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Ausgabe:

1949 Nr. 7

Spalte:

405-406

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sjöberg, Erik

Titel/Untertitel:

Der Menschensohn im äthiopischen Henochbuch 1949

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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405

Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 7

406

verwandten religiösen Anschauungen wurzelt. Aber auch die
deutsche Volkskunde kann mit ähnlichen Reihen aufwarten,
etwa in den Bienenkörben mit Gesichtsmasken und Menschendarstellungen
. Daß alte Gedankengänge dabei lebendig geblieben
sind, bezeugen für sie noch Ausdrücke wie „Bannkörbe
" und „Immenwächter". — Zusammenfassend ist zu
sagen, daß der Verf. es verstanden hat, uns die geistige Haltung
der Ostgermanen zur Zeit der Gesichtsurnenherstellung
näher zu bringen.

Bonn K.Tackenberg

NEUES TESTAMENT

SJSberg, Erik: Der Menschensohn im äthiopischen Henochbuch.

Lund: C. W. K. Gleerup 1946. 219 S. 8«= Skrifter utgivna av Kungl. Hu-
manistlska Vetenskapssamfundet 1 Lund (Acta Reg. Societatis Huma-
niorum Litterarum Lundensis) XLI.

,,Der Menschensohn im äthiopischen Henochbuch" ist das
Wichtigste Problem der gesamten neutestamentlichen Zeitgeschichte
. Die gründliche und gediegene Untersuchung, die
E. Sjöberg ihm widmet, hat vor zahlreichen anderen Äußerungen
zum Thema den großen Vorzug, daß der Verf. das
äthiopische beherrscht; auf Schritt und Tritt zeigt sich, daß
viele literarkritische und exegetische Fragen nur vom Urtext
her beantwortet werden Können. Sj. datiert die Bilder-
j'eden des äthiopischen Henochbuches (cp. 37—71: nur hier
begegnet bekanntlich der Terminus Menschensohn in dem
Buche) in den Anfang der Prokuratorenzeit (also: bald nach
U P ); der Einfluß ihres Gedankengutes auf das frühe Christentum
läßt es ihm ratsam erscheinen, die Bilderreden nahe an
uie Zeit des Auftretens Jesu heranzurücken. Mir scheint die
Holle der Parther und Meder im eschatologischen Geschehen
eher die Datierung in die Zeit bald nach dem Parthereinfall
la Palästina (40—388.) zu empfehlen; die Einfügung der
■Hilderreden in das Henochbuch mag um die Jahrtausendwende
erfolgt sein.

In ständiger Auseinandersetzung mit der Literatur schreibt
Sjöberg neun Problemkreise ab. Er beginnt 1. mit den „lite-
anschen Vorfragen" (S. 1—39). Sind die Menschensohnstellen
äthiopischen Henochbuch christliche Interpretationen
früher; Drummond, Pf leiderer, Bousset, neuerdings: Messel,
^■agrange) ? Läßt sich die Quellenscheidung halten, die Beer
und Charles an Hand der doppelten Bezeichnung des eschato-
°gischen Erlösers als „der Menschensohn" und „der Auswählte
" durchgeführt haben ? Sj. verneint beide Fragen,
Ut Recht. Seltsamerweise versäumt er es aber, sich mit den
, lel ernster zu nehmenden Quellenscheidungen von P. Biller-
{g* (Nathanael 21, 1905, S. 91 «■) und F.Stier (Orientalische
Studien für E. Littmann, 1935, S. 7off) auseinanderzusetzen
. Es zeigt sich schon hier eine Schwäche des Buches:
,° sauber und besonnen Sj. argumentiert, so macht er sich
°ch bisweilen die Lösung der aufgeworfenen Probleme etwas
zu einfach.

, Die folgenden acht Abschnitte haben sämtlich die Person
es Menschensohns zum Gegenstand. Die Frage, ob 2. „Der
S*B>chensohn — ein messianischer Titel?" im äthiopischen
eiiochin,cu sei (S. 40—60), wird in der Schwebe gelassen. Der
jPaehliehe Befund des äthiopischen Textes reicht in der Tat
<5? sich allem zu einer Entscheidung nicht aus. Hier führt aber
Tat V°n ^' auca sonst nicht immer genügend berücksichtigte)
zu clle, daß die Bilderreden eindeutig auf Dan. 7, 13f. Bede8
"^"nen, weiter und erlaubt m. E. durchaus die Bejahung
stell a«c- Wichtig ist in diesem Abschnitt, daß Sj. die Fest-
n UIlK von Charles bestätigt, daß die verschiedenen Bezeich-
SnP11 <*es Menschensolme,s im äthiopischenHenochbuch als
geh Menschen", „Sohn des Mannes", „Sohn des Mensch-

Ath°re?en" nichts als Übersetzungsvarianten sind, die im
ß "l0Pischen nichts Auffälliges haben; das Auftauchen der
klärt •UUn? "S°nn des Menschgeborenen" insbesondere er-
tib- S'c'1 daraus, daß diese Wendung in der äthiopischen,
ersetzung der Evangelien die gewöhnliche Wiedergabe von
V ,en.schensohn" ist („Sohn des Weibes" 62,5 v.l.; 69, 29
>.Sol j Textfehler, die richtige Lesart ist in beiden Fällen
hyr» h Mannes".) Qucllenscheidungs- oder Interprolations-
*erden SCn cmrfen also au* diesen Wechsel nicht aufgebaut

|>_ Nachdem sodann 3. „Die eschatologische Funktion des
Oe"Scnensohnes" (S. 61—82) als Weltrichter und Erlöser der
Pr«e . ten beschrieben wurde, wird 4. die Frage nach seiner
Messei1St/"z (S- 83—IOI> aufgeworfen und (gegen Lagrange,
SetZu| ' E. Moore) bejaht, wobei man eine Auseinander-
scij j K "dt Billerbccks Bestreitung der Präexistenz des Men-
nsolms, die S. 116 Anm. 4 nur gestreift wird, vermißt.

Unbefriedigend ist 5. der Abschnitt über den „Verborgenen
Menschensohn" (S. 102—115), weil das umfangreiche sonstige
spät jüdische Material über den verborgenen Messias, das
dringend der Bearbeitung bedarf, nicht herangezogen wird.
Die von P. Billerbeck und dem Rezensenten unabhängig voneinander
aufgestellte Behauptung, daß der Menschensohn
6. Leidenszüge aufweise, wird von Sj. bestritten (S. 116—139).
Indes gibt Sj. zu, daß die Bezeichnung des Menschensohns als
„der Auserwählte" aus Jes. 42, 1 und als „das Licht der Völker
" aus Jes. 42, 6; 49, 6 stammt, und damit ist das entscheidende
Zugeständnis gemacht: daß der Menschensohn
des äthiopischenHenoch mit Zügen des Gottes-
knechtesgeschildert ist! Demgegenüber sind alle anderen
Fragen zweitrangig. Wenn Sj. betont, daß die Berührungen
sich auf die beiden Ebed-Jahwe-Lieder Jes. 42, 1 ff. und 49, 1 ff.
beschränken, so ist zu erwidern, daß die Ausgliederung von
Ebed-Jahwe-Liedern der alten Zeit unbekannt ist (wie Sj.
selbst S. 118 richtig betont). Außerdem ist — angesichts der
auch von Sj. zugegebenen Zusammenhänge zwischen Ebed
Jahwe und Menschensolm — wirklich nicht einzusehen, warum
die Bezeichnungen des Menschensohns als „der Gerechte"
nicht mit Jes. 53, 11 und die entsetzte Beschämung der
Könige und. Mächtigen nicht mit Jes. 52, i3ff.; 49,7 zusammenhängen
soll. Wenn Sj. einwendet, daß es sich an diesen
beiden Stellen nicht um eine Gerichtssituatiou handele, so ist
im Gegenteil durch Sap. 5, 1 ff. gesichert, daß man zur Zeit
der Abfassung der Bilderreden Jes. 52, 13ff. auf das Endgericht
gedeutet hat. Im übrigen will ich nicht etwa behaupten
, daß der Menschensolm im äthiopischen Henochbuch als
Leidensgestalt geschildert werde, möchte aber nach wie vor mit
Billerbeck fragen, ob nicht die Schwierigkeit, die Herkunft des
himmlischen Menschensohns von Dan. 7, 13 zu erklären, der
Anlaß für die jüdischen Schriftgelehrten war, auf den deu-
terojesaianischen Gottesknecht zurückzugreifen.

Nachdem sodann 7. der Unterschied zwischen Menschensohn
und Messias herausgestellt wurde (S. 140—146), bemüht
sich Sj. 8. vergeblich, den Nachweis zu führen, daß die Erhöhung
Heuochs zum Menschensohn ein integrierender Bestandteil
der Bilderreden sei (S. 147—189), um schließlich
richtig 9. die Zusammenhänge der Menschensohngestalt mit
den Urmenschenvorstellungen (S. 190—198) herauszustellen.
Man legt die saubere und besonnene, kenntnisreiche und gewandt
geschriebene, nur bisweilen die Dinge etwas zu sicher
vereinfachende Darstellung mit viel Gewinn aus der Hand.

Oöttingen Joachim Jeremias

Liechtenhan, Rudolf, Prof. D.: Gottes Gebot im Neuen Testament.

Sein ursprünglicher Sinn und seine bleibende Bedeutung. Für die Gemeinde
dargestellt. Basel: Helblng <& Lichtenhahn 1942. X, 165 S. 8«. Geb. Schw.
Fr. 5.50.

Wenn auch dies Buch, aus der Praxis und für die Praxis
geschrieben, für einen weiteren Kreis („für die Gemeinde dargestellt
", heißt es im Untertitel) bestimmt wurde und deshalb
auf den griechischen Wortlaut der einzelnen Schriftstellen
nicht eingeht, hat es dennoch wissenschaftliche Bedeutung.
Es ist aus Vorlesungen über das Problem der neutestamentlichen
Ethik entstanden und w'll zu derselben einen Beitrag
liefern. Das Anliegen des Verf .s wird besonders aus seinen Ausführungen
auf S. 52ff. deutlich: „Dem Evangelium eignet eine
besondere revolutionierende Kraft; ein falsches Verständnis
des göttlichen Willens als einer unabänderlichen Ordnung der
Dinge durch Gott sowie eine falsch verstandene Eschatologie
haben das Christentum an der Beseitigung gegenwärtiger
Mißstände uninteressiert sein lassen; besonders dem Luthertum
wird dieser Vorwurf gemacht. Eine gewisse Uberbetonung
des inneren Lebens läßt den Christen indifferent gegenüber
dem äußeren sein. Das Liebesgebot Gottes und die Liebes-
niacht des Evangeliums sind darüber zu kurz gekommen. Jesus
hat dem Elend abgeholfen; seine Worte wollen die Gewissen
wecken, das Dämonische in der Kultur soll gesehen werden.
Sie darf nicht zum Selbstzweck werden, das hieße, sie ver-
götzen. Die Botschaft von der in Jesus angebrochenen Gottes-
herrschaft muß sich als Kraft der Befreiung von der Bindung
an die Kultur und der Hinführung zu einer neuen Welt auswirken
. Die von der Welt Freiesteu werden als rettende und
bewahrende Macht das meiste für sie zu tun vermögen.

Von hier aus sind die Ausführungen des Verf.s zur neutestamentlichen
Ethik zu verstehen."

Sein Buch gliedert sich In herkömmlicher Weise in die Verkündigung
Jesu, der Urgemeinde, des Apostels Paulus, der Johanneischen und Petrinischen
Schriften, des Jakobus- und Hebräerbriefes und der Apokalypse. Charakteristisch
für Jesu Forderung Ist, daß er den Willen in stetige Richtung auf
das Recht Oottes gelenkt haben will. Er will nicht, daß seine Jünger über das
Reich Gottes belehrt werden, sondern daß Menschen von dem in Jesus an-