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Ausgabe:

1949 Nr. 7

Spalte:

411-414

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dörries, Hermann

Titel/Untertitel:

Das Bekenntnis in der Geschichte der Kirche 1949

Rezensent:

Hermelink, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 7

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von Gottes Reden wesensmäßig verändert, so daß im AT das Evangelium
nur vom Oesetz her, im NT das Gesetz nur vom Evangelium her sowohl
in seinem elenchthischen wie didaktischen Gebrauch begriffen und ergriffen
werden kann. Es wäre lohnend gewesen, wenn eine Arbeit über das Gebot
Gottes im NT diese Fragestellungen ins Auge gefaßt hätte. Denn die augenblickliche
Situation, besonders die der lutherischen Kirche und Lehre, der
Streit, der um ihre Schuld und um ihr Verdienst entbrannt ist, die Neubesinnung
des Luthertums und sein kirchlicher Zusammenschluß nicht weniger
als der ihm allenthalben gemachte Vorwurf, durch seine Lehre von Gesetz
und Evangelium der Autonomie des politischen Handelns und der Selbstverherrlichung
des Staates mindestens Vorschub geleistet zu haben, fordert die
neutestamentliche Wissenschaft geradezu heraus, die neutestamentlichen
Quellen auf ihre Auskunft hin aufs neue zu befragen. Man kann vielleicht indirekt
aus dem von L. zusammengestellten Material diese Auskunft erhalten;
einen unmittelbaren Beitrag bietet seine Schrift nicht.

Die Anwendung der oben gekennzeichneten durchgängigen,
dem Text nicht unmittelbar entnommenen Begriffe wie Persönlichkeit
, Geschehen, Leben und Wirkung von Christus her,
der Mangel an literarkritischer Analyse der synoptischen Texte,
die Verwendung ferner des hergebrachten Schemas der Lehrtropen
, die Übertragung des Begriffsschemas der Rechtfertigungslehre
auf die paulinische Ethik wie auch, wenn gleich in
modern interpretierter Form, auf die Lehre Jesu und der
Mangel an Befragung der neutestamentlichen Texte auf ihre
eschatologischen Schemata hin, hindern den Verf. daran, den
neutestamentlichen Stoff wirklich zu analysieren.

Eine solche Analyse müßte zunächst einmal die Verschiedenartigkeit der
ethischen Motivationen in den neutestamentlichen Schriften herausarbeiten.
Sie dürfte sich nicht vor Widersprüchen scheuen. Sie müßte auch der Rechtfertigungslehre
des Paulus ilr-en Platz neben, nicht über oder in seiner Ethik
zuweisen, um dann erst den kritischen Charakter derselben für die paulinische,
aber auch alle neutestamentliche Ethik zu zeigen. Sie müßte — etwa im Anschluß
an und gleichzeitig in Korrektur gegenüber Albert Schweitzers bedeutsamer
Analyse der neutestamentlichen Eschatologie in seinem Werk: „Die
Mystik des Apostels Paulus" — die Schichtungen eschatologischer Aussagen
und Lösungsversuche unter dem Kerygma von Christus herausarbeiten. Und
vielleicht ließe sich von da aus zeigen, wie verschieden (und vielleicht doch
einheitlich?) die Frage nach Gesetz und Evangelium im NT beantwortet wird.

Es wäre trotz aller Kritik, die an ihm zu üben ist, eine
verdienstvolle Wirkung der Untersuchung von Liechtenhan,
wenn sie der Wissenschaft den Anstoß gäbe, über die rein
dogmatischen Auseinandersetzungen hinaus zu einer neuen
Untersuchung der neutestamentlichen Ethik unter Berücksichtigung
der Ergebnisse der literarkritischen und formgeschichtlichen
Forschung vorzustoßen.

Berlin Günther Härder

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES
UND TERRITORIALKIR CH EN GESCHICHTE

Dörries, Hermann: Das Bekenntnis in der Geschichte der Kirche

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1946. I12S. gr. 8». DM3.50.

Aus Vorträgen in der Göttinger Studentengemeinde ist
das Büchlein entstanden. In einem einleitenden Abschnitt
„Vorfragen" wird festgestellt, daß der Höhepunkt der deutschen
Geschichte ein Bekenntnis ist, das Luther 1520 in Worms
abgelegt und in die Weite hinausgesprochen hat. Aber „Bekenntnis
" ist zugleich auch in der Verborgenheit des Gebets
eine Sache einsamer Zwiesprache zwischen Mensch und Gott,
wie Pascal zeigt, der sein „Bekenntnis" feuriger Worte innerer
Erfahrung in seinen Rock eingenäht hatte. Aus der Bibel wird
erschlossen, daß drei Bedeutungen dem Bekenntnis wesentlich
sind: Beichte, Dankgebet und Glaubenszeugnis. Als Taufbekenntnis
hat es seinen Weg in der Kirche angetreten; über
die Abendmahlsliturgie hat es sich seinen Platz im regelmäßigen
Sonntagsgottesdienst gesichert. In der Abwehr gegen
den „Kyrios Kaisar", gegen den „Logos" als Weltvernunft
und gegen den Schicksalsglauben der „Wurd" ist es Wort-
und Tatbekenntnis zugleich geworden.

Die ältesten Bekenntnisse, die im zweiten Abschnitt
zusammengestellt werden, gehen aus vom Jüngerkreis in
Cäsarea Philippi, wo sowohl die Zusammengehörigkeit von
„Christus" und von „Gottes Sohn" zu beachten ist, als auch
die Verknüpfung mit der ersten Leidensweissagung. Die Auseinandersetzungen
im Kreis der hellenistischen Christen (Ste-
phanus) führen weiter; hier entsteht der Name „Christen".
Von Antiochia geht Paulus aus, dessen Freiheit gegenüber dem
mosaischenVGesetz „die erste dogmatische Entscheidung der
Kirche im ersten Lehrstreit auf christlichem Boden" auf dem
sog. Apostelkonzil in Jerusalem auslöst. „Es gefällt dem
heiligen Geist und'uns", den Weg der Gnade, d.h. Christi
allein einzuschlagen.

Das Apostolikum, wahrscheinlich in Rom zu Beginn
des 2. Jahrhunderts von einem einzelnen Theologen gescharfen,
hat die Front gegen die idealistische Gnosis jeglicher Art.
„Das Wort ward Fleisch." Diese Wahrheit wird trinitarisch
gegliedert. Der erste Artikel besagt: „Ich glaube", d. h. „ich
setze meinen Trau", wie Luther sagt, „an Gott als allwaltenden
Vater". „Schöpfer Himmels und der Erden" geht gegen
die, „die nur den Himmel Gott zueignen wollten, die Erde
aber seiner nicht würdig fanden". Uber Christus sind vier
Grundaussagen gemacht, über die Herkunft, die Geschichte,
die Gegenwart und die Zukunft Christi. Die Jungfrauengeburt
will betonen, daß Christus wahrhaftig Mensch geworden ist,
so gewiß er in Gott seinen Ursprung habe. Der Ursprungshoheit
wird schroff und unvermittelt der Henkertod gegenübergestellt
, ohne daß des Lebens und der Lehre Jesu gedacht
wäre. Pontius Pilatus wird zum meistgenannten Staatsmann
der Weltgeschichte, um einer vorschwebenden Christusidee
gegenüber das geschichtliche Ereignis festzuhalten. Auch die
Zeitangabe „am dritten Tage" dient der Datierung. Die Erhöhung
ist zugleich Entrückung. Es ist eine verborgene Herrschaft
, die die Gegenwart bestimmt und zugleich die Zukunft
des Gerichts aussagt. Der dritte Artikel bestimmt die Kirche,
über die der Geist Gottes ausgegossen ist, als endzeitliche
Größe. Sie ist „heilig" als der Leib Christi. Von den späteren
Zusätzen ist „katholisch" im Sinne von ganzheitlicn (ökumenisch
) und rechtgläubig durch die Reformatoren festgehalten
worden, um anzuzeigen, daß die Kirche an kein Volk
gebunden, über die Erde zerstreut ist. Die „Gemeinschaft der
Heiligen", die erst seit dem Jahre 400 begegnet, betont
einerseits die Gemeinschaft mit den Gläubigen, andererseits
die heiligen Sakramente; sie ist von Luther aufgenommen und
neutestamentlich vertieft worden im Sinne der Gemeinde der
Heiligen, d. h. der Glaubenden. Als ihr entscheidendes Kennzeichen
ist die Sündenvergebung genannt; im Sinne der ältesten
Gemeinde, die die Sündenvergebung mit dem Christus-
glauben gleichsetzte, ist wohl (im Gegensatz zur Meinung des
Verf .s) zunächst an den einmaligen Akt der Sündenvergebung
bei der Taufe zu denken. Sie wird schon im Mittelalter und
vollends durch Luther eine das Gesamtleben der Christen bestimmende
Heilsaussage: „Wo Vergebung der Sünde ist, da
ist auch Leben und Seligkeit". Das letzte Wort des Bekenntnisses
„Auferstehung des Fleisches" hat die Front gegen den
griechischen Unsterblichkeitsglauben. Der Zusatz „und ein
ewiges Leben" verdeutlicht den Glauben der christlichen Hoffnung
an die Auferweckung zum ewigen Leben. Das ganze Bekenntnis
, das von vielem schweigt, was man erwarten könnte
(von der Schrift, dem Evangelium, der Rechtfertigung, vorn
christlichen Leben und den Sakramenten), erhebt in den
Mittelpunkt das Zeugnis vom Kreuz.

Das Nicaenum ist erst recht aus Kampfsituationen heraus
zu verstehen, in allen drei Artikeln: im ersten wird der
heidnische Vielgötterglaube abgewiesen. Der zweite ist der
meistumkämpfte: innerkirchlich gegen Marzell von Ancyra,
der ein Aufhören des Reichs des Sohnes annahm (nach 1. Kor.
15, 88), geht der Satz: „Des Reich kein Ende haben wird"-
Gegen Arianer und Semiarianer gehen die mannigfachen Bestimmungen
: „Gott von Gott", „Licht vom Licht", „wahrhaftigen
Gott vom wahrhaftigen Gott", „geboren nicht geschaffen
", „mit dem Vater in einerlei Wesen" usw. Ebenso
sind die Aussagen des dritten Artikels vom Heiligen Geist, „der
lebendig macht", „der vom Vater (und dem Sohne) ausgeht",
„der mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und
zugleich verehrt wird", „der durch die Propheten geredet
hat" (ein Bekenntnis zum Alten Testament!), zeitgeschichtlich
gegen die Pneumatomachen gerichtet. Eine kurze Dogmengeschichte
vom Nicaenum bis zum Konstantinopolitanutf
wird uns dargeboten. Und der Ausgang ist die Einführung
des „Filioque", das aus Augustin über die spanische und fränkische
Kirche in die römische Liturgie eingedrungen ist und
gegen die sich Leo I. noch stillschweigend wehrte, die aber
durch Kaiser Heinrich II. letztlich angeordnet wurde. Da3
Nicaenum ist das Bekenntnis vom Menschen Jesus Christus,
in dem Gott selbst zu uns redet und handelt.

Der nächste Abschnitt handelt von August in, der B»*
seinen „Konfessionen" und mit seinem „Enchiridion" ein Bekenner
und Verkündiger der unverdienten Gnade ward. Ausführlich
wird sein Lebensgang und sein Kampf mit Pelagiu9
und mit Caelestius geschildert. Alle Aussagen des Bekenntnisses
fassen sich für ihn in der Gnadenlehrc zusammen. I10
ersten Artikel handelt es sich für ihn um die Darstellung def
erbsündigen Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Der zweite
Artikel zeigt den Menschen Jesus als das Beispiel der unverdienten
Gnade; die gesta Christi (Kreuz, Begräbnis, Ai'1'
erstehung, Himmelfahrt, Sitzen zur Rechten des Vaters)