Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1949 Nr. 9

Spalte:

557-586

Autor/Hrsg.:

Elert, Werner

Titel/Untertitel:

Die Herkunft der Formel Sanctorum communio 1949

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6, Seite 7, Seite 8, Seite 9, Seite 10, Seite 11, Seite 12, Seite 13, Seite 14, Seite 15

Download Scan:

PDF

557

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 9

558

Diskussion um den „Anknüpfungspunkt") hat ihren Grund
im Fehlen einer ausgebildeten Lehre vom Heiligen Geist.
Als konkrete Erfahrung des Christus praesens ist er zugleich
die spezifisch christliche Erkenntnisform.

Erkenntnis der Sünde kann bis zu einem gewissen Grade
konkret gemacht werden durch die Einsichten der Psychoanalyse
(Augustins „concupiscentia" und Freunds „libido",
Luthers „Verknechtung des Willens als Ichsucht" und „ständiges
Introversiertsein (siel) des autistischen Menschen"
brauchen „für einen Christen keinen Unterschied auszumachen
(2,94 ). Aber nur der Heilige Geist deckt die Sünde
auf (2, 98); „nur in der Christusbegegnung kann es zu einem
Schuldbekenntnis des Menschen kommen" (2, 101).

„Rechtfertigung" ist keine „Gnadeneingießung" im
katholischen Sinne, aber auch kein „forensischer Akt" im
Sinne der lutherischen Orthodoxie, sondern „ein pneumatisches
Ereignis, das sich darstellt in dem Sein in Christo"
(2, 136). „Der Gehalt der Gnade ist das im Christus praesens
uns widerfahrende Mysterium Gottes selber" (2, 153). „Wenn
das Leben Christi unser Leben wird . . ., dann haben wir unmittelbar
teil an dem ganzen Gnadenstand, der der seinige
ist" (2. 153)-

„Anstatt mit dem Reichtum des NT arbeitet die evangelische
Theologie (besonders die der dialektischen Schule)
mit dem Fremdkörper der (Kierkegaardschen) Existenzphilo-
sophie als mit einem Ersatzmittel" (2, 158).

Nicht nur die theoretische Definition der Kirche ist
auf dem Boden des Protestantismus schwierig; sondern infolge
der Auflösung der Liturgie ist „eine Gesamtstörung des ganzen
Kreislaufs der Kirche eingetreten" (2, 200). „Die Barthianer
ersterben vor intellektueller Richtigkeit" (als Wort des dänischen
Exkirchenministers Arne Sörensen von D. zitiert 2, 203).
Kirche ist das „Christus pro nobis" (2, 205). Es ist zu unterscheiden
zwischen ihrer pneumatischen und ihrer soziologischen
Gestalt. „Das konstruktive Gerüst des reformatorisch-
lutherischen Kirchenbegriffs ist die Lehre von der Glaubensrechtfertigung
" (2, 194). (D. übt an dem kirchlich destruktiven
Verlauf der Reformation scharfe Kritik.) Die neutesta-
uientliche Lehre von der Kirche ist viel reicher. „Wir haben
es in der Kirche als dem Leibe Christi mit der Inkarnation des
auferstandenen, erhöhten Herrn zu tun, das heißt mit dem
Christus praesens, der als der Heilige Geist den Leib der Kirche
formt und gestaltet. Solche Ekklesia ist also die Offenbarung
Gottes in dieser Heilszeit des Christus praesens" (2, 227). Das
heißt zwar nicht, „daß die uns in Christus Jesus vorgestellte
Offenbarung noch irgendeiner nachzeitigen Ergänzung oder
Vollendung bedürfe. Wohl aber bedeutet dies, daß diese
Offenbarung in Jesus Christus sich immer wieder in ihrer
ganzen Fülle verwirklicht, d. h. sich in uns vergegenwärtigt"
(2,229) ,,Die Ecclesia als der Leib Christi stellt die Existenz-
Weise des Christus praesens selber dar" (2, 231).

Als „pneumatisches Gebilde" tritt uns die Kirche in ihrer
..Herrlichkeitsgestalt", als „soziologisches Gebilde" in ihrer
..Knechtsgestalt" entgegen. Indem das Wort „Leib" wird,
erzeugt es eine bestimmt geartete „Lebensgemeinschaft des
Mensehen" (2, 236). Sie umfaßt mehr als nur „Wort und
Sakrament", die „instrumenta gratiae", aber nicht das ple-
roina der Gnade sind. Die Definition der Augustana (ecclesia
est, ubi. . .) ist also zu eng. „Die soziologische Wirklichkeit
^er Kirche ist meist auch umfassender als ihre Rechtsgestalt"
(2, 240), die Diskussion um Sohm darum thematisch zu begrenzt
". Wo der pneumatische Christus sieb in dieser Welt ver-
Wblicht, muß es zu kulturellen Organismen kommen, die wir
a's echte soziologische Organismen am Leib Christi ansprechen
u"d bezeichnen können" (w; 248). Solche sind bzw. waren
•j*ch D. die Innere Mission, der Soziale Kongreß, die evange-
hschen Akademien, christliche Schulen usw. „Zur Zeit ist die
evangelische Kirche in Deutschland ein doketistisches Gebilde,
Uas ihr Wesen nach Augustana VII in Wort und Sakraments-
verkündigung erfüllt sieht" (2, 254).

„Der Zerfall des Ereignischarakters im Wortbegriff der
Evangelischen Theologie . . . wirkt sich in der Sakraments-
'ehre aus" (2, 260). Denn das Sakrament lebt von der Dyna-
gtö des Wortes. Besonders deutlich wird dies in der dialek-
t'schen Theologie, „deren Intellektualismus uns im Dahin-
^ehwinden der Sakramente deutlich wird" (2, 260). Barth
jgölt die Kindertaufe ab. Warum eigentlich, wenn er „in der
yage der Ausprechbarkeit des Menschen durch das Wort
5u-h dafür entschied, daß selbst neugeborene Kinder und
PQjOtea ansprechbar bleiben, selbst ohne daß man diesen noch

besonderes Organ für solch Empfangen des Wortes zu-
pUUgen müßte" (2, 261)? Die überkommene protestantische

Auffassung von den Sakramenten ist rein „institutionell", das
Grundsätzliche der Wesensbestimmung liegt durch das Schrift-
priuzip fest und begrenzt den reformatorischen Sakramentsbegriff
in der Weise, wie er sich dann auch in der nachfolgenden
Zeit durchgesetzt hat. Der institutionelle Charakter steht
für die Nachfahren fest" (2, 268). „Demzufolge sind die Probleme
, die sich nunmehr für die reformatorische Sakramentsproblematik
ergeben, exegetische Probleme dieser Einsetzungstexte
, die wie ein Inzuchtsvorgang nach und nach das ganze
Sakramentsproblem vereinseitigen und degenerieren (sie!)"
(2, 269). „Jedes Gespräch, das von diesen Voraussetzungen ausgeht
, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt" (2, 271).
„Das Sakrament ist vielmehr als das Mysterium der Inkarnation
ein Handeln Gottes durch seinen erhöhten Christus
auch heute unter uns, und das Sakrament ist als Verordnung
des Jesus Christus ein Handeln des Menschen in Taufe und
Abendmahl, das'auf solche Verordnung und Verheißung geschieht
... Es ist ein instrumentum incarnationis Christi.
Darin hat er sein eigentliches Zentrum und Wesen" (2, 283).

Mit Bezug auf die Taufe bedeutet dies, daß „es hier um
die Gleichgestaltung mit dem Ebenbilde Jesu Christi geht"
(2, 288). Die Kindertaufe ist deshalb kein prinzipielles Problem
der Tauflehre, weil es bei der Taufe in jedem Falle, auch bei
der Erwachsenen taufe, um einen „Schritt vom Tode zum
Leben geht" (2, 294) und weil „der qualitative Akt der Neugeburt
des Menschen sich weder bei dem Kinde noch bei dem
Erwachsenen in der Gleichzeitigkeit des Sichbewußtwerdens
mit dem Schöpfungsakt Gottes vollzieht" (2, 295).

Sinn des Abendmahls ist, daß es „die pneumatische
Lebensgemeinschaft mit dem Christus praesens . . . herstellt"
(2, 3°°)- Das Wesen der im Abendmahl vermittelten Gnade
„liegt nicht in der Substanz der Abendmahlselemente und
deren Substanzverwandlung beschlossen, sondern ... ist ein
personeller und christologischer Befund. Es Li nicht Substanz
und Substanzverwandlung, sondern es geht hier um Person
und Personen Wandlung" (2, 312). Die Teilnahme am Abendmahl
ist aber zugleich ein Opfergang: „der am Abendmahl
Teilnehmende opfert sich und alles, was er ist, Gott selber
zu dienen" (1, 320).

Es folgt nun noch ein Abschnitt über „die Wirklichkeit
des Christus praesens in der Geschichte", auf den ich nicht
weiter eingehe. Die ausführlichen Zitate haben gleichzeitig
den Zweck, Proben vom Stil des Verfs. zu geben.

Kritik ? Ja, wo soll man da anfangen und wo aufhören I
An vielen Stellen des Buches lacht dem Leser das Herz im
Leibe, weil da ein Heiliger Michael aufzustehen scheint und
sich anschickt, den Drachen der Zwietracht, der Enge und
des Hochmuts in der evangelischen Kirche zu bekämpfen;
man liehe ihm gern einen Pfeil aus dem eigenen Köcher. Aber
dann bekommt man wieder Angst um ihn, weil er so schief im
Sattel sitzt. Ich will mich auf das Allerwichtigste beschränken
und so kurz sein, wie ich kann.

1. Der Ansatzpunkt. Daß es heute um die Frage nach
der Kirche geht und daß uns deutlicher werden sollte, was
Heiliger Geist ist, darin hat D. recht. Aber darf man daraus
ein methodisches Erkenntnisprinzip der Dogmatik machen ?
Hat nicht eine Dogmatik u. a. gerade die Aufgabe, das Gleichgewicht
im Verhältnis der drei Glaubensartikel zu wahren.
Man muß auch nicht unbedingt eine Dogmatik schreiben. Die
ganz großen Kirchenväter haben in der Regel dazu gar keine
Zeit gehabt, von Ausnahmen abgesehen.

2. Tentatio und confessio ? Bei Toynbee heißt es „Chal-
lenge and response" und wird als das treibende Prinzip im geschichtlichen
Fortschritt der Kultur betrachtet. Man kann
also offenbar dies „existentialistische" Erkenntnisprinzip von
der Dogmengeschichte auf die Gesamtgeschichte ausdehnen.
So verstanden hätten wir es bei ihm mit einer menschlichen
Erklärung des Dogmas bzw. der Religion und Kultur zu tun.
Nun hat das Dogma gewiß auch eine menschliche (manchmal
sogar allzumenschliche) Komponente. Aber aus ihr sollte man
gerade kein „morphologisches Prinzip" machen. Denn das
Dogma der Kirche bezieht sich jedenfalls auch auf die in
Christus offenbar gewordene absolute Wahrheit.

3. „Morphologie der Offenbarung"? Richtig ist, daß
Gottes Offenbarung eine Geschichte hat und daß eine rein
spekulative Trinitätslehre dem Unterschied der Testamente
und dem Unterschied der drei Glaubensartikel nicht gerecht
wird. Aber es geht doch bei der Offenbarung in der Geschichte
immer nur um eine „Gestalt", nämlich die des einen wahren
Gottes, der in Christus Fleisch geworden und durch den Heiligen
Geist Christi unter uns gegenwärtig und lebendig ist.