theologie an den außer-
theologischen Wissenschaften besteht darin, daß sie sie vor
Selbst-Überschätzung wie vor Selbst-Unterschätzung bewahren
hilft.

Wissenschaft darf sich nicht verabsolutieren: indem
sie ihr Wirklichkcits-Bild für das der Gesamtwirklichkeit
allein entsprechende hält und ihm religiöse Bedeutung beimißt,
verliert sie den Charakter echter Wissenschaft (vgl. den Monismus
) .

Wissenschaft darf sich aber auch nicht bagatellisieren
: indem sie die strengen Methoden rationalen Erkennens
vernachlässigt, verleugnet sie ihre von Gott gesetzte Bestimmung
(vgl. die Irrationalismen).

Denn im Auftrage Gottes an den Menschen, sich die Erde
Untertan zu machen und die außermenschliche Kreatur zu beherrschen
(1. Mose 1, 26ff.), ist dem Menschen nicht nur die
Erlaubnis, sondern geradezu die Pflicht zur wissenschaftlichtheoretischen
Erkenntnis und der darauf beruhenden technisch
-praktischen Gestaltung der Welt mitgegeben.

15. Die Einheit zwischen wissenschaftlichem Erkennen
und glaubendem Begreifen, also auch die Wissenschaft und
Leben übergreifende Einheit ist verbürgt in dem Glauben an
Gott den Vater, der die Welt und den Menschen in wechselseitiger
Zuordnung zueinander und beide in gleichzeitiger Hinordnung
zu Sich selbst geschaffen hat und erhält.

a) Gott ist zugleich Menschen-Gott und Welt-Gott.

b) Die W e 11 ist zugleich Gottes-Welt und Menschen-Welt.

c) Der Mensch ist zugleich Welt-Mensch und Gottes-
Mensch.

Die Wahrheit dieser Verkündigung wird im Glauben au
das fleischgewordene „Wort" ergriffen und vollzogen. Sie
trägt ihre Evidenz in sich selbst und bewahrheitet sich dem
Glaubenden in einer Gewißheit von überlegener Mächtigkeit:
Joh. 7, 17.

An den beiden in Nr. 5 des laufenden Jahrgangs der ThLZ
(Sp. 275—280; 279—288) veröffentlichten Aufsätzen von
Gustav Mie und Ludwig Lendle wird vielen Lesern besonders
wertvoll gewesen sein, daß sie, von anerkannten Naturforschern
geschrieben, für die Anliegen religiöser Weltbetrachtung
sich voll aufgeschlossen zeigten. Wenn nun, vor allem zu
dem ersten der beiden, ein Theologe das Wort nimmt, so kann
es selbstverständlich nicht die Absicht sein, mit der naturwissenschaftlichen
Sachkunde der beiden Verfasser in Konkurrenz
zu treten, geschweige denn, das in der Uberschrift angedeutete
unendlich reiche Thema irgendwie zu erschöpfen. Es
geht mir nur darum, einige längst bekannte, aber vielleicht
nicht immer genügend beachtete Tatsachen in Erinnerung zu
bringen und durch einige^grundsätzliche Erwägungen das Gespräch
weiterzuführen.

Die Klippe, an der das Zusammengehen von wissenschaftlicher
und religiöser Weltbetrachtung notwendig zu zerschellen
scheint, ist die Frage der durchgehenden Gesetzlichkeit des
Naturgeschehens. Die Naturwissenschaft setzt die, wenn noch
nicht praktische, so doch grundsätzliche Verfügbarkeit der
Welt voraus. Diese ist begründet in der lückenlosen und deshalb
berechenbaren Folge von Ursache und Wirkung. Die
Naturwissenschaft kann also, so sagt man uns, um ihrer Existenz
und aller daraus resultierenden segensreichen Folgen
technischer Naturbeherrschung willen auf die unbedingte Anwendung
des Kausalprinzips nicht verzichten. Der Glaube dagegen
lebt vom Wunder, kann also ebenfalls um seiner eigenen
Existenz und aller daraus resultierenden, wie er meint, nicht
minder segensreichen Folgen willen auf das Wunder nicht verzichten
, wobei freilich die genaue Definition dieses Begriffs
zunächst noch aussteht. Die Naturwissenschaft arbeitet ständig
daran, den als Wunder bezeichneten Vorgängen durch
kausale Erklärung diesen ihren Charakter zu nehmen. Der
Glaube dagegen weiß sich von Wundern umgeben und
niüßte an allem irre werden, wenn ihm diese Gewißheit zerstört
würde. Wie wäre hier eine Einigung möglich ?

Mie sucht den Knoten zu durchhauen mittels der Unterscheidung
von starren, d. h. vom persönlichen Erleben abgezogenen
und lebendigen, d. h. mit ihm verknüpften Begriffen
, von denen die einen der mathematisch-naturwissenschaftlichen
Forschung, die anderen den Geisteswissenschaften
eigentümlich seien. Er unterscheidet von da aus weiterhin
einen doppelten Wunderbegriff, den starren, von der Naturwissenschaft
notwendig bestrittenen, wonach ein Wunder ein
Ereignis wäre, das mit dem Kausalprinzip im Widerspruch
stünde, und den unstarren, lebendigen der Religion, des Glaubens
, der spürt, daß eine wunderbare, über alles Begreifen
hohe Vernunft im Verborgenen sein Leben gelenkt hat. Eine
auf den ersten Blick bestechende Lösung! Es fragt sich nur, ob
sie den Dingen wirklich auf den Grund geht. Ist sie nur
öiethodologisch oder ist sie weltanschaulich gemeint ? Arbeitet
sie mit einem richtigen Begriff der Wirklichkeit, und darf der
Glaube sich noch einer höheren Leitung getrösten, darf er sich
noch an Offenbarung, das bedeutet doch: Kundgebung des
Unendlichen im Endlichen, halten, wenn, „objektiv" betrachtet
, das alles gar nicht existiert ? Wenn diese unsere Wirklichkeit
ein völlig in sich geschlossenes Kausalsystem ist, das
deinem „Zugriff von außen her" offensteht? Es geht hier

Wissenschaftliche und religiöse Welibelrachtung

Von Albrecht Oepke, Leipzig

keineswegs bloß um das Wunder im landläufigen Sinn, sondern
um erheblich mehr, um den Grundansatz unserer Religion.

Zunächst wäre aber allerdings zu fragen, ob die Beziehungen
zwischen Naturwissenschaft und Glaube sich notwendig
ausschließlich feindlich gestalten müssen. Das ist
zweifellos nicht der Fall. Mie deutet das selbst, wiewohl vielleicht
etwas unvermittelt, an: jeder Naturforscher müsse in
gewisser Weise ein frommer Mensch sein. DerBegriff der Wahrheit
, mit dem auch der Naturforscher arbeitet, ist etwas Geistiges
. Der wunderbar geordnete Ablauf des Naturgeschehens
nötigt wohl auch dem Naturforscher Ehrfurcht ab, und diese
kann sich mit der Religion unmittelbar berühren. Ist diese
zweifellos grundlegend „schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl
", so kann die Abhängigkeit auch gerade gegenüber den
Naturordnungen erlebt werden. Wir haben in steigendem
Maße gelernt, Gott nicht nur im Ungewöhnlichen, sondv11
auch im Kausalbedingten zu finden. Die christliche Sittlichkeit
hat zudem ein positives Interesse daran, daß die Ordnung
nicht willkürlich durchbrochen wird. Die Religion, zumindest
die biblische, um die es praktisch geht, grenzt sich bewußt
gegen den Zauber in allen seinen Formen ab.

Doch damit ist das Problem natürlich nicht gelöst. Es zerlegt
sich, um das noch einmal herauszuheben, in die doppelte
Frage, ob das Kausalitätsprinzip, als letzte wissenschaftliche
Aussage über die empirische Wirklichkeit verstanden, auch
nur dieser Wirklichkeit tatsächlich gerecht wird und ob der
Glaube sich wirklich damit einrichten kann, im Gegensatz zu
den „objektiven" Aussagen der Wissenschaft auf das persönliche
, notwendig subjektive Erleben verwiesen zu werden, was
auf den Teilungsplan H. St. Chamberlains hinauslaufen
könnte: „Wissenschaft ist, was die Welt mir schenkt, Religion
ist, was ich der Welt schenke".

Bei dem Anliegen des Glaubens einzusetzen, scheint bedenklich
. Wenn wir es trotzdem einen Augenblick tun, so geschieht
dies nicht, um es schon hier zu erledigen, sondern nur,
um die Aufgabe ganz scharf zu präzisieren. Könnte die Lösung
nicht darin liegen, daß eben in den Naturgesetzen, restlos
durch sie, die göttliche Leitung sich vollzöge ? Wäre das nicht
das Wunder aller Wunder, wenn innerhalb und mittels der
Ordnungen der Welt, in der ich lebe, stets Gottes guter, gnädiger
Wille an mir geschieht ? Hängt der Glaube an der nicht
völligen Kongruenz zwischen Kausalgeschehen und göttlicher
Leitung, wo er doch deren Teilkongruenz nicht bestreiten
kann und will ? Diese parallelistische Lösung ist heute
auch unter Christen und Theologen viel weiter verbreitet, als
man sich ausdrücklich zu ihr bekennt. Neu ist sie nicht. Schon
Hippokrates oder einer seiner Nachfolger hat, zunächst im
Blick auf die „heilige Krankheit", die Epilepsie und ihre Heilung
, die parallelistischeFormel geprägt :navxa d-eiaxaiärftQämiva
ndvxa: alles ist gottgefügt und kausalbedingt zugleich. Die Stoa
erkannte Gott in der Natur und hat von da aus ihre Ethik auf
das bfioXoyovfitvcos r[; yvoti fljp gegründet. An Spinozas Gleichung
Dens sive natura sei nur im Vorübergehen erinnert.
Man kann nicht sagen, daß diese geschichtlichen Beispiele zur
Nachfolge reizen. In jedem Fall ist das religiöse Empfinden
beiderseits verschieden: natürliche Religion, heroische Resignation
auf der einen, Offenbarungstheologie, froher Gottvaterglaube
auf der anderen Seite. Als Teillösung unentbehr-