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Ausgabe:

1949 Nr. 8

Spalte:

475-480

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zēlîgman, Yiṣḥāq Aryē

Titel/Untertitel:

The Septuagint version of Isaiah 1949

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 8

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wird, die in der überlieferten lutherischen Lehrbildung offenbar
nicht hinlänglich geklärt war, nämlich die Frage nach dem
Zusammenhang zwischen imputativer Gerechterklärung und
effektiver Gerechtmachung und Erneuerung. Man hat den
Eindruck, daß hier bei Z. ähnlich wie bei Osiander, an den er
auch in anderer Hinsicht erinnert, echte Motive aus Luthers
Lehre zum Durchbruch drängen, wenn H. etwa feststellt, daß
die imputierte Vollkommenheit sowohl die Vergebung der
Sünden als auch eine reale Verwandlung oder Heiligung in
sich zusammenfaßt. Beide sind Gottes Gaben und das eine wird
niemals von dem andern getrennt. Auf die momentane Rechtfertigung
folgt eine momentane Heiligung. Eo momento, sagt
Z., quo justificatur, sanctificatur penitus" (162). Noch deutlicher
spürt man jenes echte lutherische Anliegen bei Z. in
folgender Feststellung H.s.: „Absolution und Verwandlung gehören
daher so eng zusammen, daß sie nicht voneinander getrennt
. . .werden können" (171). Aber können sie noch unterschieden
werden ? In dem eben angeführten Zitat stehen die
Worte „und kaum unterschieden" in der Lücke! Bleibt der
kontradiktorische Spruchcharakter der Absolution gegenüber
der realen Verwandlung bei Z. noch gewahrt? Oder wird die
Wandlung selbst zum Medium der Absolution ? Hier geht es
um die Lebensfrage des Rechtfertigungsglaubens! H.s Darstellung
zeigt überzeugend, wie beiZ. an dieser Stelle wiederum
jenes Abgleiten ins Schwärmerische eingetreten ist. Denn er
löst jeden Unterschied zwischen zugerechneter und realer Gerechtigkeit
tatsächlich auf! H.s sorgfältige Analysen zeigen,
wie Z.s Auffassung von unserer Teilhabe an der Gerechtigkeit
Christi sich in einer erstaunlichen Weise der Lehrbindung des
Tridentinums annähert, wobei die Bestimmungen des Tridenti-
nums der lutherischen Lehrbildung insofern noch näherstehen
als der Lehre Z.s, als dort in der Rechtfertigung eine Kommunikation
und Applikation des Leidensverdienstes Jesu Christi
stattfindet, während für Z. die Begnadigung des Sünders und
die Rechtfertigung des Sünders auseinandergebrochen ist.
„Vergebung und Rechtfertigung sind für ihn zwei verschiedene
Dinge . . . Ein Mensch, der durch die Vergebung vor 1700 Jahren
schon als gerecht angesehen wird, braucht nicht bei der Bekehrung
gerechtfertigt zu werden. Wenn Gott schon allen
gnädig ist, seitdem Christus am Kreuze Buße getan hat, kann
er nicht aufs neue dem gnädig werden, der sich bekehrt"
(165f.). Wenn freilich nachZ. die in der Bekehrung sich vollziehende
Verwandlung des Menschen das Mittel ist, durch die
der einzelne für sich Teil an der Versöhnung bekommt, so ist

hier die Verwandtschaft mit der tridentinischen Gnadenlehre
mit Händen zu greifen.

Im letzten Kapitel, das die drei Hauptökonomien der
einen wahren Religion schildert (193—219), wird noch einmal
deutlich, wie im Herzpunkt der lutherischen Lehre, nämlich
in der rechten Zueinanderordnung von Gesetz und Evangelium,
Z. Luther erstaunlich nahe kommt, die pneumatische Spontaneität
des Wiedergeborenen in einer wahrhaft evangelischen
Weise zu preisen scheint, aber wiederum durch eine fast winzige
Abweichung das Ganze verdirbt und in einen schwärmerischen
Antinomismus hineingerät, in dem er nicht nur das Gesetz,
sondern mit dem Gesetz auch das vom Gesetz unterschiedene
Evangelium und damit den einzigen Trost des Christen im
Leben und im Sterben verliert. Die von Anfang der Welt bis
zum Jüngsten Tag miteinander verbundene Gesetzesfunktion
und Evangeliumsfunktion hat Z. aufgelöst in ein ökonomisches
Nacheinander von Gesetz und Evangelium. In der Christus-
Ökonomie steht der Gläubige im Blick auf seinen Wandel
überhaupt nicht mehr unter einem konkreten Wort. An die
Stelle des konkreten Wortes der Predigt ist für den Gläubigen
Christus selbst als das gestaltende Modell, als ein lebendiges,
sichtbares, wesentliches Gesetz getreten. Was das konkret für
den Christen heißt, läßt sich nicht mehr in einem Gebot sagen,
sondern allenfalls in der Form von „evangelischen Räten" ausdrücken
. Für den Christen gibt es außer dem Gebot, zu glauben
, überhaupt keine Forderung mehr. Er wird darum im
Jüngsten Gericht auch nicht mehr gerichtet, sondern richtet
selbst mit. Christus ist für den Gläubigen nicht mehr ein
richterliches Gegenüber. „Unser Richter", sagt Z., „kan Er
nicht seyn, denn Er ist zu nah mit uns verwandt, er kan sein
eigen Fleisch und Bein nicht richten" (208).

Wir haben nur einen begrenzten Ausschnitt aus der Fülle
dessen vorlegen können, das uns durch H.s Buch vermittelt
wird. Das unbestreitbare Verdienst dieser Arbeit besteht nicht
nur darin, daß die grundlegende Bedeutung Z.s für die Geschichte
der Theologie in der neuprotestantischen Epoche
sichtbar wird, sondern daß darüber hinaus durch das umfassende
Material, das H. vorlegt, und durch seine exakten
Analysen der Leser genötigt wird, sich mit dem durch Z. vertretenen
spiritualistisch-schwärmerischen Denktypus dogmatisch
auseinanderzusetzen. Dadurch, daß diese Zinzeudorf-
darstellung den Theologen zu dogmatischen Entscheidungen
nötigt, erweist sie sich als eine theologische Leistung von
seltenem Rang.

ALTES TESTAMENT

Seeligmann, I. L.: The Septuagint Version of Isaiah. A Discussion

Ol ÜS Problems. Leiden: E. J. Brill 1948. XII, 124 S. 4«= Mededelingen
en Verhandlingen No. 9 van het Vooraziatlsch-Egyptisch Genootschap „Ex
Oriente Lux".

Die vorliegende Arbeit bezeichnet sich durch die Hinzufügung
des Untertitels zum Haupttitel offenbar darum als
eine Erörterung der mit der Septuaginta-Ubersetzung des
esaja-Buches gegebenen Probleme, weil sie weithin die sich
ier erhebenden Fragen mehr darlegen und in ihrer Bedeutsamkeit
würdigen als beantworten will. Von den vier Kapiteln,
die das Buch außer „Vorwort" (S. IX), „Einleitung" (S. 1—7)
und „Verzeichnis der zitierten Stellen" (S. 122—124) enthält,
sind namentlich die beiden ersten: „Der Text der Septuaginta
des Jesaja und seine Überlieferung" (S 8—38) und „Die von
der Ubersetzung befolgte Technik und ihre Beziehung zum
hebräischen Text" (S. 39—69) von dieser Art, während das
dritte: „Datum und historischer Hintergrund der Ubersetzung
" (S. 70—91) mit dem Exkurs: „Onias III. und der
Onias-Tempel in Heliopolis" (S. 91—94) und das vierte: „Die
Ubersetzung als ein Dokument der Jüdisch-Alexandrinischen
Theologie" (S. 85—121) nicht bei der Aufwerfung von Fragen
stehen bleiben, sondern auf sie auch bestimmte Antworten
geben. Damit hängt zusammen, daß die ersten Kapitel, obwohl
auch sie allerlei neue Problemstellungen und Lösungsversuche
in die Debatte werfen, doch überwiegend einen
kritischen Bericht über die von anderen für die hier auftauchenden
Fragen — etwa zur Rezension des Origenes oder
des Lucian — vorgeschlagenen Lösungen darstellen, während
die beiden letzten dem Verf. Gelegenheit geben, das vorzutragen
, was ihm bei seiner eingehenden Beschäftigung
mit dem Gegenstand an wichtigen Einsichten aufgegangen ist.
So soll sich diese Anzeige bei den beiden en-ten Kapiteln mit
ein paar ihren Inhalt beschreibenden oder andeutenden Worten
begnügen, um die beiden letzten Kapitel etwas ausführlicher
würdigen zu können.

Die nach dem hebräischen Text gefertigte Septuaginta-
Ubersetzung hat alsbald mannigfache Korrekturen erfahren.
Transkriptionen semitischer Wörter wurden dem Griechischen
angepaßt, bestimmte religiöse Vorstellungen, nicht zum wenigsten
später solche christlicher Herkunft eingetragen. Dabei
mögen andere, sonst verschollene Übersetzungen des hebräischen
Textes ins Griechische benutzt worden sein, und es ist
auch keineswegs ausgeschlossen, daß schon der ursprüngliche
Ubersetzer bei bereits vorhandenen Ubersetzungen Anleihe»
gemacht hat. Aber wirklich eindeutige Erkenntnisse über Art,
Tendenz und Zeit der so zu vermutenden Eingriffe sind kam»
zu erzielen, und diese Tatsache bringt es mit sich, daß der Versuch
, den zeit- und geistesgeschichtlichen Hintergrund der
ursprünglichen Ubersetzung zu bestimmen, nur auf einer»
immerhin schwankenden Fundament errichtet werden kann.
So etwa wird auf S. 37L der Inhalt des ersten Kapitels zusammengefaßt
.

Das zweite Kapitel setzt sich zunächst mit der These auseinander
, daß an der Ubersetzung des Jesaja-Buches mehrere
Hände beteiligt seien, und lehnt sie ab. Die ohne Zweifel 10
ihr vorhandenen Ungleichmäßigkeiten und Unebenheiten sind
vielmehr, soweit es sich nicht um sekundäre Eingriffe von der
in Kap. I erwähnten Art handelt, der Arbeitsart des ursprü»g"
lichen Ubersetzers, vor allem seinem Bemühen, ein annehni'
bares Griechisch zu erzielen, zuzuschreiben. Deutlich ist der
Ubersetzer von anderen bereits ins Griechische übersetzte»
biblischen Büchern abhängig, namentlich vom Pentatcuch,
und aus diesem hat insbesondere die-Erzählung vom Tun»'
bau zu Babel ihn beeinflußt. Seine Muttersprache war nebe»
dem Griechischen das Aramäische, während er vcm Geist eU'S
Hebräischen nur flüchtig beiührt war. So erklärt es sich, elf»
er bei Transkriptionen semitischer 'Wörter oft die aramäisch0»
nicht die hebräische Foim wählt. Auch die Freiheit sei»6/
Übersetzung htngt weithin n it dem Mangel seiner KenntD»
| des Hebräischen zn«n mcn. 'Was seine Vorlege angeht, so 1s1