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Ausgabe:

1949 Nr. 10

Spalte:

587-592

Autor/Hrsg.:

Biundo, Georg

Titel/Untertitel:

Aquila und das Interim 1949

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587

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 10

588

Aquila und das Interim1

Von Georg Biundo, Mainz

Das 1548 zu Augsburg für die Protestanten Deutschlands
aufgestellte Ausnahmegesetz, das sog. Interim, sollte eine vorläufige
Ausgleichung der Religionsdifferenzen bis zu einem
freien Konzil erreichen. Viel bedeutsamer als die Bedrohung
der evangelischen Wahrheit durch die dogmatischen Artikel
war der Angriff des Interims gegen den evangelischen Kultus
und die evangelische Kirchenordnung, also an zwei Stellen,
die nicht Glaubensartikel sind. Das Interim war nichts anderes
als „eine Brücke, auf der man wieder in das Papsttum zurückgehen
wollte". Das ganze abgeschaffte „Teufelswerk" wie die
Messe, getarnt auch die Siebenzahl der Sakramente, der
Heiligendienst, Prozessionen und Feste, Weihen und Meßgewänder
, sogar der Ablaß, wenn auch verkleidet, kehrten
wieder zurück. Als Mitteldinge oder Adiaphora, an sich weder
gut noch böse, sollten sie den Evangelischeu annehmbar gemacht
werden. Mit diesem Angriff auf den Kultus griff man
auch die Kirchenverfassung an und verankerte im Interim
wieder die Gerichtsbarkeit der Bischöfe und den „obersten
Bischof", wie man vorsichtig den Papst nannte. Vor allem
aber nahm man den Evangelischen ihre Angriffswaffen, die
Predigt und das gedruckte Wort.

Nachdem in Sachsen kein Widerstand zu erwarten war,
veröffentlichte der Kaiser am 15. Mai 1548 das Interim als
Ausnahmegesetz für die Evangelischen. Die Annahme des
Interims hätte den Untergang des Reformationswerkes bedeutet
, enthielt es doch keinen einzigen Punkt, der die evangelische
Lehre klar und rein ausdrückte. Während der Kaiser
in Süddeutschland rasch und hart durchgreifen und die Annahme
des Interims erzwingen konnte, war die Lage in Norddeutschland
für die Evangelischen günstiger, wo besonders
Magdeburg, die Zufluchtstätte der verjagten Lutherauer,
„Gottes Kanzlei", mit seinen Druckereien die Seele des
Kampfes gegen das Interim wurde. Widerstrebte auch der
größte Teil der evangelischen Stände, so wagten nur wenige
wie Hans von Küstrin und Pfalzgraf Wolfgang von Zwei-
brücken offen zu protestieren2. Andere dagegen wie der Kurfürst
Joachim von Brandenburg waren eine Hauptstütze des
Interims, sein Hofprediger Johannes Agricola half es mit
schmieden. Er konnte sich rühmen, den „Vorreigen beim
Interim gemacht und den Kaiser und den Papst lutherisch
gemacht zu haben". Moritz von Sachsen wollte einerseits dem
Kaiser Genüge tun, andrerseits aber auch der Stimmung
seines Landes Rechnung tragen und ließ auf Landtagen und
Theologenkonventen das ganze Jahr 1548 verhandeln. Nur
einer hielt sich tapfer: dem gefangenen Kurfürsten Johann
Friedrich von Sachsen hatte im Juli der Kaiser vortragen
lassen, die Annahme des Interims könne ihm die Freiheit
geben, aber voll schlichten, standhaften Glaubens gab er nicht
nach. Alle Zwangsmittel wie strengere Haft und Wegnahme
seiner Bibel und lutherischen Bücher konnten ihn an seinem
entschiedenen Nein, das auch für seine Söhne und Untertanen
galt, nicht irre machen.

Entscheidend in diesem Kampfe konnte aber nicht das
ernestinische Herzogtum, sondern nur das albertinische Kursachsen
sein: Kurfürst Moritz und die Wittenberger Theologe
n'J. Die Wittenberger Hochschule versagte. Melanchthon
war persönlich bemüht, eine Entscheidung gegen das Interim
vor der evangelischen Öffentlichkeit zu vermeiden und wollte
mit privaten Gutachten und der Teilnahme an Geheimverhandlungen
helfen. Gedeckt durch die Autorität der Wittenberger
Theologen kam es im Dezember 1548 zu dem sog.
kleinen Leipziger Interim, das einen großen Teil der abgeschafften
Zeremonien wiederherstellte. Auf dem Tag zu
Grimma (1. Mai 1549) setzte Moritz persönlich die Annahme
einer neuen Agende durch. War äußerlich gesehen die Auswirkung
des Interims in Sachsen dank der eingeschlagenen
Verschleppungspolitik gering, innerhalb der Kirche war sie
aber um so stärker4.

') Der Aufsatz will neben der kurzen Herausstellung der Bedeutung
eines Streiters gegen das Interim überhaupt auf zwei Traktate desselben aufmerksam
machen, die ich seinerzeit im Staatsarchiv Königsberg gefunden habe
und die nur handschriftlich vorliegen. Da sie heute der wissenschaftlichen
Arbeit wohl kaum mehr zugänglich oder gar verloren sein werden,
dürften meine Ausführungen über den Rahmen des eigentlichen Themas hinaus
vielleicht größere Aufmerksamkeit beanspruchen.

2) A. v. Druffel, Beitr. z. Reichsgesch. I, Nr. 169 u. 226.

3) Hs. Chr. v. Hase, Die Gestalt der Kirche Luthers (1940), 26.

*) v. Hase, a. a. O. 33. Hase weist nach, wie Flacius im Interimskampf
erstmals im Luthertum den inneren Zusammenhang zwischen Bekenntnis

Welche Rolle spielte Kaspar Aquila in diesem Kampfe
gegen das Interim ? Als den Söhnen des gefangenen Kurfürsten
die Einführung des Interims in ihrem Lande befohlen
worden war, luden sie am 26. Juli 1548 die Theologen des
Landes, unter ihnen auch Aquila, zur Prüfung des Interims
nach Weimar. Zwei Tage später überreichten 16 Theologen
die Schrift „Der Prediger der jungen Herrn Johan Friderichen
Hertzogen zu Sachsen etc. Söhnen Christlich Bedencken auf
das Interim", das auch im gleichen Jahre gedruckt wurde1.
Darin zeigten sie in 26 Punkten, was am Interim als nicht
der Schrift gemäß unannehmbar war. Neben Nikolaus von
Amsdorf und Justus Menius war Aquila der Hauptmitarbeiter
an diesem Gutachten, das er an fünfter Stelle unterschrieb2.

Kurz vorher sprengte Aquilas einstiger Freund Agricola,
der das Interim mitschmieden half, das Gerücht aus, Aquila
sei demselben nicht abgeneigt. Auf der Heimreise vom Augsburger
Reichstage hatte er in Saalfeld Aquila für das Interim
zu gewinnen gesucht. Uber die Aussprache haben beide her-
nacli entgegengesetzte Angaben gemacht. So schrieb Agricola
dem Orlamünder Pfarrer Kaspar Glatz3, er habe „den sonst
stoischen und schroffen Aquila gleich vielen anderen dahin
gebracht, daß er jetzt dem Kaiser freundlich gesinnt und
voller Dank sei für seine Bemühungen, den Kirchenschaden
zu heilen"4. Als Aquila von Strigel in Jena erfuhr, daß Agricola
ihn auch dort als Interimsanhänger bezeichnet hatte5,
gab er seinen Freunden eine ausführliche Schilderung jener
Unterredung mit Agricola, wonach von einer Einigung
zwischen beiden keine Rede war, vielmehr alle Anpreisungen,
seine schönsten Lutherzitate und sein verlockender Hinweis
auf Osiander und der Nürnberger Beispiel (1721) ihre Wirkung
verfehlten6.

Seit jenen Tagen war die alte Freundschaft mit Agricola
für immer zerstört. Dem Manne, der es zum größten Teil durch
seine Charakterlosigkeit verdient und durch seine Ruhmredigkeit
heraufbeschworen hatte, der gehaßt, geschmäht und gehöhnt
wurde, wie selten einem deutschen Theologen widerfahren
ist, galt auch Aquilas Interimsschrift. Kaum hatte
Agricola Saalfeld verlassen, so schleuderte ihm Aquila seine
Apologie „Wider den spöttischen Lügner und unverschämten
Verleumder D. Islebium Agricolam" nach7. Diese Schrift in
einem für den modernen Menschen rauhen, harten Stil geschrieben
, ist ein „Arsenal urkräftiger Schimpfwörter" 8. Das
Interim nennt er „des Papstes Gauckelsack, diefalsche Teufcls-

und Kultus und Kirchenverfassung oder in Flacius Sprache zwischen den
Mitteldingen und dem Casus confessionis im Falle des Bekenntnisses klargelegt
hat.

') Bieck, Das dreyfache Interim 102/122. Abschrift In Staatsbibl. MÜO"
chen, Cod. germ. 4115 (Nr. 5), fol. 87 r—104, darin fol. 103 r die Unterschrift
Caspar Aquila, Pastor et Superattendens Salfeldiae, subscripsit.

2) Korrespondenzen und Akten über Aquilas und Amsdors Schriften I"1
sachsisch-ernestinischen Archiv zu Weimar K. p. 260, Nr. 7 und M. p.
Nr. 2.

3) Über Glatz (Glatius) vgl. Allg. Deutsche Biogr. 9 (1879), 220 f.

4) Vgl. den Brief Agricolas, jedoch mit wohl irrigem Datum (I.JU"
1548) in Ztschr. f. Kirch.gesch. II, 174 f.

') Strigel schrieb an Aquila: „Accipe tuum Aquilinum calamum et scribe
contra Interim". M. Saupe, Vita M. Casp. Aquilae, in Thür. Kirchl. Jahrb.
(1912, 23).

•) Dieses „Wahrhaftig Gespräch" Agricolas mit Aquila In Abschrift >n
Staatsbibl. München, Cod. germ. 4115, fol. 13—15. An Melanchthon schrie0
Aquila über diese Unterredung „die peccatricis" (= Freitag der Herbst-
quatember, 14. Sept.) 1549. Agricola meinte, das Interim sei das beste Wer
zur Einigkeit im ganzen Reiche und zur Vergleichung der Religion in ßa"z
Europa und der Papst wäre nun reformiert und der Kaiser lutherisch, Aq"1'^
habe ihm aber entgegengehalten, das Interim könne ihm nicht gefallen, im AnJ
fang ziehe es den Schafspelz an, hernach den grimmigen Wolf mit ihrem Me
opfer, Canon, Heiligenanrufung, papistischen Sakramenten, öl, ChrWJ*
Seelenmessen, Verdienst der Heiligen, de summo episcopo und anderes Teufe's"
geschmeiß. All das bezeichnete Agricola als Adiaphora, wer es nicht leide
mag, könne es unterlassen, niemand sei dazu gezwungen. ,

') Staatsbibl. München, Polem.221. Titel: „Wider den spöttischen /
Lügner vnd vnverschempten ver- / leumbder D. Isslebium / Agricolam. / Nö g,
verantwor- / tung vnd Ernstliche Warnung / Wider das Interim. / APolog'L
M. Casparis A- / quilae / Bischoff zu Salfeld. / M. D. XLVIII." Ohne Anga *
des Druckortes und Druckers; am Schlüsse das Datum: Oeben Freytag na
Jacob! 1548. Nachdruck in Magdeburg bei Chrn. Rödinger. Auch Staatsbi ■
Berlin Cu 72. Abschrift in Staatsbibl. München, Cod. germ. 4115 (Nr. 11),
1—12. Auch im Gem. Henneberg. Archiv in Meiningen IV A 2, 27 b.

!) Kawerau, Agricola (1881), 294.