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Ausgabe:

1949 Nr. 9

Spalte:

531-542

Autor/Hrsg.:

Schröder, Rudolf Alexander

Titel/Untertitel:

Größe und Grenzen des Humanismus 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 9

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4-

Neben der Untersuchung der Grammatik und des Wortschatzes
sowie des Stils und der dichterischen Formen gibt
es noch einen dritten Weg für den Nachweis des Vorliegens
aramäischer Uberlieferungen: das ist die Feststellung von
Fehlübersetzungen und Ubersetzungsvarianten (S.
143—205). Mit den Fehlübersetzungen begibt man sich nun
freilich auf das Gebiet der Konjektur; doch haben die Arbeiten
von Burney und Torrey gezeigt, daß Versuche keineswegs aussichtslos
sind. Von B.s Ausführungen scheint mir sehr erwägenswert
seine Vermutung zu Job. 1, 15, daß ä iniom fiov
iq%6fitvoe wörtliche Ubersetzung von "HrQ IHN ist = ° <ix°-

lov!>ö>v fim — „mein Gefolgsmann" (S. 108 Anm. 1). Falls
er darüber hinaus mit der Vermutung recht hat, daß die
beiden Sätze efiTtQoo&iv fiov yeyovev und Ttocöids fiov fjV
(Joh, 1, 15) auf dieselbe aramäische Wendung j^pt i^TD

- t( t:

zurückgehen (S. 108), ergebe sich als ursprünglicher Sinn dieses
Täuferwortes Joh. 1, 15: „Mein Gefolgsmann ist mir überlegen
". Mth. 3, II (ö Se bniom fiov tQ%6fievos io%v()6re(>6g fiov
iotiv) hätte denselben Sinn und wäre Alternativtradition zu
Joh. 1, 15. Für die Geschichte des Lebens Jesu wäre eine Aussage
, derzufolge Jesus seme Laufbahn als Gefolgsmann des
Täufers begann, (wofür sich auch sonst manches anführen läßt),
natürlich sehr wichtig. Ebenso scheint mir erwägenswert die
Vermutung B.s, daß der überaus seltsame Text Mth. 27, 14
xai oix d7tex(it&t] aircö n^bs ovSe Sv (>ij/.ia sich vom Aramäischen
her erklärt, wo ... ^5 a) »nicht mehr" (so richtig Mk.

~ t

I5. 5) bedeutet, während b) Mth. das 'adh als Präposition
(ngde) mißverstand (S. 85f.).

' Im ganzen muß jedoch gesagt werden, daß dem Verf.
dieser Abschnitt nicht so geglückt ist wie die beiden ersten
über Syntax und poetische Form. Man verstellt schlechterdings
nicht, warum Black sich in dem Abschnitt über Ubersetzungsvarianten
(S. i78ff.) in Kleinigkeiten verliert und
griechische, altlateinische und altsyrische Textvarianten bespricht
(wobei meist nicht viel herauskommt) — und das wichtige
Material an Ubersetzungsvarianten beiseite läßt, das ein
Vergleich der Synoptiker miteinander in großer Fülle bietet.
Wenn z. B. nach Mk. 2, 17 (par. Mth. 9, 12) „die Starken des
Arztes nicht bedürfen", nach Lk. 5, 31 dagegen „die Gesunden
des Arztes nicht bedürfen", so haben wir einwandfrei eine
Ubersetzungsvariante vor uns: ni012 heißt 1. stark, 2. gesund.

t ■ :

Streckenweise wird man Vers für Vers auf Ubersetzungsvari-
anten geführt, wenn man die Mth.- vind Lk.-Fassung derHerren-
worte der Logientradition vergleicht. Eine Untersuchung dieses
überaus wichtigen und umfangreichen Materials fehlt — bis auf
gelegentliche Beobachtungen Paul Joüon's — fast vollständig,
und man bedauert, von einem so ausgezeichneten Orientalisten
wie B. hierüber nichts zu hören.

Nicht ganz verschwiegen werden darf schließlich, daß der Verf. in Fragen
der neutestamentlichen Textkritik seinen Lesern ständig Erstaunliches zumutet
. Wir sollen allen Ernstes glauben, daß eine LA. zu Joh. 8, 44, die zwei
Handschriften des arabischen Diatessaron bieten, „vielleicht den Urtext" darstellt
(S. 74)1 Die Übersetzungsvariante des sysi" zu Joh. 20, 16 („sie erkannte
ihn" statt oxqayiXoa, offensichtlich eine Korrektur, die die Schwierigkeit umgehen
will, daß Maria sich nach V. 14 schon umgewendet hat) soll auf ein
aramäischesbDnoN (erkennen) zurückgehen, das alsinnCN (sich umwenden)
„verlesen wurde" — d. h. wir sollen glauben, daß erstens Joh. 20, 16 auf eine
schriftliche aramäische Vorlage zurückgehe und zweitens daß der Urtext nur
von einer einzigen syrischen Handschrift erhalten wurde (S. 190)! Es wird im
Ernst erwogen, daß der Texteinschub Mth. 20, 28 D it sy cur phil (wobei übrigens
S. 130 xai fir) zu lesen ist statt xai oix, da ein Imperativ folgtl) ursprünglicher
Mth.-Text war, der wegen seines schlechten Griechisch von allen Un-
zialen außer D verworfen wurde (S. 133)1 Noch unverständlicher ist, daß beim
Mth.-Text des Vaterunsers mit einer Fehlübersetzung infolge Verlesung eines
1 als 1 gerechnet wird — als ob die Evangelisten einen solchen Text wie das
Vaterunser nach einer schriftlichen Vorlage übersetzt hätten, während sie doch
ohne Frage den Gebetstext niederschrieben, der Im liturgischen Gebrauch
ihrer Kirche eingebürgert war (S. 153) usw.

Diese kritischen Bemerkungen sollen den Dank nicht
schmälern, den die neutestamentliche Forschung dem Verf.
für die sorgfältige, saubere und mit ausgezeichneten aramäischen
Kenntnissen geschriebene Untersuchung schuldet.
Das Aufsehen, das sie erregt hat, war voll berechtigt.

Größe und Grenzen des Humanismus

Vortrag, gehalten im ökumenischen Institut „Chateau de Bossey" am Genfer See

Von Rudolf Alexander Schröder, Sonnleithen-Bergen/Obb.

Ich möchte mit einer Verwahrung beginnen. — Man hat
zwar seit einigen Jahren sich bemüßigt gefunden, mich als
Humanisten anzusprechen und ich habe bislang nicht dagegen
protestiert. Ich tue es hiermit, indem ich bekenne, daß ich
weder ein firmer Lateiner noch ein firmer Grieche bin, was
doch beides zum Wesen eines Humanisten gehören würde.
Zudem habe ich mich als Denker zeitlebens mit einer gewissen
Scheu um das Problem des Humanismus herumgedrückt.
Nicht ohne Ursache. Es ist nämlich nach beiden Seiten hin,
der geschichtlichen wie der ideellen, der wahre Leviathan
eines Problems.

Nun haben wir hier am gegenüberliegenden Ufer des
Genfer Sees einen Berg vor Augen, der auch ein Leviathan
unter den Bergen ist, den höchsten unsres Erdteils, den Mont
Blanc. Nicht jeder ist in der Lage, mit seinen Gipfeln und
Abgründen genaue Bekanntschaft zu machen, nicht jeder vermag
sich mit den wissenschaftlichen Problemen, die solch ein
ungeheurer Berg darbietet, des Näheren zu befassen. Und doch
wird der, der eine gewisse Zeit das Bild dieses Riesenberges
vor Augen gehabt und im Gemüt getragen hat, etwas von ihm
auszusagen wissen, falls er überhaupt etwas zu sagen hat.
Seine Aussage mag unter Umständen nur eine dichterische
sein, aber auch sie wäre trotz alles Bedenklichen, das ihr
im Sinne strengerer Kriterien anhaften mag, nicht von vornherein
verwerflich.

Ich habe das Problem des Humanismus ein zwiefaches
genannt, ein historisches und ein gedankliches. In dieser letzteren
Eigenschaft würde es in die weitläufige Welt einer Problematik
gehören, die sich mit dem Menschen als denkendem,
und das heißt immer auch als einem sich selbst als denkend
empfindendem, feststellendem und beurteilendem Wesen zu
befassen hätte. Wir reden ja auch nicht etwa vom Humanismus
nur als von einer geschichtlichen Tatsache oder einem
Komplex solcher Tatsachen, sondern auch und sogar vorzugsweise
vom „humanistischen Gedanken", und das muß nun
wieder heißen von einem sehr ausgedehnten und vielgestaltigen
Komplex von Denkweisen, die, verschieden wie sie sind,
sich doch alle irgendwie auf ein Gemeinsames, also auf eine all
diesen verschiedenartigen Formen und Ergebnissen des Denkens
zugrundeliegende Maxime zurückführen ließen, auf einen
ursprünglichen Entschluß, innerhalb eines bestimmten gel'
stigen Bereichs einen bestimmten Weg {/U&oiot) des urteilen'
den Denkens zu verfolgen. Man könnte auch bescheidener von
einer irgendwann und irgendwie einmal angenommenen Gewohnheit
oder Ubereinkunft reden, deren Ursprungsort un"
deren Wesen es gelte festzustellen. Die Aufgabe würde die
nämliche bleiben. Sie würde notgedrungen im Bereich eine»
Denkens enden, das über das nachsinnt, was wir „Den»'
formen" nennen, eine Tätigkeit, die der alte Goethe mit dem
Verslein abgefertigt hat:

Wie hast du's denn so weit gebracht ?
„Ich habe nie übers Denken gedacht."

Das ist nun selbstverständlich cum grano salis zu nehmen.
Auch Goethe hat nicht umhingekonnt, hie und da ..ube^
Denken" zu denken. Und wenn ich im allgemeinen auch gern
einen weiten Bogen mache um ein Feld der Spekulation, da
mir, ganz allgemein gesagt, als das einer Pflanzschule V»
Aporieen erscheint, so werden doch auch wir heut trotz alle
Vorsicht an dies Feld wenigstens herangeführt werden. ve
Leviathan, dem wir auf den Leib rücken möchten, läßt d
nicht anders zu. „
Zunächst freilich tun wir gut daran, den Riesenberg vo
weitem, von außen, von unten zu betrachten. — Beginnen w
von unten her, indem wir das Phänomen Humanismus u
seine Anwesenheit um uns her und in uns selbst als die ein ^
geschichtlich überkommenen und weiterhin Geschichte
den und bestimmenden Agens und Movens ins Auge laS!~e'
so stellen wir alsbald vor einer verwirrenden Fülle von
gebenheiten. — Es gibt kaum ein Gebiet des öffentlichen 00.