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Ausgabe: | 1949 Nr. 9 |
Spalte: | 554-559 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Dilschneider, Otto A. |
Titel/Untertitel: | Gegenwart Christi 1949 |
Rezensent: | Delekat, Friedrich |
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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 9
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Glaubenszeugnisse je für sich, am wenigsten als solche ihrer
Verfasser. Vielmehr hat die Kirche sich die Einzelbekenntnisse
und ihre Sammlung zu eigen gemacht und als Ausdruck
ihres Schriftverständnisses anerkannt, eines Schriftverständnisses
, das freilich immer neue Nachprüfung seiner Richtigkeit
an der Schrift selber erheischt. Diese Nachprüfung vorzunehmen
ist die Aufgabe der Dogmatik. Die Theologie der Be-
kenntnisschriften führt nicht nur ein in den Lehrinhalt der
Einzelbekenntnisse, sondern sucht jedes Symbol, jedes einzelne
Lehrstück und das Corpus der Bekenntnisse von der
,.Mitte" her, und das ist der Rechtfertigungsartikel, zu verstehen
. In dem Sinne nimmt sie einen Nachvollzug der Schriftauslegung
der Bekenntnisschriften vor.
Die Gefahr des Schlinkschen Verfahrens ist an sich eine
unerlaubte, weil sachwidrige Harmonisierung der Bekenntnisse
. Schlink erliegt aber der Gefahr nicht. Im Gegenteil
schenkt er ganz besondere Aufmerksamkeit sowohl den
Lücken in den Bekenntnissen als auch den Spannungen und
Gegensätzen, wobei dann zu untersuchen ist, ob eine Bekennt-
nisschrift die andere ergänzt und erweitert, berichtigt oder
hinter ihr zurückbleibt. Gleich im ersten Kapitel legt Schlink
den Finger darauf, daß die Bekenntnisschriften ganz wenig
über Gott den Schöpfer sagen. Er stellt fest, daß das nicht
Mangel ist, sondern rechtinäßigerweise so geschieht. Gott als
der Schöpfer ist verborgen. „Könnte es nicht sein, daß man
schon nicht mehr das Evangelium verstanden hat, wenn
man von der Schöpfung mehr sagen will, als in den Bekenntnisschriften
gesagt ist?" (S. 68). Im einzelnen verarbeitet
Schlink seine Abhandlung „Die Verborgenheit Gottes
des Schöpfers nach lutherischer Lehre" (1936). Natürlich sieht
Schlink weiter, daß nur ein einziger Artikel im ganzen Kon-
kordienbuch ein ausdrücklich eschatologisches Thema hat
(CA XVII); aber demgegenüber sagt er, daß die ganze Lehre
in allen Artikeln voller eschatologischer Erwartung ist. Zu'klar
ist mir, was Schlink über die Fragen der Kirchenleitung
schreibt. Steht wirklich (vgl. S. 339) auf alle Fälle fest, daß
(nach den Bekenntnisschriften) nur die Kirche selbst die Vollmacht
hat, Kirche zu leiten, und daß dies zu geschehen hat
durch das geistliche Amt ? Gewiß ist ein Staatskirchendenken
in die Bekenntnisschriften hineingelesen worden, das sie nicht
enthalten /Mejer, Höfling). Aber es dürfte geraten sein, einfach
festzustellen, was die Bekenntnisschriften nicht, mindestens
nicht ausdrücklich und klar sagen, und auf die Fragen
und Aufgaben hinzuweisen, zu deren Beantwortung bzw. Bewältigung
uns die Bekenntnisse nicht unmittelbar helfen.
Die Gegensätze und Spannungen, die Schlink zwischen
den einzelneu Bekenntnisschriften sieht, beziehen sich im allgemeinen
auf das Verhältnis der Konkordienformel zu den vorangehenden
Bekenntnissen. Die Aussagen der melanchtho-
lischen Bekenntnisse einerseits und der lutherischen andererseits
werden in der Regel auf einen Nenner gebracht, bzw. es
Verden Akzentverschiebungen festgestellt. Aber von der Konkon
iieufonnel ist nicht der volle Gehalt des lutherischen
Wiedergeburtsbegriffes aufgenommen (S. 179), und das dogmatische
Interesse ist verschoben von der Norm des gepredigten
Evangeliums hin zur formalen Norm der heiligen
Schrift (S. 282). Dem Prädestiuationsartikel steht Schlink
(m. E. mit Recht) kritisch gegenüber. Freilich hinsichtlich
mres ersten Artikels mit ihrer Erbsündenlehre findet die FC
Schlinks Zustimmung, zumal von daher abgeleitet wird, daß
der gefallene Mensch wohl Geschöpf und Sünder zugleich, ihm
aber von seiner imago Dei nichts geblieben ist (die Frage nach
dem Recht der Rede von „ Schöpfungs"Ordnungen wird nicht
bestimmt beantwortet).
. Mit dem Hinweis auf die kritischen Sätze zur Konkordien-
'Oftnel ist nun aber schon auf das hingedeutet, was charakte-
ri.stisch für das ganze Buch ist. Die Bekenntnisschriften sind
J1icht als Zeugnisse eines harten, sich scharf absetzenden
Luthertums interpretiert. Der Lehre von Gesetz und Evangelium
gibt Schlink die Darstellung, die bereits aus seiner
Schrift „Gesetz und Evangelium" (1937) bekannt ist. Der Weg
ührt vom Gesetz zum Evangelium, aber vom Evangelium
'ber Wiedergeburt und neuen Gehorsam wieder zum Gesetz,
^s heißt weder Gesetz — Evangelium noch Evangelium — Ge-
sondern Gesetz — Evangelium — Gesetz — Evangelium
Ü-Sw-, und mau kann die Reihe an jeder Stelle beginnen. Da
^esetz nur schriftoffenbarter Gotteswille und im Gesetz auch
r^angelium und im Evangelium auch Gesetz offenbart ist
}v8>. S. i84ff.; ich darf nicht verschweigen, daß ich mir diese
nterpretation nicht anzueignen vermag, mindestens den Ausguck
als mißverständlich ansehen muß), ist nun wirklich kein
'chroffer Gegensatz gegen die reformierte Lehre herausgesehen
. Betreffs der Prädcstinationslehre der Konkordienformel
wird nicht nur gefragt, ob sie mit den vorangegangenen
lutherischen Bekenntnisschriften übereinstimmt oder ihnen
widerspricht, sondern vermutet, man möchte dem Artikel
überhaupt nur gerecht werden, „wenn man üi ihm nicht eine
ausgeführte Prädestinationslehre, sondern nur eine spezielle
Anweisung dafür sucht, wie der zu trösten ist, der durch das
Wissen um Gottes doppelte Prädestination angefochten und
in Frage gestellt ist" (S. 394). Bei der Bestimmung des Verhältnisses
von Schrift und Bekenntnis wird eine Bindung der
Lehre an Bekenntnisschriften „im Sinne einer fides implicita,
nämlich abgesehen von der klaren exegetischen Erkenntnis
ihrer Schriftgemäßheit" (S. 58) abgelehnt und Wert darauf
gelegt, daß die Bekenntnisschriften fast ganz darauf verzichten
, Bekenntnis als Norm zu bezeichnen (vgl. S. 54). Beim
Abendmahl ist wichtig, daß die Abendmahlslehre vor der Konkordienformel
nicht Gegenstand selbständiger christologischer
Betrachtungen ist (S. 257), daß CA und Ap vom Empfang des
Leibes und Blutes Christi durch die Ungläubigen schweigen
(S. 245) usw. Die Tatsache, daß im lateinischen Text von
Art. X der Augsburgischen Konfession die Elemente nicht
genannt sind und damit auch keine Aussage über die Beziehung
von Brot und Leib und Wein und Blut gemacht ist,
wird festgestellt, aber vorsichtig behandelt. Immerhin heißt
es dann: „Die Verhältnisbestimmung von Brot und Leib,
Wein und Blut stand nicht in der Weise im Vordergrund der
dort entwickelten Abendmahlslehre, daß eine allseitige Klarstellung
in diesem Punkt erfolgt wäre" (S. 236).
So sagt nun Schlink freilich: „Es ist nicht erlaubt, dort
Kircheneinheit zu erblicken, wo die Bekenntnisschriften einer
Kirche diejenigen einer andern in der Lehre vom Evangelium
oder von den Sakramenten verwerfen" (S. 282), und er sieht
wohl die ernste Problematik der Unionen des vorigen Jahrhunderts
. Aber er ist weit davon entfernt, die Verwerfungsartikel
stark herauszustellen, sondern — ich darf es so ausdrücken
— sucht geradezu nach offenen Fenstern hin nach
allem, was Kirche des Evangeliums sein will. Mit anderen
Worten: Schliuks Buch ist Zeugnis eines Luthertums, das
sich seines ihm in seinen Bekenntnisschriften geschenkten
Schriftverständnisses dankbar und freudig wieder bewußt
wird, aber ohne den Gedanken, sich mit diesem Schriftverständnis
abzuschließen und zu verengen, sondern von vornherein
willig, wo das Evangelium gehört wird, weit und offen
zu sein.
Ob im Gegensatz zur Schlinkschen eine Theologie der
lutherischen Bekenntnisschriften geschrieben werden wird, die
viel schärfere Konturen zeichnet und die Abgrenzung schroffer
herausstellt, bleibt abzuwarten. Nachdem Schlink mit sehr
großer Sachkenntnis und Fähigkeit, die Zusammenhänge zu
erfassen, seine Darstellung vorgelegt hat, dürfte es sich keiner
mit dem Vortrag einer gegensätzlichen Sicht zu leicht machen.
Ein abschließendes Urteil über Schliuks Theologie der lutherischen
Bekenntnisschriften läßt sich jetzt überhaupt noch
kaum fällen. Das dürfte doch erst möglich sein, wenn die angekündigte
Dogmatik vorliegt. Nachvollzug und Nachprüfung
der Schriftauslegung der Bekenntnisschriften läßt sich tatsächlich
nicht so scharf auseinanderhalten, wie es Schlink
eigentlich möchte. Daß Schlink mancherlei Zweifel setzt in die
Schriftgemäßheit von Lehrpunkten der lutherischen Bekenntnisschriften
, verrät er uns bereits in der die Theologie der
Bekenntnisschriften abschließenden „Anleitung zur dogmatischen
Arbeit".
Leipzig Franz Lau
DilSChneider, Otto A.: Gegenwart Christi. (Christus praesens.) Grundriß
einer Dogmatik der Offenbarung. Gütersloh: Bertelsmann [1948], 1. Bd.
294 S., 2. Bd. 364 S. 8». Hlw. DM 24.—.
„Pflüget ein Neues, weil es Zeit ist, den Herrn zu suchen",
Dies Hoseazitat kehrt in dem Buche von D. dreimal wieder.
Verf. will also in der Dogmatik ganz neue Wege gehen. Grund:
„Das völlige Ernstnehmen von Barmen . . . fordert von uns
die Hinwendung zu einer neuen theologischen Stilform" (i, 6).
In diesem Sinne ist der Titel des Buches zu interpretieren.
Es handelt sich nicht um eine Abhandlung über die präsentia
Christi in Wort und Sakrament, auch nicht (wie in meinem
fast gleichnamigen Buche: Der Gegenwärtige Christus, Kreuz-
Verlag, Stuttgart 1949) um die Beziehungen des Glaubens
an den gegenwärtigen Christus zum Problem der Geschichte,
sondern um den „Christus präsens"als die besondere „Gestalt"
der Offenbarung, in der unserer Epoche das Mysterium der
christlichen Wahrheit zugänglich wird. Ging es im Jahre 1517
um die Rechtfertigung allein aus dem Glauben, „so kam im
Jahre 1934 die viel grundsätzlichere Entscheidung ans Licht:
Es ging um die Offenbarung allein in Jesus Christus" (1, 10).