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Ausgabe:

1949 Nr. 9

Spalte:

548-550

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Valjavec, Fritz

Titel/Untertitel:

Der Josephinismus 1949

Rezensent:

Steinacker, Roland

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 9

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Ergänzungsbände (Luther im Urteil der Geschichte; Leben
und Werk; Luther-Lexikon, das „in Kernstellen die Antwort
Luthers auf die Fragen der Gegenwart und des Menschen von
heute geben" soll).

Die neue Ausgabe ist auf alle Fälle sehr zu begrüßen. Sie
hat neben den gängigen Luther-Ausgaben der letzten Jahrzehnte
ihr eigenes Gesicht und daher ihr Recht. Der Münchener
Ausgabe steht sie in Zielsetzung und Anlage nahe, unterscheidet
sich von ihr aber nach dem im Prospekte abgedruckten
Plan in der Anordnung sowie in der zum Teil anderen und
reicheren Auswahl; sie will z. B. in Bd. 1 neben der Vorlesung
über den Römerbrief, die München in einem Ergänzungsbande
bietet, auch die Psalmenvorlesung von 1513—1515, die Ga-
latervorlesung von 1516—1517 und die Vorlesung über den
Hebräerbrief von 1517 bringen (ob ganz oder nur in Auswahl ?).
Auch in der Gestaltung des Textes geht die neue Ausgabe
andere Wege als die Münchener: sie sucht den ursprünglichen
Luthertext in einer Form zu bieten, welche Mißverständnisse
für den modernen Leser ausschließt. Aber auch wenn sie der
Münchener noch näher bliebe, hätte ihr Erscheinen schon im
Blicke auf die Zonengrenzen heute Recht und Sinn.

Eine Würdigung der Auswahl, Anordnung und Textgestaltung
im ganzen wäre heute noch verfrüht. Es ist
warm zu wünschen, daß das tapfere Unternehmen ohne
allzu große Verzögerungen und ohne Störungen voranschreitet
. —

Der als erster erschienene 9. Band gibt eine Auswahl der
Tischreden. Entsprechend der Absicht der ganzen Ausgabe
bietet Aland nicht, wie O. Clemen in seiner Bonner Studentenausgabe
, eine wortgetreue Wiedergabe der ursprünglichen
Nachschriften nach der WA, auch nicht wie Reinhard Buchwald
(Luther im Gespräch; Kröners Taschenausgabe, Bd. 160)
mit Übertragung des lateinisch Uberlieferten. Er legt vielmehr
Aurifabers Bearbeitung nach der Ausgabe von Förstemann
und Bindseil (1844—1848) zugrunde. Die Erwägungen, aus
denen A. sich an Aurifaber anschließt (S. 299f.), trotz allem
Wissen um seine ßchranken und Fehler, haben im Blicke auf
die besondere Zielsetzung der Ausgabe gutes Recht. Gewiß
gewinnt man so nur einen relativ richtigen Luthertext. Aber
viel anders wäre es bei der Wiedergabe der Nachschriften auch
nicht.

Die ausgewählten Tischreden sind nicht zeitlich, sondern
sachlich geordnet, unter den Gesichtspunkten: das Wort, der
neue Glaube, Kirche und Gemeinde, Obrigkeit und Staat, der
Christ in der Welt; es folgt ein autobiographischer Anhang.
Die Uberschrift „Der neue Glaube" scheint mir nicht glücklich
, in mehrfacher Hinsicht. Dieser Abschnitt bietet den
Hauptteil der „Theologie Luthers". So sollte er etwa überschrieben
sein: Evangelium und Glaube, oder ähnlich.

Die Vorlage, Aurifaber, ist im ganzen wortgetreu wiedergegeben
, nur schonend in Wortform und Wortstellung gemäß
der heutigen Sprache umgestaltet. Ganz fremd gewordene
Ausdrücke sind ersetzt. Auch die Uberschriften der einzelnen
Stücke stammen von Aurifaber. Im ganzen ist dieses Verfahren
zu billigen. Der heutige Leser hört den Ton der Luthersprache,
ohne durch unverständlich gewordene Archaismen gestört zu
werden. Wer sich durch diese Ausgabe angeregt fühlt, die ursprünglichen
Nachschriften in der WA zu studieren, dem hilft
ein Quellennachweis am Schlüsse des Bandes. — Das Format
des Bandes, Schrift und Druckbild sind erfreulich, die Ausstattung
zeitgemäß, aber würdig.

Eine Auswahl von 500 Stücken aus dem Gesamtschatze
der überlieferten Tischreden wird naturgemäß immer subjektiv
und. bisweilen fast zufällig sein. Es hat daher keinen
Wert, hierüber im einzelnen zu rechten — um so weniger als
der Leser von jeder überlegten Auswahl aus den Tischreden
doch ein Gesamtbild Luthers empfängt, und darauf kommt
es zuletzt an.

Bei Stichproben sind mir folgende Fehler aufgefallen oder Einwände
gekommen. In Nr. 1 bietet die Vorlage: „Gottes Wort für sich haben". In
der Nachschrift heißt es: prae se; der Sinn ist also offenbar: „vorsieh haben".
Aland hätte hier besser das „für" der Vorlage nicht stehen lassen, sondern
um der Bestimmtheit des Sinnes willen „vor" gesetzt. — Auf S. 70, Z. 2 v. u.
(Nr. 97): warum „würde" statt des sinngemäßen „wirds" der Vorlage? —
Nr. 388: in Luthers Reim lauten die beiden letzten Zeilen in der Vorlage: „Laß
einen jeden sein, wer er Ist, / So bleibst du auch wohl, wer du bist". Warum
zerstört A. die genaue Entsprechung, indem er in der vorletzten Zeile statt
„wer" setzt „was"? — S. 250, Z. 7 v.u. (in Nr. 417) Ist statt „Leid" vielmehr
zu lesen „Leib". — In Nr. 434 („Wenn ich noch eine freien sollte . ..")
Ist statt „eine" besser zu lesen „eins" = noch einmal; vgl. WA zu Nr. 2034. —
S. 257 trägt das Stück Nr. 438 die schon bei Aurifaber, vollends aber hier,
wo ein die Kinder immerhin erwähnender Abschnitt Aurifabers fortfällt,

falsche Überschrift „Kinder sind Oottes Segen"; davon ist in dem Stücke
nicht die Rede. — Im Quellennachweis S. 306 ist bei Nr. 337 die Zahl 1987
zu streichen. Auf S. 307 sind bei Nr. 436 und 437 die Nummern der WA untereinander
vertauscht.

Erlangen Paul Althaus

The Martin Luther Christmas Book, with celebrated woodeuts by his con-

temporaries. Translated and arranged by Roland H. Bainton. Philadelphia
: The Westminster Press 1948. 76 S. $2.50.

1917 beschenkte uns Walther Köhler mit dem reizenden
Büchlein „Wie Luther den Deutschen das Leben Jesu erzählt
hat" (Sehr. d. Ver. f. Ref.gesch. Nr. 127L), einem Mosaik aus
vielen Luthersteinchen. Etwas Ähnliches bekamen wir nun
aus Amerika in dem hier angezeigten Buche des Professors
für Kirchengeschichte an der Yale-Universität in New-Haven
(Conn.). B. beschränkt sich auf die Weihnachtsgeschichte, dafür
aber schmückt er sein Buch mit zehn zeitgenössischen
Weihnachtsbildern (Dürer, Schongauer, A. Altdorfer, Cra-
nach), die genau zu Luthers Eigenart passen — ein trefflicher
Gedanke; merkwürdig, daß ihn ein amerikanischer Quäker
fand und ausführte. Die Quellenstücke sind so gestaltet, daß
sie eine fortlaufende Erzählung bilden, die sich gar anmutig
liest. Luthers bekannte Worte klingen in der fremden Sprache,
als ob sie einem zum ersten Male entgegenträten, und das ist
ja ein schöner Gewinn. Angefügt ist eine gute englische Uber-
tragung von Luthers Kinderweihnachtslied. Das Ganze ist
vornehm ausgestattet. Vor allem ist es auch deswegen eine
erfreuliche Erscheinung, weil hier eine Brücke geschlagen ist
zwischen zwei Kontinenten und zwei Konfessionen, auf der
Luthers Gestalt stellt. Angemerkt sei hier noch, daß der Herausgeber
auch sonst als ausgezeichneter Kenner der refonna-
torischen Kunst diese auswertet zum Verständnis der reformatorischen
Literatur, wie seine Veröffentlichungen hierzu
zeigen. Warum geschieht das auf deutschem Boden so selten ?
Erlangen H. Preuß

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Valjavec, Fritz: Der Josephinismus. Zur geistigen Entwicklung Österreichs
im 18. und 19. Jahrhundert. Brünn: Rohrer 1944. 144 S.
— dgl. 2., wesentlich erweit. Aufl. München: Max Schick 1945. 168 S.

Der Verf., der sich um die Südostforschung vielfach verdient
gemacht hat, entwirft ein lebendiges Bild des Josephinis-
mus als einer Gesamterscheinung des 18. und 19. Jahrhunderts,
ohne den die Geschichte Österreichs nicht richtig gesehen und
verstanden werden kann. Er beschränkt sich nicht auf die Zeit
und Politik des Kaisers Josefs II. Denn der Josephinisinus
war schon lange vor Josef II. da, unter Maria Theresia; seine
Wurzeln reichen zurück bis in jene Form der katholische»
Aufklärung, die vorwiegend praktisch gerichtet, weder kircheii-
rechtlich noch dogmatisch anstieß, aber den späteren entschiedeneren
Spielarten der Aufklärung den Weg bereitete, und
auch auf reformkatholische, jansenistisch gefärbte Regungei1'
die eine Hofgruppe um van Swieten vertrat. Er ist kein bewußt
geschaffenes System und unterscheidet sich von anderen
Geistesströmungen der Zeit darin, daß er gerade im L»jj
seiner weiteren Entwicklung nicht von großen Persönlichkeit011
denkerisch geformt und zusammengefaßt wurde. Seine phi'0'
sophische Grundlage ist die Aufklärung in ihrer früh011
theistischen Form. Einflüsse der Leibnitz-Wolf fischen Phil°"
sophie sind bald nach Beginn des 18. Jahrhunderts in Osterreich
bemerkbar, das die Aufklärung zwar annahm, aber sein6
religiösen Uberlieferungen beibehielt. Man bemühte sich iinl
einen vermittelnden Ausgleich zwischen Barock und A»1'
klärung, Tradition und Aufklärung, Freiheit und Autorität.
Kirche und Säkularismus. Bei diesem „Sowohl als auch4' fehle»
dem Josephinismus, weil die mitteleuropäische Entwickln11»
der Aufklärung weiterging, eine feste philosophische Gm11"'
läge schon in der theresianischen Zeit und seit Ende de
18.1 Jahrhunderts erstarrte er geistig. Trotzdem hat er im staax-
lichen, kirchlichen, weltanschaulichen Bereich durch das g*JKT
19. Jahrhundert, wenn auch immer schwächer, nachgewrrK •
Auch die nichtdeutschen Völker sind von ihm beeinflußt w°
den, wenn auch seine politischen Anschauungen mehr auf a
deutschen Gebiete der Monarchie beschränkt blieben, da
seit dem Aufkommen der nationalen Bewegungen bei »**L(
und Madjaren stark in den Hintergrund trat. Wenn w»1*
(Der Josephinismus in seiner Geschichte. Beiträge zur GeiBX _
geschichte Österreichs 1740—1848. Brünn 1943) die rcfor^n
katholischen Züge hervorhebt und schon von Kaiser Franz (
von. einem „nachjosephinischen" Kurs redet, so bewilligt .pe
javec dem Josephinismus als „allgemeiner Zeitströinung