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Ausgabe:

1949

Spalte:

494-496

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Buri, Fritz

Titel/Untertitel:

Prometheus und Christus 1949

Rezensent:

Mulert, Hermann

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493

Theologische Literaturzeitung 1349 Nr. §

494

Die unbestimmte Formulierung des Themas weckt die Erwartung
, die Arbeit werde in diesem vagen Gebiete klare Abgrenzungen
vornehmen. Das geschieht aber nicht. Ob „das
Katastrophale" ein Trieb des Menschen sei oder ob es den geschichtlichen
Abläufen eigne, — ob es überhaupt ein Es gebe,
dem diese Bezeichnung zukomme, wird nicht ernsthaft erwogen
. Auf jeder Seite stört der Mangel an begrifflicher Klarheit
. So ist denn, wie die Inhaltsübersicht bereits vermuten
läßt, bestenfalls eine Stoffsammlung zustande gekommen,
deren Einteilung jedoch wenig überzeugendes hat. Daß die
Katastrophe durchaus nicht nur den Untergang, sondern ebenso
den Durchbruch vom sinnlosen zum sinnerfüllten Leben
bedeuten kann, ist ein fruchtbarer Gedanke, der leider nur
kurz anklingt (S. 14, 32) und nicht systematisch verfolgt wird.
Es ist im übrigen ungefähr alles berührt, was sub vocem Katastrophe
erwähnt werden könnte; so dient als Beispiel für den
..Drang zum Katastrophalen" — die Flucht der Moskauer Bevölkerung
1812 vor der Invasion „unter Aufgabe fast ihres
gesamten Besitzes" (S. 69). Auch die Bemerkungen über
Nietzsche S. 86 ff. verraten, wie sehr T. von einer „bürgerlichen
" Sicht her urteilt. Ein weiterer Mangel der Arbeit ist,
daß fast alles aus zweiter Hand geboten wird. Das gilt sogar
Ißt das, soweit ich sehe, am besten gearbeitete Stück, für die
Ausführungen über Dostojewsky. Für die biblische Eschatologie
hat sich der Mann der „theologischen Praxis" ausschließlich
vom Bijbelsch Kcrkelijk Woordenboek und von der RGG
beraten lassen. Der Artikel „Eschatologie" in der letzteren
Wird irrtümlich in seinem ganzen Umfange Troeltsch zugeschrieben
, ' der doch nur den letzten, systematischen Abschnitt
beigesteuert hat — und auch das nur in der 1. Auflage,
Während er in der 2. Auflage, die mit richtiger Seitenzahl zitiert
wird (S. 43, Anm. 2; S. 45 Anm. 1 dagegen wieder 1. Auflage),
an dem Artikel „Eschatologie" nicht beteiligt ist. Bedenklicher
als dieser mehr äußerliche Lapsus sind schließlich die abwegigen
Darstellungen biblischer Gedanken. Kann mau das
•^ständig wiederkehrende Motiv" in der Predigt der großen
Propheten Israels wirklich so beschreiben: „Alles Große in
Meuscheuaugen wird untergehen müssen. Solange das nicht
geschieht, wird der Mensch weiter darauf vertrauen. Erst
Wenn er die Katastrophe davon mitgemacht hat, kann er zu
der Einsicht vom Wert der innerlichen Kräfte kommen"
|S- 66) ? „Der Mensch muß . . . (sc. nach Paulus) . . . zur Ver-
'orenheit kommen, ohne etwas übrig zu behalten, woran er
s'eh halten könnte. Erst wenn alles um ihn her einstürzt,
wird er zu der Entdeckung kommen, daß alles, worauf er zuvor
vertraut hat, keinen wesentlichen Halt geben kann. So
kann ein Mensch kommen zu einem Gefühl von Leere, worin
sein Leben durch einen anderen Inhalt gefüllt werden kann
JUid worin er seine geistliche Rettung findet" (S. 67). Hier
?atte doch nun wirklich die Rede sein müssen von der großen
Wende, die Gott herbeigeführt hat, und dem „Nun aber", mit
dem eine neue Möglichkeit über die Katastrophe hinaus eröffnet
ist. Für T. ist Christentum ohne tragisches Bewußtsein
u'idenkbar (S. 32). Daß aber die christliche Schau der Gerüchte
die Vorstellung des Tragischen durchbreche und zu
F'ner Zuversicht gelange, welche „jenseits der Tragödie" liegt,
lst doch nicht nur eine Frivatausicht von Reinhold Niebuhr.

Heidelberg Heinrich Greeven

^avink, Bernhard: DasWeltbild der heutigen Naturwissenschaften und
seine Beziehungen zu Philosophie und Religion. Iserlohn: Siiva-Ver-

*8 [19471. 151 S. 8«. Pp. DM 7.80.

Das Buch besteht aus drei Teilen: i. Die materielle Welt,
Sj Die Welt des Lebens, 3. Natur und Mensch (Kultur). In
gjn ersten Teil wird das Weltbild der modernen Physik sehr
rltlgehend und für jedermann verständlich dargestellt. Alle Er-
tUllgenschaften der heutigen Physik, beispielsweise die Quan-
0llphysik, die Atomphysik usf. werden ausführlich besprochen,
?d daran anschließend auch die höchst interessanten Ergeb-
ySse der modernen astronomischen Forschung. Man muß den
Ii 5r- bewundern, wie tief er in alle modernen wissenschaft-
vc'ieu Erkenntnisse eingedrungen ist und wie er sie allgemein-
vfcrständlich darzustellen vermag. Dasselbe läßt sich auch
J311 dem zweiten Teil des Werkes sagen. Man lernt hier die
f>oderue Biologie sehr gründlich kennen. Zum Schluß wird das
si ^'""'»uiigsproblem des Menschen besprochen. Es ist heute
^clier festgestellt, daß die Arten der Lebewesen sich umgewandelt
haben, und das Ende des Entwicklungsprozesses ist
^r Mensch. In dem dritten Teil des Buches wird zuerst dar-
äf^l" gesprochen, daß es eine große Zahl von Funden gibt,
auf ! '"c '''Wischenstellung zwischen Mensch und Großaffen
^'Weisen. Man kann zwischen Mensch und Urmensch eben-
wenig einen Schnitt machen wie zwischen Kind und Erwachsenem
. Wie aber trotzdem zwischen Kind und Erwachsenem
ein grundsätzlicher Unterschied vorhanden ist, so auch
zwischen Tier und Mensch. Der Unterschied des Menschen
gegen das Tier besteht erstens in dem deutlichen Ichbewußtsein
, zweitens der Freiheit des Handelns, drittens der Begriff
ssprache. Mit der Sprache des Menschen zusammen hat
sich das Denken entwickelt. Auch geistig gibt es eine Vererbung
. Leib und Seele bilden eben eine Einheit, die nur für
unsere menschliche Erkenntnis in zwei Seiten zerlegt wird.
Alles höhere geistige Streben des Menschen wurzelt ursprünglich
im Biologischen. Technik und Wissenschaft sind entstanden
aus dem Bedürfnis des Menschen, sich in der Welt
seine Existenz zu sichern. Die Loslösung des Wissens von
diesem biologischen Bedürfnis ist erst spät gekommen. Aber
die eigentliche Forschung fragt doch nicht zunächst, was man
damit anfangen kann, sondern, wie es sich verhält. Das
Objekt der Wissenschaft ist „die Wahrheit". Man muß in dem
vielverschlungenen Entwicklungsprozeß der menschlichen
Kultur letzten Endes einen großen durchlaufenden Plan sehen,
den Plan eines Weges, der aus dem Dunklen ins Helle geführt
hat. Der Verf. ist aber nicht der Meinung, daß der Mensch,
sich immer weiter im günstigen Sinne entwickelnd, allmählich
zu immer herrlicherer Kultur- und Sittenhöhe fortschreiten
und so schon in seinem irdischen Dasein seinen letzten Sinn
erfüllen werde. Das Christentum fängt nicht mit der Verneinung
, sondern mit der ehrlichen und freudigen Bejahung
aller natürlichen Werte an; aber: es ist und bleibt wahr, daß
diese irdische Welt niemals die in ihrer eigenen Entwicklung
im Menschen bewußt gewordenen Wertforderungen wirklich
erfüllen wird. Die Welt ist von dem Widerspruch zwischen
dem, was ist, und dem, was sein sollte, durchzogen. Das
Christentum weiß einen Weg aus diesem Widerspruch: In
der Liebe können zwei und mehr Willen, ohne sich gegenseitig
aufzuheben, eins werden. Diese Macht ist in Gott selbst das
Letzte und Tiefste. Das irdische räumlich-zeitliche Dasein ist
nur ein Gleichnis, ein Spiel, das wir mitspielen und miterleben
müssen, dessen eigentlicher Sinn aber „dahinter" liegt. Nur
in diesem „jenseitigen Reich" ist eine wirkliche Lösung aller
Widersprüche dieses Daseins zu finden. Das Bild der Welt,
das uns die moderne Naturwissenschaft zeichnet, läßt uns
den Zugang zu einer solchen Auffassung des Menschen als
eines Wanderers durch zwei Welten offen. Aber sie führt uns
nicht direkt von sich aus dazu hin. Wer erleben will: „Credo in
unum Deum", der muß sich an Propheten, Dichter, Musiker
wenden. Dann wird er den Weg finden durch das ganze Credo
bis zum Schluß, zum Glauben an die „Vita venturi saeculi",
die zeitlos jenseitig gemeint ist und nicht menschlich vorstellbar
ist, eben darum, weil wir und solange wir Menschen dieser
unserer irdischen Welt sind.

Freiburg/Br. Gustav Mie

Buri, Fritz: Prometheus und Christus. Größe und Grenzen von Carl Spit-
telers religiöser Weltanschauung. Bern: Francke 1945. 282 S. gr. 8°.

Alle bloße Verneinung ist, sofern sie Leere schafft,
weniger wirksam als ein irgendwie positiver Gegensatz. Bekenner
des Christentums und anderer Religionen haben seit
lange die Gottesleugner als ihre Feinde angesehen. Aber schon
Luther hat zum christlichen Gottesglauben nicht so sehr den
Zweifel oder das Nichtglauben in Gegensatz gestellt (theoretischer
Atheismus spielte damals noch keine nennenswerte
Rolle), als den Dienst falscher Götter, Mammons und anderer
Götzen. So müssen auch wir damit rechnen, daß hinter dem
Atheismus sich eine andere Denkweise erhebt, die den christlichen
Glauben noch schärfer bekämpft, ihn geradezu umzukehren
sucht. Uber der Welt mag eine einheitliche Macht
stehen, aber es ist eine Macht des Bösen, ein Teufel, ein Wesen
ohne Güte, vielleicht sogar ohne Weisheit, ohne Geist,eine
blinde Kraft; das Weltganze ist ein Automat. Wir Theologen
sollen wenigstens wissen, daß und wo solche Gedanken vertreten
werden, sollen uns ernstlich mit ihnen auseinandersetzen.
Hat Buri so viel Gerechtigkeit aufgebracht, daß er Nietzsches
Ideen von der ewigen Wiederkehr aller Dinge als in der Absicht
verwandt mit der Luthers (und schon spätmittelalterliche
Frommen) hinstellte, wir müßten bereit sein, wenn Gott
es wolle, ewige Verdammnis auf uns zu nehmen, und konnte
ich jener Idee Nietzsches nicht solchen Wert beimessen wie
Buri es in „Kreuz und Ring" (i947) ttit., so erscheint mir
dieses (ältere) Werk Buris über Spitteier als sehr verdienstlich
. Denn dieser Schweizer Dichter (1845—1924), zuerst
lange auch in seiner Heimat wenig beachtet, dann, als er dort
bekannt geworden war, doch in Deutschland nicht viel gelesen
(was aus politischen Gründen in der Zeit zweier Kriege
begreiflich war, obwohl Diederichs als Verleger ihm diente),