Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1949 Nr. 7

Spalte:

418-421

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Jüchen, Aurel von

Titel/Untertitel:

Der Zorn Gottes 1949

Rezensent:

Dehn, Günther

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

417

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 7

418

nächst wird in knapper, verständlicher Form der Name erklärt (S. 19), woran
sich dann einige sentimentalisierende Oedanken überden Klangwert des Namens
schließen. Dann wird (S. 20 f.) der Ursprung des christlichen Bestattungsbrauches
vom Judentum hergeleitet. Das ist wohl teilweise richtig, aber zu
einseitig. Verf. übersieht dabei, daß im romanisierten Westen in den niederen
Volksklassen die Bestattung durchaus üblich war und daß seit antoninischer
Zeit überhaupt eine starke Reaktion gegen die Verbrennung einsetzte, wofür
die wachsende Zahl der Sarkophage Zeugnis ablegt. Es muß unbedingt beachtet
werden, daß das Christentum sich hauptsächlich aus Gliedern der
unteren Gesellschaftsschichten ergänzte, also aus Menschen, denen die Bestattung
an sich schon viel näher lag als die Verbrennung. Man kann die altkirchlichen
Bräuche nicht nur aus der Kontinuität zum Judentum erklären,
sondern muß die sozialen und volkstümlichen Gegebenheiten der Bekehrten
wohl doch mit beachten. Welter wäre zu erwähnen, daß sich mit der Verbrennung
notwendig der Gedanke des ewigen Feuers, der Hölle, verband.
Das Hauptgewicht aber wäre doch wohl auf den Auferstehungsglauben zu
'egen, den ja auch z. B. Augustin (De cura pro mortibus 18, 22) als Hauptargument
anführt. Wenn Verf. dann die Anlage der unterirdischen Begräbnisstätten
aus sozialen Motiven zu erklären sucht, weil nämlich verhindert werden
sollte, daß durch oberirdische Begräbnisstätten der Gemeinde nutzbarer
Boden entzogen wurde, so ist das ein Zeichen der völligen Verkennung der
damaligen Besitzverhältnisse und Bodennutzung. Solche modernen wirtschaftlichen
Gedanken lagen der späten Antike, in der ja weite Strecken Ackerlandes
überhaupt ungenutzt liegen blieben, völlig fern. Verf. übersieht dabei
das Vorhandensein unterirdischer Begräbnisstätten im Heidentum wie im
Judentum. Hier liegt offenbar ein Zusammenhang mit außerchristlichen Gewohnheiten
vor. Im Folgenden wird dann (S. 22) sehr richtig betont, daß kein
unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Verfolgungen und der Anlage der
Katakomben besteht, und die Bedeutung der eubicula für die Totenliturgie
und die der Katakomben für den Heiligenkult (S. 23 f.) dargelegt. Was Verf.
Weiterhin über die Verbreitung der Katakomben zu sagen weiß, ist allzu unvollständig
. Wenn er Paris nennt, dürften erst recht Reims, Pees, die Krim, die
griechischen Inseln (wie Melos und Rhodos) usw. nicht fehlen (S. 25).

Auf die römischen Katakomben eingehend, gibt Verf. zunächst (S. 26)
e'ne gute Zusammenfassung der Ausdehnung dieser Anlagen, die in knappen
Worten einen Eindruck von der ungeheuren Weite und Verästelung der Katakomben
vermittelt. Wenn er sie aber dann als ursprüngliche Familiengrüfte
'rklären will, so übersieht er dabei die Rolle der antiken Begräbnisgenossenschaften
und der Gemcinschaftsanlagcn mit käuflichen Grabstellen in Privat-
nand, die in Rom gerade recht bedeutend waren. Diese plebejischen Institutionen
Roms verwandten bereits den Galeriebau, der dann von der Kirche
W die Katakomben übernommen und weitergebildet wurde. Die eubicula
Wurden erst auf einer späteren Entwicklungsstufe als Familiengrüfte zugänglich
. Am Anfang stellt zweifelsohne die Betonung der Einheitlichkeit der Ge-
rneinde, der Gleichheit all ihrer Glieder, wie vor Gott, so auch im Tode, und
die Konzentration um die Häupter, Märtyrer und Heiligen der Kirche. Die vom
verf. als Belege für seine These aufgeführten, familiären Zwecken dienenden
Teile der Katakomben (S. 26 f.) sind verhältnismäßig spät (vgl. Stygers Untersuchungen
). An diese verfehlte These schließt Verf. dann recht unhistorische
Spekulationen über die nachmalige Zulassung der Armen zum „eigenen Grab-
0rt" der Reichen (S. 27).

Es folgen dann einige gute Bemerkungen über die technischen Fragen
dcr Entstehung, Anlage und Erweiterung der Katakomben sowie über die
Märtyrergrüfte und die Frage der Beleuchtung (S. 28 ff.) und klare und
eindringliche Erläuterungen der einzelnen Grabformen und ihrer Verschlüsse
33 ff.). Schließlich wird auch die Oeschichte der Katakomben seit dem
5' Jahrhundert verständnisvoll umrissen (S. 35 ff.).

Die letzten Absätze des Kapitels sind der Katakombenforschung gewidmet
. Wenn Verf. dabei (S. 38) die Namen deutscher Gelehrter aufzählt,
d'e sich um die Erforschung der Katakomben verdient gemacht haben, trifft

r eine konfessionell arg beschränkte Auswahl. Namen protestantischer Forscher
wie Victor Schultze und Hans Achelis fehlen, obwohl letzterer für die
Edierung der Neapcler Katakomben die gleiche Bedeutung hat wie Wilpert

"r die römischen. Wenn dann aber Wilhelm Neuß' Buch „Die Kunst der
a"en Christen" als das Werk von Wichtigkeit genannt wird, so offenbart

cn darin eine bedauerliche Unkenntnis der seitherigen Entwicklung In der

lristlich-archäologischen Forschung, die vor mehr als zehn Jahren schon
esen ehrwürdigen Gelehrten veranlaßt hat zu äußern, er würde sein Buch
Rieht geschrieben haben, hätte er deren Ergebnisse schon gekannt.

Das 3. Kapitel „Hellige Grabkunst" beginnt mit einleitenden Worten
er den Primat der Form in der Kunst Im Anschluß an Th. Haecker. Gerade

le Katakombenmalereien aber beweisen doch wohl umgekehrt den Primat
s Inhaltes bei stärkster Vernachlässigung der Form, die vom Heidentum
jj ernommen ist. Dann werden (S. 50 ff.) nach Mau die pompejanischen Stile
rz skizziert, wobei, Im Anschluß an Ludwig von Sybel, Oskar Wulff und

°seph Strzygowski die östliche Herkunft des vierten Stiles behauptet wird
b'56)> was durchaus nicht unbestritten ist und worin wohl eine Uber-
Ii ot,ung der griechischen Komponente und eine Verkennung des Römischen
Et- Es folgen (S. 57 ff.) nun Verglelchungen von einzelnen Katakomben-
ya ereien mit den pompejanischen Stilen, wobei die Abhängigkeit der ersteren
n letzteren betont wird. So soll der zweite Stil in den Katakomben bis ins
a. ^a,,rhundcrt hinein wirken (S. 57), obwohl er bereits In augustäischer Zeit
^klingt, Und der vierte Stil gar wird (S. 57 ff.) bis ins 3. Jahrhundert hinein
°'gtl Nach Ansicht des Vcrf.s stand die römische Wandmalerei offenbar

seit dem Untergang Pompejis entwicklungslos still. Er kennt nicht Fritz
Wirths grundlegende Forschungen zur römischen Wandmalerei seit dem
Untergang Pompejis, aber ebensowenig auch Paul Stygers eingehende Erforschung
der baulichen Entwicklung der Katakomben und Friedrich Gerkes
ideengeschichtliche Ausdeutungen und Auswertungen. Ihm bedeutet Joseph
Wilperts als restlos falsch erwiesene Chronologie der Weisheit letzten Schluß.
Sie wird kritiklos übernommen, und die seitherige Forschung wird restlos unbeachtet
gelassen. Sie hat aber den hier erneut vorgetragenen Mythos von der
apostolischen Sukzession der christlichen Kunst restlos und endgültig zerstört
. Aus diesem Grunde sind dann auch die Versuche des Verf.s (S. 62 ff.),
das spezifisch Christliche der Katakombenmalereien herauszustellen, völlig verfehlt
. Die Flüchtigkeit der Ausführung ist eine allgemeine Qualitäts- und Stilfrage
, und nicht ein Zeichen der Verachtung des Zeitlichen und Vergänglichen
(S. 62), sie Ist das Charakteristikum einer Stilperiode auch Im außerchristlichen
Bereich. Es dämmert wohl einmal (S. 65) auf, daß sich das Christentum in der
Kunst an die römische Entwicklung angelehnt hat, diese Erkenntnis wird aber
nicht ausgewertet, Die Behauptung, daß das Christentum anfangs nicht kunstfeindlich
gewesen sei (S. 66), ist als falsch erwiesen (Elliger). Wenn Verf. um des
Primates der Form willen, die ihm das spezifisch Christliche enthält, durch wahllos
herausgegriffene Beispiele beweisen will, daß der Inhalt der Katakombenmalereien
aus dem Heidentum genommen sei (S. 67 f.), so begeht er den methodischen
Fehler, Einzelheiten isoliert zu betrachten und den Oesamtdekor außer
acht zu lassen. So hat z. B. schon Robert Eisler (1923) nachgewiesen, daß der
Orpheus der Katakomben ein verhüllendes Symbol Christi ist, also etwas
eigenständig Christliches. Alles, was dann über die Entwicklung der Ikonographie
folgt, Ist infolge falscher Chronologie unhaltbar. Die Andeutungen
über den Symbolcharakter der Malereien (S. 71 f. und S. 79 f.) meinen vielleicht
das Richtige, führen es aber nicht aus; die wahre Tiefe dieser Frage ist offenbar
nicht erkannt. Was dann endlich noch im Anschluß an Neuß über Symmetrie
und Frontalität gesagt wird (S. 81 ff.), läßt eine restlose Ahnungslosig-
keit gegenüber den Prinzipien spätantiken Kunstwollens erkennen. Die abschließenden
Bemerkungen schließlich über die weitere Entwicklung der christlichen
Kunst, wobei die Gotik und Thorn Pricker herausgegriffen werden, sind
zu feuilletonistisch, als daß sie besprochen werden müßten.

Aus allem ergibt sich, daß auch die Bemerkungen zu den Abbildungen
(S. 91 ff.) nur die rein technischen Dinge richtig erklären, aber sonst in allem
abwegig und irreführend sind. Das Literaturverzeichnis (S. 101) ist sehr spärlich
, alles wissenschaftlich Gültige fehlt, ja, unter den dominierenden katholischen
Autoren fehlt bezeichnenderweise Paul Styger, dessen Forschungsergebnisse
allerdings mit den vom Verf. vorgetragenen Thesen nicht korrespondieren
können. Die Abbildungen sind, bis auf das farbige Titelbild, recht
mäßig.

Handelte es sich hier um ein weiteres Opusculum zu den
Katakomben in der unübersehbaren Fülle von Publikationen
zu diesen Fragen, könnte man mit einem Achselzucken darüber
hinweggehen, und eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt
hieße, mit Kanonen nach Spatzen schießen. Hier aber soll ein
Stück Geschichte des Christentums für die christliche Gegenwart
lebendig gemacht werden. Da wäre größte Sorgfalt am
Platze gewesen, peinlichste Genauigkeit in der Wiedergabe
tragfähiger Forschungsergebnisse, um das Bild der Vergangenheit
der versunkenen Wirklichkeit so weit als möglich anzunähern
. Wo die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung außerwissenschaftlichen
Kreisen zugänglich gemacht werden sollen,
kann und darf dies nur im Geiste strengster Akribie und voraussetzungsloser
Objektivität geschehen, zumal, wenn es sich
um Geschichte der Kirche in einem so charakteristischen Ausschnitt
für Menschen der Kirche handelt. Gegen diese Norm
ist mit diesem Büchlein gröblich verstoßen worden. Es dient
nicht, erkannte Wahrheit zu vermitteln, sondern es vermittelt
haltlose, längst als falsch erwiesene Spekulationen. Aus diesem
Grunde ist es zu bedauern, daß dieses Buch überhaupt geschrieben
wurde. Unverständlich aber ist, daß es sogar eine
zweite Auflage erleben durfte.

Berlin Klaus Wessel

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Jüchen, Aurel von: Der Zorn Gottes. Ein Beitrag zur kirchlichen Verkündigung
heute. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1948J. 159 S. 8».
In diesem Buch ertönt die Stimme eines Mannes aus dem
Lager der „Religiös-sozialen", zu denen Aurel v. Jüchen schon
in den zwanziger Jahren als Pfarrer in Thüringen gehörte, bis
er zu Beginn des Dritten Reiches von dort durch die „Deutschen
Christen" vertrieben wurde. Bekanntlich verkörperte
die religiös-soziale Bewegung, im Gegensatz zu der „kirchlichsozialen
" und „evangelisch-sozialen" Gruppe, die radikale
Haltung der Kirche in ihrer Auseinandersetzung mit der
sozialen Frage. Hier hatte man die Idee der bloßen sozialen
Reform verlassen und war zu einer positiven Anerkennung
des Sozialismus übergegangen, und zwar in der Form, wie er
damals von der Sozialdemokratie vertreten wurde. Ihren