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Ausgabe:

1949

Spalte:

40-42

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Cullmann, Oscar

Titel/Untertitel:

Les premières Confessions de foi chrétiennes 1949

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 1

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logische Weltbild auflöse, dann aber nach dem Sinn des
Mythos frage und ihn existential interpretiere. Diese Doppelinterpretation
sei aber nicht zufällig, sondern hänge ontologisch
mit einem philosophischen Identitätsdenken zusammen,
das in der Geschiente immer wieder auftritt (Plato, Spinoza,
Kant, Schelling). Die Gesamtwirklichkeit wird unter einem
doppelten Aspekt angesehen, als kausalbedingtes Diesseits und
nicht kausalbedingtes Jenseits. Ein übergreifen ans dem
einen Bezirk in den anderen ist ausgeschlossen. Beide sind
parallele Erscheinungen der Gesamtwirklichkeit. Oepke
warnt: „Das identitätsphilosophisch-parallelistische Postulat
aber einer absoluten, in das Kausalgescheheu nicht eingreifenden
, sondern es nur umspannenden Transzendenz greift dem
Glauben ans Mark" (a. a. O. 59).

Es geht Oepke um die Geschichtlichkeit der Offenbarung
. Er weiß, daß sie an das einmalige historische Ereignis
Jesus Christus gebunden ist, und daß der Theologe als Philologe
und Historiker die Not und Verheißung dieser Tatsache
zu tragen hat (a. a. O. 39). Allerdings wird weder der Begriff
der Offenbarung noch der Begriff der Geschichte in der ganzen
Schwere erfaßt, und daher erscheinen manche Sätze als theologisch
ungeschützt und mißverständlich (vor allem a. a. O. 39 :
„Das hängt damit zusammen, daß die Offenbarung Gottes in
unsere Welt eingegangen und damit bis zu einem gewissen
Grade allgemein zugänglich geworden ist"). Auch bleibt es
fraglich, wieweit man um der Kompliziertheit des exegetischen
Verstehens willen gezwungen sein wird, gegen eine „Zweistufigkeit
der Exegese" Einspruch zu erheben (gut dazu R. Bultmann
, Zwischen den Zeiten, 1925, 357). Es bleibt ein Fortschritt
, daß in der Frage nach der Exegese auf die Sicherung
der exegetischen Methode Gewicht gelegt wird, daß also der
Wunsch nach „pneumatischer Exegese" offenbar verstummt.
Ob aber dies Ziel der Sicherung der exegetischen Methode
durch eine Einführung der „übergeschichtlichen" Auslegung
gesichert wird, dürfte umstritten bleiben. Ob Bult-
manns Anliegen ganz verstanden worden ist, könnte auch
diskutiert werden. Daß rationalistische, existentiale und theologische
Anliegen in seiner Theologie zu Worte kommen,
macht die Kompliziertheit und Mehrdeutigkeit seines Denkens
aus. Auch sieht man die Gefahr, daß Theologie zur Anthropologie
, daß das Existenzverständnis zum Selbstverständnis
des Menschen wird, daß die Philosophie eben aus der Rolle
der ancilla theologiae fällt und zur Herrin wird. Es muß auch
offen ausgesprochen werden, daß die Theologie in den vergangenen
Jahren oft genug den Anschein erweckt hat, als sei
eine Flucht aus dem Historischen ins Geschichtliche möglich,
als liege das Heilsgeschehen jenseits des Historischen in seiner
Relativität. „Das Heilsgeschehen ereignet sich in, mit und
unter einer historisch-relativen Ereignisreihe" (J. Schniewind).

Tübingen Otto Michel

Duncan, George S.: Jesus, Son Of Man. Studies contributory to a modern
Portrait. London: Nisbet 1947. XVI, 290 S. 8 16 s. Od.

Die gesamte englische Forschung ist vorbildlich darin, daß
sie in hohem Maße die Fähigkeit bewiesen hat, Werke zu
schaffen, die über den Kreis der engsten Fachwelt hinaus lesbar
sind. Das gilt in besonderem Maße von der englischen
Theologie. Das Jesusbuch des Professors an der schottischen
Universität St. Andrews und derzeitigen Präsidenten der Studiorum
Novi Testamenti Societas, G. S. Duncan, ist ein neuer
Beweis für diese Fähigkeit. Es hat in England eine sehr freundliche
Aufnahme gefunden, weil es dank einer glücklichen Verbindung
von kritischer Fragestellung mit warmem Herzen besonders
gut geeignet ist, gebildeten Menschen das Verständnis
der Botschaft und der Person Jesu neu zu erschließen.

D. geht von der Feststellung aus, daß die neutestamentliche
Wissenschaft zu der Erkenntnis gekommen ist, daß
unsere Quellen nicht ausreichen, um ein „Leben Jesu" alten
Stiles zu schreiben. Aber ist sie nicht in der Lage, wenigstens
ein modernes Bild Jesu zu entwerfen, das historisch treu und
für Christen und Nichtchristen in gleicher Weise annehmbar
ist ? D. bejaht diese Frage mit Entschiedenheit und bezeichnet
daher sein Buch im Untertitel als „Studies contributory to a
modern portrait". Er gibt in einem 1. Teil (The Historical
Problem) eine Einführung in die Problemstellung, in der er
sich besonders mit der Formgeschichte und der konsequenten
Eschatologie auseinandersetzt; der 2. Teil (The Person of
Jesus), der das Hauptgewicht trägt, behandelt vor allem die
Selbstaussagen Jesu; der 3. Teil (Jesus and the Church) hat
die Jüngerschaft Jesu und den Glauben der Urkirche zum
Gegenstand und klingt aus in einem persönlichen Bekenntnis.

Der Grundgedanke, der das Buch durchzieht, ist die
doppelte These, daß 1. jede Darstellung Jesu, die die Einzig- |

artigkeit seiner Gottesgemeinschaft in Frage stellt, dem historischen
Tatbestand nicht gerecht wird, daß aber 2. Jesus
selbst keinen Titel beansprucht hat, der seine Autorität erklärt
, sondern sich einfach Menschensolm nannte — wobei D.
diese Selbstbeztichnung radikal von jeder eschatologischen
Bedeutung löst und als Inbegriff einer neuen Menschheit faßt.
Das himmlische Gericht, wie Jesus es verstand, geht ewig vor
sich (S. 175) und Gottes Absicht ist the creation, or the
evolution, or (as Christian theology prefers to call it) the
redemption of a new order or manhood (S. 267). Es ist ein
überaus warmherziger und ehrfürchtiger, aber für deutsche
Theologie doch sehr fremder christlicher Evolutionismus und
Humanismus, der der Leitgedanke dieses lebendig geschriebenen
Jesusbuches ist.

Abschließend seien einige exegetische Beobachtungen des
Verf.s notiert. Matth. 12, 41 Ende; 42 Ende (Lk. 11, 31 f.) ist
das Neutrum wohl zu beachten, mit dem Jesus nicht auf sich
selbst, sondern auf die hinter seiner Sendung stehende Autorität
verweist (S. 195 Anm. 1). — Mth. 25, 31—46 ist die übliche
Bezeichnung als „Gerichtsgemälde" nicht zutreffend; es handelt
sich um eine Urteilsverkündigung (S. 196). — Phil. 2, 6
kv fiopcpß &tav indQyav: fioyqir) ■» (Gen. I, 26) «= Bild

(vgl. Hering, Le royaume de Dieu set sa venue, Paris 1937,
S. 161); es liegt also eine Kontrasticrung des zweiten mit dem
ersten Adam vor (S. 193 Anm. 3). — Phil. 2, 7: Mvvoep ist
Bezugnahme auf Jes. 53 (S. 193). — Phil. 2, 8: ftixe' ist nicht
Zeit-, sondern Maßangabe (wobei D. die Möglichkeit erwägt,
daß an den Descensus gedacht sei) (S. 194 Anm. 1).

Göttingen Joachim Jeremias

KIRCHENGESCHICHTE: ALTERTUM

Cullmann, Oscar: LesPremieres Confessions de foi Chrftiennes. Paris:

Presses Universitaires de France 1943. 55 S. = Cahiers de la Revue d'Hi-
stoire et de Philosophie religieuses publies par la Faculte de Theologie
Protestante de l'Universite de Strasbourg. N. 30.

Zum Problem der Entstehung der christlichen Glaubensbekenntnisse
legt der Verf. hier einen sehr erfreulichen Beitrag
vor, indem er ihre „Prähistorie" untersucht, d. h. indem
er den Ansätzen zur Bekenntnisbilduug nachgeht von den
Anfängen bis in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts.

Das 1. Kapitel fragt nach den Motiven, die dazu führten,
daß sich neben der Schrift als Norm des Glaubens noch eine
„apostolische" Glaubensregel bildete. Schon als die christliche
Lehre nur erst in der mündlichen Uberlieferung existierte,
bedurfte die Gemeinde kurzer zusammenfassender Formeln,
und dieses Bedürfnis bestand weiter, als die Schriften des NT
in der Gemeinde gelesen wurden. Es bestand die Frage: Was
ist das Wesentliche in dem Reichtum dessen, was die Schriften
enthalten ? Was ist der zentrale Punkt des Glaubens ? Trotz
der Verschiedenheit der einzelnen Formulierungen, die sich
allmählich fixierten, sind von Anfang an gewisse Grundzüge
konstant.

Das zweite Kapitel fragt nach dem „Sitz im Leben" für
die Bekenntnisbildung. Fünf Motive, aus fünf Situationen erwachsend
, nennt der Verf.: 1. Taufe und Katcchumenat,
2. der regelmäßige Gottesdienst (Liturgie und Predigt), 3. die
Exorzismen, 4. die Verfolgungen, 5. die Polemik gegen die
Häretiker. Das meiste davon leuchtet ein (natürlich sucht der
Verf. alles aus den Quellen zu belegen), aber einige Zweifel
erheben sich.

Es erscheint mir als fraglich, ob man den Exorzismus als
Motiv der Bekenutnisbildung ansehen darf. Zwar sind die auf
ihn bezüglichen Angaben Justins für uns eine Quelle für die
Erkenntnis von Bekenntnisformeln. Aber liegt im Exorzismus
selbst ein Motiv für die Bildung ? Müßte man dann nicht erwarten
, daß in diesen Formeln von Jesu Dänionenbannungen
geredet würde, — nach Analogie mancher Zauberpapyri und
z. B. auch der Merseburger Zaubersprüche ? Liegt es nicht vielmehr
so, daß der Exorzismus schon geprägte und kursierende
Formeln benutzt, so daß man höchstens sagen könnte, daß
er das Bedürfnis nach festen Formeln verstärkt hat ? Auf den
Wortlaut kommt für ihn ja alles an, damit die Formel wirksam
sei. Aber auf den Inhalt hat er schwerlich Einfluß gehabt.

Ob in den Verfolgungen der Gemeinde ein Motiv zur Be-
kenntuisbildung lag, ist mir auch unsicher, da ich mich nicht
davon überzeugen kann, daß die d/io/.oyia 1. Tim. 6, 12 f. das
Bekenntnis des Angeklagten vor der Behörde ist, und ich noch
weniger glaube, daß 1. Kr. 12, 3 in diesen Zusammenhang gehört
. Wenn in Vcrfolgungszeiten das xv< tos 'Jt/aoSt X^iaxds zum
Bekenntnis vor der Behörde wird und neue Aktualität gewinnt
, so ist es doch nicht aus diesem Motiv entstanden.