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Ausgabe:

1949

Spalte:

45

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Vogel, Heinrich

Titel/Untertitel:

Vom Geheimnis des Lernens 1949

Rezensent:

Delekat, Friedrich

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46"

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 1

46

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Vogel, Heinrich, Prof. D.: Vom Geheimnis des Lernens. Berlin: Verlag
Haus und Schule 1947. 67 S. 8" = Der Anfang. Eine Schriftenreihe d.
Kirchl. Hochschule Berlin, hrsg. v. Dr. Fritz Dehn. H. 1. DM. 2.90.

Beide in diesem Heft zusammengefaßten Vorträge von

H. Vogel behandeln das Problem der christlichen Erziehung,
der erste so, daß die Frage nach der Möglichkeit einer lehrenden
Unterweisung im christlichen Glauben, der zweite so, daß
die besondere Art und Aufgabe des Studiums der Theologie
im Mittelpunkt der Erörterungen stellt. Auch letzteres ist ja
„institutio christiana". Den Vorträgen vorausgeschickt ist
eine Sammlung von Aphorismen über den ,,Anfang", wohl als
Begründung dafür, daß man dieser Schriftenreihe den Titel
„der Anfang" gegeben hat.

Was wir an Büchern über die sog. ,,Religionspädagogik"
haben, ist angesichts der neuen Aufgaben der Kirche unzureichend
. Verf. stellt das an Kabisch überzeugend dar. Um aber
über Kabisch hinauszuführen, müßte m. E. zunächst der Unterschied
dargelegt werden zwischen dem, was in der Sprache
der Bildung und der Schule „Lehre" heißt, und dem, was in
der Bibel so genannt wird. Denn das ist zweierlei und hat eine
verschiedene Wurzel. Es wäre ferner der theologische Ort
christlich verstandener Lehre genau zu bestimmen. Ebenso
ihr Motiv, ihr Zweck und ihre Grenzen. Diese wären von
Motiv, Ziel und Grenzen einer „Lehre" im Rahmen schulischer
Bildungsarbeit genau zu unterscheiden. Von da aus erst ließen
sich die falschen Fragestellungen richtigstellen, unter denen
die „Religionspädagogik" bis heute leidet, wäre dieser (schon
bei Haminelsbeck) mit Recht kritisierte Begriff abzulehnen
und durch den Begriff der christlichen Unterweisung (institutio
christiana) zu ersetzen. So -verstanden führt das Problem
ganz von selber zu der Frage nach dem Verhältnis von Kirche,
Schule und Elternhaus, sofern sie Träger der institutio christiana
sind oder sein sollen. Für die Entscheidung der Grundfragen
müßte man wirklich auf die „Anfänge", d. i. auf den
Begriff der „Lehre" bzw. der „gesunden Lehre" in der Bibel,

# Piatons Mcnon und Augustins de magistro, die verschiedenen

* „Katechismen" usw. zurückgehen. Das konnte Verf. begreiflicherweise
in einem kurzen Vortrage nicht tun. Vielleicht ist
ihm aber auch die Reichweite seines Problems nicht ganz deutlich
gewesen. Seine Arbeit ist darum ein Anfang. Die Hauptarbeit
ist noch zu leisten.

Etwas ähnliches ist auch von dem zweiten Vortrage zu
sagen, wenn er den Anspruch erhebt, Eigenart und besondere
Aufgabe des Studiums der Theologie zu beschreiben. Die Begriffe
: Meditatio, Tentatio, Oratio, die Verf. zum Ausgang
nimmt, sind ein geeigneter Ansatz. Aber man müßte auch
hier, um gründlich zu sein, viel mehr in die Tiefe und Breite
des Problems eingehen.

» Mainz Friedrich Delekat

I. Lind, Emil: Albert Schweitzer. Aus seinem Leben und Werk. Bern:
Haupt 1948. 216 S. gr. 8». Lw. Fr. 12.—.

2. Hauterre, Henri: Albert Schweitzer. Erweit. u. verb. Aufl. Nürnberg
: Verlag Die Egge [1948]. 93 S. kl. 8°. Pp. DM. 2.80.

3. Rees, Theophil, Dr. med.: Albert Schweitzer. Ehrfurcht vor dem
Leben. Karlsruhe: C.F.Müller 1947. 46 S. 8°. DM. 2.40.

Lind schreibt aus jahrzehntelanger freundschaftlicher
Verbundenheit mit Schweitzer und genauer Kenntnis von
dessen Leben heraus. Schweitzer ist so vielseitig, daß nicht
leicht jemand all seine Arbeitsgebiete oder alle Stücke einer
sein ganzes Schaffen umfassenden Biographie gleichmäßig beurteilen
kann. So bin ich für die Bach-Biographie und die
Schriften über Orgelbau und Orgelkunst unzuständig, empfinde
auch stark, wie sehr Theologen, die nicht Neutestament-
ler sind, sich gegenüber Vielem in Schw.s Arbeiten zum NT
zurückhalten sollen. Lind weiß, daß an Schw. auch reichlich
Kritik geübt worden ist. Aber er erörtert eine Frage nicht, die
im Blick auf den nun mehr als Siebzigjährigen immerhin gestellt
werden kann: wäre die Geschichte der deutschen evangelischen
Theologie im letzten Menschenalter wohl anders verlaufen
, wäre besonders der Einfluß der Theologie der Krisis so
stark geworden, wenn nicht (einige führende Männer sehr anderer
Art wie Naumann, Troeltsch, Bousset früh gestorben,
Otto krank gewesen wäre und) Schweitzer, statt an einer deutschen
Hochschule, im Urwald, statt am Rhein oder Neckar,
am Ogowe gewirkt hätte ? Nicht als meinte ich, er sei seinem
eigentlichen Beruf untreu geworden. Daß er Europas Wissenschaft
und Kunst dahinten ließ, um als Jünger Jesu den Ärmsten
in der Ferne zu dienen, gibt ihm seine Stellung in der Geschichte
des Christentums und die ist auch mir wichtiger als
die der Theologie. Solch tätiges Christentum ist meist verbunden
gewesen mit positiver Stellung zu den Dogmen. Der
Pietismus, der in Werken der Liebe mehr leistete als die Orthodoxie
, ist doch in seiner Theologie, aufs Ganze gesehen, ihr
näher gewesen als dem Rationalismus, idealistischer Philosophie
und historisch-kritischer Forschung. In den Tagen der
Aufklärung gab es christliche Menschenfreunde, die sehr undogmatisch
dachten, aber von ihnen weiß man heute nicht
mehr viel. Daß ein Deutscher ein ganz freies Christentum vertritt
, Unitariern und Quäkern nahe stehend, und zugleich so
wie Schweitzer Liebe zu Jesu geringsten Brüdern vorlebt, ist
Vielen etwas Neues und wer die Augen davon wegwendet, entweder
weil er überhaupt kein Christentum, auch kein freies
will, oder weil er nur orthodoxes gelten läßt, den wird auch
Linds Buch kaum umdenken lehren; aber vielen Unbefangenen
kann und wird es wert sein.

Ich deute nur zu zwei Hauptarbeitsgebieten.Schweitzers
und zu ihrer Darstellung bei L. je eine Frage ari. Wie Jesus
wirklich gewesen ist und was er gewollt hat, davon werden
wir — so scheint es mir, wenn ich Schweitzers Bild von Jesus,
mit einem der neuesten, dem Staufferschen, vergleiche —
künftig nicht immer genauer reden wollen dürfen, sondern
lernen müssen, daß wir hier weniger wissen, als die Christenheit
in zweitausend Jahren zu wissen meinte. Und wenn gegen
Schw.s Kultur- und Religionsphilosophie eingewandt wird
(nicht von Lind), sie bedeuteten eine Flucht aus den Welt-
auschauungsfragen in die Ethik (obwohl er das Denken hochschätzt
und die Aufklärung viel höher stellt als man es seit
1830 meist tat), so würde er vermutlich antworten: „besser
ehrliche Armut als fragwürdiger Reichtum". Welche Denkweise
man hier wählt, hängt schließlich davon ab, was für ein
Mensch man ist. Lind, der lange als Pfarrer der Protestations-
kirche in Speyer eine starke Wirksamkeit hatte, steht durchaus
zu Schweitzer, namentlich auch als dem Arzt, der unser
seelisch-krankes Geschlecht heilen könne. In seiner Darstellung
von Schw.s Arbeit hat er kein wesentliches Stück bei
Seite gelassen. Er schreibt für weiteste Kreise; so spricht er
von Schw.s Ethik der Ehrfurcht vor dein Leben ausführlicher
als von Schw.s NTlichen Forschungen. Für viele Leser würde
ein begrenzterer Begriff von Mystik erwünscht sein, aber dieser
Wunsch muß sich mehr an Schw. selbst als an Lind richten.
Mystik ist nun einmal für den einen ein Inbegriff seliger Erfahrungen
, für den andern ein Sammeltopf von Schwärmerei,
Verworrenheit und Denkfaulheit.

Auch viele Einzelheiten in L.s Buch sind von Interesse,
wie daß Schw. nicht, obwohl Th. Ziegler es gern wollte, Dozent
für Philosophie wurde; es wäre ihm dadurch das Predigen erschwert
worden; man denkt daran, daß Schleiermacher wesentlich
aus demselben Grunde den Ruf nach Würzburg ablehnte.
Auch die Frage hat L. besprochen, warum Schw. keine Organisation
schuf, die seine Gedanken durchzuführen sucht. Ein
Verzeichnis von Schw.s Schriften und der wichtigsten Schriften
über ihn ergänzen das Buch, das mit vielen Bildern geschmückt
ist. Ich begrüße es sehr.

Als Vertreter universalen Menschentums in unsrer Zeit wären (101),
wenn man zunächst an Deutsche denkt, neben oder vor Scheler und Schweitzer
etwa Wuudt und Harnack zu nennen gewesen. Die Verse (210 f.) „Ich glaube,
daß die schöne Welt regiere" usw. sind von dem Brcslauer Rationalisten David
Schulz, und wenn uns auch der Ton fremd geworden ist, sachlich steht Schw.
diesem Manne in der Tat nahe (S. 210 Z. 12 v. u. lies hat mit, Z. 2 v. u. lies
uns dorten, S. 211 Z. 9 Ende streiche was ich). Daß der Verf., da das Buch
in der Schweiz gedruckt wurde, nicht rechtzeitig hat Korrektur lesen können,
ist sehr begreiflich; ich stelle die sinnstürenden Fehler hier zusammen: S. 23
Z. 4 lies Onkel, S. 33 Z. 9 und an allen anderen Stellen, wo Leop. Ziegler genannt
ist, lies Theobald. S. 36 Der Pariser Eug. Menegoz las NT und Dogmatik;
der Straßburger Dogmatiker Ferd. M. war sein Neffe. S. 42 statt alias lies
Sohn von. S. 72 Abs. 2 kann eine der Jahreszahlen nicht richtig sein. S. 87
letzter Absatz Z. 2 lies Christusbild. S. 117 Z. 1 statt nötig lies möglich.
S. 156 Z. 12 lies einer und (statt seiner) ihrer. S. 182 Mitte lies Abenteurer.
S. 190 Z. 4 statt deutsche lies die. S. 191 Z. 2 lies jüdische. S. 209 ist der vorletzte
Absatz doppelt gesetzt.

2. Hauterre schreibt geschickt, schlicht, warm, ohne auf
Schw.s theologische Arbeiten und seine Musik näher einzugehen
. Das letzte Viertel bilden Bekenntnisse von Schw. selbst.
Von Interesse sind Angaben, daß jetzt auch Lainbarene durch
Autostraßen in den Weltverkehr einbezogen ist. Als erste Einführung
besonders geeignet.

3. Rees spricht als Arzt, der sich nicht auf sein Fach beschränkt
, seine tiefe Übereinstimmung mit Schw.s Kthik aus.

Niederbobritzsch H, Mulert