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Ausgabe:

1949 Nr. 1

Spalte:

29-38

Autor/Hrsg.:

Meyer, Rudolf

Titel/Untertitel:

Betrachtungen zu drei Fresken der Synagoge von Dura-Europos 1949

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29 Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 1 30

Befrachtungen zu drei Fresken der Synagoge von Dura-Europos

Herrn Prof. D. Horst Stephan zum 75. Geburtstage in Ehrerbietung und Dankbarkeit überreicht

Von Rudolf Meyer, Jena

Dura-Europos, das ,,Pompeji des Ostens", wie man jene
Stadt am mittleren Euphrat nicht zu Unrecht bezeichnet hat1,
ist in seiner Bedeutung für die Erschließung der Geschichte
und Kultur des Zweistromlandes in hellenistisch-römischer Zeit
bis zur Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts von
grundlegender Bedeutung. Wir befinden uns hier am Schnittpunkt
dreier Kulturkreise, des hellenistischen, des semitischen
und des iranischen, und der kulturelle wie religiöse Stand der
Stadt, die in den Auseinandersetzungen zwischen Valerian
(253—260) und dem Sassaniden Schapur I. (240—272) als römischer
Stützpunkt um das Jahr 256 den Persern zum Opfer
fiel, zeigt den Orient kulturell und religiös im erfolgreichen
Vordringen gegen die auch in diesem Räume seit Jahrhunderten
herrschende hellenistische Kultur2.

Zu den großen und bisher für die nachbiblische Religionsund
Kulturgeschichte des Judentums keineswegs voll ausgewerteten
Überraschungen von Dura-Europos gehört die Entdeckung
einer umfangreichen jüdischen Bildkunst, wie sie uns
in den Fresken der Synagoge dieser Stadt entgegentritt3. Man
hat zunächst versucht, dieses Sachverhaltes, der der bisherigen
, zum historischen Dogma gewordenen Anschauung von
der absoluten Bilderfeindlichkeit des Judentums völlig entgegengesetzt
ist, dadurch Herr zu werden, daß man die Gemeinde
von Dura-Europos als Auftraggeberin für mehr oder
weniger heterodox ansprach4. Doch bei näherem Zusehen
zeigte sich, daß man mit dieser Deutung nicht auskam — hätte
man doch alsdann die Mosaikmalereien der palästinischen Synagogen
ebenfalls als heterodox erklären müssen. Es hat sich
vielmehr gezeigt, und zwar gerade auf Grund der literarischen
Uberlieferung, die man bisher ausschließlich als Beweis für das
Fehlen einer jüdischen darstellenden Kunst angesehen hatte,
zumindest soweit es sich um die bildliche Wiedergabe der
menschlichen Figur handelt, daß die Bilder von Dura-Europos
ebenso wie die Mosaikfußböden der palästinischen Synagogen
ihren festen Platz in der Kultur- und Religionsgeschichte des
Judentums der ersten nachchristlichen Jahrhunderte bis hinein
in die Zeit des Bildersturmes einnehmen.

So unterschiedlich die einzelnen Bilder der Synagoge von
Dura-Europos ihrer Formgebung nach sein mögen, in drei
Punkten stimmen sie durchaus überein: erstens setzen die
Fresken einen Bibeltext voraus, der der kanonischen Form der
masoretischen Überlieferung entspricht; zweitens wird dieser
Bibeltext, den man sich zur Vorlage wählt, nur teilweise seinem
wörtlichen Sinne nach wiedergegeben, weit häufiger tritt der
Fall auf, daß die außerbiblische Legende für die bildliche Wiedergabe
der Textvorlage entscheidend wird. Gerade diese Verankerung
der Fresken von Dura-Europos in der legendarischen
Uberlieferung aber zeigt, daß wir es hier mit einer durchaus
orthodoxen Gemeinde zu tun haben. Drittens aber zeigen die
Fresken, daß man sich der Ausdrucksmittel und Vorstellungsformen
bedient, wie sie der eigenen kulturellen Situation entsprechen
. Daher spiegelt sich in den Bildern der Synagoge das
Nebeneinander der drei oben erwähnten Kulturkreise wider,
wobei zu beachten ist, daß der Orient siegreich gegen den Hellenismus
andringt, ohne daß es dabei zu einer Ausschaltung
hellenistischer Motive kommt, wie ja überhaupt, aufs Ganze
der kulturellen Entwicklung gesehen, der Hellenismus bei der
orientalischen Reaktion in Vorderasien nicht ausgemerzt, sondern
aufgesogen wurde und nunmehr, im östlichen Gewände,
um ein weltgeschichtlich bedeutsames Beispiel zu nennen, integrierender
Bestandteil etwa der syrisch-christlichen, und,
von dieser abhängig, der arabisch-islamischen Kultur geworden
ist.

Im Folgenden soll nun an drei Punkten, die bisher in der
umfangreichen Diskussion über die Fresken von Dura meines
Wissens noch weniger beachtet worden sind, gezeigt werden,
in welcher Weise sich die religiöse und kulturelle Situation der
Gemeinde von Dura-Europos auch und gerade im Einzelmotiv
widerspiegelt.

') M. Rostovtzcff, Dura Europos and its Art (1938), 2 ff.

•) M. Rostovtzcff, a. a. O. , 5 ff.; vgl. zum Problem auch E. Meyer, Blüte
und Niedergang des Hellenismus In Asien (1925).

*) Zusammenstellung der Literatur über die Synagoge von Dura-
Europos: Du Mesnil du Buisson, Les peintures de la synagogue de Doura-
Europos(1939), 6, Anm.2; H. Lietzmann, ThLZ (1940), 113 ff.; W. O. Kümmel,
Judalca 2 (1946), 2, Anm.6.

') Vgl. etwa J. Hempel, ZAW51 (1933), 293.

I. Isaaks Opferung
Über der Gesetzesnische, die sich, entsprechend der durch Jerusalem
bedingten Gebetsrichtung, In der Mitte der Westwand der Synagoge befindet
, Ist ein Tempel mit verschlossenen Türen dargestellt, der zweifelsohne
einen Schrein für die Gesetzesrollen symbolisieren soll. Links daneben, vom
Beobachter aus gesehen, begegnet dem Blick der siebenarmige Leuchter. Beide,
Schrein und Leuchter, sind in Gold gehalten. Dazwischen sind Zitronenfrucht
und Feststrauß abgebildet. Hier handelt es sich also um auch sonst
häufig zu belegende Embleme des jüdischen Kultus. Auf der rechten Seite der
Komposition dagegen haben wir ein einigermaßen belebtes Bild von der
Opferung Isaaks1. Diese Darstellung unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht
von den übrigen Fresken: einmal Ist das Bild von Isaaks Opferung, im Gegensatz
zu den übrigen Darstellungen, bei denen die horizontale Richtung vorherrscht
, In vertikaler Richtung zu lesen', außerdem aber ist es im Stil bedeutend
primitiver gehalten als die übrigen, ihrer Ausführung nach selbst
wieder untereinander verschiedenen Wandbilder. Liest man die Darstellung
des Opfers von unten nach oben, so begegnet zunächst, etwa ein Drittel der
Bildhöhe einnehmend, der Widder, der als Ersatz für Isaak von Gott bestimmt
ist. Im Gegensatz aber zur biblischen Überlieferung hat sich das Tier
nicht mit den Hörnern im Gebüsch verfangen, sondern steht angebunden
neben dem Dornstrauch. Unmittelbar darüber sieht man den Altar, auf dem
Isaak gebunden liegt. Rechts neben dem Altar steht Abraham mit dem zweischneidigen
Schwert in der rechten Hand. In der rechten oberen Ecke ist ein
Rundzelt oder ein kleines Haus im nordsyrischen Stil dargestellt, wovor sich
ein kleiner Mann befindet. Dieser Teil des Bildes ist noch nicht sicher gedeutet
; von den zur Auswahl stehenden Interpretationen' ist wohl immer noch
diejenige die nächstliegende, die den kleinen Mann auf Abrahams Diener und
das Zelt auf sein Lager deutet. Links oben ragt Jahwes Hand in das Bild herein
, die das göttliche Eingreifen versinnbildlichen soll. Bemerkenswert an
dieser Darstellung ist, daß weder Abraham nocli der kleine Mann in der Tür
des Zeltes, ganz im Gegensatz wieder zu den übrigen Bildern, den Beschauer
anblicken, sondern ihm den Rücken zudrehen. Ob es sich um Unvermögen
des Darstellers handelt, oder ob hierbei die durch personlichen Rigorismus bedingte
religiöse Scheu, das menschliche Gesicht abzubilden, maßgebend gewesen
ist, muß mangels ausreichender Anhaltspunkte dahingestellt bleiben.
Keinesfalls geht es an, in dieser Art der Darstellung eine Vorstufe zu den
übrigen, zeitlich nur um einige Jahre jüngeren übrigen Fresken zu sehen*.
Um eine Vorstufe kann es sich hierbei schon deswegen nicht handeln, weil die
übrigen Bilder ganz zweifellos auf ältere Vorlagen und wahrscheinlich Buchillustrationen
zurückgehen', selbst also in einer festen Tradition stehen.

Religionsgeschichtlich bedeutsamer als dieser Sachverhalt
ist ein anderes, auf den ersten Blick unscheinbares Motiv, nämlich
das des angebundenen Widders. Die Vorstellung, daß der
Widder angebunden ist, steht, wie bereits oben angedeutet
wurde, im Gegensatz zu Gen. 22, 13, wo es heißt:

„Da hob Abraham seine Augen auf und schaute, und siehe, 'ein'
Widder, der sich im Gebüsch verfangen halle".
Daß es sich hierbei nicht um eine zufällige Abweichung, sondern
um eine feste Tradition in der Auslegung des Bibeltextes
handelt, wurde bereits bei Bekanntwerden der Dura-Funde
von J. Hempel vermutet *. Diese Vermutung aber wird schon
im Rahmen der Grabungsbefunde zur Evidenz erhoben, insofern
als das gleiche Motiv im Rahmen der Darstellung von
Isaaks Opferung vorliegt, wie sie uns im Mosaikfußboden der
Synagoge von Beth Alpha, unweit Beth-Sean, begegnet7.
Dieses Mosaik stammt auf Grund einer Inschrift aus der Zeit
eines Kaisers Justinus, worunter wohl Justinus I. (517—528)
zu verstehen ist. Die Darstellung der Opferung Isaaks auf dem
Fußboden der Synagoge von Beth Alpha befindet sich auf der
dem Thoraschrein gegenüber liegenden Seite, also am Eingang,
und zwar so, daß derjenige, der die Synagoge betrat, das Bild
in seiner richtigen Lage vor Augen hatte.

Auch hier fällt der primitive Stil auf, der aber wohl nur

l) Gen. 22, 1—14. Die beste Wiedergabe der Wandmalerei bei A. Reifenberg
, Denkmäler der jüdischen Antike (1937), Taf. 40.

■) Vgl. C.H. Kraellng, Excavations at Dura-Europos VI (1936), 343.

*) Vgl. die Zusammenstellung bei W. G. Kümmel, a. a. O., 31 f., dessen
Deutungsversuch wir uns nicht anschließen können.

•) So W. G. Kümmel, a. a. O., 31, Anm. 56.

') Vgl. hierzu C. Watzinger, Die Ausgrabungen von Dura-Europos, Die
Welt als Geschichte 2 (1936), 397 ff. Zum Problem der antiken Buchillustrationen
. E. Bethe, Buch und Bild im Altertum (1945).

•) J. Hempel, a. a. O., 286.

') Vgl. hierzu E. L. Sukenik, Ancient Synagogues in Palestine and
Greece (1934), 33; C. Watzinger, Denkmäler Palästinas II (1936), Taf. 20;
A. Reifenberg, Denkmäler der jüdischen Antike, Taf. 47.