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Ausgabe:

1949 Nr. 8

Spalte:

496

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller, Alfred Dedo

Titel/Untertitel:

Prometheus oder Christus 1949

Rezensent:

Leese, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 8

496

der schon deshalb nicht jedem zusagen wird, weil er erhabene
antike Gedanken und Worte bisweilen seltsam mischt mit
derben heutigen, ist ein Vertreter jenes düsteren Gegenglaubens
. Dabei hatte er in seiner Jugend Theologie studiert.
Biedermanns freie Denkweise schien ihm den Weg ins kirchliche
Amt zu bahnen. Zum Pfarrer gewählt, verzichtete er
dann doch, und ward Feind des Christentums.

Er greift es dann in seinen Dichtungen von verschiedenen
Seiten her an, und seine Gedanken sind da nicht einheitlich.
Es fehlt bei ihm nicht ganz an Worten des Glaubens („Zuletzt
ist Gott", Balladen, 1922, 6). Aber viel öfter und schärfer
redet er anders. Das jüngste Gericht bekommt umgekehrten
Sinn. Aus dem „Buch des Lebens" wird bei ihm ein „Welten-
klagebuch", auf Grund dessen der namenlose, unbekannte,
am unermeßlichen Leid der Kreatur schuldige Schöpfer von
der Menschheit verurteilt werden müßte. Ob sie ihm dann
verzeiht, ist eine andere Frage. Freilich kann auch für
Spitteier die Enderwartung nur Bild und Gleichnis sein. Das
Land, aus dem der Erlöser kommen soll, heißt meon, das
Nichtseiende, Traumland. Erlösung kann es nur als seelische
Haltung dem Schicksal gegenüber geben, sei dieses nun als
böser (oder auch kranker) Gott gedacht, sei es als blinde
Macht, Ananke, als ungeheurer Automat. Beide Vorstellungen
stehen bei Spitteier nebeneinander. Logisch sind sie natürlich
unvereinbar, und bei der vom Automaten denkt man daran,
mit wie viel Geist Joel in seinem Buch Der freie Wille (1908)
die mechanistische Weltansicht, die alles auf Druck und Stoß
zurückführt, als den Wahn verspottet, eine Prügelei der Atome
sei der Ursprung des geistigen Lebens. Daß Spitteier namentlich
die griechischen Mythen dichterisch verwendet, gibt seinen
Werken leuchtende Farben, aber es läßt Denkarbeit und
Phantasiespiel oft zu sehr durcheinanderfließen. Buri hat sich
mit Recht, wenn er auch die andern Werke sorgfältig verwendet
, doch wesentlich an das eine gehalten, das einst in gehobener
Prosa als „Prometheus und Epimetheus" erschien,
in Spittelers Alter aber noch einmal, nun in Versen, als „Prometheus
der Dulder". Prometheus lehnt es ab, sich zum
König der Menschheit machen zu lassen, weil der Engel
Gottes dafür von ihm verlangt, daß er seiner Seele absage
und sich vielmehr ein Gewissen geben lasse, das Spitteier
wesentlich als Gehorsam gegen überlieferte Gesetze versteht,
moralische oder religiöse. Protestanten, nicht nur solche aus der
Schule Wilhelm Herrmanns, fragen verwundert: wie kann man
das Gewissen so zum Werkzeug der Heteronomie machen ?
Welch verwirrender Sprachgebrauch! Aber Spitteier redet so,
und weil Prometheus ablehnt, wird sein Bruder Epimetheus,
der auf jenen Handel eingeht, Menschenkönig. Prometheus
muß sein Leben in Leid und Fron hinbringen. Doch Epimetheus
scheitert zuletzt kläglich; aber der Bruder verzeiht
ihm großmütig. Widersprüche kann man bei Spitteier viele
aufzeigen. Sagt die Göttin zum Menschen: „Du stehst in eines
Ungotts Machtbereich", so fragt sich: wird es bei der Vorstellung
von einem Ungott bleiben ? (wie ein amerikanischer
Professor von einem sittlich ernsten Studenten, der begeisterter
Atheist war, sagte: „er glaubt an einen Nichtgott
und verehrt ihn"). Die pessimistische Grundstimmung
gegenüber der „Pest des Daseins" wird stärker sein als alle
Begriffe und sie zerfressen; Leid für den Willen macht zuletzt
auch das Denken müde. Der Pessimist zieht sich aristokratisch
von Masse und Welt zurück; als dem Prometheus
schließlich doch noch die Würde des Königs im Gottesreich
angeboten wird, schlägt er sie aus. Aber dies, und daß er dem
Bruder vergibt, ist nicht die christliche Demut. Spitteier sagt,
vergeben heiße, nach dem eignen Werte handeln; der Christ
vergibt vielmehr von seinem Unwert her.

Doch wichtiger ist, daß schließlich auch Spitteier, was ihm
als Erlösung vorschwebt, Dienst des Schönen, Erbarmen
mit den Leidenden und die Hilfe für sie, als ihm geschenkt
empfindet, nicht als Selbsterlösung (210). Buri, der in den
kirchlichen Dogmen fast ebenso Phantasiegebilde findet wie
in den griechischen und den Spittelerschen Mythen (197),
kann doch, nachdem er den Gegensatz zwischen dieses Dichters
Denkweise und der christlichen klar aufgezeigt hat, zuletzt
auch dartun, worin sie übereinstimmen. Spittelers Mythus
von Pandora, die den Menschen helfen möchte und dabei
auch, obwohl ihre Gabe durch Unverstand zunächst arg verschleudert
wird, nicht ganz ohne Erfolg bleibt,, ist zutiefst

dem Preise selbstloser Güte im Christentum verwandt. Die
Schärfe, mit der Spitteier den „Alexandrinismus" bekämpft,
das schwerfällige und selbstsüchtige Schriftgelehrtentum theologischer
Traditionshüter, und der Pfarrer ihm als der „offiziell
vom Staat beglaubigte Oriental-Metaphysikus" gilt (186),
wird von Buri nicht mit ähnlicher Schroffheit erwidert. Der
vom Christentum tief enttäuschte Dichter hat hier einen
solchen christlichen Darsteller gefunden, der ihm mit weitestgehendem
Verständnis und vorbildlicher Gerechtigkeit begegnet
. Streit und Verdammung hat es in der Geschichte der
Kirche genug gegeben. Wir wollen lieber, daß jemand gegen
Feinde unseres Glaubens allzu gerecht sei, als die Kette der
Mißverständnisse und Ungerechtigkeiten verlängern. Buri hat
sich von Spitteier nicht fangen und nicht bestechen lassen,
aber der Dichter hätte vor solcher Auseinandersetzung
Achtung haben müssen und hätte Freude an ihr haben können.

Niederbobritzsch b. Freiberg/Sa. H. Mulert

Müller, Alfred Dedo, Prof. d. Dr.: Prometheus oder Christus. Die Krisis
im Menschenbild und Kulturethos des Abendlandes. Leipzig: Meiner [1948].
71 S. 8». Kart. DM 3.50.

Von einer Betrachtung des Goetheschen dramatischen
Fragments „Prometheus" und seiner auf Prometheus bezüglichen
Ausführungen in „Dichtung und Wahrheit" ausgehend,
vereinigt der Verf. im Prometheus-Symbol die Züge der Autonomie
, der Autarkie, der schöpferischen Selbst- und Weltgestaltung
und der atheistischen Selbst- und Kulturver-
götzuug des modernen (positivistischen) Menschen. Er sieht
(wie ich glaube: mit Recht) das einzige Heil in einer „neuen
Epiphanie Christi". Diese Epiphanie Christi sieht er aber
wiederum im Lichte der kosmischen Christusspekulation des
Epheser- und Kolosserbriefes sowie der johanneischen Christo-
logie (warum nicht schlicht als des Trägers und Bringers der
Agape ?). Es ist nun das eigentümlich Moderne au dieser neueil
Christus-Epiphanie, daß sie Raum läßt für die schöpferischen
Züge des Prometheus (unter Abscheidung der dämonischen)-

Der Verf. sagt hierüber:

Ein Christentum, das keinen Raum für die im Prometheismus aufgebrochenen
Fragen hat, ist mitschuldig an allem Verhängnis, das im Zeichen des
Prometheus beschlossen war. Die Erneuerungsmächtigkeit des Christusimpulses
aber ist gerade darin begründet, daß sie sich auch an aller empirische«
Gestalt des Christentums bewährt. Und so enthüllt sich der Christusimpuls als
ein ewiges Prinzip der weltgeschichtlichen Bewegung. Und das heiß'
zum anderen, daß Christus nicht Auflösung, sondern Erfüllung bedeutet
. Gewiß ist in ihm ein unbedingtes Nein aller dämonischen Verzerrung
menschlicher Grundbedürfnisse gegenüber wirksam. Aber er bedeutet auch ei"
unbedingtes Ja zu den vom Prometheismus dem modernen Bewußtsein unverwischbar
eingeprägten Fragen. Ein Christentum, das keinen Raum hat für die
Fragen der Freiheit, der Gemeinschaft und der Weltgestaltung, hat kein Rech1'
sich auf Christus zu berufen. Diesen Sachverhalt aller menschlichen Verfälschung
des christlichen Prinzips gegenüber wieder zur Geltung zu bringe"'
macht den geschichtlichen Sinn des prometheischen Aufstandes der letzte«
Jahrhunderte aus. Nun aber gilt es zu sehen, daß die hier wirkenden Grundanliegen
erst in einer neuen Epiphanie Christi beantwortbar werden. Der selbs''
mächtige, sich ungehemmt auslebende, trotzig welterobernde Mensch, das
Inhalt und Grenze des prometheischen Antriebes: Ich fühle Mut, mich in d'e
Welt zu wagen. / Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen. / Mit Stürme"
mich herumzuschlagen / Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zage«'
Nun gilt es, die Aufgaben zu lösen, für die die prometheisch verstandene Au'0'
nomie nicht ausreicht. Nicht der sich selbst absolut setzende, in überhebliche'"
Trotz in sich verkrampfte, sondern der seinem göttlichen Ursprung geöffne'e'
demütig empfangende, zum Organ Gottes gewordene Mensch; nicht der
die menschliche Umwelt eigenmächtig nach seinem Bilde formende, sonder"
der zur Liebe erwachte, das Schicksal des anderen in sein Lebensgefühl a«'"
nehmende, wahrhaft menschlich gewordene Mensch; nicht der die'Welt für sie«
erobernde und imperialistisch ausbeutende, sondern der ehrfürchtig-welta"''
geschlossene, weltverantwortlich gewordene, in Welthorizonten denken^
und handelnde Mensch —das muß das Menschenbild der Zukunft sein. (S. 69 W

Diese Sätze enthalten die Quintessenz des Büchleins-
Aber wie weit hat sich der Verf. damit auch von der eschato-
logischenEnd-Nah-Erwartungsperspektive des Urchristentum
entfernt, die für Prometheisches keinen Raum hat.

Hamburg Kurt Leese