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Ausgabe:

1949 Nr. 11

Spalte:

655-666

Autor/Hrsg.:

Wessel, Klaus

Titel/Untertitel:

Stand der Aufgaben christlich-archäologischer Forschung 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 11

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Wahrheitssehnsucht hinauf zu selbstbewußtem Denken und
Wissenschaft". Moderne Menschen sind ebensosehr Pilgrime
wie die des Mittelalters. Sie haben sich nur etwas andere
Dogmen gsechaffen, denn „Dogmatik ist für den Pilgrim eine
Lebensnotwendigkeit, die wahre Regulierung der Lebensfunktionen
. Der sehr stimmstarke Protest gegen Dogmen, den
so viele Geister unserer Zeiten als ihre Lebensaufgabe ansehen
, gilt nur veralteten Formen der dogmatischen Wahrheiten
, die ihren eigenen Lebensgrund ausmachen. Die Dogmatik
erneuert sich selber, der Dogmenhaß selbst ist der beste
Beweis dafür, wie wichtig es ist, die rechten Dogmen zu
haben."

So vertrat Granbech denn sein ganzes aufreibendes Dasein
hindurch die Sache des Lebens gegenüber den Formen
und Formeln. Die ersten — kann man sagen — fand er in der
Kirche, die letzteren in der Wissenschaft, und sie trugen beide
dazu bei, Abstand von dem Leben zu schaffen, dem sie beide
dienen sollten. In seineu jüngeren Jahren schrieb Granbech
eine hübsche Abhandlung über „Die Stellung der Wissenschaft
im Leben des Volkes", und bis zuletzt sprach er von
der kulturellen Gefahr, die darin lag, daß die Wissenschaft
wieder dabei war, Ausdrucksformen anzunehmen, die sie zu
einer esoterischen Lehre machten. Gegen Mathematik und
Physik hatte er sicherlich eine kleine Abneigung, vielleicht
weil er wußte, daß sie sich nicht popularisieren ließen. Aber
die Wendung, welche Sprachwissenschaft und Philosophie
mehr und mehr in Richtung auf eine Symbolsprache hin
nehmen, womit nur die besonders Eingeweihten einen Sinn
verbinden, war für ihn ein Zeichen dafür, daß sie zu toten und
bedeutungslosen Wissenschaften wurden. Hier vertrat er die
Sache des Volkes, als ob er einer der alten Grundtvigschen
Hochschulleute sei, welche die schwarze Schule als den Feind
des Lebens angriffen.

Die letzten Lebensjahre widmete Gr0nbech ganz und gar
der Rolle des Verkündigers. Mit der Zeitschrift,,Freie Worte",
die er zusammen mit Prof. Hai Koch herausgab, drang sein
Wort in weitere Kreise, und hier schrieb er anscheinend über
kunterbunt, aber trotzdem ständig über das gleiche, das er
immer hatte sagen wollen, daß das Leben reich ist, aber daß
die Menschen daran vorbeigehen. Er hätte wie der Prediger
im Alten Testament sagen können, daß Gott die Menschen
recht geschaffen hat, aber daß sie auf so viele wunderliche

Dinge verfallen. Wie Sokrates sagte Granbech immer das-

, selbe; aber er besaß die Fähigkeit, seine Ausdrucksformen zu
variieren und zu modulieren, so daß nun eine ganze Literatur
in seiner Spur wandelt, die, was sie auch an Zeiten und Typen
behandeln mag, das Gepräge Vilhelm Granbechs selber trägt.
Wie Soren Kierkegaard hat er „Unruhe in Richtung auf Innerlichkeit
erweckt". Wir Jungen haben nicht immer verstanden,
was er wollte und wo er hinaus wollte. Das konnte auf wißbegierige
Sinne unbefriedigend wirken, aber in Wirklichkeit
war es das Gute bei der Sache. Wir erhielten nicht Resultate,
sondern etwas zum Nachdenken. In einer Zeit, in der für Religion
kein Platz mehr zu sein schien, zeigte er, daß sie überall
sein sollte und wirklich auch da war, wenn man die Dinge mit
rechten Augen ansah. Für viele wurde er christlicher Apologet
in einem Zeitalter der Abtrünnigkeit vom Glauben. Die Berechtigung
seiner Kulturkritik können nun die meisten erkennen
, und das eigene Recht, als Kulturkritiker aufzutreten,
konnte Granbech nicht bestritten werden, weil er sich selber
in diese Kultur hinein- und herausgestritten hatte, ganz so
wie mit der Mystik. Aber die Mystik ist bekanntlich eine individuelle
Angelegenheit, und Granbech war alles andere als
Individualist. Für ihn war die Wirklichkeit die Gemeinschaft,
darin der Einzelne als Bruder und Blutsverbuudener stand,
und es war eben der Zeit Unglück, daß diese Geineinschaft in

| eine Reihe souveräner Einzelner aufgespalten war, auf dem
Markt und in der Kirche.

Das Meiste von Granbechs Kritik können wir heute anerkennen
. Indessen sind die Mittel, die er zur Abhilfe bereit
hält, nicht derart, daß sie unmittelbar angewendet werden
könnten, denn es sind nicht Anweisungen zu bestimmten Methoden
, sondern bloß Erweckung zu Unruhe. Aber gerade
darin lag seine große Bedeutung als Lehrer: ebensowenig wie
er selber fertig wurde, konnten es seine Zuhörer mit semer
Hilfe werden. Insofern war seine Dunkelheit bewußt, zugleich
Ausdruck für seinen eigenen Kampf mit den Problemen wie
für seinen Wunsch, andere anzuregen mitzugrübeln. Darum
werden wir auch niemals fertig mit ihm. Dies ist wohl auch
der Grund dafür, daß er nicht eine Reihe methodisch geschulter
Religionshistoriker, sondern eine Schar erweckter und
suchender Seelen zurückgelassen hat, die etwas davon wissen,
wo das steckt, das sie suchen und finden sollen. Es sind ihrer
viele geworden im Lauf der Jahre, und sie werden ihn bitter
vermissen.

Stand und Aufgaben chrisllich-archäologischer Forschung

Von Klaus Wessel, Berlin

Die Zeit der Handbücher der christlichen Archäologie
ist vorüber. Vom Ende des vorigen bis in die dreißiger Jahre
unseres Jahrhunderts überschwemmte eine wahre Hochflut
solcher Handbücher und Gesamtdarstellungen die interessierten
Kreise. Sie hatten alle eines gemein: Die christliche
Kunst, die meist ohne tieferschürfende Bezugnahme auf die
außerchristliche spätantike Kunst betrachtet wurde, wurde
aus einem Zentrum abgeleitet und auf die apostolische Zeit
zurückgeführt. Nicht die Einordnung der christlichen Denkmäler
in den Ablauf der römischen Reichskunst war die gewählte
Aufgabe und das selbstgesetzte Ziel dieser Arbeit,
sondern alles drehte sich letztlich um die große Streitfrage,
die Joseph Strzygowski aufgeworfen hatte: Orient oder Rom.
Man suchte den Ursprungsort, von dem aus alles sich ableiten
ließ, und konstruierte, glaubte man ihn gefunden zu
haben, munter ins Blaue hinein. Diese Methode hat dann
schließlich dazu geführt, daß der Charakter der christlichen
Archäologie als ernsthafter Wissenschaft angezweifelt und bestritten
werden konnte. Nicht die Stilkritik, sondern dogmatische
und ästhetische Erwägungen, Voreingenommenheiten
und Postulate .spielen die Hauptrolle. Die völlig unbewiesene
Dekadenztheorie beeinflußte die Arbeit zudem auf das unglücklichste
, so daß die Frage der künstlerischen Qualität
zum Kriterium der Datierung wurde. Die trüben Folgen dieser
auf falschen Voraussetzungen sich aufbauenden Methode konnten
sich um so ungehemmter auswirken, als auch von Seiten
der klassischen Archäologie die Aufarbeitung des spätantiken
Materials erst in den letzten Jahrzehnten angegriffen und
durchgeführt wurde. Letzter Ausläufer dieser Periode ist die
Neuauflage des Bandes von Oskar Wulff im Handbuch der
Kunstwissenschaft, dessen Text mit geringfügigen Berichtigungen
nachgedruckt worden ist und nur mit einem bibliographisch
-kritischen Nachtrag verseilen wurde, in dem Wulff
schwache Rückzugsgefechte zur Deckung seiner unhaltbar gewordenen
Position geführt hat. Seine Darstellung hat nur

noch als, freilich lückenhafte, Materialsammlung begrenzten
Wert, der Text ist weitgehend überholt und unbrauchbar1.

Die seit den dreißiger Jahren neu einsetzenden Forschungen
nun haben dies alte, scheinbar so glatt sich rundende Bild
völlig zerstört. Alle alten Datierungen sind umgestoßen oder
zumindest in Frage gestellt, alle Lokalisierungen berichtigt
oder bezweifelt. Das ganze Gebäude der Christlichen Archäologie
ist als Kartenhaus erwiesen und eingerissen. Und die
Fundamente zu einem neuen Bau sind gelegt. Noch fehlt
vieles, bis ein solcher neuer Bau sich erheben kann, gesichert
und fest, den Anforderungen, die an ernsthafte wissenschaftliche
Forschungsergebnisse gestellt werden müssen, gewachsen
und standhaltend. Noch kann kein neues Handbuch

') Oskar Wulff: Altchristliche und byzantinische Kunst I: Die altchristliche
Kunst von ihren Anfängen bis zur Mitte des ersten Jahrtausends, nii'
Bibliographisch-kritischem Nachtrag, Potsdam 1936.

Ferner:

Hans Achelis: Altchristliche Kunst, In RÜG* I, Sp. 249 ff.

Victor Schultze: Grundriß der christlichen Archäologie*, 1934.

Nicht eingesehen werden konnten:

R. Aigrain: Archeologie chretienne, Paris 1942.

A. Beckmann: De oud-christelijke Kunst der eerste drie eeuwen, i|,;
Gildcboek 21/1938, S. 68 ff.

A. Bugge: Kristcndommens Kunst fra Keiser Constantinus til Konslli6'
i Konstanz, Oslo 1937.

F. G. L. van der Meer: Jets over de oorspronkelijkcid der oud-christelijke
kunst, Nijmegen-Utrecht 1939.

Wichtige Hinweise für die frühchristliche Kunst enthalten noch d'e
folgenden neueren Werke über die italienische bzw. byzantinische Kunst:

P. Ducatl: L'arte In Roma dalle origlnl al sec. VIII, Bologna 1938.

R. Hinks: Carolingian Art, London 1935.

H. Peirce et R. Tyler: L'Art Byzantin, Paris 1932/34.

L. Serra: Storia dcll'arte Italiana Vol. I, 7. ed., Mllano 1938.

F. Volbach, G. Salles et G. Duthuit: Art Byzantin, Paris 1941-