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Ausgabe:

1949 Nr. 1

Spalte:

37-39

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Oepke, Albrecht

Titel/Untertitel:

Geschichtliche und übergeschichtliche Schriftauslegung 1949

Rezensent:

Michel, Otto

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37

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 1

3S

sind verdorrt, unsere Hoffnung ist geschwunden; es ist aus mit uns!
Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht der Herr Jahwe:
Fürwahr, ich will eure Gräber öffnen und euch, mein Volk, aus euren
Gräbern heraufholen und euch ins Land Israel bringen, damit ihr erkennet
, daß ich Jahwe bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein
Volk, aus euren Gräbern heraufhole. Und ich will meinen Oden in
euch geben, daß ihr wieder lebendig werden sollt, und will euch in euer
Land versetzen, und ihr sollt erkennen, daß ich Jahwe bin; ich habe
es geredet und werde es vollführen, ist der Spruch Jahwes."
Auch In diesem Bilde können wir beobachten, daß die Nacherzählung ihre
eigenen, durch den jeweiligen Glaubensstand und die entsprechende Weltanschauung
bedingten Wege geht. Der geschichtliche und ursprüngliche Sinn
des Bibeltextes ist klar: Es handelt sich um eine Vision des Propheten; hierin
aber den locus classicus für den Auferstehungsglauben sehen zu wollen, geht
nicht an. Erst die allgemeine Anschauung der Spätzeit meint, daß in Ez. 37,
I—14 ein tatsächliches Ereignis vorliegt, und zwar ein solches, das auf die
Zeit Ezechiels beschränkt ist1. Aus dieser Auffassung heraus, und zwar wie
die Trachten der Figuren zeigen, auch auf der zivilisatorischen Basis seiner
Zeit, hat der Maler das Bild von der Totenerweckung gestaltet. Ja, man darf
noch ein Stück weitergehen. Daß zwischen der deutenden Prophetengestalt
am rechten Bildrande und der offenbar lobpreisend dahinziehenden Menschengruppe
noch Totengebeine herumliegen, scheint auf eine nur teilweise Auferstehung
am Ende der Tage hinzudeuten, so daß dem Bilde zugleich eine
cschatologische Bedeutung zukommt. Der Maler und seine Auftraggeber haben
also, wenn unsere Annahme zutrifft, in dem für sie geschichtlichen Ereignis
zugleich den Prototyp für die kommende Wiederbelebung und damit eine
Stütze für ihren Auferstehungsglauben gesehen'. Damit hat aber auch dieses
Bild einen doppelten Sinn. Der Beschauer erkannte in ihm einmal ein bestimmtes
historisches Ereignis, das in der Hcilsgeschichte seinen festen Platz
einnahm, andererseits aber gab es ihm einen tröstlichen Ausblick auf jene
ideale Zukunft, In der die Frommen unter Jahwes und seines Gesalbten Schutz
aller Mühen und Nöte der Gegenwart ledig sein und sich insgesamt ihrer angestammten
Heimat erfreuen würden.

Dasjenige nun, was unserem Bilde eine besondere Note
gibt, ist wiederum ein Einzelzug, der auf jeden Fall besondere
Beachtung verdient, nämlich die in der Wiederbelebungsszene
auftretenden Flügelwesen, die» man mit Recht als Psyche-
Figuren bezeichnet hat3. Es erhebt sich hierbei sofort die
Frage, ob es sich bei diesen Seelenfiguren um eine bloße Adoption
äuf3erer Art, etwa gar um ein Entgegenkommen der nichtjüdischen
Kunst der Umwelt gegenüber handelt1, oder ob wir
nicht vielmehr ein Stück im Volke verankerter Anthropologie
vor uns haben. Ein Vergleich des Bildes mit dem Bibeltext
sagt uns auf den ersten Blick, daß in diesem Punkte eine starke
Spannung zwischen beiden besteht. Sämtliche Schriften des
Kanons kennen keinen geistigen Doppelgänger des Menschen,
den man gemeinhin als „Seele" bezeichnet, sondern lediglich
die rüah, das heißt das lebenspendende Prinzip, den von Jahwe
stammenden Lebensodem, der den toten Körper zu einem

NEUES TESTAMENT

Oepke, Albrecht, Prof. D.: Geschichtliche und übergeschichtliche

Schriftauslegung. 2., neu bearb. Aufl. Gütersloh: Bertelsmann [1947J.

64 S. gr. 8". DM. 3.—.

Das Gespräch über das Verstehen und Auslegen des Neuen
Testamentes bezieht sich auf verschiedene Punkte, die augenblicklich
wichtig sind: auf das „Vorverständnis", auf die „Zuordnung
des existentiellen Subjektes zur Geschichte", auf das
Verhältnis der historisch-philologischen Arbeit zur theologischen
Exegese, auf die Möglichkeit, philosophische Begriffe
und ein nichttheologisches Seinsverständnis innerhalb der
theologischen Auslegung zu verwenden, und schließlich auf das
Problem der „Entmythologisierung" der Verkündigung. Es
fehlt allerdings in der Gegenwart ein umfassender und grundsätzlicher
Versuch, die hier entstehenden Fragen zu klären,
und wir sind auf eine Reihe von Einzeluntersuchungen angewiesen
, die nur einen Einstieg in diese Aufgabe geben. Zu
ihnen gehört der an sicli recht geschickte Vortrag von
A. Oepke, der nach 15 Jahren in neuer Auflage erscheint,
jetzt aber auch zur „Entmythologisierung" Stellung nimmt

') Vgl. babyl. Sanliedrin 92b.

') W. G. Kümmel, a. a. O., 53, sieht darüber hinaus in der Gruppe von
zehn Männern, die zehn Stämme des Nordreiches verkörpert, die am Ende
der Tage heimkehren sollen. Vgl. zu diesem Theologumenon G.F.Moore,
Judaism II, 3G8 ff.

•) Vgl. C. H. Kraeling, a. a. O., 356: Psyche-like winged beings; W. G.
Kümmel, a. a. O., 55.

') So etwa W. G. Kümmel, a. a. O.

„Lebewesen" macht. Nicht zufällig wird dieser Lebensodem
mit dem gleichen Wort wie der Wind bezeichnet, denn es verhält
sich in der Tat der Lebensgeist zu der gesamten, letztlich
Gott zugehörenden, überindividuellen Lebenspotenz wie der
Hauch zum Winde. Gerade Ez. 37, 4—10 zeigt das Schillern
des Begriffes rüah besonders deutlich1. Daß es von hier aus
keine Brücke zu dem geflügelten Seelenwesen gibt, das nach
dem Wandbild jeweils in einem toten Körper Wohnung nimmt
und ihn dadurch neu belebt, bedarf nicht weiterer Begründung.

Nun zeigt uns aber die literarische Uberlieferung, daß die
Entwicklung in den anthropologischen Vorstellungen des Judentums
nicht geradlinig verlaufen ist. Die oben kurz gestreifte
alttestamentliclie Linie endete in der Spätzeit in doppelter
Weise; einmal im Sadduzäisinus, der bei der Meinung verharrte
, daß das Leben des Menschen mit dem Tode ein für
alle Male beendet sei2, und daneben in der Auferstehungshoff-
nung der Pharisäer, wie sie uns gerade noch an der Grenze
des alttestamentlichen Schrifttums, Da. 12, 2L; Jes. 26, 19
entgegentritt3. Daneben aber taucht seit der Perserzeit, insbesondere
aber unter dem Einfluß des Hellenismus der Glaube
an den „Geist" oder die „Seele" als den unsichtbaren Doppelgänger
des Menschen auf4. Diese Seele, sei sie nun erst bei der
Geburt des menschlichen Individuums erschaffen oder, nach
weit häufigerer Vorstellung, präexistent, wird nun der eigentlich
wertvolle Teil im Menschen. Nach dem Tode kehrt sie,
soweit sie nicht der Strafe anheimfällt, zu Gott zurück.

Beide Linien, die ältere innerweltliche, die in die Auferstehung
des Leibes einmündet, also monistisch ausgerichtet
ist, und die jüngere, die auf dem Dualismus von Leib und Seele
basiert, vereinigen sich in der synagogalen Theologie weithin,
wenn auch nicht ausschließlich, in einer Ausgleichsvorstellung.
Mau glaubt, daß bei der Auferstehung die Seelen, vom Himmel
kommend, die Leiber wieder aufsuchen werden, um sie neu zu
beleben. Genau das aber ist die anthropologische Vorstellung,
aus der heraus der Maler die Wiederbelebungsszene in dem
Wandgemälde von Dura geschaffen hat. Vergegenwärtigt man
sich nun weiterhin, daß in der rabbinischen Literatur die Seele
als in der Welt umherschweifendes, also geflügeltes Wesen, ja
als Seelenvogel eine Rolle spielt', so haben wir nun in Dura
den bildmäßigen Beleg dafür, wie man sicli in volkstümlichen
Kreisen diesen unsichtbaren Doppelgänger des Menschen, sein
unvergängliches Ich vorgestellt hat. Daraus aber ergibt sich,
daß die Psyche-Figuren alles andere darstellen als eine bloße
Adoption eines heidnischen Motivs. Sie sind vielmehr der bildhafte
Beweis dafür, wie das Judentum seiner hellenistisch-
orientalischen Umwelt den Seelenglauben entnommen hat,
um ihn sich seinem Wesen gemäß anzueignen und zu einem
festen Bestandteil seiner Anthropologie, damit aber auch
seiner Glaubeuswelt zu machen.

(S. 56—63). Vgl. die Besprechung von A. Köberle (ThLZ 1932).
Der Verf. tritt vermittelnd für eine „Zweistufigkeit" der'Exe-
gese ein und verlangt gemäß seinem Verständnis von Offenbarung
und Geschichte eine übergeschichtliche Auslegung
neben und nach der ebenso unentbehrlichen geschichtlichen
(a. a. O. 53). Er wendet sich ausdrücklich gegen die verschiedenen
Formen der „Einstufigkeit", wie sie etwa von der
existentiellen Interpretation (K. Barth, R. Bultmann) versucht
wird, wie sie auch von denen vorgeschlagen wird, die
eine wissenschaftlich-historische Forschung durch ein bestimmtes
religiöses Verständnis vertiefen wollen („Christeustand
", „Geistbesitz", „innere Beziehung zum Gegenstand").
Sogar im NT selbst liege ein Ansatz zur „Zweistufigkeit"
(z. B. Rom. 4, 23 f.; 15, 4; 1. Kor. 10, 11). Geschichtliche und
übergescliichtliciie Auslegung sollen aber beide wissenschaftlichen
und theologischen Charakter behalten, weil sie der
Sache gemäß sind, die sie vertreten. In der Auseinandersetzung
mit R. Bultmanns bekanntem Aufsatz „Neues Testament
und Mythologie" („Offenbarung und Heilsgeschehen"
1941) will unser Verf. einen gewissen Zwiespalt im Begriff des
Mythologischen erkennen, da Bultmann zunächst vom Selbstverständnis
des modernen Menschen ausgehe und das mytho-

') Vgl. zum Problem etwa W. Eichrodt, Theologie des AltenTestaments 11
(1935), 65 ff.; L. Köhler, Theologie des Alten Testaments (1936), 126 ff.

*) Vgl. A. Schlatter, Geschichte Israels, 3. Aufl. (1925), 168.

') Vgl. R. Meyer, Hellenistisches in der rabbinischen Anthropologie, 12 f.

') Zum Glauben an die unsterbliche Seele im Menschen vgl. R. Meyer,
a.a.O., 49 ff.; zum religionsgeschichtlichen Problem des Seelenglaubens
G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion (1933), 254 ff.

') R. Meyer, a. a. O., 51.