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Ausgabe:

1949 Nr. 1

Spalte:

47-48

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Buri, Fritz

Titel/Untertitel:

Albert Schweitzer und unsere Zeit 1949

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

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Seite 1

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47

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. I

48

Buri, Fritz: Albert Schweitzer Und unsere Zeit. Eine Vorlesung, gehalten
am 14. Januar 1947, Albert Schweitzers 72. Geburtstag, in der Universität
Zürich. Zürich: Artemis-Vlg. [1947]. 53 S. 8»= Schriften zur Zeit H. 15.

Die vorliegende dem Druck übergebene Vorlesung vermittelt
ein ausgezeichnetes Bild der Schweitzerschen Kulturphilosophie
und kann vor allem als Diskussionsgrundlage über
seine Gedanken sehr empfohlen werden. In der Beantwortung
dreier Zeitprobleme, der Frage nach der Ursache der heutigen
Katastrophe, nach dem Sinn des Lebens, nach dem Maßstab
von gut und böse läßt der Verf. in sehr schlichter und eindrücklicher
Weise das Anliegen Sch. deutlich werden und stellt damit
gleichzeitig die Gewichtigkeit seines Lösungsversuchs ins
Licht.

Da die Ursache der heutigen Katastrophe in einer Art Gedankenlosigkeit
gesehen wird, d. h. darin, daß der heutige
Mensch sich im Strom der Masse treiben und deshalb durch
Propaganda leicht verführen läßt, weil er nicht mehr die Vernunft
über die Natur und die Welt des Geistigen herrschen
läßt und deshalb kulturlos wird, kann nach Sch. eine Umkehr
nur durch ein Umdenken stattfinden, durch eine neue weltanschauliche
Ausrichtung. Dabei ist für ihn charakteristisch,
daß er den Versuch für vergeblich hält, von einer allgemeinen
Sinndeutuug der Welt aus Sinn und Ziel des Menschenlebens
zu umgrenzen. Die Welt als Ganzes ist und bleibt rätselhaft.
Trotzdem kann — auch unter Verzicht auf die optimistischethische
Sinndeutung der Welt als ganzer, wie sie der Rationalismus
versuchte — einfach durch eine Selbstbesinnung darauf,
daß jeder Mensch in seinem Willen zum Leben den Wert des
Daseins bejaht, eine Erkenntnis von einem Lebenssinn erreicht

werden. Man muß nur — und damit gewinnen wir gleichzeitig
den Maßstab von gut und böse — den instinktiven Lebenswillen
zur bewußten Ehrfurcht vor allem Leben werden lassen.
In dieser Ehrfurcht werde ich dann auch eins mit Gott, nicht
mit dem Gott, der uns als Schöpferwille begegnet, — er bleibt
ewig rätselhaft —, aber mit dem Gott, wie er sich uns als Wille
zur Liebe offenbart.

Es kann nicht die Aufgabe dieser Besprechung sein, sich
mit den Sch.sehen Gedanken kritisch ausführlich auseinanderzusetzen
, zumal die entscheidende und abschließende Ausführung
seiner Gedanken ja noch aussteht. Nur Folgendes sei andeutend
gesagt: Durchaus beachtlich scheint mir zu sein, wie
die Kritik des Rationalismus bei Sch. zu dem Gedanken führt,
daß auch ohne eine harmonisch befriedigende Schau des Sinns
der Welt im großen und der Menschheit der Einzelne und die
Menschheit eine Sinnerfüllung des Lebens finden kann. Zweifelhaft
aber ist mir, ob das Prinzip der Ehrfurcht vor dem
Leben hier zureichende Wegweisung gibt. Dies Prinzip führt
doch in untragbare Zweideutigkeiten hinein; kein Wunder, da
eben doch der Begriff des Lebens offenbar nicht eindeutig genug
ist. Mir scheint, daß man hier nur auf einen festen Boden
kommt, wenn man in dem in der Erfahrung göttlicher Liebe
begründeten Auftrag gemeinschaftstiftender alle Gräben überbrückender
vergebender Liebe einsetzt und von daher gleichzeitig
den Maßstab von gut und böse gewinnt. Von dieser göttlichen
Liebe her gewinnt ja auch eigentlich erst die Ehrfurcht
vor dem Leben des Anderen ihre letzte Begründung. Eine rationale
Ableitung wird hier um der Korruption des Menschen
und seiner Ratio willen immer versagen müssen.

Heidelberg R. Hupfeld

VON PERSONEN

Zur Wahl von Bischof D. Dr. Dibelius zum Vorsitzenden
des Rates der EKiD

gesprochen im Oottesdienst in der St. Marienkirche am 6.2. 1949
Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde zu Rom im 15. Kapitel.
„Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, durch unseren Herrn Jesus

Christus und durch die Liebe des Oeistes, daß ihr mir helft kämpfen mit

Beten für mich zu Gott."

Es mag jetzt über 20 Jahre her sein, da sprach der damalige Generalsuperintendent
der Kurmark, D. Dibelius, in einer Stadt der Mark Brandenburg
über dieses Apostelwort und bat die Gemeinde, daß sie auch ihm helfen
möchte, „zu kämpfen mit Beten für ihn zu Gott". Niemand konnte damals
ahnen, welche unerwartet tiefe, aktuelle Bedeutung dieses Pauluswort
für die Kirche und ihre Leitung einmal bekommen könnte. Niemand ahnte,
welch ein Kampf für die Kirche dem damaligen Generalsuperintendenten
der Kurmark, dem jetzigen Evangelischen Bischof von Berlin, von 1933 an
und dann wieder seit 1945 bis zu diesem Ta^e und menschlichem Ermessen
nach auch für die weitere Zukunft der Kirche aufgetragen sein würde. Zu
der Last der Verantwortung, die dem Bischof von Berlin und Brandenburg
auferlegt ist, hat nun das Vertrauen der großen Mehrheit der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland eine neue, für menschliches Vermögen
schier untragbar große Verantwortung hinzugefügt. Die Synode von Bethel
hat unsern Bischof zum Vorsitzenden des Rates der gesamten Evangelischen
Kirche in Deutschland berufen. Damit aber haben die Vertreter aus allen
Landeskirchen und aus allen Zonen Deutschlands den festen und bestimmten
Willen zur Einheit und zur Gemeinschaft bekundet, trotz aller Mannigfaltigkeit
, trotz mancherlei Gegensätzen, aus denen wir in unserer Kirche kein
Hehl machen. Die Synode von Bethel hat vor aller Welt bekundet, daß die
gesamte Kirche In Ost und West hinter Ihnen, dem Bischof von Berlin,
stehen will! Unsere Kirche leidet mit unserem Volk unter der Zerrissenheit
und Friedlosigkeit unserer Tage. Aber die Kirche hat In der Stunde Ihrer
Wahl zum Vorsitzenden des Rates bekundet, daß sie als Kirche sich jedenfalls
durch keine Sektoren- und keine Zonengrenzen trennen läßt. Grenzen,
die unnatürlich sind und die dem geistlichen Leben einer Kirche keine Grenze
zu setzen vermögen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat damit, wie
wir glauben, auch ohne viele Worte durch die Tat gezeigt, daß es ihr ernst
ist mit dem Willen zu echter Gemeinschaft und wahrem Frieden.

Ihre Verantwortung, Herr Bischof, wird nun viel mehr als bislang weit
über die Grenzen der Provinzialkirche, deren Bischof Sie sind, hinausgehen.
In dieser Stunde, wo Sie als Vorsitzender des Rates zum erstenmal in diesem
ehrwürdigen Gotteshaus, an Ihrer Predigtstätte, uns, den Berliner evangelischen
Christen, Gottes Wort verkündigen, können wir nicht anders, als mit
Ihnen und für Sie dieses Wort des Apostels hören: „Ich ermahne euch aber,
liebe Brüder, daß ihr mir helft kämpfen mit Beten für mich zu Gott". Sie
werden in der Stille durch viele Kämpfe innerster Verantwortung gehen.
Sie werden mit der Kirche und ihrer Leitung durch harte Kämpfe auch in
dieser Welt hindurchzugehen haben, wenn Sie, wie bisher, auch hinfort dafür
eintreten, daß Friede werde, daß Ungerechtigkeit und Haß schweige, und
daß der Mensch In Freiheit sein darf, wozu Gottes Wille ihn bestimmt hat.

Aber Sie dürfen wissen, daß Menschen da sind in unserer Kirchenleitung,
in unserer großen Berliner Kirche, Pfarrer und Älteste, Katecheten, Diakonissen
und Gemcindeglieder, die Ihnen in diesem Kampf helfen möchten mit
der einen entscheidenden Waffe, die Christenmcnschcn im Kampf der Welt
allein gegeben ist. Wir wollen Ihnen helfen kämpfen mit Beten für Sie zu Oott.

Wir aber, liebe Gemeinde, wollen in dieser Stunde mit allem Ernst bekennen
, daß wir noch nicht treu genug gewesen sind im Gebet für unsere
Kirche, in der Fürbitte für die Männer, die schwerste Verantwortung unter
uns für die Kirche zu tragen haben. Wir sind in diesem Oottesdienst nicht
versammelt, um Menschenruhm zu verkünden. Aber wir wollen es vor Gott
versprechen, daß wir noch viel treuer werden müssen in unermüdlicher Fürbitte
füreinander, in der Fürbitte aber insbesondere für den Mann, den Oott
in die leitende Verantwortung unserer Kirche gestellt hat.

Als der Bischof von Berlin in sein neues Amt berufen wurde, war das
eine entschcidungsvolle Stunde auch für unsere Berliner Kirche und für
alle Kirchen im deutschen Osten. Unsere Brüder von den Kirchen im Westen
haben uns damit öffentlich gezeigt, daß man uns nicht, wie es manchmal
unter uns heißt, bereits abgeschrieben hat. Nein, die Kirche Berlins, die
Kirche im deutschen Osten trägt in all ihrer Armut und Schwachheit Ihr
gut Teil Mitverantwortung für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland
. Gott hat uns in den letzten 3'/2 Jahren gerade im Osten unseres Vaterlandes
unter mancherlei Anfechtung, Nöten und neuen Aufgaben zu einer
größeren kirchlichen Geschlossenheit zusammenwachsen lassen als bisher.
Oott hat uns, die Kirche Berlins und die Kirche des Ostens, stellvertretend
In einen geistlichen Kampfabschnitt gestellt. So erhoffen unsere Brüder In
den Landeskirchen des Westens, daß Gott unsere besonderen kirchlichen Erfahrungen
und Nöte zu einem Segen und zu einem neuen Impuls umschmclzen
möchte für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland.

Aber gerade diese große geistliche Verpflichtung kann, liebe Gemeinde,
nun wirklich nicht bloß dem neuen Vorsitzenden des Rates der Evangelischen
Kirche auferlegt bleiben. Er wird seine große Verantwortung nur erfüllen
können, wenn Gemeinden hinter ihm stehen, die immer mehr den Namen
lebendiger, dienender, opfernder und bekennender Gemeinden führen dürfen.
Er wird seine Verantwortung nur tragen können, wenn er selbst getragen
wird von einer wachsenden Bruderschaft aller Amtsträger, die von der
Kanzel, im Unterricht und In der Öffentlichkeit das Evangelium mit neuer
geistlicher Vollmacht verkündigen, mitten hinein in eine Welt voller Angst,
Feindschaft und Zerrissenheit.

In dieser Stunde, da Sie, Herr Bischof, belastet mit neuer großer Verantwortung
für die ganze Evangelische Kirche in Deutschland, zum erstenmal
wieder in der ältesten Kirche Berlins das Evangelium verkündigen, haben
wir Ihnen nichts anderes zu bringen als dieses Versprechen, daß die Berliner
Kirche Sie nicht allein stehen lassen möchte. Sie sollen, will's Oott, umgeben
sein von Menschen, die Ihnen zugetan sind in herzlicher Liebe und
Verehrung, vor allem aber von Männern und Frauen, die wissen, daß unter
Christenmenschen auch die schwerste Verantwortung dann zu tragen leichter
wird, wenn andere für uns die Hände falten. Wir wollen Gott bitten in dieser
Stunde, daß wir die Mahnung hören, die Mahnung des Apostels in der Heiligen
Schrift, daß wir Ihnen helfen sollen zu kämpfen mit Beten für Sie zu Oottl
Berlin F. W. Krummacher