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Ausgabe:

1949 Nr. 8

Spalte:

487

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Pieper, Josef

Titel/Untertitel:

Muße und Kult 1949

Rezensent:

Söhngen, Oskar

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487

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 8

488

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Pieper, Josef, Prof.: Muße und Kult. München: Hegner-Bücherei im
Kösel-Verlag [1948]. 99 S. 8°. Kart. DM3.60.

Was sich unter diesem zunächst undurchsichtigen Titel
verbirgt, ist ein rechtschaffener Traktat, — mit den beiden
Kriterien einer bemerkenswerten maieutischen Kunst und
eines prophetischen Entscheidungsernstes: seine Schrift wolle
„nachdenklich machen", urteilt der als Professor an der Pädagogischen
Akademie in Essen wirkende Verf. Und zwar handelt
es sich um einen anthropologischen Traktat; es geht
Pieper um die eigentümliche Würde des Menschen als Menschen
, die er durch den „totalen Imperialismus der Arbeitszeit
" in Frage gestellt sieht. Am Begriff des „geistigen Arbeiters
" entwickelt der Verf. den ganzen Umfang und die
ganze Tiefe der Bedrohung. War der Erkenntnisprozeß für die
Scholastik noch durch das Ineinanderwirken von ratio und in-
tellectus, von diskursivem Denken und intellektueller Anschauung
gekennzeichnet, so ist er bei Kant ausschließlich Aktivität
geworden; es ist nichts mehr in der Erkenntnis, das nicht der
eigenmenschlichen Anstrengung verdankt, das nur „empfangen
" wäre. Die Erkenntnismühe wird zum Kriterium der
Erkenntniswahrheit, wie das Mißtrauen gegen alles, was mühelos
ist, auch das ethische Urteil bestimmt: das Gute ist das
Schwere. Dazu kommt die Eingliederung in das soziale System
der Arbeitsteilung: auch der „Geistesarbeiter" ist an seine
Funktionsstelle gebunden. In der Welt der totalen Arbeit aber
kann es keine freien Künste, insbesondere keine Philosophie,
und keine freie Forschung geben: „Ausgebildet wird der Funktionär
. Ausbildung ist dadurch bestimmt, daß sie sich auf ein
Partielles und Spezielles im Menschen richtet und zugleich
auf einen Ausschnitt der Welt. Bildung geht auf das Ganze;
gebildet ist, wer weiß, wie es sich mit der Welt im ganzen verhält
. Bildung betrifft den ganzen Menschen, sofern er capax
uuiversi ist, sofern er das Allgesamt der seienden Dinge zu
erfassen vermag" (S. 42t.). Weil aber die menschliche Existenz
sich nicht darin erfüllen kann, daß sie ausschließlich werktägliche
Existenz ist, weil die Arbeit „unmenschlich" wird, „wenn
ihr der Widerhalt echter Festlichkeit und wirklicher Muße genommen
wird" (S. 82), entwickelt Pieper das Gegenbild der
Muße als des Hegungsraumes wahrhaften, ungeschmälerten
Menschentums, der Freiheit und der echten Bildung. Die Muße
ist eines der Fundamente der abendländischen Kultur. Wir
leben nicht um der Arbeit willen, wie Graf Zinzendorf einmal
gesagt hat, — damit ist die Ordnung der Dinge auf den Kopf
gestellt, — sondern wir sind, wie Aristoteles in der Niko-
machischen Ethik 10, 7 ausführt, unmüßig, um Muße zu
haben. (Die Alten hatten für die Tätigkeit negative Bezeichnungen
: ä-oxoMa und neg — otium). In der Muße liegt der Ursprung
der vita contemplativa und der Unterscheidung zwischen
den artes liberales und serviles. Der Gegensatz zur Muße
ist die acedia, die „Trägheit": daß der Mensch sich dem Anspruch
versagt, der mit seiner eigenen Würde gegeben ist, daß
er nicht das sein will, als was Gott ihn will. Die Rastlosigkeit
des Arbeitens um der Arbeit willen entspringt deshalb — paradoxerweise
— der „Trägheit"; Mußelosigkeit und Verzweiflung
sind Geschwister, — eine Erkenntnis, von der aus auch Licht
auf die fatale Parole Carlyle's fällt: „Arbeiten und nicht verzweifeln
!" Der Kern der Muße aber ist die Feier, die ihrerseits
ihren Sinn und ihre innere Ermöglichung vom Kult her empfängt
. „Die Liturgie kennt nur Festtage"; hier ist ein Zeitraum
ausgesondert, der nicht „genutzt" wird und darum eine Absage
an und eine Schranke gegen die allgemeine Vernutzbarkeit der
Welt darstellt. In diesem Fest-Zeitraum allein vermag das
Wesen der Muße sich zu entfalten und zu erfüllen. Darin besteht
auch der tiefste Sinn der Entproletarisierung (und damit
der Uberwindung der totalen Arbeitswelt von innen her): den
Bezirk wahrer Muße zu erschließen. „Die Kultur lebt aus dem
Kult" (S. 85).

Wir haben es für wichtiger gehalten, die bedeutsamen Erkenntnisse
dieser auch stilistisch und sprachlich hervorragenden
Schrift mit einiger Ausführlichkeit wiederzugeben, als
Warnzeichen vor den spezifisch scholastischen Gedankengängen
einer vom katholischen Dogma bestimmten Anthropologie
aufzurichten. Beschränken wir uns darum auf die Bemerkung
, daß auch die Reformatoren noch genügend um die
Zucht und den Segen echter Muße gewußt haben; man vergleiche
nur ihre Auslegungen zum 3. Gebot. Und Luthers Ausspruch
, daß er viel beten müsse, weil er viel zu tun habe, weist
in die gleiche Richtung.

Berlin Oskar Söhn gen

Lauterwasser, Siegfried: Madonnen am Bodensee. Eingel. u. bearb.

v. Georg Poensgen. Überlingen: Wulff-Verl. [1947]. 19 S., 1 Textabb.,
68Taf. 4°. Pp. DM 26.—.

Dieser wirkungsvolle Bilderband enthält 68 etwa 20 mal
30 cm große Autotypien der schönsten Marienstatuen des
westlichen deutschen Bodenseegebietes, d. h. des Kreises Konstanz
mit den Ämtern Uberlingen, Stockach, Meßkirch und
Engen. Weitere Bände, die den Ostteil und das Schweizer
Ufer des Bodensees behandeln, werden geplant. Der mit der
Leitung des Kurpfälzischen Museums in Heidelberg betraute
Kunsthistoriker Dr. Poensgen hat den Aufnahmen von Lauterwasser
eine kurze, allgemeine und mehr schöngeistige als
historische Einleitung vorausgeschickt, die von Lyrik Goethes
und Rilkes gerahmt ist. Dem Bildteil folgt ein kunsthistorisch
sachlich gehaltener, nach Orten alphabetisch geordneter Katalog
. Er umfaßt die abgebildeten Marienbilder und dazu noch
etwa ebensoviel nicht im Bild wiedergegebene „Madonueu"-
,,Maria" oder „Muttergottes" drückt das Wesen dieser deutschen
Bildwerke doch weit treffender aus als die italienische
Benennung! — so daß eine ziemlich vollständige Ubersicht
des reichen Bestandes an guten und interessanten Marienstatuen
im Kreise Konstanz erreicht ist. Der Privatbesitz
dieser vom zweiten Weltkriege weitgehend verschonten Landschaft
wurde dabei leider nur ausnahmsweise herangezogen.
Vollständig fehlt bedauerlicherweise das zum Teil sehr hochwertige
Material, das vom Bodensee abgewandert ist und sich
heute in Kirchen und Sammlungen anderer Landschaften befindet
. Außer Betracht gelassen wurden die Werke der Kleinkunst
und des Kunstgewerbes in Metall, Wachs usw. Dagegen
ist die Volkskunst mit sehr reizvollen Werken vertreten. Zeitlich
umfaßt der Band die sechs Jahrhunderte zwischen 1300
und 1900, wobei das Schwergewicht durchaus sinngemäß auf
Gotik und Barock liegt. Ein interessantes Beispiel des späteren
19. Jahrhunderts zeigt deutlich, wie sich die bodenständige
Tradition auch im Gewände nazareuischer Süßlichkeit
durch ein halbes Jahrtausend erhalten hat.

So breitet sich auf diesen 68 großen Tafeln ein prachtvolles
Bildmaterial aus, und man staunt immer wieder, wie
reich an qualitätvollen und interessanten Werken der Holzbildhauerei
dieses Fleckchens Erde am Bodensee ist. Manche
Figur erscheint hier zum erstenmal in großer Aufnahme abgebildet
. Viele Werke erschließen sich in ihrer Schönheit ganz
neu durch wirkungsvolle Detailaufnahmen, so vor allem das
Wallfahrtsbild aus Birnau bei Uberlingen — -Poensgen datiert
es mit „um 1390" wohl um 2—3 Jahrzehnte zu früh —, die dem
großen Gregor Erhart nahestehend herrliche Maria aus Nußdorf
oder die ulmische Maria von ca. 1500 aus Schloß Heiligenberg.
Von der Maria des Uberlinger Elisabeth-Altars, die nur in
einer allzu malerischen Detailaufuahme erscheint, vermißt
man eine Gesamtansicht. Die eindrucksvollsten Abbildungen
des Buches sind die beiden Aufnahmen der prachtvollen Lim-
pacher Maria von ca. 1520. — Diesen gotischen Marienbildern
folgt eine Auswahl der manieristischen und barocken Mariendarstellungen
mit den Meistern Jörg, Martin und Michael Zürn
von Uberlingen und Joseph Anton Feuchtmayr im Mittelpunkt
. Von Jörg Zürn, dem Schöpfer des großartigen Uberlinger
Hochaltars vermisse ich die Sandsteihmaria aus Markdorf
von ca. 1612. Die lieblich-stolze Owinger Rosenkranzmaria
, die nun von ihrer entstellenden weißen Ubermalung
befreit ist, kann nicht einfach, wie es hier geschieht, Martin
und Michael Zürn zugeschrieben werden. Mindestens im Entwurf
geht sie auf Jörg Zürn zurück. Ähnlich steht es mit detti
Uberlinger Rosenkranzaltar, der 1632 gestiftet und au Jörg
Zürn verdingt wurde. Die beiden jüngeren Brüder mögen in11
nach Jörgs Tode (1635) vollendet haben. Auch die stehend*
Maria aus Bermatingen ist ein Werk des älteren Jörg, nicht
der Brüder Martin und Michael. Der letzte Höhepunkt lieg*
bei den wunderbar beschwingten, eleganten Marienstatuen des
Joseph Anton Feuchtmayr. Der Zug zu sinnenhafter, kräftige1
Vitalität, der, gepaart mit anmutiger Lieblichkeit und Ver-
spieltheit, für die Bodenseegegend so charakteristisch ist'
wendet sich hier im Zeitalter des Rokoko ins elegant Damenhafte
. Erstaunlich, daß etwa in der überaus schönen Ber-
matinger Maria (Abb. 52/53) die Majestät der Gottesmutter
nicht von der fast mondänen Erscheinung überschattet wird-
So heißt es auch die Mariendarstellungen der christliche»
Kunst mißverstehen, wenn Poensgen in seiner Einleitung
meint, die Geschichte der Menschheit sei letzten Endes
einziges Wechselspiel von Befriedung und Kampf um Ilunge
und Liebe" und das Christentum habe dafür die Marienbilde
als symbolhafte Idealfiguren gefunden, „die diesen beide
elementaren Bedürfnissen zugleich entgegenkamen". ^n?es
Bilderband selbst widerlegt diese materialistische Schau de