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Ausgabe:

1949 Nr. 10

Spalte:

591-594

Autor/Hrsg.:

Heussi, Karl

Titel/Untertitel:

Schriften zur Geschichtslogik und zur Geschichtstheologie 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 10

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liegt nur handschriftlich vor1. In der Zuschrift an Herzog
Albrecht von Preußen heißt es, Aquila sehe das Ende der Welt
sich herbeinahen, die Liebe sei erkaltet, der Glaube ausgelöscht
, die Bosheit nehme also überhand, daß man die elenden
Menschen, Kaiserlein und Königlein mehr fürchte als den
großen mächtigen lebendigen Gott, dieweil jetzt so viele Theologen
, Doktoren, Hochschulen, Fürsten und Herrn, viele
Städte und Herrn vom Adel vom Evangelium abfallen und
dem verfluchten Interim zufallen, um nur allein zeitlichen
Frieden zu haben; nach dem ewigen Frieden würden die
blinden Bauchdiener gar nicht fragen, wie denn ein vergiftigtes
junges Schandinterim neulich zu Leipzig ausgegangen sei, das
aus Menschenfurcht die ganze rechte Religion verwerfe und
den papistischen Irrtümern recht gebe; wider solche seelenmörderische
Menschenfurcht habe er diesen Sermon geschrieben
.

Auf Grund der drei Textstellen Jes. 8, 12—15; 51- 7 nn(^
12—14; 43, r legt der Verfasserin seiner klar disponierten
Schrift in drei Teilen die falsche Menschenfurcht, die rechte
reine Gottesfurcht und deren Nutzen dar. Menschliche Furcht
sei nichts anderes als Scheu haben vor den zukünftigen Übeln,
aber der Gottlosen Furcht ist viel ärger, als sie glauben; sie
fürchten Gott, wo doch ihr Herz falsch und unrein ist. Christliche
Gottesfurcht ist ewige Scheu und Ehrerbietung zu Gott,
seine Worte zu Herzen nehmen, nicht wider ihn tun, nichts
von sich selbst und seinen Werken halten, sondern allein sich
auf Gottes Gnade in Christus und seine Verheißungen und
Beweise verlassen. Zu solcher Gottesfurcht treibt uns fünferlei:
Gottes Gebot, sodann sind wir schuldig, Gott zu fürchten,
ihn stets vor Augen haben und zuletzt soll uns der grausame
merkliche Schaden ebenso wie der große Nutzen dazu bewegen
. Dieser Nutzen rechter christlicher Gottesfurcht besteht
in dem zeitlichen Nutzen des Reichtums, frommen
seligen Kindern, langem Leben, Schutz und Schirm, Glück
und Heil, Erlösung durch Gott von allem Übel. Zum andern
erleben die Gottesfurchtigen einen großen geistlichen Nutzen,
die Furcht göttlicher Weisheit, daß wir uns selbst und Gott
erkennen, daß der Mensch ewig verdammt im Tode geblieben

') Staatsarchiv Königsberg, Konzepte A4 als Beilage; Titel: Von der
Rechte Selige / Furcht Gottes: / wider die arge Schedliche / Menschen vnd
Teuffels Furcht / welche itzt so vil stedt land vnd Leut: / vom Ewigen wort /
Gotts abwendet zue Lugin / auß dem propheta Jesaia / am 8. Cap. / Durch
M. Casparim Aquilam / pfarhern zu Salfeld / 1549 / Andree die. 15 Blätter
in Quart, mit einem besonderen Anschreiben vom Andreastag (30. Nov.)
1549 an Albrecht von Preußen übersandt.

wäre, hätte Gott uns nicht durch seinen Sohn aus Gnade und
Erbarmen erlöst. Für die Gottesfürchtigen soll die Sonne der
Gerechtigkeit aufgehen und ein Brunnquell des Lebens in ihren
Herzen entspringen, daß sie die Stricke des Todes meiden.
Die rechte Gottesfurcht treibt die Sünde aus, sie macht ein
feines Herz, gibt Freude und Wonne ewiglich. Gott erhört
alle Gottesfürchtigen und tut, was sie begehren, sie erleben
die Gnade Gottes. Zum Dritten werden die Gottesfürchtigen
auch ewig gesegnet. Solche Gottesfurcht hat der Mensch nicht
von Natur aus, noch kann sie erwachsen und kann ohne
sie der Mensch nicht selig werden. Darum sollen wir Gott um
seinen heiligen Geist bitten, daß er unser Herz erleuchte.

Herzog Albrecht nahm die beiden Schriften gütig auf
und erfreute den Verfasser mit einem Ehrengeschenk von
20 Talern1, aber der Druck der Schriften wurde immer wieder
hinausgeschoben. Erneut bat Aquila, der inzwischen Stiftspfarrer
zu Schmalkalden geworden war, den Herzog, Joachim
Mörlin, der Dompfarrer und Inspektor zu Königsberg geworden
war, möge „durch seine gute wohlberedte zierliche
schöne deutsche Sprache Aquilas beide Schriften in die Welt
hinausfliegen lassen". Sie wurden jedoch niemals gedruckt.

Unter den Liederdichtern der Interimszeit begegnet
Aquila mit dem Liede „Herr Grickel lieber Domine"2.

Noch einmal klingt Aquilas ganze Wut gegen das
Interim und seine Verfechter am Schlüsse seiner „Getreuen
Unterweisung" vom Jahre 1551 durch: „Der liebe Herr Jesus
Christus möge uns bei der rechten Lehre erhalten und vor
den allervergiftigsten Interimisten, Sophisten, Papisten, Adia-
phoristen und falschen Christen, die jetzt in Schafskleidern
ihres unreinen verfluchten Interims die armen Schäflein Christi
mit tödlicher Weide ermorden wollen".

Die politische Lage war umgeschlagen. Im Frühjahr 1552
unternahm Moritz von Sachsen seinen überraschenden Feldzug
gegen den Kaiser, der zum Passauer Vertrag und Augs-
burger Religionsfrieden führte und damit den Protestanten
Glaubensfreiheit sicherte, zugleich aber auch mit seinem
Grundsätze „Cuius regio eius religio" das Landeskirchentum
und die konfessionelle Spaltung in Deutschland besiegelte.

1) Staatsarchiv Königsberg, Konzepte A 4: Brief Aquilas vom Tag Elise'
(14. Juni 1551).

2) Die Lieder gegen das Interim (Serapaeum 23 [1862], 295): „Schöner
Lieder Zwey, Vorhin noch nie in Truck ausgangen, Das Erst, von Griese'
Interim. Im thon Martinus ist nit geschwigen. Das Ander, von dem Landgrafen
auß Hessen, wie er es hat ausgericht etc.". Ohne Ort und Jahr (1S48)-
Das erste Lied ist von Aquila (Wackernagel, Bibl. d. Kirchenliedes 223).

Schriften zur Geschichtslogik und zur Geschichtstheologie. III.

Von Karl Heussi, Jena

haft empfinden, wie diese Studien bei aller Zeitbezogcuh01'
doch nichts weniger als zeitgebunden sind und daher uoc»
heute mit ursprünglicher Frische auf den Leser wirken.

Anspruch auf Beachtung erheischt auch Hans Jur|eJf
Baden mit seinem Buche über den Sinn der Geschichte1. Au
einen kurzen, dichterisch-symbolischen Prolog, der in originelle
Weise Reiz und Verantwortung des Themas fühlbar nuM* '
folgen Essays zur formalen und zur materialen Geschieh1
Philosophie. Sie sind in sieben Kapitel gegliedert: GeschicW**
Schreibung, Geschichtsphilosophie, Der Mensch in der G*
schichte, Geschichte und Politik, Metaphysik der Geschieh1 •
Geschichte und Zeit, Theologie der Geschichte. Scharf angelehnt
wird die politische Historie, wie sie der in seiner £e
vom Beifall umtoste Treitschke trieb. Aber auch Rankes Prrj
gramm, festzustellen, „wie es eigentlich gewesen" sei,
Lamprechts psychologisch orientierte Geschichtsauffassu e
und nicht minder die ökonomisch orientierte Geschichtsansic
verfallen Badens Kritik, so überhaupt jede „Ideologie" u
jede „Weltanschauung". Abgewiesen werden auch die v
schiedenen Versuche, der Geschichte einen Sinn abzuring '
der sog. „Historismus", die ästhetische Geschichtsbctrac
tung, der Fortschrittsglaube der Aufklärung, dem eine
sonders entschiedene Absage gegeben wird, schließlich *^
auch die pessimistische Beurteilung der Geschichte, die llDicr
haupt keine Sinngebung zuläßt und damit verkennt, daß
Sinn der Geschichte ein Gebot der Selbsterhaltung *? jjfl
vielen Formen der Geschichte sieht der Verf. lediglich t
Menschen auf der Flucht vor dem Tode und auf der rl«

') Baden, Hans Jürgen: Der Sinn der Geschichte. Hamburg: W'ttig

1948. 346 S. kl. 8°. Kart. DM7.50; Pp. DM8.80.

In dem regen Fortgang der Erörterung der geschichts-
theoretischen und geschichtstheologischen Probleme verrät
sich die unheimliche Erschütterung unseres Kulturlebens.
Weil die Unruhe noch lange weiterbestehen wird, wird auch
die leidenschaftliche Diskussion dieser Probleme vermutlich
andauern, was nicht ausschließt, daß sich innerhalb gewisser
Möglichkeiten eine gewisse Klärung durchsetzt.

An die Spitze dieser Ubersicht stelle ich als besonders bemerkenswert
die Zusammenfassung einer Anzahl älterer Studien
, die Friedrich Meinecke unter dem Titel „Schaffender
Spiegel" herausgegeben hat1. Der „schaffende Spiegel" ist
eine Wendung des Mephistopheles gegen Faust. Meinecke
sieht in ihr ein Gleichnis für die Arbeit des Historikers, in
dessen Geschichtsbild sich Subjekt und Objekt verschmelzen.
Die Wendung führt so auf das Grundproblem der historischen
Gestaltung, mit dem die hier vereinigten Aufsätze es zu tun
haben. Diese stammen aus der Zeit von 1913 bis 1929/30 und
sind alle schon früher an verschiedenen Stellen veröffentlicht.
Es ist dankenswert, daß wir sie nun in dieser Sammlung beisammen
haben. Es handelt sich um die Studien: Persönlichkeit
und geschichtliche Welt, Kausalitäten und Werte in der
Geschichte, Germanischer und romanischer Geist im Wandel
der deutschen Geschichtsauffassung, Zur Beurteilung Rankes,
Johann Gustav Droysen, Ernst Troeltsch und das Problem des
Historismus. Wer diese durch Kraft der Charakteristik und
Glanz des Stils ausgezeichneten Aufsätze schon bei ihrem
ersten Auftreten gelesen hat, wird bei erneuter Lektüre leb-

■) Meinecke, Friedrich: Schaffender Spiegel. Studien zur deutschen
Geschichtsschreibung und Geschichtsauffassung. Stuttgart: K- F. Koeh-
ler 1948. 236 S. 8°. Pp. DM6.50.