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Ausgabe:

1949 Nr. 7

Spalte:

395-401

Autor/Hrsg.:

Schlyter, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Missionswissenschaft in Schweden 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 7

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der Hiobfigur für uns! Was tritt an die Stelle? Gerade
von seinem getrösteten und guten Gewissen her sieht der Glaubende
sich selber statt in der großen Hiobproblematik nur
immer in der allumfassenden Schuldgemeinschaft
aller Menschheit, nur immer gewiesen allein auf
Gottes Gnade und Erbarmen. Das gilt auch und gerade
im unsäglichsten und offenkundig persönlich gänzlich unverschuldeten
Unglück. Das getröstete Gewissen weist ihn
darauf, weil es überhaupt nur von Gottes vergebendem Erbarmen
in Christus lebt. Und sein gutes Gewissen weist ihn
eben nur darauf; denn, soweit er es haben darf, ist es nichts
als Gottes Geschenk im Heiligen Geist. Er weiß, daß sein
„Erlöser" lebt; sein Gott ist ihm auch in der Hölle nahe;
auf Christus hin kann und muß der Glaubende diesen Glauben,
aber nicht das Wagnis des Hiob wagen. Es bleibt ihm von
allen Seiten nur und lediglich jener Weg nicht der Leidenserklärung
, sondern der Leidüberwindung, wie er sich auch
schon mitten im Hiobbuch einstellt, wenn Hiob auf Gott als
seinen Anwalt gegen Gott selber trotzt. Luther hat ihn christlich
verdolmetscht und vollendet, indem er aus dem Anwalt
den Erlöser machte. Des Christen Weg ist die Flucht hinein
in die Gewißheit der erbarmenden Nähe Gottes
auch mitten aus dem unverdientesten und größten
Verderben. Das Hiobthema verwandelt sich dem
Christen in die ganz andere Frage: Wie flieht der
Glaubende auch aus dem entsetzlichsten und persönlich
schuldlosesten Leid und Unglück in die unzerstörbare
Gewißheitder erbarmenden Nähe Gottes?

Fragt der Christ im persönlich unverschuldeten Unglück
schon anders als Hiob, so findet er auf seine Frage erst recht
andere Antwort, als Hiob erreichte und erhielt! Das Trauen,
Kennen und Sich-verlassen auf Gottes Gnaden bei dem
Christen stellt noch eine ganz andere Endgestalt des Glaubens
dar, als Hiobs Glauben erreicht. Es quillt aus der
Gegenwart des in Christus schon zuvor ihm offenbaren
Gottes. Auch der Christ kennt einerseits wohl wie
Hiob den fernen Gott und damit allen Anreiz des Hadems
und Anrennens gegen diesen verborgenen Gott. Aber den Weg
von diesem verborgenen zum offenbaren Gott braucht er auch
in der größten Not sich nicht erst aufzubrechen oder durch
Gottes Majestätserscheinung aufbrechen zu lassen; er ist ihm
schon aufgetan und offen! Sofern ist ihm auch die Versuchung
zum Wagnis Hiobs noch auf andere Weise von vornherein verstellt
: nicht nur durch die Erhabenheit Gottes, sondern noch
mehr durch seine erhabene Barmherzigkeit. Der christlich
Glaubende hat ja nicht nur die Ausgespanntheit der Welt
Gottes in Raum und Zeit und alle ihre Wunder und Unbe-
greifbarkeit im unendlich Großen und unendlich Kleinen erlebt
, sondern auch die Wunder der Gnade und Barmherzigkeit
Gottes in der Führung der Menschheit und des eigenen
Lebens auf dem Wege des Heils vor Augen; und von beidem
aus erlebte und erlebt er auch jeden Augenblick seines eigenen
kleinen Lebens als ein echtes Wunder allein aus der Hand
seines Gottes! Anders als einem Hiob liegen ihm dabei Gottes
Erhabenheit und Gottes Barmherzigkeit in einer letzten Tiefe
überhaupt in einem: auch diese Erhabenheit und diese Gnade
stehen ihm in einem unbegreiflichen Simul; sie fließen dauernd
in einer ungeheuren göttlichen Dynamik in eins: Gottes gnadenlose
Erhabenheit fließt ihm dauernd in Christus über in eine
unendliche erhabene, unbegreifliche Barmherzigkeit!! Von
seinem ihm immer in Christus offenbaren Gott her ist der
fromme Christ auch im schuldlosesten Leiden nie geführt auf
eine Hiobbahn eines hadernden Rechtsstreits mit einem verschlossenen
Gott voller Abstandsmajestät, sondern auf den
Weg einer immerwährenden Zuflucht zu Gottes erhabener
Bannherzigkeit im Heiland der Welt. Er flieht zu Christus
nicht als zu seinem Gleichbild und Vorbild, sondern als zu der
Stätte der gewissen erbarmenden Gottesgegenwart. Er geht
nicht in die Nachahmung, sondern in die Nachfolge. Er hofft
nicht auf einen Anwalt, sondern er hat einen Herrn, der ihn
erlöst hat. Und er geht den Weg nur zu ihm.

Wie gestaltet sich das konkret? Wie flieht der Christ in der unverdientesten
Not zu Christus? Der Weg des Christen im persönlich unverdienten
Unglück endet zunächst nicht im bloßen Verstummen Hiobs
vor Oott. Wohl bleibt er von vornherein stets in der ursprünglichen Bescheidung
Hiobs vor Gott: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen;
der Name des Herrn sei gelobt I Aber diese Bescheidung geht dann in die Enge
und in die Weite noch lebendigerer Einzelformen ein. Christus fand sie aus der
immerwährenden Gegenwart und Einheit mit seinem Vater; uns werden sie
geschenkt aus einem getrösteten und aus Gnaden guten Gewissen, obwohl wir
immer in der Ferne von Gott beginnen. Zuerst gestaltet sich genauer heraus
die positive Umwandlung der ausdrücklichen und beharrlichen Ablehnung
jeder Versuchung, Gott nun doch etwas Unbilliges zuzumessen
. Dazu kommen aus ganz verschiedenen Quellen Christus und der
Christ doch gleicher Art ihrem Kreuz und Leid gegenüber. Das geschieht in der
positiven Wendung zu dem nun beiden doch gemeinsamen Oethsemane-
gebet: „Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüberl Doch nicht,
wie Ich will, sondern wie du willst!" Jede Versuchung zum Hader mit Oott ist
hier ertränkt in der offenen Haltung der völligen Bejahung jeder
Gabe aus Gottes Hand. Diese Haltung des Gethsemanegebets Ist die erste
Zuflucht zur Barmherzigkeit Gottes, die der Christ auch einem Hiob voraus
hat. Er schaut damit nicht nur dem eingetroffenen Unglück hintennach, er
sieht bereits dem noch kommenden entgegen und verwandelt es, ehe es eintrifft
und trifft.

Diese vorwegeilende Zuflucht des Christen Im kommenden Unglück zu
Gott überwindet weiter auch den schwersten Anstoß, den die alte Hiob-
dlchtung bietet: die fragwürdige Stillung unseres Aufbegehrens durch die
märchenhafte rein irdische Wiederherstellung des frommen Dulders nach seiner
Prüfung. Der Christ ist auch dort und gerade dort, wo völlige Hoffnungslosigkeit
unschuldigsten Leidens auf Erden keinen möglichen Ausweg mehr
läßt, nur noch in das Heraussterben aus dieser Welt enden kann, der Zuflucht
in die ewigen Arme der göttlichen Barmherzigkeit gleich
gewiß, restlos, sofort gewiß, im gegenwärtigen Augenblick des Todes selbst.
Er darf die Stimme seines Heilandes hören mit dem merkwürdigen und
großen Heute: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese
sein!" Es ist das große Heute, in dem alle Zeit immerwährend hinübergetragen
wird in die Ewigkeit, in dem Immerwährend alles Vergangene,
Gegenwart und Herzukunft als Kommen des Vaters und Oottes Jesu Christi
ineinanderschmllzt. Dies Heute greift weit über Geburt und Sterben hinaus
in Gottes Unendlichkeiten. Es ist die zweite konkrete Zuflucht des Christen zur
ewigen Barmherzigkeit Gottes, die er auch vor Hiob voraus hat, auch gegenüber
dem Todesleid.

Von hier aus eröffnet sich zuletzt noch einmal der Blick
auf die ganze Gesamthaltung des Glaubenden in der
Welt, aus der heraus er von vornherein dem Hiobthema
anders gegenübersteht als die alte Glaubensgestalt vor
Christus. Warum kann er so mit anderer Stärke als Hiob
auch aus dem hoffnungslosesten Unglück in die Arme seines
Gottes fliehen? Weil sein letztes Anliegen von Christus
her überhaupt niemals etwas anderes ist als diese
Flucht! Er will überhaupt, daß nur das Reich dieser Barmherzigkeit
ihm immerwährend in die Welt komme! Er will überhaupt
nur, daß ihm die Welt mit allen Zügen ohne Gott davor
vergehe! DerChrist beantwortet die Frage imHiobthema: „Darf
der denkbar schuldloseste Fromme im Unglück mit Gott rechten
?" mit nichts anderem als dem Vaterunsergebet seines
Heilandes, bei dem er in der immerwährenden reinen Gegenwart
Gottes steht. So oft der Christ dies Gebet betet, wi [1 er
nur, daß Gottes Name, Herrschaft und Willen kommen, und
will er nur, daß ihm Schuld, Versuchung und das Böse und
Übel dieser Welt durch Gottes Gnade vergehen, lebt er nur iö
dem Moment der Gegenwart der Gemeinschaft der göttlichen
Gnade, der allein er entgegenwartet: „Unsere Brotgemeinschaft
im Reich gib uns heute!" In diesem immer alles
Leben jeden Moment in die reine Gegenwart Gottes umbefassenden
Sinn ist das Vaterunser die dritte und größte Zuflucht
zur Allbarmherzigkcit Gottes, die der Christ im sterblichen
Heute seines Lebens immer und jeden Augenblick vor
Hiob voraus hat.

So ganz in den Augenblick der Gegenwart konzentriert,
wendet sich dem Christen die Zeit als Leiden und Last in eine
ganz andere Dimension: in die Zeit als Lebensbewältigung und
Daseinserfüllung, in die Zeit als ethische Grundaufgabe der
Welt____

Die Missionswissenschaft in Schweden

Von Hermann Schlyter, Lund

Erst am Ende des 19. Jahrhunderts kann man von wirklichen
Ansätzen zu schwedischer Missionswissenschaft reden.
Es gab zwar vorher schon Wissenschaftler, die für die Mission
interessiert waren, wie Bischof Thomander und Dompropst
Wieseigren, und Missionsmänner, die wissenschaftliche Interessen
hatten, wie Dr. Fjellstedt, aber niemand von ihnen hat

die Mission wissenschaftlich behandelt. Und Fallenius, später
Pastor Primarius und Vorsitzender der Schwedischen Missions-
gesellschaft, meinte schon 1850, daß die theologische Wissenschaft
begann, sich für die Mission zu interessieren, und hob
1855 hervor, daß die Wissenschaft diese nicht übersehen kann,
sondern mehr und mehr sie beachten muß.