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Ausgabe:

1949 Nr. 8

Spalte:

482-483

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schmauch, Werner

Titel/Untertitel:

Reaktion oder Bekennende Kirche 1949

Rezensent:

Fresenius, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 8

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König für den Rechtsanspruch des Konkordats im Gegensatz
zum Religionsedikt; gegen die anderen Bischöfe, gelegentlich
auch gegen das eigene Domkapitel und den Diözesanklerus,
wie auch gegen die Diözesanen, so sehr er auch mit allen im
Frieden zu leben bemüht ist; erst recht gegen den Liberalismus
oder Protestantismus und andere feindseligen Mächte der
Zeit. Bezeichnend ist sein Verhalten vbei der Landestrauer
nach dem Tode der protestantischen Königswitwe Karoline,
wobei er dem Klerus unter Androhung der Suspension nicht
nur die Darbringung des Meßopfers, sondern auch die Dar-
briugung christlicher Gebete verbot trotz Anerkennung der
Wohltätigkeit und vornehmen Gesinnung der verschiedenen
Landesmutter. Man vergleiche, wie gleichzeitig der Bischof
Von Rottenburg in Württemberg beim Tode des evangelischen
Königs Wilhelm I. die Darbringung einer Trauermesse
in allen Kirchen seines Landes anordnete, und wie der Bischof
von Augsburg mehrere Teile der katholischen Liturgie im Gedenken
an Königin Karoline vorlesen und von der Kanzel die
Trauerrede halten ließ. Eine solche ließ auch in der Passauer
Diözese der Bischof in rein bürgerlichen Formen am Nachmittag
zu. Für verstorbene Protestanten durften nur die
Friedhofsglocken gegen Bezahlung, aber ja nicht die Glocken
der Pfarrkirche gerührt werden. Die Predigten des kämpferischen
Bischofs haben vielfach politischen Inhalt; aber für
die Geburtstagsfeier des Königs werden kirchliche Akte abgelehnt
im betonten Gegensatz zu den Protestanten, bei denen
..politische Predigten herkömmlich" seien, „während die katholische
Kirche das weit erhabenere Opfer hat". Dabei
kann der Bischof nicht oft genug betonen, „seine Anhänglichkeit
an das Königshaus quelle aus einem liebevollen echt
bayrischen Herzen".

Die Papsttreue und Unterwürfigkeit unter den Heiligen
Stuhl zeigt sich bei der Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten
Empfängnis Mariae 1854, wenn die anderen bayrischen
Bischöfe in ihren Hirtenbriefen das neue Dogma ausführlich
beweisen und eine Darlegung des ganzen Hergangs
der Glaubensentscheidung dem Volk darbieten, dagegen
Bisehof Heinrich nichts anderes als den ehrfurchtsvollen Gehorsam
und die schuldige Unterwerfung unter die höchste
Lehrautorität betont.

Die wichtigste Arbeit für die bischöfliche Verwaltung ist
nun der Ausbau des Klerikalseminars und die Gründung
^Weicr Knabenseminare, für die der Bischof neben reichlichen
Gaben aus dem eigenen ansehnlichen Vermögen eine allgemeine
Besteuerung der Priesterschaft anordnet. Priester-
exerzitien und Pfarrervisitationen, auch sehr früh einsetzende
yolksmissionen von Ordensangehörigen sollen das religiöse
Leben in der Diözese fördern. In Passau selbst und in der
|anzen Diözese baut der einstige Nazarenerfreund die meisten
Kirchen mit großem Eifer um, wozu auch wieder reiche
Stiftungen aus dem eigenen Vermögen gespendet werden, im
Stil der zeitüblichen „reinen" Neugotik, so daß er im späteren
Repertorium der Kunstdenkmäler eine schlechte Zensur er-
PJft. Eifrig ist er auf Vermehrung der Ordensniederlassungen
bedacht; namentlich die neuzeitlichen Kongregationen werden
gefördert. Den Redemptoristen wird die Wallfahrt in Alt-
Atting anvertraut, bis sie 1872 im Kulturkampf infolge des
Jesuitengesetzes durch die Kapuziner ersetzt werden müssen.
J^nter den weiblichen Kongregationen werden die „Englischen
t^äulein" bevorzugt, denen im ganzen 30 Arbeitsfelder überragen
werden; auch „Arme Schulschwestern" kommen dran,
dazu kommen 12 Krankenhäuser an die „Barmherzigen
^ehwestern". Mit Hilfe der Redemptoristen und Kapuziner
™ird eine mehrfache Durchackerung der ganzen Diözese mit
J°lksmissioneu durchgeführt. Aber selbst mit den Ordens-
gesellschaften gab es Konflikte, weil deren Obern sich nicht

nbedingt den autoritären Forderungen des bischöflichen
*J*giraenta fügten. Ebenso regte sich die Opposition in dem

Uzu autokratisch behandelten Domkapitel.
1 Noch mehr gab es Anlässe zu Spannungen gegenüber den

atliolischen Vereinen, die um die Mitte des Jahrhunderts als
arides- und Wirtschaftsvereine sich immer mehr regten und

üsbreiteten. Nicht alle waren so leicht zu regieren, wie die

0lu Bischof selbst begründeten Gesellen- und Arbeiterinnen-
le1t-e'ne" GcKeluiber dem Selbständigkeitstrieb der Vereins-
jUiingeu schien es zweifelhaft, „ob mit einer derartigen sog.
-atlioliscilen Aktion die heiligen Interessen unserer heiligen
j*yche nicht viel mehr geschädigt als gefördert werden". Das
jj '"trauen des Bischofs richtete sich hauptsächlich gegen die

aiiernvereine, gegen das katholische Kasino und gegen den
k ?,eincinen Verein der Katholiken Deutschlands. Auch die
"""tholische Presse erfreute sich keineswegs immer des Wohl-

oUens des Bischofs, so daß er sogar gelegentlich als Förderer
s Liberalismus verschrien werden konnte. Sein Angebot,

dem katholischen Kasino eine Kirchenfahne zu stiften, wurde
dankend abgelehnt, was den Bischof zu einer scharfen Predigt
über die „revolutionäre Gesinnung" der Vereine veranlaßte
(1872). Vollends von einer Vereinigung aller deutschen Katholiken
fürchtete er ein Ubergewicht der Laien, das zur Erschütterung
der kirchlichen Autorität führen müsse.

Andererseits ging die Ergebenheit des Bischofs gegenüber
dem Papste soweit, daß er in den schweren Notzeiten des
Kirchenstaats mit Predigten und Hirtenbriefen nicht nur die
Sammlungen des Peterspfeunigs aus der Diözese, sowie die von
Rom ausgeschriebenen Jubiläumsablässe und „Gebetskreuz-
züge" mit allem Eifer betrieb, sondern auch zahlreiche junge
Leute zur Anwerbung ins Heer des Papstes begeisterte, die
dann in den Kämpfen um Italien vielfach fielen oder ohne
Versorgungsansprüche verwundet der bischöflichen Wohltätigkeit
anheimfielen. Vom Vatikanischen Konzil und seinen
aufregenden Entscheidungen blieb er aus gesundheitlichen
Gründen fern.

Daß ein solcher Mann die altkatholische Bewegung und
insbesondere die Person Döllingers aufs schärfste verurteilte,
ist nicht verwunderlich. Verwunderlich und für das Temperament
des Bischofs höchst charakteristisch ist die Art seines
Vorgehens dagegen. Als die Döllingersche „Museunisadresse"
in Passau von 72 Beamten und Bürgern unterzeichnet worden
war (im Mai 1871), wartete er das Fronleichnamsfest ab
(8. Juni) und befahl, daß die Prozes ion „wegen der jüngsten
antikirchlichen Vorgänge in der Stadt Passau" ganz einfach
gehalten werde. Nach einer scharfen Predigt gegen „die miserablen
Bestrebungen der liberalen Partei, die, wie sie auf den
Umsturz der Throne hinarbeiten, so vor allem auf den Altar
losstürmen", erklärte er sich für außerstande, die öffentliche
Feier der Prozession durch die persönliche Beteiligung zu begehen
. Von der Domgeistlichkeit geführt zog die Prozession
dahin; aber von der bischöflichen Residenz wehten sechs
schwarze Fahnen. Selbst in der katholischen Presse fehlte es
nicht an Protesten und Verurteilungen dieses Verhaltens.
Noch auffälliger und in ganz Deutschland besprochen war
der andere Vorfall. Als der Regierungspräsident Lipowski, ein
Anhänger Döllingers, am Kreislandwirtschaftsfest inPassau teilnahm
, wurde er vom Bischof in den Saal desDomkapitels gebeten
und mit einer Philippika über die gegenwärtigen Übeln Zeitverhältnisse
überrascht. Er bat den Redner, der sich in immer
heftigere Töne hineinsteigerte, aufzuhören, widrigenfalls er den
Raum verlassen müsse. Als der Bischof noch weiter fortfuhr,
verließ der Regierungsbeamte mit seiner Begleitung die Versammlung
. Doch der Bischof heftete sich an ihn, begleitete ihn
durch die Stadt bis zu seinem Quartier und ließ sich nicht
wegweisen. Zwei Polizisten, die auf der Straße standen, rief
er her und sagte, sie sollen ihn im Auftrag des Regierungsbeamten
verhaften und auf die Festung bringen. Lieber wolle
er das Leben lassen, als die gegenwärtigen Angriffe auf den
Altar und den unvermeidlichen Sturz des bayrischen Throns
stillschweigend hinnehmen. Die Folge solcher Auftritte war,
daß der Bischof da und dort als gehirnkrank beurteilt wurde.

Durchschlagend waren dann doch die großen Verdienste
des Mannes um die Heranbildung eines tüchtigen Klerus, seine
Kirchenerneuerungen und zahlreiche Neubauten, seine starke
imponierende Persönlichkeit und die kraftvolle Leitung seiner
Diözese in entscheidungsvoller und kampfumtobter Zeit.
Neben den beiden Biographien von Otto Pfülf d. J. über
Bischof von Ketteier und über Kardinal Geissei hat das Werk
Zachers seine Bedeutung zur Erhellung der katholischen
Kirchengeschichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

München Heinrich Hermelink

Forck, b. H : „ ... und folget ihrem Glauben nach!" Gedenkbuch für

die Blutzeugen der Bekennenden Kirche. Stuttgart: Ev. Verlagswerk 1949.
140 S. DM 6.80.

Schmauch, Werner:„Reaktion oder Bekennende Kirche". Stuttgart:

Ev. Verlagswerk 1949. 31 S. DM 1.30.

Alles Schrifttum, das sich mit der Bekennenden Kirche
beschäftigt, hat eine besondere Art: es geht dabei um etwas,
was geschehen ist, heute wirkt und in die Zukunft weist als
Verpflichtung und Aufgabe. So ist es in jedem Betracht richtig
und nötig, in der „ThLZ" auf dieses Schrifttum hinzuweisen.

Wer das Gedenkbuch von B. H. Forck liest, dem fällt auf,
wie verschieden nach Inhalt und Länge die einzelnen Gedenkblätter
sind. Diese Tatsache ist aber gerade der Vorzug und
das Wesen dieses Buches: es wird nur das gesagt, was gesagt
werden kann und gesagt werden muß. Und das vorliegende
Material, dessen Sammlung an sich schon sehr schwierig und
zeitraubend war — deshalb kommt das Buch ja erst jetzt im
Frühjahr 1949 heraus — ist eben sehr verschiedenartig, über