Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1949 Nr. 10

Spalte:

617-618

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Breitenstein, Desiderius

Titel/Untertitel:

Una caro 1949

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 10

618

So berechtigt auch sein Einwand gegen den Existentialismus
ist, daß dieser kaum eine Ethik entwickelt, so muß hier doch eine
Frage einsetzen, die aus einer anderen BemerkungReinersheraus
uns dieGrundkonzeption der Schrift fraglich werden läßt. Er
greift Dostojewskis Satz an: „Alles ist erlaubt, wenn Gott nicht
existiert" und ist dabei der Meinung, es könne sich eine Ethik
ohne jegliche Beziehung auf Gott orientieren. Sie wisse auch
ohne Gott, was sittlich gut und böse, richtig und falsch sei, ja sie
müsse es sogar festhalten, wenn scheinbar die Gottheit in Teufelsgestalt
selbst dagegen spräche. Hier scheint mir der entscheidende
Einwand gegen diese sonst so geistvolle Arbeit Reiners zu
liegen. Ich muß nämlich die Frage stellen, ob nicht am Ende
doch eine Gesetzlichkeit herauskommt, die von einem rationalen
Erkenntnisoptimismus getragen ist und das wichtige
Faktum der inneren Entscheidung doch außer acht läßt, auch
wenn sie von Verantwortungsgefühl redet. Von daher wird die
Kasuistik eben doch wieder fragwürdig. Reiners ethische Konzeption
scheint mir zu stark im Humanismus stecken zu bleiben
— und damit beweist sie auch ihre Verwandschaft mit
der Schelers und vor allem Hartmanns — und stößt dadurch
doch nicht zu der letzten Frage der Verwirklichung vor, die
allein aus der Bindung an die letzte Verantwortlichkeit vor
Gott, der eben etwas anderes als nur ein absoluter Wert ist,
sinnvoll vollzogen werden kann. So kann die Schrift dem Theologen
wohl sehr wertvolle Dienste in der Begriffsklärung leisten
und ihn tiefer in die Fragen der philosophischen Ethik
hineinführen, wird ihn aber andererseits nötigen, gerade von
daher die Probleme einer wirklich christlichen Ethik zu sehen,
die über Reiner hinausführen muß.

Leipzig Hans Köhler

Breitenstein, Desiderius, O.F.M.: Una Caro. Zur Theologie der Ehe.
Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1947. 55 S. 8°. Kart. DM 2.50.

Das kleine Büchlein ist typisch katholischer, teils scholastischer
, teils pastoraltheologischer Fragestellung erwachsen.
Es hat sich in der neueren katholischen Moraltheologie insofern
bezüglich der Sinndeutung der Ehe eine Umstellung vollzogen
, als sie entgegen der einseitigen Hervorhebung des Fort-
pflanzungssinns der Ehe den selbständigen ethischen Wert der
Ehe als Gattengemeinschaft an sich zur Geltung zu bringen
sucht. Die Frage hat dabei zugleich einen ausgesprochen seel-
sorgerlichen Sinn hinsichtlich der Beratung der katholischen
Beichtenden in der Frage, inwieweit ein Geschlechtsverkehr,
der den Versuch macht, die sterilen Zeiten der Frau auszunutzen
, d. h. also ein Verkehr, der die Schwangerschaft möglichst
verhindern will, berechtigt ist. Indem die neuere Moraltheologie
den Geschlechtsverkehr auch unter dem Vorzeichen
der Gattengemeinschaft würdigt, möchte sie einen derartigen
Rat durchaus als gerechtfertigt ansehen. Damit gibt sie also,
wenn auch in gewissen Grenzen, eine Geburtenregelung durch
die Ehegatten frei. Zwar verbietet die Kirche alle mechanischen
geburtenverhindernden Mittel, aber es scheint, daß
sich jene oben angedeutete Praxis als erlaubt durchgesetzt hat,
Und die Moraltheologie hat mit der Hervorhebung jenes bisher
nicht in den Mittelpunkt gestellten Sinns der Ehe dafür eine
nioralische Begründung gegeben.

Dem Verf. liegt nun einerseits daran, durchaus diese neuen
Gedanken zu unterstützen. Andererseits aber vermißt er an
den bisher zu dieser Frage geäußerten Meinungen eine klare
Ausrichtung an den kirchlichen Richtlinien. Mit Recht sieht
er übrigens auch in diesen neuen Gedankengängen Gefahren,
^or allem, daß man durch eine falsche Akzentuierung einem
lediglich sexuellem Genießertum dienenden ehelichen Verkehr
Tor und Tür öffnen könnte. In Anknüpfung an Thomas
und verschiedene kirchliche Entscheidungen sucht er dadurch
2u helfen, daß er einerseits den Fortpflanzungszweck der Ehe
als den übergeordneten anerkennt, andererseits aber nun doch
6" als „kluger Theologe und sorgsamer Seelsorger" — von der
Sjnndeutung der Ehe als Liebesgemeinschaft der Gatten her,
<*ie ja auch gleichzeitig psychologisch der Ausgangspunkt für
die Ehe zu sein pflegt, wenn zwingende Gründe vorliegen,
^inen ehelichen Verkehr koncediert, der nicht auf das Kind
hinaus will, um die Menschen nicht zu überfordern.

Für einen evangelischen Theologen ist auffällig, wie wenig
g solchen Schriften die Bibel ausgewertet wird. Im wesent-
«chen spielen die durch das thomistische Schema gegebenen
Argumente eine Rolle, d. h. bezüglich der Natursphäre rationale
Argumente, bez. der übernatursphäre kirchliche Entscheidungen
. Selbst die Exegese von Eph. 5 wird durch scho-
**8tisch-ari8totelische Kategorien überlagert.
. . Es soll nicht geleugnet werden, daß sich auch einige tiefer-
Qringende Abschnitte in diesem Büchlein finden. Es muß als
' r'" ulich anerkannt werden, daß doch jene Wendung der
teueren Moraltheologie, die übrigens vermutlich unter dem

Einfluß von im Bereich protestantischer Ethik erarbeiteten
Thesen steht, vom Verf. voll gebilligt wird, wobei besonders
erfreulich ist, daß der neuen Eheauffassung auch darin zugestimmt
wird, daß sie „dem Sexualakt der Ehegatten jede Spur
von sittlicher Häßlichkeit nimmt".

Als Ganzes aber hinterläßt das Büchlein doch einen peinlichen
Eindruck. Der enge Zusammenhang, in dem Moraltheologie
und Beichtstuhlpraxis stehen, bringt es mit sich, daß
das Anliegen des Büchleins vor allem doch darauf geht,'dem
Seelsorger eine brauchbare Losung zu vermitteln für die Beratung
der Gemeindeglieder in der Frage der Kinderbeschrän-
kung. Die moderne Eheauffassung eröffnet hier einen Weg,
der „ohne Sünde" gegangen werden kann. Sie so in das System
kirchlicher Entscheidungen einzubauen, daß der vorgeschlagene
Weg für die Gemeindeglieder zu konzedieren ist, ist
das Bestreben des Büchleins. Wie wenig tief hier der Begriff
der Sünde genommen ist, liegt auf der Hand. Daß der Verf.
mit der Reformation schlecht zurechtkommt, ist kein Wunder.
Sehr merkwürdig ist die These, daß die Reformation die
Kirche nur als Gemeinschaft des Wirkens, des Interesses, auf
das sich auch dieses Wirken bezieht, sieht". Augustana VII
könnte ja hier doch eines Besseren belehren. Aber ebenso
sonderbar ist auch die Behauptung, daß es persönliche Gemeinschaft
des Menschen mit Christus nicht gäbe: „mit
Christus haben wir Christen Verbindung nur als Reben, —
in der Sprache Pauli — nur „als Leib Christi, der die Kirche
ist". Damit dürfte man dem „in Christus" bei Paulus wohl
nicht gerecht werden.

Heidelberg R. Hupfeld

Die Ehenot der Gegenwart. Münster: Aschendorff 1949. 80 S. gr. 8° = S.A.
von Beiträgen aus dem Loseblatt-Lexikon „Die Kirche in der Welt". Kart.
DM 3.—.

Dieser Sammelband von kurzen Aufsätzen, die zum Teil
auf Arzte, zum Teil auf Moraltheologen, zum Teil auf Frauen
zurückgehen und aus dem Leseblattlexikon: „Die Kirche und
die Welt" zusammengestellt sind, geben ein anschauliches
Bild von dem Bemühen der katholischen Kirche, in der heutigen
Ehenot, vor allem, wie sie durch den Kampf um den § 218
offenbar geworden ist, zu einer klaren Stellungnahme zu
kommen.

Die Aufsätze der Ärzte, vor allem von Prof. Dr. Graf-
Dortmund über „Geburtenbeschränkung und Arzt", und der
abschließende von Dr. Georg Volk-Offenbach über „die Ehenot
der Gegenwart und der katholische Arzt", sowie die Aufsätze
der beiden Frauen Dr. h. c. Helene Weber „über die
soziale Indikation" und Dr. Charlotte Schiffler über „den
mutterlichen Schutz des werdenden Lebens" haben, soviel ich
sehe, ein erheblich höheres Niveau als die der Moraltheologen.
Die Aufsätze der Frauen atmen eine feine edle Mütterlichkeit
und zeugen von einem hohen sozialen Veranwortungsbewußt-
sein, die der Ärzte zeigen umfassende Sachkenntnis und klaren
Blick. Besonders der letzte Aufsatz von Dr. Volk ist ein wichtiger
und sehr lesenswerter Beitrag zum gesamten Eheproblem.
Er enthält eine sehr lehrreiche und tiefdringende Analyse des
heutigen Mannes und der heutigen Frau, die in so umfassender
Weite und dabei vorbildlicher Knappheit mir kaum noch begegnet
ist; er ist auch darin vorbildlich, daß er eine Reihe
ethischer Gesichtspunkte, die die Moraltheologen nicht berücksichtigen
, in feiner Weise zur Geltung bringt, vor allem
den der Verantwortlichkeit, die liebende Ehegatten für einander
tragen, auch den der hohen sittlichen Verantwortlichkeit
, die nicht nur die ärztlichen, sondern alle Berater in all
den in Frage kommenden Ehenöten tragen. Zudem wird auch
die Frage der Ehenot hier viel umfassender gesehen, als in den
meisten anderen Aufsätzen. Deshalb geht auch die praktische
Wegweisung wesentlich tiefer.

Die grundsätzliche Haltung aber, die sich im ganzen in
fast allen Aufsätzen (abgesehen von dem von Dr. Volk), besonders
aber in den Aufsätzen der Moraltheologen Prof. Dr.
Ziermann-Honnef über „Ehenot und Seelsorge", Prof. Dr.
Schöllgen-Bonn über „Schwangerschaftsverhütung", Prof.
Dr. Algermissen-Hildesheim über „Sterilisation" und Präses
Schmitz-Münster: „Was kann die Seelsorge für die Verwirklichung
des katholischen Eheideals tun?", aber z. B. auch in
dem einleitenden Aufsatz von Prof. Dr. Graf über „Christentum
und Volksgesundung" ausspricht, zeigt zunächst einmal,
wie die katholische Eheauffassung sich kaum an der Bibel,
sondern einerseits (über Thomas hinweg) am aristotelischen
Ordnungs- und Entelechiegedanken, andererseits an den
päpstlichen Enzykliken über die Ehe orientiert. Das hat aber
für die grundsätzliche moraltheologische Stellung bedeutsame
Folgen. Die Ehe wird wesentlich unter dem Gesichtspunkt
der Ordnung betrachtet, die Ehenot darin gesehen, daß der