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Ausgabe:

1949 Nr. 9

Spalte:

543-544

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Fischer, Joseph

Titel/Untertitel:

Die Völkerwanderung im Urteil der zeitgenössischen kirchlichen Schriftsteller Galliens unter Einbeziehung des heiligen Augustinus 1949

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 9

544

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Fischer, Joseph: Die Völkerwanderung im Urteil der zeitgenössischen
kirchlichen Schriftsteller Galliens unter Einbeziehung des heiligen

Augustinus. Heidelberg/Waibstadt: Kemper [1948]. 362 S. 8° = Diss.
Theol. Fak. Würzburg. DM 17.40.

Einer Anregung seines Münchener Lehrers Johannes Zellinger
folgend, begann der Verf. diese Arbeit im Jahre 1932
und hat sich zehn Jahre lang mit ihr beschäftigt. 1942 wurde
er mit ihr in Würzburg zum Dr. theol. promoviert; aber erst
drei Jahre danach gewann sie ihre volle Aktualität, und 1948
konnte sie gedruckt werden. In Frankreich hatte Augustin
schon nach dem dortigen Zusammenbruch von 1940 als der
Prophet für eine untergehende Welt neue Beachtung gefunden
(J. D. Burger, Rev. de Theol. etPhilos. 1942; J. Fontaine
, Memoire de Dipl. 1942); nach 1945 erschienen dann auch
in Deutschland gleich mehrere mehr oder weniger zeitnahe Betrachtungen
über „Augustin und das christliche Geschichts-
denken" (so W. v. Loewenich 1947. In diesem Zusammenhang
ist auch ein Hinweis auf das wichtige, die amerikanische
Situation im Auge haltende Buch von K. Löwith, Meaning
in History, The Theological Implications of History 1949 am
Platz.) Was das vorliegende Werk jetzt bietet, ist etwas Ähnliches
und in historischer Hinsicht noch mehr: neben Augustin
(in seinen sämtlichen hierher gehörigen Äußerungen) wird auch
die ganze gallische Literatur bis hin zu Gregor v. Tours über
ihr Urteil und ihre Auffassung der Völberwanderung befragt,
und es ist überraschend, wie reich die Antworten ausgefallen
sind. Mit Bienenfleiß sind, an die zwanzig verschiedene Autoren
durchforscht, von denen viele den meisten Lesern kaum dem
Namen nach bekannt sein werden. Auch die Literatur — das
Verzeichnis umfaßt zehn Seiten sparsamen Drucks — ist mit
großem Fleiß herangezogen, und die Texte selbst werden oft
seitenlang deutsch und (in den Anmerkungen) lateinisch
zitiert. So ist hier eine wahre Fundgrube der Geschichts- und
Moraltheologie an der Scheide von Altertum und Mittelalter
entstanden.

Für eine gerechte Würdigung des Gebotenen wird man
freilich nicht außer acht lassen dürfen, daß es sich um eine
Dissertation handelt. Die geistige Durchdringung des Stoffes
ist bescheiden, halb erbauliche Gesichtspunkte spielen eine
erhebliche Rolle (vgl. auch des Verf.s Aufsatz in der „Lücke"
1946 zum Thema), und manche historischen Übersichten und
Exkurse (z. B. über die frühchristliche Geschichte der Escha-
tologie und Askese) hätten ohne Schaden fortfallen können.
Die Begrenzung auf Gallien ist dagegen durchaus begreiflich.
Das Material, das in dieser Beschränkung vollständig gesammelt
ist, wäre sonst ganz uferlos geworden, und es scheint,
daß bei der verhältnismäßig reichen literarischen Blüte, die
Gallien noch im 5. und 6. Jahrhundert erlebt, in diesem begrenzten
Felde fast alle einschlägigen Gedanken der Zeit zum
Ausdruck gelangt sind — wenigstens soweit das Abendland in
Betracht kommt.

Die schlechthin überragende Bedeutung Augustins wird überall spürbar
und vom Verf. mit Recht hervorgehoben. Er hat die „Theologie der Völkerwanderung
" (S.51), besonders unter apologetischem Gesichtswinkel, tatsächlich
begründet, wobei die Wirkungen der „Civitas Dei" natürlich voran stehen.
Der große Niveauunterschied der späteren Prediger und Moralisten wird allerdings
nicht immer deutlich genug herausgearbeitet. Salvian in allen Ehren —
aber seine handfeste Büß- und Straftheologie ist doch etwas anderes als die
augustinische Theodizee und läßt sich nicht einfach als deren pastoraltheologische
Ergänzung behandeln (S. 172 f.). Gegen den späteren, sei es kulturpolitischen
und politischen, sei es kirchlichen Romanismus der Gallier wird
das naive Römertum Augustins richtig abgesetzt. Noch bedeutsamer ist seine
Ablehnung endgeschichtlich-apokalyptischer Deutungen der Völkerwanderung
, wie sie schon zu seinen Lebzeiten (Hesychius von Salona) und dann besonders
bei Sulpicius Severus auftauchen und, nicht unwidersprochen, weiterwirken
, bis sie nach der Durchsetzung der neuen, mittelalterlichen Lebensverhältnisse
ihre Bedeutung verlieren. Für Augustin wäre in diesem Zusammenhang
noch auf Kamlahs „Christentum und Selbstbehauptung" (1940) zu
verweisen — eines der wenigen Bücher zum Thema, das dem Verf. entgangen
ist. Am reichsten ist die Ausbeute unter moralisch-asketischem Gesichtspunkt:
immer wieder begegnet die Deutung der Zeitereignisse als Strafe, als Prüfung,
als Aufruf zu guten Werken und zur Lösung aus den Banden dieser Welt. Auch
hierfür ist Augustin grundlegend; doch hätte sich die besondere, mönchische
Zuspitzung seiner Gedanken in der Folgezeit zum Teil vielleicht schärfer charakterisieren
lassen. Am Rande stehen die Ausführungen über die Völkerwanderung
und das praktisch-seelsorgerische Wirken der Kirchenführer und
über Völkerwanderung und Heiligenverehrung; diese gilt dem Verf. als
wichtige Brücke der Verständigung und des Ausgleichs zwischen den Romanen
und Oermanen. (Das Buch folgt im allgemeinen einer sachlichen, nur innerhalb
der einzelnen Abschnitte chronologischen Aufreihung des Stoffes, was

nicht immer bequem ist). Der bedeutsamste Schritt ist die innere Hinwendung
zur Germanenwelt, die Auffassung der Völkerwanderung als „Heilsbotin",
d. h. als Wegbereitung der christlichen und katholischen Mission, wie sie besonders
von Prosper und Salvian vertreten wird. Davon hat Augustin, wie der
Verf. scharf betont (S. 100 f.), in dieser Form noch nichts gewußt, und dies
vor allem unterscheidet die spätere christliche Literatur von der in bitterer
Resignation verlöschenden Opposition der profanen und heidnischen Schriftsteller
Galliens, die anhangsweise auch noch herangezogen werden.

Natürlich muß man sich bei der Lektüre des Buches
gegenwärtig halten, daß die hier gesammelten Zeugnisse in
der breiten Fülle der erhaltenen Väterliteratur meist nur ein
leiser, beiläufig aufklingender Ton sind. Aber auch so bleibt
der Eindruck von dem Ernst und der, aufs Ganze gesehen,
erstaunlichen Einmütigkeit der kirchlichen Antwort angesichts
einer weltgeschichtlichen Katastrophe höchst merkwürdig
. Die „Beherrschung und Zusammenfassung der vorhandenen
Elemente" in der apologetisch-seelsorgerischen Predigt
, der die praktische, soziale und kultürliche Leistung der
Bischöfe und einzelnen Mönche (Severin) entspricht, zeigt
mitten im materiellen und geistigen Niedergang eine Widerstandskraft
und innere Geschlossenheit, die den Fortbestand
der kirchlichen Tradition und Organisation durchs frühe
Mittelalter von innen her verständlich macht.

Heidelberg H. v. Campenhausen

Kornemann, Emst:Weltgeschlchte desMlttelmeer-Raumes. Von Philipp
II. von Makedonien bis Muhammed. 2 Bde. Hrsg. v. Prof. Dr. Hermann
Bengtson. Bd. I: Bis zur Schlacht bei Actium (31 v. Chr.). München: Biederstein
Verlag [1948]. XVI, 508 S., 6 Abb., 7 Kt.-Sklzzen, 13 Kt. auf Taf.
Lw. DM.28.—.

In Versen der „Perser"-Tragödie, die Kornemann seinem
letzten und größten Werk als Motto vorangestellt hat, bezeichnet
Aischylos Hellas und Persien als die „zwei Schwestern
gleichen Bluts"; und so spricht auch Ernst Buschor in
seiner wundervollen Deutung der aischylei'schen „Perser" von
den „edelsten Schwestern, die in gleicher Schönheit vor dem
Thron der Ewigkeit stehen".

Damit ist das eigentliche Thema der Kornemannschen
„Weltgeschichte" angegeben. Eine große Anschauung und Zu-
sammenschauung liegt in ihr zugrunde. Römisches Reich,
griechische Welt, Vorderasien werden nicht jedes für sich betrachtet
, sondern aus adlerhafter Höhe wird als ein Ganzes
gesehen, was ein Ganzes auch tatsächlich ist, und es wird deutlich
gemacht, was im Westen und Osten der damals bekannten
Welt gleichzeitig geschehen ist. Es versteht sich von selbst,
daß dazu außergewöhnliche Einzelkenntnisse ebenso wie eine
außergewöhnliche Kraft der geistigen Bewältigung und Verknüpfung
gehören, und es wundert uns nicht, wenn wir erfahren
, daß eine 50jährige Beschäftigung mit der antiken
Mittelmeerwelt in diesem Buch ihren letzten Niederschlag ge'
funden hat. Schon alles, was uns früher aus der Feder des be"
deutenden Historikers und Mommsen-Schülers zu Händen
kam, trug den Stempel der Sachlichkeit und Zuverlässigkeit
bis ins Einzelne; in diesem Hauptwerk (wie man es wohl
nennen darf) hat der 1946 Verstorbene, der sein Werk nicht
mehr in Buchgestalt hat sehen dürfen, die Resultate gezogen-
Das iranisch-persische Volk und Land und sein entscheidender
Anteil an der Entwicklung der Mittelmeer-Kultur hat meines
Wissens noch keine so vortreffliche und überzeugende Darstellung
gefunden. Schon das Bild des Großkönigs Dareios, des
überragenden Fürsten, der ja auch bei Aischylos als Geist und
Seher beschworen wird, ist prachtvoll und unvergeßlich, und
für mich neu war auch das Bild, das Kornemann von Philipp
II. dem Makedonen entwirft, der hier seinem großen Sohn
gegenüber beinah als der bedeutendere, wenigstens als der in
sich festere Charakter erscheint und der z. B. in der Behandlung
der griechischen Städte-Republiken den glücklichsten
Weg gewiesen hat. Auf der anderen Seite wird die Notwendig'
keit der Perser-Politik Alexanders hier sehr deutlich, die wir
von der Schule und der älteren Geschichtsschreibung her doc»
als eine verhängnisvolle Entwicklung des ruhmberauschten
Jünglings zum „asiatischen Despoten" zu sehen geneigt waren-
Von Philipp an beschreibt Kornemann die Geschichte de»
Mittelmeer-Raumes als die „Weltherrschaft der Makedonen .
welche die Perser beerben; auf sie folgt die „Weltherrschaft
der Römer"; die Macht geht vom Osten auf den Westen des
Mittelmeerbeckens über, überall sind vortreffliche Einzeldarstellungen
gegeben, so der Diadochenreiche, so der kartha'
gischen Reichsbildung, so der jungen Kraft des römische
Bauernstaates und der Gründe, die ihn bei wachsenden un
raschen außenpolitischen Erfolgen innerlich früh zu Schade
kommen ließen. Am Ende des uns vorliegenden ersten Band
stellt der Verf. die Monarchie Casars und seinen letzten, <lure
seine Ermordung verhinderten Plan, von Rom aus auch d