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Ausgabe:

1949

Spalte:

492-493

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Trouw, Arie

Titel/Untertitel:

Het katastrofale 1949

Rezensent:

Greeven, Heinrich

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481

theologische Literat

:urzeitung 1949 Jfr. 3

Ästhetik, Religionsphilosophie, objektiven Geist und Weltanschauung
. Die Fülle der Ausführungen verbietet einen Einzel-
bericht über sie. Sie alle zeigen das kenntnisreiche, geistvolle,
scharfsinnige, aber dogmatische Denken des Verfs. Der objektivistischen
Wert- und Geltungslehre nahestehend beruft er
sich für seine Ansichten auf phänomenologische Schau, verzichtet
, abgesehen von gelegentlichen Hinweisen, auf Beweise
und weist abweichende Ansichten oft schroff ab. Das verleiht
dem Buche etwas Diktatorisches. Dazu erschwert dessen eigenwillige
Terminologie sein Verständnis. Jedem Kapitel sind
Denkaufgaben beigefügt. Aber für viele ist der Leser nicht vorbereitet
, manche sind schon in der Fragestellung schwer verständlich
, andere schwer beantwortbar.

Seine Religionsphilosophie skizziert Müller fast anhangsweise
auf nur acht Seiten. Sie steht im Zeichen seiner Wertlehre
. Religion ist Leben unter Heiligkeitswerten. Heiligkeit
wird nach Rudolf Otto bestimmt. Gott ist für uns der Inbegriff
der Werte. Und Werte werden geschaut, nicht gefühlt,
noch gedacht. Religiöses Denken kommt schlecht weg. Es ist
das Ende der Religion, ihre Erstarrung. Von ihr lebend, sekundär
läuft es neben ihr her, ist aber weithin von ihr unabhängig,
ja in Widerspruch zu ihr, Theologie einer der mächtigsten
religionswidrigen Faktoren. Die Frage nach Wahrheit der
Religion sei ohne Sinn. Der Leser ist erstaunt, erst nach diesen
Darlegungen und durch andere von ihnen getrennt in dem
kurzen Schlußkapitel „Weltanschauung" die eigentlichen
Grundthemen der Religion behandelt zu finden: Sinn der
Welt, Gott, Erlösung, mit dem Zugeständnisse, daß es sich
hier um Schau religiöser Werte handele. Weltanschauung und
Religion seien wurzelhaft miteinander verknüpft. Warum dann
beide trennen ?

• Müller ist katholischer Geistlicher. Um so mehr dürfte
den Theologen seine entschiedene Ablehnung der Neuseho-
lastik interessieren. Er hat ihr eine nicht minder scharfe in
dem ersten Hefte des neuen „Archivs für Philosophie" folgen
lassen. Und die neue, große, auch für den evangelischen Theologen
wichtige Religionsphilosophie Johannes Hessens, der
ebenfalls katholischer Geistlicher ist, rückt von der Neuscholastik
nicht minder eindeutig ab.

Der Unterzeichnete steht der Religionsauffassung Müllers
fern. Aber sie ist ohne Zweifel ein beachtlicher Beitrag zu den
heutigen religionsphilosophischen Diskussionen, über die das
genannte Werk von Hessen bei umfassender Berücksichtigung
auch der evangelischen Literatur allseitig und vorzüglich
unterrichtet.

Greifswald Günther Jacoby

Kindt-Kiefer, j. j., Dr. phii. et jur.: Der Streit aller Menschen um

Gott oder: Die Ordnung der möglichen Beziehungen von Mensch und Gott.
Bern: Paul Haupt 1943. 49 S. gr. 8" = Vorbesinnung zur neuen Politik.
DM 1.80.

Eni höchst originelles Büchlein, das es dem Leser, besonders
wenn er eine verantwortliche Auslegung und Beurteilung
vorlegen soll, wahrhaftig nicht leicht macht. Der
Denk- und Vortragsstil dieser Schrift ist der der philosophischen
Meditation, der von Augustin und Descartes bis zu
Jaspers sich in verschiedensten Gestalten als fruchtbar erwiesen
hat. Aber Verf. verbindet mit der Meditation, die ihrem
Wesen nach doch auf der andächtigen Einsamkeit des Denkenden
mit der Sache und nur dieser beruht, eine objektiv referierende
Konfrontation aller bei den „Zeitgenossen" vorkommenden
Meinungen über die Beziehung zwischen Mensch
und Gott. Er führt sie in 16 Streitreden vor, von denen drei
noch einmal vierfach aufgegliedert sind. So wird der meditative
Monolog zur Disputation dramatisiert, andererseits aber werden
die zur Diskussion gebrachten Meinungen nicht mit ihren
eigenen Stich- und Schlagworten zitiert (nicht ein einziger
Denkername und nicht ein einziges Buch wird genannt), sondern
sie werden zu Stimmen im Monolog gewandelt und aus
der Tiefe eigener Schau neu produziert. Das gibt den Gedanken
eine dunkle Leuchtkraft, über diesem Gespräch liegt die Stimmung
des Stundenbuches: Ich kreise um Gott um den uralten
Turm. Aber der Rezensent ist in Verlegenheit: weder die referierten
Meinungen hoch des Verf.s eigner Standpunkt lassen
sich bequem und sicher philosophiegeschichtlich einregistrieren
und -rubrizieren.

Eine dem Gang der Streitreden nachgehende Interpretation
und Kritik läßt der Raum nicht zu. Das Akumcn der
Schrift liegt auch nicht bei den einzelnen „Reden", sondern
bei der Bewegung. Jede der 16 (bzw. 25) Meinungen, die je in
einer merkwürdig unwirklichen, abstrakten, zuweilen ins
Gnostische spielenden Sprache zu Wort kommen, will „ganzheitlich
" und allgemeingültig die Wahrheit über Gott und den
Menschen aussagen, muß sieh aber im Ausdenken ihrer radikalen
Konsequenz nachweisen lassen, daß sie eine andere
Wahrheit gewaltsam unterdrückt hat. Die Gegenwahrheit, die
Antithese wird nun die These der nächsten Streitrede. Die aus
der 16. Meditation herausspringende Antithese ist die These
wieder der ersten Streitrede: der Ring schließt sich, und er
dreht sich ohne Aufhören. Quod erat demonstrandum.

Quid est demonstrandum ? Verf. scheint auf einen frommen
theologischen Relativismus und Universalismus hinauszuwollen
. Wie ihn vor Jahrtausenden schon Buddhas Gleichnis
von den Blinden veranschaulicht hat: sie betasten am Elefanten
jeder eine andere Stelle und kommen dadurch zu unversöhnlichen
Ansichten über dessen Wesen. Gott ist größer
auch als unser Gehirn, er ist das All (und mehr als das) aller
mögliehen menschlichen Meinungen über ihn. Jeder hat wohl
einen Splitter der Wahrheit, aber die Aufgabe der Philosophie
ist, ihm klarzumachen, daß auch der Andersdenkende einen
echten Splitter hat. Mit diesem Geschäft will Verf. dem Frieden
der Völker dienen: alle Feindschaft hat ihren Grund in dem
dogmatischen Fanatismus, mit dem ein jeder die Fülle der
Wirklichkeit zu einer einzigen These vereinheitlichen will, und
all solcher Streit hat sein „Vorbild" in der Uneinigkeit schon
im Zentralsten, für die Beziehung zu Gott. Die Titel der 13,
mir nur aus dein beigedruckten Prospekt bekannten, zwischen
1932 und 1943 erschienenen Schriften des Verf.s machen den
Primat dieses politischen Anliegens in seinem Denken deutlich-
(Wir grüßen dankbar die philosophische Friedensstimme aus
der Schweiz neben der theologischen Karl Barths und der
dichterischen Hermann Hesses.)

Aber kann — so hat die theologische, christliche Kritik
zu fragen — die Entscheidung über Wahr und Falsch ersetzt
werden durch das allgemeine und gleiche Stimmrecht aller
irgendwie möglichen und vorkommenden Meinungen ? Gewiß i
Dens est coincidentia oppositorum, aber im Sinn der logischen
Paradoxie geschichtlicher Wirklichkeit. Wir täten dem Verf.
unrecht, wenn wir ihn auf einen solchen relativistischen
Agnostizismus hin auslegten. Auch er will aus dem Ring der
16 ineinander umschlagenden Wahrheiten heraus. Wir wünschten
nur, dieses Herauskommen wäre auffälliger artikuliert und
in seinem Wahrheits- und Diinensionsverhältuis zu dem
Neben- und Miteinander der Streitenden geklärt. Es versteckt
sich in einigen wenigen Sätzen am Anfang und am Ende, S. H
und S. 48 f.

Hat Verf. schon durch die Formulierung des Disputationsthemas
die spekulative Frage nach Existenz und Wesen Gottes
ersetzt durch die praktisch-existentielle nach der Beziehung
zwischen Gott und Mensch, so tut er in diesen die Disputation
einklammernden Sätzen noch einmal einen dimensioualen
Schritt: die „kommende Jugend", in deren Namen er reden
möchte, will die Streitrede über Gott und Mensch, die, „genau
hingehört, weiter nichts als ein Schrei nach Gott ist", wieder
stellen unter die einfältige und schlichte Rede an Gott. Wir
müssen vom „Bildhauer Sokrates" unsre Gottverlassenheit
lernen und durch Vermittlung der gottmenschlicheu Person
des „Bauhandwerkers Jesus" die persönliche Beziehung zum
persönlichen Gott aufnehmen. Diese im Buchgauzeii unauffälligen
,,Rand"bemerkungen zeigen, daß der Verf. noch
mancherlei Wesentliches zu denken und auch zu sagen hat.

Leipzig Fritz Koitzsch

Trouw, A., Dr.: Het Katastrofale. Assen: van Gorcum & Comp. 1946.
126 S. gr. 8». hfl 4.50; geb. 5.50.

Eine philosophische Doktorarbeit, angefertigt „zur Vermeidung
von Dilettantismus" von einem Mann der „theologischen
Praxis", der sich einige Jahre mit Psychologie beschäftigt
hat. Das erste Kapitel beschreibt „Das Katastro;
phale" nach seinem Wesen, seiner Problematik, seinem „Ort"
und der ihm gegenüber eingenommenen Haltung. Das zweite
Kapitel zählt die Formen des Katastrophalen auf. [i. Allge'
mein: Schicksal und Tragik. 2. Psychologisch: a) Tod-
Wiedergeburt-Mechanismus; b) Wir-Bruch (Kunkel); c) Archetypen
(Jung). 3. Imitation und Suggestion. 4. Eschatolo-
gisch; Weltuntergangserlebnis. 5. Mythologisch: Sintflut,
Paradies, Götterdämmerung ] Nach diesen Vororientierungen
kommt der Verf. im dritten Kapitel erklärtermaßen zum
Kernpunkt seiner Ausführungen: Der Drang zum Katastrophalen
. [1. Allgemein. 2. Historisch: Wiedertäufertum, Marxismus
. 3. Kulturhistorisch: W. Schubart, Ortega y Gasset.
4. Biblisch: Jesaja, Jeremia, Paulus: 5. Literarisch: Dosto-
jewsky, H. Hesse, A. van Senden u. a. 6. Ethisch: Nietzsche-
7. Erotisch. 8. Psychologisch: Freud, Stekel. 9. Psychopatho-
logisch: Thanatophilie. 10. Philosophisch: Plato, Schopenhauer
.] Das vierte Kapitel behandelt danach die Reaktionen
auf das Katastrophale: Untergang, Verkapselung, Überwindung
.